Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Weezer's Friend      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. Dezember 2001
Bei Webstories eingestellt: 27. Dezember 2001
Anzahl gesehen: 2076
Seiten: 6

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


6



Regen.

Rauchweißer Himmel.

Es war nicht viel Regen, die Nässe schien irgendwie einfach so in der Luft zu hängen. Gerade genug, daß sie das Wasser gegen ihr Gesicht treiben spürte. Sie ging die Fußgängerzone entlang, alles war wie immer. Eine Spur weniger Leute als in den vergangenen, heißen Sommertagen.

Je näher sie ihrem Büro kam, desto mehr fühlte es sich an, als ob sie nach Hause kommen würde. Eisgeschäft, Kaffeehaus, Piercingstudio, Modegeschäft. Die Auslagengeschäfte in den Ergeschossen von Komplexen, wo sich Etage auf Etage Richtung Himmel türmte. Jeder Schritt brachte sie näher an die direkte Nachbarschaft, von der sie nicht mehr wusste als Namen. Das Wettbüro, ihr Turm. Wie in unsichtbaren Schienen glitt ihr Blick von selbst die Fassaden entlang zu dem Giganten aus Stahl und Glas, an seiner makellos glänzenden, glatten Oberfläche aufwärts in Richtung ihres Stockes. Trotz der namenlosen Kraft, die sie drängte, sich in den Bauch des Riesen zu begeben und kurz in ihrem Büro, ihrem zweiten Zuhause, nach dem Rechten zu sehen, versagte sie es sich. Schwer fiel es ihr, sich einzugestehen, daß die Geschäftswelt diesen Tag und die nächsten Wochen auch ohne sie nicht zusammenbrechen würde. Der leichte Regen auf ihrem Gesicht überbrachte ihr sanft die Botschaft der Ungebundenheit. Sie riß ihren Blich aus den Schienen mit dem Ziel Kaffeehaus. Dort traf er auf die Gestalt des jungen Mannes, der, unter dem eingezäunten Baum vor dem Kaffee auf einer Bank sich niedergelassen in einem Buch verlor, hin und wieder einen Zug von der Zigarette in seiner linken Hand nehmend. Auf sie wirkte es, als hätte er sich selbst aus der Zeit geschlagen und sich in eine andere

Zeit geschlagen und sich in eine andere Welt gesetzt, die unberührt von der anderen, als Realität bezeichneten, bloß einen Gedanken entfernt, ohne Wissen um Zeit, sondern alleiniger Existenz des Denkens, dahinfloß. Sie trat vor ihn.

"Hi"

Versunken blickte er zu ihr auf, lehnte sich zurück, klappte das Buch zu und aschte ab.

"Tag"

"Was liest du da so?"

"Bernhard's Ursache."

"Sehr interessanter Stoff?"

Ein dünnes Lächeln umspielte seinen Mund

"Sehr zutreffen", meine er.
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"Wie bitte?"

"Naja, vom Prinzip her hat er recht, aber dieses Werk spiegelt für mich dennoch schon fast nurmehr kopflosen Haß wieder. Da hilfts nicht mal, wenn ich mir sage, daß die Zeiten in einer Schule im und nach dem 2.Weltkrieg härter waren."

"Ist es ein Roman oder was?"

"Eigentlich eher eine Autobiographie. Eine philosophische halt."

"Und worüber philosophiert er so?"

"Darüber, daß die Gesellschaft eine durch und durch sadistische ist. Ich bin gerade an der Stelle, wo er die Kirche und Schule als Geistes- und Seelenzerstörer bezeichnet."

"Moment. Warum Zerstörer? Schulen bilden doch den Geist weiter und die Kirche bemüht sich doch darum die Seele also die Menschen zu unterstützen wenn sie in Not sind."

Die bisher vorherrschende Entspanntheit verflüchtigte sich, er setzte sich auf, um seine Unterarme auf den Knien zu einem festen Stand zu bringen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und angriffslustigem Blick begann er sich zu ereifern.

"Zu welcher Zeit hat denn bitte die Schule den Geist gefördert? Junge Gedanken mit Potential werden doch seit jeher mit historischem, irrelevanten, verrotteten Wissen begraben, welcher buchstabengetreu rezitiert werden soll, solange, bis nichts mehr überbleibt als ein, für sein restliches Leben zerstörter und verstörter, Mensch. Die Regierungen aller Staaten und zu allen Zeit sehen dabei zu und setzen noch einen drauf, indem sie eine Seelenzerstörungsmaschinerie die sie Kirche beziehungsweise Religion nennen, die dem Geistesverstörten Menschen noch eintrichtert, woran er zu glauben und wie er zu leben hat, fördern. Tut er das nicht, folgt er nicht dem Eingepflanzten, so wird er als nicht normal bezeichnet. Diese so gebildeten geist- und seelenverstörten Massen sollen dann, genau wie Aufziehsoldaten, das tun, was von ihnen erwartet wird. und das soll Hilfe sein?"

