Die Ratte und der Schwarze Tod   24

Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Frank Bao Carter      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Dezember 2025
Bei Webstories eingestellt: 12. Dezember 2025
Anzahl gesehen: 126
Seiten: 8

Aus Luthalyen, dem Land, das unter den Seen und unter den Teichen liegt:



1. Kapitel



Sie saß an einem kleinen Tisch in ihrem Kämmerlein. Das bis auf die Knöchel reichende weiße Nachthemd über ihren schwarzen Körper gezogen und die obligatorische weiße Schlaf-Zipfelmütze aufgesetzt. Wie es sich für einen armen Poeten gehört.

Der Kachelofen war aus, weil Geld für die Briketts fehlte, an der Ofenklappe hatte sie den schwarzen Zylinder gehängt, ihr Gehrock schmückte dahinter die Wand. Vor ihr auf dem Tisch stand das Tintenfass, in dem ein weißer Federkiel steckte.

Schläfrig strich sie das weiße Blatt Papier glatt, dann zog sie den Federkiel aus der Tusche, strich die Spitze am Tintenfass ab und begann einen Reim zu schreiben: Menschen sind so intelligent, weil sie Menschen sind! – Menschen sind den Tieren so fremd, weil sie Menschen sind! – Menschen können Götter verehren, weil sie Menschen sind! – Menschen können alles zerstören, weil sie keiner bremst!



(Wir wissen nicht, wie diese Liedzeilen die Welt Luthalyen verlassen und auf den Tisch von Joachim Witt gelangen konnten, sind aber hochgradig beglückt, dass Herr Witt sie für die Nachwelt auf seinem Silberling Bayreuth 3 festgehalten hat).



Die Barthaare der Ratte wackelten, als sie das Geschriebene las und sich vorstellte, es vor einem großen Publikum vorzutragen. In diesem Moment holder Glückseligkeit und stolzem Ehrgefühl wachte das Nagetier auf. Die Ratte schüttelte sich und stöhnte, was für einen Quatsch sie zusammengeträumt hätte. Angezogen in der Schlaftracht eines Menschenmannes und Gedichte schreibend. So ein Schmarrn…

Es musste mit dem letzten Tag zusammenhängen, wo sie im Haus des Tuchmachers herumgeschnüffelt hatte. Dort an der Wand hing ein Gemälde von einem Mann, der in der Kluft so aussah, wie die Ratte in ihrem Traum. (Wir, die kunstbekannten Leserinnen und Leser erahnen an dieser Stelle sofort, dass die Ratte von Carl Spitzwegs Gemälde Der arme Poet spricht).

Amüsiert hatte sich die Ratte im Kontor des Hutmachers über dieses Gemälde, aber auch über die zwei witzigen Mädchen, die mit zwölf und dreizehn Jahren voll im Saft ihres jugendlichen Lebens standen und dem Vater lange Nasen zogen, wenn der nicht hinschaute.



Noch bevor sie entdeckt werden konnte, huschte die Ratte durch ein Loch im Dielenboden in die Zwischendecke, die das Erdgeschoss vom Keller trennte.
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Dort, im Verlies, peste sie auf ihren vier kleinen Pfoten zur Vorratskammer. Aus einem Loch zwischen Zimmerdeckte und Sandsteinwand schaute sie der drallen Magd zu, die die Materialien für das Mittagsessen heraussuchte. Kaum war diese gegangen und mit ihr das blakende Tranlicht, huschte die Ratte ins Regal und ließ es sich gut gehen. Bis sie viele kleine schabende Füße hörte.

Nun kam die Nagersippe, die sich im Haus des Tuchmachers eingenistet hatte. Mit der wollte sich die einzelne Ratte nicht beißen. Flink nahm sie ihren Fluchtweg. Licht benötigte sie dazu nicht. Der Geruchsinn und ihre Härchen führten sie zielsicher durch das fremde aber nicht unbekannte Terrain. Einte Stunde später etwa schaute sie aus dem Haus des Küsters zum Tuchmacher herüber. Sie leckte sich über die Zunge und fragte sich, warum es beim Küster nicht solche Leckereien wie beim Tuchmacher gab. Von Geld verstand die Ratte noch nichts, sonst hätte sie die Antwort gewusst.

Nach dem Mittagsschläfchen schlüpfte sie in den Hof. Unter einer riesigen Fichte war der Erdboden grau. Die Nadeln des letzten Jahres waren aufgefegt worden.

