Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Timo Braun      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 25. März 2002
Bei Webstories eingestellt: 25. März 2002
Anzahl gesehen: 2288
Seiten: 2

(Neufassung von "Im Namen der Toleranz")



Die Familien der Füchse, der Eichhörnchen, der Igel und der Maulwürfe lebten nach vielen Jahren erbitterten Streits einträchtig in einem großen Höhlensystem beisammen. Man hatte einen Rat der Vetreter jeder Rasse gegründet, der über die Zukunft der Gemeinschaft beriet. Statt einer Verfassung gab es nur ein Gebot: 'Der Standpunkt eines jeden ist zu tolerieren.'

Eines Tages erzählte der Vertreter der Maulwürfe: »Mir ist etwas Unglaubliches passiert. Neulich bin ich aus dem Ausgang am Rande der Höhlen gestiegen, um mich draußen etwas umzuhören. Da vernahm ich die Stimme des Adlers, der auf dem Baum saß. Er sagte mir, dass nach diesem Winter eine große Flut komme, die all unsere Höhlen zerstören werde. Wir sollten uns deshalb rechtzeitig alle am Ausgang bereitstellen, damit er uns in Sicherheit bringen kann.«

»Das ist eine interessante Geschichte, die du da erzählst«, meinte der Igel, den sie zum Vorsitzenden bestimmt hatten. »Was denken die anderen?«

»Ich bin der Meinung«, sagte das Eichhörnchen, »dass wir hier unten unser Bestes geben und ganz normal weiterarbeiten sollten. Wenn es wirklich eine Flut gibt, dann wird uns der Adler schon irgendwie herausholen. Er ist ja so gutherzig.«

»Adler kenne ich keinen«, warf der Fuchs ein, »und Flut wird auch keine kommen. Es gab noch nie eine. Konzentrieren wir uns doch auf die Dinge, die wirklich existieren.«

Der Igel fasste zusammen: »Jetzt haben wir einige sehr verschiedene Standpunkte gehört. Natürlich gilt unser Gebot, jeden für sich stehenzulassen.«

»Moment mal«, unterbrach der Maulwurf mit Eifer, »was ich erzählt habe, ist wahr!«

Der Igel antwortete ihm weise: »Das bestreitet auch niemand. Aber willst du damit behaupten, dass die anderen etwas Falsches sagen?«

»Wenn ich es doch selbst erlebt habe!«

»Ich freue mich für dein Erlebnis«, warf das Eichhörnchen ein, »aber soll das heißen, die anderen liegen falsch? Möchtest du etwa, dass wir alle unsere Ansichten aufgeben, nur damit jeder dieselbe hat wie du?«

»Es geht doch nicht ums Rechthaben«, versuchte es der Maulwuf erneut, »es geht um die Wahrheit.
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«

Der Igel wurde ärgerlich. »Jetzt reicht es aber! Wir können deine intolerante Haltung nicht mehr dulden. Damit gefährdest du das friedliche Zusammenleben unserer Familien und die Freiheit jedes Einzelnen. Ab sofort ist es dir verboten, weiter über dieses Thema zu sprechen.«

Alle weiteren Versuche des Maulwurfs, die anderen zu überzeugen, wurden abgewiesen und seine Stimme fand von nun an keine Beachtung mehr.

Eines Tages kam die Flut. Der Maulwurf stand mit seiner Familie und ein paar wenigen Freunden am Ausgang bereit und wartete, ehe der Adler angeflogen kam und sie davontrug.

»Wo sind denn all die anderen, Maulwurf? Hast du ihnen etwa nichts gesagt?«

»Doch. Aber sie sind unten geblieben. Sie waren anderer Ansicht – und haben das einzige Gebot befolgt.«
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Punktestand der Geschichte:   182
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Kommentare zur Story:

  Interessanter Ansatz, zeichnet die häufige Verwechslung von Ignoranz und Toleranz nach. Allerdings fehlt die passende Moral, da Du ja die Toleranz (?) verurteilst, nicht aber die Ignoranz, die du eigentlich soscharfzüngig anprangerst. Bis auf das Fazit gute Sache, das.  
Meridion  -  05.09.02 14:56

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Interessant! Stimmt echt nachdenklich, fast wie im richtigen Leben...  
Bernd  -  16.04.02 20:40

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

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