Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 20. Februar 2002
Bei Webstories eingestellt: 20. Februar 2002
Anzahl gesehen: 2502
Seiten: 6

Der Clown, der auf Bewährung von seinen himmlischen Richtern wieder ins Leben entlassen worden war, fiel seinem Engel, der ihn ins Leben zurück geleitet hatte, vor die Füße und flehte ihn an, ihn nicht zu verlassen, denn er hatte so furchterregende Angst vor dem Leben.



Der Engel schaute auf ihn hinab und wart von hellem bläulichen Licht umgeben. Sein Blick, nein, er selbst war Liebe. Mit fester Stimme, die jedoch Schwingungen der ahnungsvollen Sorge offenbarte, bedeutete er dem Clown sich zu erheben. Und der Clown vernahm die Worte: „Wisse denn, daß das Leben ein kostbares Geschenk ist, dem gegenüber Du verantwortlich bist. Deine Angst davor rührt daher, daß Du nicht im festen Glauben an Gott, an die unendliche und bedingungslose Liebe weilst, denn diese würde Dich tragen. Somit suche sie. Und nun gehe zurück zu den Deinen. Vergiß nicht, daß es Deine Aufgabe ist, die Menschen, besonders die Kinder, die Armen, Kranken und Verwirrten zu erfreuen. Und bete um die Gnade für Deinen Frieden. Ich bin Dein Engel, ich werde bei Dir sein.“ Der Engel hielt beide Hände über den immer noch vor ihm knienden Clown, segnete ihn und verschwand.



Der Clown rappelte sich hoch und verharrte unschlüssig, wohin er seine Schritte lenken sollte. Seine Augen suchten die Stelle ab, wo der Engel entschwunden war. Als er das erdrückende Gewicht der Einsamkeit auf seinen Schultern verspürte, da tauchten die letzten Worte des Engels vor seinen Augen auf und gaben ihm die Kraft zu flüstern: „Vater, Dein Wille geschehe, ja, so sei es denn.“ Und der Clown schlug die Richtung zu den Seinen ein.



Er fand sie in dem alten Wagen beim Essen versammelt, von dem sie bei seinem Eintritt nur knapp und wortlos aufsahen. Sie gehörten dem fahrenden und wissenden Volk an. Man schob ihm eine Brotsuppe hin, die er wie die anderen schweigend auslöffelte. Nur Joana, die junge Seiltänzerin in ihrem rosa Ballerinakleidchen schaute immer wieder zu ihm herüber. Der Alte am Tisch, in dessen Gesicht sich über die Jahre die schwer lastende Verantwortung für seine Leute vielfaltig eingegraben hatte, dessen zornig schwarzen Augenbrauen im seltsamen Kontrast zu seinem silbergrauen Schnurrbart standen, er brach das Schweigen mit ein paar Anweisungen für die abendliche Vorstellung in dem Zelt, das nicht mehr als einhundert Leute faßte.
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Aber seine Anweisungen waren immer dieselben und damit eigentlich überflüssig, wenn sie nicht zum Ritual des Zusammenlebens gehört hätten.



Dann erhoben sich die Zehn, und jeder ging seinen Aufgaben nach. Der Clown ging in seinen Wagen, den er mit Pitt, dem Tierpfleger, teilte. Da es aber nur einen Hund, eine Ziege, einen Affen und ein Pony gab, hatte er zusätzlich all das zu erledigen, wozu die anderen keine Zeit oder richtiger keine Lust hatten. Es gab außerdem noch den Papagei „Sokrates“. Aber dieser hatte nur die Aufgabe, Minon, die Frau vom Alten, beim Kochen mit seinem Geplapper zu unterhalten.



Der Clown legte sich auf seine Liege und starrte an die Decke, während draußen das Leben polterte. Die Wagentür quietschte, und Joana schlüpfte geräuschlos hinein, legte sich in ihrem rosa Kleidchen neben ihn und schmiegte sich an ihn, so, als wolle sie den Clown mit ihrem jungen Körper wärmen. Doch dieser nahm von ihr gedankenverloren kaum Notiz; er spürte noch nicht einmal die kleine Brust in seiner Hand. So lagen sie wohl eine gewisse Zeit nebeneinander, bis die Glocke draußen mahnte sich für die Vorstellung fertig zu machen.



Joana drückte ihre Lippen auf seinen hart verschlossenen Mund und schlüpfte so geräuschlos aus dem Wagen, wie sie gekommen war.