Mit den kleinen Krallen ihrer Pfötchen versuchte sie, den im Bett liegenden armen Poeten nachzuzeichnen. Unsereins würde nur Gekrakel daraus erkennen, die Ratte hingegen meinte, den Bettlägerigen ganz gut getroffen zu haben.



2. Kapitel



Erdmute Angermann, die füllige Magd des Tuchmachers, sah eine Ratte mit taumeligen Schritten über den Hof zum Schuppen schleichen. Auf dem ausrangierten Schaukelstuhl lag der alte Kater. Ein Auge geöffnet schaute er dem Nager träge hinterher. Früher wäre er hinterhergejagt, aber heute lag er lieber faul in der Sonne herum. Neue Flöhe wollte er sich in seinen letzten Tagen nicht einfangen.

Die füllige Magd schüttete das Wischwasser aus. Durch das geöffnete Fenster im ersten Stock hörte sie das Plappern der Töchter. Sie lernten gerade das Nähen schöner Tücher. Noch waren für die Zwölf- und die Dreizehnjährige die Welt in Ordnung.

Als sie in der Diele war, trat der Hausherr aus seinem Kontor. Er hatte eine Gesichtsfarbe wie alte Asche. Das verstand die Magd nicht, die Geschäfte liefen doch gut.

„Ist Ihnen nicht wohl, Herr Melchior? Sie wollen mir doch nicht krank werden?“, fragte sie halb in Sorge, halb im Scherz.
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Seit zehn Jahren war sie in seinen Diensten, nie hatte er bisher ein Gebrechen gehabt.

Oder ist es der Kummer um seine Eltern? Mutter und Vater lagen seit zwei Tagen schon in den Kissen. Dabei war der Winter vorbei, warum kränkelten sie zu dieser Zeit. Und im Nachbarhaus lag der Großvater auch schon seit zwei Tagen darnieder.



„Mir ist schwindelig, der Kopf tut mir weh und das Atmen fällt mir schwer“, erklärte der Tuchmacher Melchior, „könnten Sie mir bitte einen Heilkräutertee brauen?“

Kaum hatte der Hausherr in der Küche Platz genommen, rutschte er von der Bank unter den Tisch. Erdmute Angermann rief die beiden Töchter. Gemeinsam schafften sie den Vater in sein Schlafgemach und legten ihn angezogen aufs Bett. Wenn doch seine Gemahlin noch lebte. Dann hätte die Magd Unterstützung gehabt. Doch die gnädige Frau verstarb vor zwei Jahren an einer Lungenentzündung. Infolge einer Komplikation ihres über Wochen anhaltenden Keuchhustens.

So aber war Erdmute Angermann jetzt alleingelassen mit drei Kranken im Hause. Gut, dass es in der Speisekammer ein großes Arsenal an Kräutern und etwas Medizin gab. Auf dem Weg dahin sah sie auf den Flurfliesen eine tote Ratte liegen. Sie fasste das Tier an seinem nackten Schwanz an, trug es vor die Tür und warf es in die Gosse. Sollten sich doch die Straßenköter damit amüsieren.



Sie hatte schon wieder Kehrt gemacht und den ersten Fuß auf die dreistufige Treppe gesetzt, als sie aus ihrem rechten Auge eine Bewegung mitten auf der Straße wahrnahm. Es war etwas Größeres. Drum hielt sie in ihrem Rückmarsch inne und wandte den Kopf. Dort kam der Leichenkarren, gütiger Gott!

Der Wagen stoppte vor dem Nachbarhaus. Jetzt war wohl der Großvater gestorben, sagte sich die Magd. Damit war zu rechnen gewesen, eigentlich hätte sie zurück ins Haus gehen können. Aber die Neugierde war zu groß. Klatsch und Tratsch verbreitete sie gerne, wenn es nicht um die Belange ihres Herren und seines Anhangs ging. Denen gegenüber verspürte sie eine unerschütterliche Loyalität.



3. Kapitel



Die Ratte stand in einer alten romanischen Kirche auf den Hinterpfoten, in einer der vorderen hielt sie einen Taktstock. Sie hatte ein langes rotes Mönchsgewand angezogen und die Kapuze aufgesetzt.

Ihr gegenüber standen elf weitere Ratten.
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Im Halbkreis und auch in den Gewändern, wie sie von gregorianischen Mönchen bekannt waren. Hinter ihnen stand der Altar. Der Schein der Kerzen setzte auf die Ränder ihrer Kutten einen hellen Kranz. In der anderen Richtung lag die Altarschnitzerei im Widerschein der Flammen. Eine Ratte, nur mit einem dünnen weißen Stoffschal um das Geschlecht gewickelt und eine Dornenkrone auf das nach rechts geneigte Haupt gesetzt. Ihr Gesicht drückte alle Qualen der Welt aus.