"Von dieser Seite gesehen mag das alles stimmen, aber Schulen und Kirchen helfen doch tatsächlich Menschen. Die Kirche zum Beispiel hilft doch den Hinterbliebenen eines Verstorbenen dadurch, daß sie einerseits dem Toten noch die letzte Ehre erweisen, ihn also quasi auf seinem letzten Weg begleiten und ihn dadurch .
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.. ich weis nicht ... irgendwie nochmal aufleben lassen und ihm den Respekt erweisen, der ihm in dieser starken Form in seinem Leben nie zu teil wurde. Schon alleine das lindert bei vielen Zurückgelassen den Schmerz."

"Und die Aussicht aufs ..."

Er legte eine Art Sarkasmus unter seine Worte und deutete mit seinen Händen Anführungszeichen an,

"... ewige Leben."

"Ja genau. Das ewige Leben. Das er es nach dem Tod besser hat. Und gäbe es das Schulsystem nicht, so würden wir auch heute noch von der rohen Keule abbeißen und mit dreißig sterben."

"Also bist du zufrieden damit, daß wir unseren freien Geist für Komfort hergegeben haben?"

"Warum bist du der Meinung, daß wir unseren freien Geist wie du es nennst komplett verschenkt haben? Jedem steht es doch offen, was er tun will oder nicht?"

"Ich denke, daß die Meinung, die du vertrittst, eine Illusion ist, damit wir des Nächtens besser schlafen können. Aber im Endeffekt ist unser Weg nach dem Verlassen der Grundausbildung, also bei der Wahl des zukünftigen Bildungsweges, festgelegt, und ein Abweichen davon, weil man vielleicht erkennt, daß das was man tut, nicht das ist, was man sich davon versprochen hat, wird indirekt, durch schlechtere Berufschancen oder einem längeren Leidensweg oder ähnliches, bestraft. Wir müssen immer das tun, was die Gesellschaft von uns erwartet."

"Na geschenkt wird einem natürlich nichts. Die eigenen Ideale definieren sich doch dadurch, daß man Energie hineinstecken muß. Wenn man Entbehrungen durchleben muß, um sein Ziel zu erreichen, so schmeckt der Erfolg doch auch besser. Es ist eine Art Beweis für die eigene Stärke, wenn man es schafft, sich durchzusetzen und damit weiß, daß man quasi alles was man will erreichen kann, daß man in seinen Fähigkeiten etwas besonderes ist."

"Hirnwichserei nenn ich so etwas, wenn man sich erst durch das, was man erreicht hat definiert. Das alte Spielchen der Macht, die man meint, anderen gegenüber zu haben. Im Laufe der Zeit hat sich anscheinend die Menschheit weg von Zusammenleben hin zum ewigen Wettstreit entwickelt. Wie bei den Tieren, bei denen auch oft ein Individuum die, unter Anführungszeichen, Herrschaft über alle anderen seiner Gruppe übernimmt und sich bei zum Beispiel der Nahrungsaufteilung gewisse Rechte aufgrund physischer Vorteile herausnimmt.
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Im Tierreich hat so ein Führer wenigstens noch eine Beschützerrolle den anderen gegenüber. Bei den Menschen hat sie sich aber irgendwie zu einer Ausbeuterfunktion gewandelt. Warum strebt der Mensch die Macht über viele andere denn an, anstatt dem eigenen Leben die größtmögliche Zufriedenheit, die bewußt Zufriedenheit mit sich in physischer und psychischer Hinsicht, abzugewinnen. Die Unzufriedenheit mit sich selbst wird durch Machtgewinn, und der damit verbundenen Befriedigung, zu übertünchen versucht und somit das Risiko eliminiert, sich mit sich selber beschäftigen zu müssen."

"Da du also mit dem Ehrgeiz der anderen nicht zurechtkommst, willst du dich aus dem Leben, der Mitgliedschaft in dieser Gesellschaft, stehlen. Nur weil du die Kraft nicht aufbringen willst, oder meinst nicht zu können, für deine Ideale zu kämpfen?"

"Was ich nicht will ist in einer solchen egozentrischen Gesellschaft leben zu müssen. Umgeben von Leuten, die nicht daran interessiert sind, sich über die Grundfesten, auf denen diese sogenannte Zivilisation aufgebaut ist, den Kopf zu zerbrechen, da eine solche Anstrengung keinen direkten, greifbaren, sekundenschnellen Gewinn abwerfen. Alles was keinen Besitz abwirft lohnt sich nicht bedacht zu werden."

"Wie kannst du sagen, daß das absolut niemand macht, wenn du doch gerade in diesem Moment mit mir darüber redest. Noch dazu beginne ich, deinen Standpunkt zu verstehen."