Der Clown erhob sich schwerfällig und schaute sich im Wagen um. Aus einer Schublade nahm er seine rote runde Pappnase und stülpte sie sich über. Unter seiner Lagerstatt zog er zwei riesige Latschen, einer gelb, einer blau, hervor, über die er dann zu stolpern hatte, so wie die Generationen von Clowns vor ihm. Aus dem Schrank entnahm er eine viel zu weite, schwarzgrau gestreifte Hose und zog darüber eine Frackjacke an, deren Rockschöße den Boden berührten. All dies geschah zeitlupenhaft und ohne jegliche sichtbare Anteilnahme. Sodann setzte er sich die blonde Perücke auf, deren langes strubbeliges Kunsthaar in alle Richtungen abstand. Zum Schluß betrachtete er sein Gesicht in einem kleinen Handspiegel. Es war ihm fremd. Er malte auf seine linke Wange eine große weiße Träne, die er schwarz umrandete. Außerdem gab er seinem Mund die breiten Konturen des Lachens. So setzte er sich schließlich auf seine Lagerstatt und wartete.
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Draußen hatte die Dämmerung eingesetzt. Es kamen vereinzelt einige Eltern mit ihren Kindern und stellten sich am Tisch an, wo Minon die Eintrittskarten und die Süßigkeiten für die Kinder verkaufte. Es waren die Kinder, die in ihrer Erwartungsfreude den Platz mit überschäumendem Leben anfüllten. Dazwischen jagte Pitt hinter der bockenden und hakenschlagenden Ziege Xanthippe her, ließ sich manchmal dabei fallen, so als sei er gestolpert und be-reitete den Kindern damit ein großes Vergnügen.



Der Alte stand derweil im Zelt auf einem mannshohen Gerüst und spielte auf seiner Geige melancholische, manchmal schluchzende ab- und anschwellenden Weisen, so wie man sie oftmals bei den Zigeunern im Osten vernimmt. Er trug dabei einen überhohen schwarzen Zylinderhut auf dem Kopf, der trotz allem auf seltsame Weise seinen Platz wahrte.



Als sich das Zelt soweit mit Zuschauern gefüllt hatte, daß die nötigen minimalen Tageseinnahmen gesichert schienen, gab der Alte das Zeichen zum Beginn der Vor-stellung, indem er die Geige absetzte und sich mit folgen-der Rede an das geräuschvolle Publikum wandte, die immer den gleichen Wortlaut hatte: „Meine noblen und hochverehrten Gäste, wir freuen uns, daß Sie unserer Ein-ladung Folge geleistet haben. Ich habe die große Ehre, Sie, verehrtes Publikum, mit dem einzigartigen Programm dieses Abends bekannt zu machen. Als erstes lernen Sie die junge Prinzessin Joana und ihre Tiere kennen. Joana ist eine echte Prinzessin, die in den Fernen des Balkans bei Bürgerkriegsunruhen ihre Sippe verloren hat und als Waisenkind in frühen Jahren von uns aufgefunden und aufgenommen worden war. Ihr kommt auch die Ehre zu, Ihnen, meine Damen und Herren, in der Pause Erfrischun-gen zu reichen. Und fast am Ende der Vorstellung heute abend begegnen Sie ihr noch einmal, wenn sie in der nicht geringen Höhe von nahezu drei Metern über das gespannte Seil tänzelt, worauf sie dann Herkules, unser Weltklassegewichtheber, auffangen und durch die Luft wirbeln wird.

Im Anschluß an die erste Nummer kommt dann unser Clown zu Ihnen und wird Sie aufs äußerste erheitern, Sie aber auch in eine andere Welt entführen, weil er dazu als Magier Zugang hat. Sodann erleben Sie Pitt, der seinen Beruf als anerkannter Dressurreiter wegen eines unheilvol-len Rückenleidens aufgeben mußte und sich somit, nicht weniger erfolgreich, dem Beruf als Dompteurs zuge-wendet hat.
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Mit seinem Pony Hannibal wird er Ihnen, meine hochverehrten Herrschaften vorführen, wie er es in einem richtigen Bett zum Einschlafen bringt.

Nach der Pause führt Ihnen unser Jongleur Gregor mit der neuen Rekordzahl von vier Bällen seine Künste vor, indem er alle vier zur gleichen Zeit in der Luft bewegt, ohne daß auch nur einer zu Boden fällt. Anschließend wird er Sie, meine Damen und Herren damit verblüffen, wie er sieben Sektkelche aufeinander stapelt und dergestalt auf seinem Kopf stapelt, daß keines davon zerbricht.“

Der Alte erwähnte sodann noch die Kunststücke des Zauberers Nostra, der alles verschwinden und wieder er-scheinen lassen konnte.

Und letztlich stellte er nochmals den Seiltanz der Prinzessin Joana und die bereits geschilderte Nummer von Herkules als Abschluß des Programmes in Aussicht.



Der Alte lüftete sodann seinen überhohen schwarzen Zylinder zum Gruße und beendete sodann seine Rede, die bereits ein Viertel der Zeit des Gesamtprogrammes in An-spruch genommen hatte, bedeutsam mit den Worten, die man noch nie vernommen hatte, weil sie neu waren: „Meine noblen Herrschaften, wir alle werden nun Zeugen eines einzigartigen und unvergeßlichen Abends.“ Sodann nahm er seine Geige wieder auf und spielte ein uraltes, tiefbewegendes Lied, das auch noch keiner von der Truppe vernommen hatte.