Die Dirigentenratte gab durch drei kurze Schläge mit dem Taktstock den Start an. Der gregorianische Rattenchor begann zu singen: Wo versteckt sich Gott? Warum duldet er den Komplott? Und die Macht und Gier, in seinem Namen gibt es kein Erbarmen.



(Wir wissen nicht, wie dem Dirigenten diese Worte des Sängers Joachim Witt ins Ohr gekommen waren; da er nie in der Anderswelt war und schon gar nicht in einem CD-Player die Scheibe Bayreuth 3 hätte einlegen können. Doch für den Lauf der Geschichte ist dieses unerheblich).



Mit den letzten Brummtönen des Chores erwachte die Ratte. Ihr war seit gestern nicht ganz wohl zumute, weshalb sie lange geschlafen hatte. Mit müden Füßen schleppte sie sich ans Fenster. Der Drang war groß, sich über die bedrängenden Neuigkeiten schlau zu machen.

Gestern hatten sie mit dem Leichenkarren aus dem Haus des Tuchmachers zwei in weiße Leinentücher gewickelte Menschen abgeholt. Aus einem in der Beichtstube belauschtem Gespräch des Popen mit dem Bürgermeister erfuhr sie, dass es sich um die Großeltern gehandelt hatte.

Als der Karren gestern vor dem Hause stand, rief die Magd ins Haus hinein. Wenig später kamen die Töchter heraus. Jede trug in jeder Hand eine Ratte. Vier Nager wurden respektlos in die Gosse geworfen. Doch das schockierte die im Küsterhaus sitzende Ratte viel weniger als der schreckliche Anblick der Mädchen. Meine Güte, wie sahen die denn aus? Sie hatten rotumrandete Augen, eingefallene Wangen und husteten erbärmlich. Dazu waren ihre Leinenkleider fleckig und speckig. Es war der reinste Ekel.



Die Mädchen schwankten zurück ins Haus, die Magd torkelte hinterher. Sie hielt sich lediglich noch durch ein eisernes Pflichtbewusstsein auf den Beinen.

Wie gesagt, das war gestern.

Viele Menschen taten dieses nicht mehr. Die Straße wirkte heute wie ausgestorben, sah man von den vier Männern ab, die den Leichenkarren über die Pflastersteine zogen.
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Sonst wimmelte es auf der Hauptstraße von Zemsk von Fuhrwerken, Handkarren, Frauen und Männern sowie einigen Kutschen oder berittenen Soldaten.

Dann tauchte eine mysteriöse Figur auf. Die Ratte musste blinzeln, um scharf sehen zu können. War das ein Mensch oder ein Tier? Dieses Etwas trug einen schwarzen Mantel, der bis zu den schwarzen Stiefeln reichte und eine scheußliche Maske mit einem sehr langen Schnabel. Auf dem Schädel prangte ein zerknitterter Hut, aus der Schnabelspitze quoll bei jedem Schritt etwas Rauch.

Ein Mann, der gerade aus dem Haus trat und diese beängstigende Gestalt sah, drückte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand, streckte die zitternden Hände wie ein Hampelmann ab und ging seitwärts, um dem Unheil zu entkommen. Plötzlich spuckte er Blut in ein vergilbtes, schnell aus der Innentasche seines Jacketts gezogenes Taschentuch. In diesem Moment fiel ihm sein Hut vom Kopf. Die Ratte konnte seine hervorgequollenen Augen sehr gut erkennen.



Die geheimnisvolle Gestalt schritt von Haus zu Haus. Aber niemand wollte sie reinlassen. Als wäre sie der Tod, oder zumindest ein Unheilbringer.

Vor dem Haus des Tuchmachers blieb sie stehen, schlug den Türklopfer und rief mit einer blechernen und hallenden Stimme: „Bringt die Toten raus!“ Dabei stießen wieder Qualmwolken aus ihrem Schnabel. Und weiter hinten bog nun der Leichenkarren um die Ecke, heute nur noch von drei Männern gezogen.

Noch mehr, fragte sich die Ratte. Gestern wurden doch erst die alten Herrschaften abgeholt, hatte man in der Nacht den Tuchmacher gemeuchelt?

Durch die Ritzen des Fensters drang der Ratte der Gestank der Pest entgegen. Natürlich kannte sie weder diesen Ausdruck noch die Umschreibung Schwarzer Tod. Aber den Geruch konnte sie einordnen. Es war verbranntes Fleisch. Menschenfleisch.

