Memoiren eines Schriftstellers - 16. Kapitel   327

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 4. Oktober 2016
Bei Webstories eingestellt: 4. Oktober 2016
Anzahl gesehen: 2881
Seiten: 17

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Kapitel 16



William Carter beabsichtigte bei einem 24 Stunden Autorennen teilzunehmen. Zuerst hatten seine Freunde, Adam und George, ihn für völlig verrückt erklärt, obwohl auch sie seinen Traum teilten. Nicht nur weil immense Kosten dadurch entstünden, die ihm letztendlich keinen Gewinn einbringen würden – es sei denn William würde das Autorennen tatsächlich gewinnen – sondern vielmehr, weil ihm die nötige Erfahrung als Rennfahrer fehlte. Die drei Männer verbrachten zwar des Öfteren ein Wochenende gemeinsam auf dem Motor Speedway in Indianapolis, dort fuhren sie mit getunten Rennautos mit hoher Geschwindigkeit stundenlang im Kreis, aber ein wirkliches Automobilrennen wird generell auf Rennstrecken mit tückischen Schikanen und Hochgeschwindigkeitsgeraden ausgetragen. Was wollte er mit diesem Irrsinn bloß bezwecken, fragten George und Adam sich, immerhin ist ein Autorennen zudem lebensgefährlich. Aber William ließ sich wiedermal nicht bekehren, setzte alle Hebel in Bewegung und knüpfte einflussreiche Kontakte in der Motorsportszene an.

Aufgrund seiner Popularität waren etliche Geschäftsleute daran interessiert, den berühmten Schriftsteller bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Letztendlich stellte es sich heraus, dass William Carter ein perfekter Werbeträger war und wenn er an einem offiziellen Sportereignis teilnehmen würde, wäre ein finanzieller Gewinn für alle Beteiligten sogar garantiert.

Adam Hopkins wusste von Anfang an, dass sein Starautor und Freund kein geschickter Geschäftsmann war, sondern ausschließlich Bücher schreiben konnte und betrachtete seine Absicht zuerst skeptisch. Er war über die positiven Resonanzen schließlich überrascht und witterte ein rentables Geschäft, sodass er beschloss in Williams Rennstall als Fahrer mitzuwirken. In Adams Büro knallten die Champagnerkorken, als wäre William Carter wiedermal ein Bestseller gelungen.

„Also, ich muss dir echt gestehen, dass ich von dir beeindruckt bin. Du hast endlich den Dreh rausgefunden, dich zu verkaufen. Der ganze Spaß wird uns eine Menge Geld einbringen, denn etliche Konzerne wollen dich sponsern. Die Herrschaften reißen sich förmlich darum, deinen Rennstall finanziell zu unterstützen. Überdies wird dieses Spektakel für uns die perfekte Gelegenheit sein, für deinen neuen Roman zu werben.
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Und das Beste daran ist, wir müssen dieses Autorennen nicht einmal gewinnen, weil der Rubel unweigerlich reinkommt und du und der Verlag sind wieder im Gespräch. Du hast meine Hochachtung verdient. Lang lebe der amerikanische Traum, welchen du verwirklich hast. Gut gemacht, William. Nicht schlecht.“

Dann stießen sie ihre Gläser an.

„Tja, mein Lieber, ich bin eben doch nicht so blöd, wie du aussiehst“, grinste William. Aber nachdem er sein Champagnerglas runtergekippt hatte, starrte er ihn ernst an.

„Doch, Adam. Dieses Autorennen müssen wir sogar unbedingt gewinnen, und wir werden es auch! Ich habe da noch eine Rechnung mit Dickson offen. Er nannte mich einen Looser, dessen Glanzzeit abgelaufen ist. Das kann ich unmöglich auf mir sitzen lassen.“

Adam nickte grinsend und ließ seinen hochmütigen Freund in dem wahnwitzigen Glauben, das 24 Stunden Rennen auf dem Nürburgring, eine der anspruchsvollsten Rennstrecke der Welt, zu gewinnen. Hauptsache war, dass die Kasse klingelte und das sein Starautor sowie sein Verlag, Jack Hopkins Books Publishing, wiedermal in den Medien auftauchten und für Gesprächsstoff sorgten.