Die helle Zentrallampe in der Kuppel des Zeltes verblaßte sodann, und Joana, die junge Prinzessin kam hinter einem Vorhang her in das kleine Kreisrund des Zeltes gelaufen, gefolgt von Tito, dem alten Schäferhund, der im Maul die Ziege Xanthippe ... an der Leine führte. Und auf der Ziege thronte Felix, das Kapuzineräffchen, das auf seinem Köpf-chen mit dem verschmitzten Gesichtchen eine rote kleine Pudelmütze trug. Während Tito mit seinem Gespann ge-treulich am äußeren Rand des Kreises lief, schlug Joana in ihrem rosa Kleidchen in der Mitte mehrfach das Rad und ließ dabei immer wieder ihr helles Lachen erklingen. Zu guter Letzt wechselte Felix auf den Rücken von Tito über. Und als er dabei auch noch seine kleine rote Pudelmütze in die Luft warf, war die Freude der Kinder im Zelt nicht mehr zu bremsen.
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Unter ihrem Lachen und Klatschen machte die junge Prinzessin Joana einen Knicks und ver-ließ mit ihren vierbeinigen Freunden den Kreis, so wie sie gekommen waren.



Die Kinder konnten sich kaum beruhigen. Erst als der Alte mit dem Spielen aufhörte und nunmehr den Clown an-kündigte, trat Ruhe ein.



Dieser betrat schweren, schlurfenden Schrittes die Mitte des Kreises, wobei er immer wieder über seine übergroßen Schuhe stolperte und sich dabei jedes Mal umdrehte, um mit jemandem zu schimpfen, der jedoch unsichtbar blieb. Der Clown trat so in Erscheinung, wie wir ihn schon in sei-nem Wagen als Clown gesehen hatten, wenngleich die Träne auf seiner linken Wange größer geworden zu sein schien, was aber auch daran liegen konnte, daß von ihr ein feines Licht ausging. Der Clown verharrte unschlüssig und fiel in ein herzzerreißendes, unverständliches Weh-klagen, so als wenn er etwas Kostbares verloren habe. Dabei riß er sich die krause Perücke vom Kopf, betrach-tete diese eine längere Zeit so, als sähe er sie gerade zum ersten Mal und setzte sie schließlich wieder auf.

Joana, die ihn hinter dem Vorhang beobachtet hatte, rang die Hände und Tränen fielen aus ihren Augen, denn diese Art der Verzweiflung hatte sie beim Clown noch nie wahrgenommen.



Der Clown aber nahm wie geistesabwesend seine kleine Geige vom Boden auf, die so klein war, daß niemand daran denken konnte, daß er ihr auch nur einen einzigen, wohlklingenden Ton entlocken könnte. Doch als der Clown mit seinem Bogen über ihre Seiten strich, versetzte er bereits mit den ersten Tönen sich selbst und alles um ihn herum ins Schweben. Er entlockte ihr die reinsten Töne, harfengleich und nicht aus dieser Welt stammend. Jeder Ton für sich bleibend, ohne sich mit den anderen, wie ge-wöhnlich, zu einer Melodie zu vereinen. Doch keiner, der die Töne vernahm, bemerkte ihren Mangel an Zusam-mengehörigkeit. Als der Clown längst geendet und längst zu seinem Wagen zurückgekehrt war, erholte sich all-mählich das Publikum aus seiner erstarrten Faszination. Die Kinder hielten noch die Arme nach ihm ausgestreckt, als ein tosender Beifall einsetzte. Alle riefen nach einer Zu-gabe, doch der Clown vernahm davon nichts mehr in seinem Wagen.
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Er hatte sich vor seiner Lagerstatt niedergekniet und seine Hände gefaltet zum Gebet hochgestreckt: „Allmächtiger, erbarme Dich meiner und hole meine gequälte Seele heim, denn das Leben ist, wie Du weißt, zuviel für mich. Herr erweise mir diese schwerwiegende Gnade – ich flehe Dich an.“



Kaum, daß er ausgesprochen hatte, tauchte die Erscheinung seines Engels den Clown in helles Licht und zeigte seiner Seele den Weg nach Hause. Und indem diese so das Glück der allgegenwärtigen, unvergäng-lichen Liebe erfuhr, erfuhr die Seele der jungen Prinzessin große Traurigkeit und tiefen Schmerz über den Verlust ihrer ersten irdischen Liebe.


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Kommentare zur Story:

  Es hatte mich in diesem Falle eigentlich nicht interessiert, wie es mit dem Clown weitergegangen war, glaube auch nicht, dass diese Lösung die beste war.
Nun, vom Stil her gefällte es mir recht gut, aber die Story strahlt irgendwie keinen Anreiz aus (wie auch schon geschrieben wurde).
Ich wartete die ganze Zeit auf eine plötzliche Wendung, die aber nicht eintrat. Das Ende hätte man auch besser machen können.

Mittel.  
Redfrettchen  -  30.11.03 09:32

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Geschrieben echt top-hochachtung, nur der Inhalt konnte mich nicht packen.  
Pascal  -  24.03.02 13:48

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Buchwurm" zu "PK Chat Story 2 - return to life - (1-22)"

Echt super krass gut!

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Kommentar von "Harald Schmiede" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 09"

Packend und lebendig geschrieben. Geschehnisse als ob das alles wirklich passiert wäre. Tolle Story.

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