Vom Küster wusste sie, die vielen Toten wurden nicht mehr auf dem Friedhof begraben. Sie kamen vor der Stadt in eine Grube. Wenn die Fuhren des Leichenwagens gegen Mittag durchwaren, goss man Petroleum darüber und entzündete das Gemisch aus Fleisch und Leinentüchern.

Unten in der Hauptstraße öffnete der Tuchmacher die Haustür. Es sah nur noch wie ein Abbild seiner selbst aus. Abgemagert bis auf die Knochen, unrasiert und mit einem an den Wahnsinn erinnernden Blick.



Die Leichenträger holten die Magd heraus.
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Sie war schon nicht mehr in einem Leinensack verschnürt. Die Leinentücher waren in der ganzen Stadt und sogar im Haus des mit Tüchern Arbeitenden ausgegangen. So trugen zwei Männer sie in ihrer Arbeitskluft heraus und legten sie sachlich auf den Karren – als wäre sie ein Stück morsches Holz. Dann gingen zwei der drei Herren noch einmal hinein. Bot der Herr des Hauses den Leichenträgern nun einen Schnaps an, fragte sich die Ratte.

Mitnichten.

Sie kamen wenig später heraus. Jeder trug jetzt eines der Mädchen. Sie hatten lediglich ihr kurzes Nachthemdchen an. Die Arme und Beine baumelten nach unten. Sie waren übersät mit ekeligen Pusteln und Beulen. Auch im Gesicht.

Ob diese schauderhafte Gestalt mit dem qualmenden Blechschnabel der Mörder war? Wann würde er das Haus des Küsters ansteuern? Gäbe es dann noch Rettung?

Die Ratte analysierte, es war verdammt brenzlig geworden. Wer sich jetzt nicht vom Acker machte…



Abends stiefelte sie auf der Treppe ins Erdgeschoss. Der Küster und seine Haushälterin waren außer Haus. Das waren Momente, wo es in der Küche Leckereien zu finden gab. Überall duftete es wunderbar, an jedem Schrank schnüffelte sie entlang. Nach einer geraumen Weile hatte sie sich entschieden. Sie labte sich an einem frischen Brot, naschte von einem Laib Käse und knabberte an einem Kuchen herum. Total vollgefressen schaffte sie es nicht mehr die Treppe hoch. Sie zwängte sich unter den Türspalten hindurch ins Beichtzimmer. Dort lag vor dem kalten Kamin eine wollene Decke. Unter diese schlüpfte sie und kuschelte sich ein. Nun konnte sie ruhig schlafen. So gut versteckt brauchte sie den Kater des Küsters nicht zu fürchten. Selig schlief sie ein und träumte.

Wo versteckt sich Gott.



4. Kapitel



Die Ratte pfiff Das Wandern ist des Müllers Lust. Sie hatte ihr weniges Hab und Gut in ein Tuch verschnürt und dieses an einem Holzstab gebunden. Diesen trug sie auf der Schulter. Hinten wippte das Proviantsäckchen im Takt ihres Marsches. Sie war froh, die Reißleine gezogen und Zemsk verlassen zu haben. Bevor jemand sie an ihrem langen nackten Schwanz aus dem Haus trug und achtlos in die Gosse warf.

Jetzt fühlte sie sich rüstig und stark genug, neue Abenteuer zu bestehen. Doch nach wenigen Kilometern wurde ihr schummrig.
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Zum Ausruhen legte sie sich auf ein Polster aus Moos.



*



Varinda blieb mitten auf dem Feldweg stehen. Am Wegesrand lag eine Ratte mit dem Rücken auf einem Moospolster. Erst glaubte die Nixe, das Nagetier wäre tot, dann sah sie die Beinchen zucken. Demnach träumte der kleine Fratz. Aber was war ihm widerfahren, sich so schamlos seinen Fressfeinden zu präsentieren. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Varinda setzte den Rucksack ab, kniete sich neben das Tier und nahm es auf. Auf der Stelle erkannte sie, dass die Ratte total ausgelaugt war und in den letzten Atemzügen lag. Das dürre Tierchen hatte bestimmt tagelang nichts gefressen und war zudem völlig dehydriert. Vielleicht schleppte es sogar einen Krankheitskeim mit sich herum.

Kurzentschlossen packte die Nixe einige Utensilien aus ihrem Rucksack aus. Mit einer kleinen Pipette sog sie aus einer Phiole ein in Alkohol gelöstes Antibiotikum, welches selbst gegen Pestilenz half. Eine Errungenschaft aus der Anderswelt, der Welt der Menschen. Hier, im Land, das unter den Seen und unter den Teichen lag, war diese Medizin noch nicht bekannt.