Er wandte den Blick ab, nahm einen Zug von der Zigarette und mischte resignierend den ausströmenden Rauch mit den Worten, "Ausnahmen bestätigen die Regel."

Sie lächelte.

"Ich denke nicht, daß ich eine Ausnahme bin. Von selbst hätte ich nämlich ebenfalls nicht angefangen über dieses Thema in dieser Art nachzudenken. Für mich ist das Leben in diesen Bahnen eine Selbstverständlichkeit. Deswegen kann ich deiner Ansicht auch nicht so wirklich zustimmen, obwohl ich zustimme, daß die Gesellschaft gewissermaßen unnötig grausam ist."

"Hurra.
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Ein Konsens geschafft, fetzt fehlen nur noch x Milliarden andere. Tz!"

Er schüttelte den Kopf und zeigte dem Boden verbittert die Zähne.

"Es gibt aber einen Weg, wie du diese Denkansätze leichter verbreiten kannst als in persönlichen Einzelgesprächen."

Diese Aussage aufgreifend und zu einem zynischen Witz machen wollend blickte er ihr mit hochgezogenen Augenbrauen ins Gesicht und meinte, "Gruppentherapie oder ein Bestseller?"

"Ein Buch wäre ja schon mal ein guter Anfang", gab sie lachend zurück.

"Ja ein guter Ansatz wär's ja, bloß wird wohl kaum ein halbwegs nüchterner Verleger soetwas kaufen beziehungsweise es zu verkaufen versuchen."

"Ich bin mir sicher, daß ein komplett nüchterner Verleger es garantiert verlegen wird."

Wie ein Geheimnis, nur bestimmt für erwählte Ohren fügte sie noch flüsternd ein "müssen" hinzu. Blanke Verwirrung zeichnete seinen Gesichtsausdruck aus. Mit zusammengezogenen Augenbrauen wartete er auf eine Erklärung.

"Mir wird schön langsam etwas kalt hier draußen. Geh'n wir rein? Ich will dir ein Angebot machen."

"Mmhh ein Angebot habe ich schon länger nicht mehr von einer hübschen Frau bekommen", meinte er während des Aufstehens von der Bank.

Diese Einladung annehmend stand er auf und ließ das Buch, ihr ins Kaffeehaus folgend, in seiner Jackentasche verschwinden.





7



Das Düsterne schien die Ausgeburt des Regens draußen zu sein doch gleichzeitig konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Regen aus diesem Lokal zu kommen schien. Jedenfalls paßten die Atmosphären zusammen. Wieder saßen sie sich gegenüber, an dem selben Tisch.

Melange, Konkaffee.

Sie hatte noch kein Wort verloren, also ergriff er es.

"Was ist das also für eine Sache mit dem Verleger, beziehungsweise dem Angebot?"

"Kurz gesagt ist ein Bekannter von mir der Boß eines größeren Verlages und er schuldet mir noch was."

"Welcher Verlag?"

"Das ist im Moment unwichtig. Er ist ziemlich bekannt, das zählt.
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"

"Aha. Muß wohl ein großer Gefallen sein wenn du dir so sicher bist, daß er was von mir verlegen wird."

"Das kann man wohl so sagen. Jedenfalls wird er."

Er versenkte seinen Blick in die Kaffeetasse, verlor sich in Gedanken. In die Gedankenverlorenheit eingetaucht ließ er, durch zusammengepreßte Lippen, ein ungläubiges "Mhm" vernehmen.

Unhaltbar scheinend zog sich sein Bewußtsein überfallsartig, doch gleichsam behaglich, in eine Höhle zurück. Seine Augen nahmen die Bilder wahr, die trotz Reglosigkeit auf sie einstürzten. Einstürzten auf einen Körper, der wie zum Trotz in immer derselben Welt verharrt, um ihn, seine geistige Persönlichkeit, stets an seine Nichtigkeit unter Milliarden zu erinnern. Fast haßte er ihn dafür, doch ebensosehr genoß er das Spiel, welches er ihm bot. Nahezu verzückt gab er sich der Entrücktheit der Tasse hin und genoß sie bis zu einer Intensität, in der der Tisch, das Geschirr, selbst der Inhalt des Gefäßes in einer Art überlegen-anmutigen Kraft bloß für sich allein, unbeeindruckt und unbeeinflußt von anderem, zu existieren schien. Dennoch bildete alles eine perfekte Einheit, welche alleine in dieser unbedeutend geglaubten Tasse Kaffee das perfekte Mosaik eines Universums widerspiegelte.












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Kommentar von "SCvLzH" zu "Am Meer"

... melancholisch aber schön ...

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Kommentar von "rosmarin" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Ja, gut recherchiert und gut und spannend geschrieben. Aber hier ein kleiner Hinweis: 'Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod'. Betrifft Deinen Kommentar)Das tut weh. Gruß von

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