Fantastisches · Kurzgeschichten

Von:    rosmarin      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. Januar 2010
Bei Webstories eingestellt: 13. Januar 2010
Anzahl gesehen: 4139
Seiten: 4

Die Vorstellung verlief anders als sonst. Schon das Vorher war sonderbar. Und das kam so:

Nachdem ich aus dem Auto gestiegen war, stand ich wie verloren auf dem Parkplatz und starrte in den dunklen Himmel. Düstere Wolken schoben sich über - und ineinander. Ab und zu leuchtete der Vollmond gespenstisch dazwischen auf.

'Wie befremdlich er doch heute wirkt',dachte ich, 'wie bedrohlich', während ein unheimliches Gefühl, so eine Vorahnung von Eswirdebestimmttwasschreckliches geschehen, sich immer mehr in mir ausbreitete.



Der Himmel war noch dunkler, noch düsterer geworden. Schon fielen die ersten Regentropfen. Nun aber schnell. Ich hatte ja wohl noch mehr zu tun als wie blöd den Mond anzustarren.

Entschlossen lief ich über den Parkplatz zu dem alten Gebäude und fuhr mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock. Wie kann ein Theater aber auch im fünften Stock sein. Es war höchste Zeit, hatte schon zum dritten Mal geläutet.



Mein Platz war in der ersten Reihe. Leise setzte ich mich, versuchte, mich zu konzentrieren, starrte auf die dunkle Bühne, kannte das Stück ja fast auswendig und wusste, was geschehen würde.

Doch das beunruhigende Gefühl verschwand nicht. Verstärkte sich eher noch. Es war, als hielte es mich in mir selbst gefangen. Und plötzlich wusste ich:

Sandra. Die Hexe. Ja, Sandra ist hier. Hier. In mir drin. Diese Unheil schwangeren, rätselhaften, mystischen Gefühle kamen von der Hexe Sandra. Ich hatte ihren Ring mit dem grünen Stein missachtet, ihn nicht ausprobiert, sie nicht mehr besucht. Deshalb besuchte sie mich und ihre Aura drohte, mich zu ersticken.

Plötzlich vernahm ich ihre Stimme:

„Du bist eine Hexe. Mach das Exempel zur Probe. Setz deine angeborenen Hexenkräfte in die Tat um. Jetzt! Sofort!“

Und, ob ich wollte oder nicht, ich musste ihr gehorchen. Ich musste. Ich konnte diesen Einflüsterungen, dieser verlockenden Versuchung, einfach nicht widerstehen.

Doch, was würde geschehen, wenn die Hexe Recht hatte und ich tatsächlich eine Hexe war. Was hatte sie neulich gesagt, als ich zufällig und aus reiner Neugier ihren esoterischen Laden betreten hatte?

„Hexen riechen sich auf viele Meilen Entfernung.“

Ja.
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Das waren ihre Worte. Und das Grün ihrer Augen verschwamm magisch in den meinen. Und schon fühlte ich mich gefangen. Wollte vor Schreck und Unbehagen fliehen. Es gelang mir nicht. Ich stand da wie angewurzelt. Ließ mich von ihr voll texten. Zum Schluss hatte sie mir den grünen Ring, der magische Kräfte besitzen soll, an den Finger gesteckt. Ich bräuchte ihn nur zu drehen, mich auf mein Wollen zu konzentrieren und schon würde geschehen, was geschehen sollte. Echt gruselig.

Wieder zu Hause, wollte ich den Ring verschwinden lassen. Er ging nicht ab. Ließ sich auch nicht drehen.

Ach, sei's drum.

Mutig sammelte ich all meine Energie, meine magischen Kräfte, konzentrierte sie auf den einzigen Gedanken, der mich mehr und mehr beherrschte:

„Ich lasse die Vorstellung platzen.“

Was würde geschehen. Stand es wirklich in meiner Macht, ein Chaos anzurichten? Dank des verdammten Ringes.

Mein Übermut und meine Neugier, diese unbekannte Erfahrung zu machen, waren grenzenlos. Und die Spannung, dieses Hexische, Teuflische, zu erleben, wuchs mit jeder Minute. Die Zeit war reif.

„Ich lasse die Vorstellung platzen.“

Höchste Konzentration war angesagt. Die Grundvoraussetzung, seine magischen Kräfte walten zu lassen.

„Ich lasse die Vorstellung platzen.“

Nach einiger Zeit war mir, als sei dieser eine Gedanke das Zentrum, mein Zentrum, um das sich nach einem leeren Raum mein Ich schloss, darum meine fleischliche Hülle.

Mit geschlossenen Augen fühlte ich, wie alle äußeren Energien in mich hinein flossen. Hinein in mein tiefstes, innerstes Ich. Meinen Mittelpunkt. Den brennenden, roten Kern meines Seins.

Strahlenförmig wurde er eingeschlossen, umzuckt von schwarzen Blitzen, die in ungleichmäßigen Abständen, gleich einem lautlosen Feuerwerk, mein Zentrum umhüllten, erfüllten. Ausfüllten.

„Ich lasse die Vorstellung platzen.“



Nach mir angemessener Zeit, öffnete ich meine Augen. Nichts war geschehen. Alles war wie immer. Die Zuschauer saßen still auf ihren Plätzen. Lauschten den Vorgängen auf der Bühne. Die Schauspieler agierten spielsicher wie stets.