Varinda legte sich den Nager rücklings in ihre linke Hand und öffnete mit den linken Fingern das Maul des Kleinen. Ihre rechte führte die Pipette und ließ Tropfen für Tropfen in den kleinen Rachen fallen.

Nach dem Verabreichen des Medikamentes flößte die Nixe fünf weitere Pipetten voll Wasser in den Körper des halbtoten Geschöpfes.

Wie sie bei der fünften war, öffnete das Tier die Augen.

Varinda erkannte die Benommenheit, füllte Wasser in eine Schale und setzte die Ratte auf die Füße. Diese trank, als wäre sie eine Woche lang ohne einen Tropfen Flüssigkeit durch die Wüste geirrt. Nebenbei brach Varinda Brotkrumen klein und schnitt einen Streifen Käse in winzige Stücke.

Eine halbe Stunde später war die Ratte wieder auf dem Damm. Sie verstand, dass diese blaue Frau ihr das Leben gerettet hatte. Langsam kam die Erinnerung an Zemsk zurück.

Als die Lebensretterin meinte, der Versorgung der Ratte genüge getan zu haben, setzte sie ihren Weg nach Zemsk fort.

Plötzlich zerrte etwas an ihrem Hosenbein. Es war die Ratte, die ihr hinterhergelaufen war und sich im über den Stiefel hängenden Hosenbein verbissen hatte. Als wollte sie nicht, dass Varinda diese Richtung einschlug.

Verwundert setzte sich die Pfadfinderin an den Wegesrand und streichelte dem Nager über den Rücken.
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„Willst du mir etwas sagen?“, fragte sie schmunzelnd.



Die Ratte suchte sich auf dem Karrenweg einen Fleck, wo die graue Erde glänzte. In die glatte Oberfläche begann sie etwas zu ritzen. Mit viel Phantasie erkannte Varinda in dem Abbild einen Kopf. Vielleicht ein Mann, weil er einen Hut trug. Aber wie passte der lange vogelähnliche Schnabel dazu?

Die Ratte schaute sich ihr Kunstwerk an und meinte, es sehr gut getroffen zu haben. Für die Nixe hingegen war es eine schwer zu deutende Krakelei. Doch plötzlich fiel der Groschen pfennigweise.

„Eine Pestmaske“, stöhnte sie erschrocken. „Zemsk ist von der Pest befallen? Willst du mir das sagen, Ratte?“

Diese Worte verstand die Ratte nicht. Das Zögern des blauen Weibchens hingegen war deutlich zu spüren. Nun rannte die Ratte einige Meter in die andere Richtung, blieb stehen, drehte sich zur noch immer ratlos am Wegesrand sitzenden Frau um, lief ein neues Stück Weg, drehte sich abermals um.

Mit einem Seufzer erhob sich die Blauhäutige. „Du willst nicht, dass ich nach Zemsk gehe, ich habe verstanden. Vielen Dank für die Warnung. So müssen wir beide ein neues Ziel ins Auge fassen, und dieses darf nicht in der Nähe des Flusses Ybronn liegen. Denn auf ihm wird die Pest problemlos und schnell von Ort zu Ort getragen. – Nur, der Weg, den wir beide jetzt einschlagen könnten, führt uns durch die Tiefebene Druu. Dort wimmelt es von kriegerischen Amazonen. Das wird kein Sonntagsspaziergang. Wenn wir danach die Bergkette Kashi überqueren, erreichen wir die Stadt Laoa. Dort finden wir sicherlich eine Sippe deiner Artgenossen, die sich dir annehmen.“

Varinda setzte sich ihren neuen Freund auf die Schulter und marschierte los. Am Abend würde sie ihm eine weitere Dosis Medizin geben.



(Anmerkung: Es kam später anders. Die Kriegerin Varinda behielt die Ratte bei sich. Die Abenteuer der beiden sind zu lesen in folgenden Fantasy-Büchern von Pat Darks: Ein Galgen für Varinda; Blutfest der Amazonen; Das magische Schwert).
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Punktestand der Geschichte:   24
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Kommentare zur Story:

  Du schreibst sehr lebendig und spannend. Deshalb lesen sich deine Stories locker weg. Auch die Umgebung und die verschiedenen Charaktere stellst du gut dar. Obwohl da ja eigentlich eine traurige Geschichte ist hat es mir deshalb wieder Freude bereitet das zu lesen.  
   Harald Schmiede  -  13.12.25 18:51

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