„Nichts da.“

Oh, Gott.
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Die Hexe!

„Dreh den Ring.“



Na. Klar. Der Ring. Den hatte ich in meiner Aufregung ganz vergessen. Wieder schloss ich meine Augen, drehte den Ring. Konzentrierte mich mit all meiner geistigen Kraft nochmals auf diesen einen Gedanken, bannte ihn gewaltsam in mein Zentrum, erlebte das Gleiche wie vorher, nur viel intensiver.

Und dann geschah es.



Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Mein Herz jubelte. Einige Besucher verließen geräuschvoll den Saal. Eine Gruppe Jugendlicher war unruhig geworden und kicherte laut. Und als die kurze Nacktszene kam, traute sich die junge Schauspielerin nicht, ganz nackt aufzutreten. In dem abgegrenzten Viereck konnte man nur eine entblößte Brust sehen. Der ganz entblößte Schauspieler wurde mit Gejohle empfangen. Das verunsicherte ihn so sehr, dass seine sonst so lockeren Bewegungen linkisch und steif wirkten.



„Es klappt! Es klappt!“, schrie ich euphorisch und klatschte wie wild in die Hände.

Dem jungen Schauspieler verschlug es die Sprache. Entsetzt sah er zu mir hin.

Ich sprang auf.

“Hexe! Hexe!”

“Still! Ruhe!“, zischte es von allen Seiten.

Doch es war zu spät. Einige Zuschauer waren ebenfalls aufgesprungen, schrieen unverständliches Zeug. Ein wüstes Durcheinander entstand.

Doch die Hauptsache fehlte ja noch. Der Höhepunkt. Die Szene mit dem Schwarzen, der auf der Bühne alles in die Luft sprengen sollte.

Und jetzt kam sie. Die Szene. Zu allem entschlossen, stand der Schauspieler auf der Bühne, in seinen Händen den Sprengsatz. Es knallte. Stank. Leuchtete. Dann war alles in Dunkelheit getaucht. Und Stille. Einen Moment nur. Dann kam Leben in den Zuschauerraum. Ein Tumult entstand.

Entrüstet verließ eine Gruppe Jugendlicher und einige Erwachsene laut schimpfend den dunklen Theatersaal.

Unter den Schauspielern herrschte große Aufregung, doch sie hielten durch. Am Ende applaudierte dankbar ein standfestes Häuflein. Darunter auch ich.



Doch das Wichtigste war: Ich wusste - ich bin eine Hexe. Ich habe magische Kräfte. Ich kann die ganze Welt in den Sack stecken. Besonders die Männer. Ha!

Aber natürlich würde ich meine Macht nicht missbrauchen.
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Ehrensache.

„Ich werde nur Gutes tun“, schwor ich und streckte meine Schwurfinger in die Höhe. „In jeder Vollmondnacht werde ich mir einen Mann aussuchen. Ich werde seine Göttin sein, eine Göttin, die ihr delphisches Spiel mit ihm treibt."



Sandra kicherte hexisch: "Und ihnen ungeahnte Lust bereiten.“



Aber sicher doch. Ja. Ihre Retterin würde ich sein. Ihre Göttin einer Nacht. Und sie entschweben lassen. Entschweben in himmlische Sphären. In höllische. In himmlisch höllische. Oder umgekehrt.

Ja, das würde ich. Und dann, ja, dann ...



Sandra. Du Hexe. Du wunderschöne Hexe Sandra.

Überglücklich drehte ich den grünen Ring an meinem kleinen, linken Finger.



*



Von den Männern, die ich beglückte, hat niemals Jemand etwas gesehen oder gehört.



***
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Kommentare zur Story:

  danke, korbinian und jochen. ich habe doch versprochen, sie in himmlisch teuflische sphären entschweben zu lassen. abrakadabra, und nun sind sie dort und kommen niemals wieder. aber weil es auch anders sein könnte, nämlich, dass ich gar keine männer beglückt habe, (vielleicht wollte ja keiner eine hexe) habe ich auf das -wieder - verzichtet. denn, wenn dem so wäre, kann ja niemand etwas von ihnen gesehen oder gehört haben. oh, oh, ist das ein kauderwelsch.
grüß euch  
   rosmarin  -  18.01.10 00:26

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  Wie ist der letzte Satz gemeint,verschwanden die Männer "danach" ? Aber dann hätte es ja heißen müssen, " nie WIEDER jemand etwas gesehen oder gehört. Also bedeutet es wohl eher, die Männer haben nie etwas über die Hexe erzählt... oder?
Wie dem auch sei, tolle romantische Hexengeschichte. Hat mir sehr gefallen.  
   Jochen  -  16.01.10 19:13

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  nicht schlecht, Herr specht...  
   Korbinian Schreiberling  -  14.01.10 16:23

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  jepp, da hättest du aber gestaunt.
hier kommen ganz liebe grüße an dich.  
   rosmarin  -  13.01.10 16:31

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  ich wünschte, ich wäre dabei gewesen. muss ja eine grandiose aufführung gewesen sein. ;))
lieben gruß  
   Ingrid Alias I  -  13.01.10 16:02

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