Chapter 15 aus meinen Memoiren: Im Rampenlicht



Deutschland 1995, Nürburgring



Mir schwebte zwar zuerst das 24 Stunden Rennen in Le Mans vor, aber da Adam noch nie in Deutschland gewesen war und dort schon immer mal hin wollte, entschieden wir uns im Mai 95 beim Rennen am Nürburgring teilzunehmen. Ich dagegen war schon öfters in Germany gewesen, zuletzt 1992, da wurde ich zu irgendeiner bekannten Fernsehshow nach Berlin eingeladen.

Wir waren vier Männer: Adam, George, Kevin und ich, die mit einem Dodge Viper GTS auf der legendären Nordschleife antraten. Wir hatten unsere nötige Fahrerlizenz auf der Rennstrecke in Minneapolis erworben und qualifizierten uns mit diesem wahnsinnigen Dodge Geschoss, zur Teilnahme in der Königsklasse von Rennautos mit dem größten Hubraum. Ahnung hatten wir vier eigentlich wenig vom Motorsport, wenn man es genau nahm, eigentlich gar keine. Aber wir liebten die Herausforderung und aufs Gaspedal traten wir alle gerne. Der einzige, der etwas Erfahrung im Rennfahren mitbrachte, war Kevin Hopkins, Adams einundzwanzigjähriger Sohn.
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Die Viper GTS war wirklich eine Höllenmaschine, mit 650 PS, 10 Zylinder und die Höchstgeschwindigkeit betrug ungefähr 350 Stundenkilometer. Sie war zwar erst neu für den Gran Turismo Motorsport entwickelt worden und galt als ein schwer bezähmbarer Hengst, weil die Viper in der Kurve bei zu hoher Geschwindigkeit, aufgrund des Heckantriebes, zu übersteuern neigte und leicht ausbrach. Und wehe dem man bremste in der Kurve zu stark ab, dann übersteuerte der Rennwagen und schob sich trotz eingelenktem Steuerrads geradeaus. Für diese störrische Rakete benötigte man also normalerweise jahrelange Rennfahrerfahrung, aber weil ich mich niemals in einen kleinen popligen Touring Wagen setzen wollte, um nur in der niedrigsten Klasse mitzufahren, sondern gleich mit den großen Hunden zu pissen beabsichtigte, kaufte ich den fix und fertig getunten Wahnsinnsflitzer für schlappe 350.000 Dollar von einem bekannten amerikanischen Rennfahrer, der zuvor beim NASCAR Rennen verunglückt war, dabei seine Beine verloren hatte und bei diesem Autorennen nicht mehr teilnehmen konnte.

Ich weiß, normalerweise ist es selbstverständlich, dass man sich unter Freunden die Kosten teilt; Adam war sogar durch mich mehrfacher Milliardär geworden und konnte somit einige Dollars mehr auf seinem Konto vorweisen als ich, aber er war ein raffinierter sowie geiziger Knochen und meinte, dass ich mich nicht so anstellen solle. Schließlich würde er, damit wir alle nach Europa reisen konnten, seine private Boeing 737 zur Verfügung stellen und obendrein auf sein Gehalt als Rennfahrer verzichten. Zudem war es ihm ebenfalls gelungen zahlungskräftige Sponsoren aufzutreiben. Nach diesen Argumenten musste ich zerknirscht klein beigeben und alleine in Vorkasse treten. Außerdem würde sich sowieso wiedermal alles nur um mich drehen und allein nur ich würde davon profitieren, egal wie das Rennen ausgehen würde, argumentierte Adam (das war gelogen, sein Verlag verdiente dabei genauso irgendwie. Wie genau, das sagte mir der raffinierte Fuchs aber nicht). Zudem versicherte er mir, dass, falls wir das Rennen tatsächlich gewinnen würden, ich alleine den Pokal mit nach Hause nehmen dürfte. Damit hatte Adam mich schließlich geködert und mundtot gemacht, denn ich war absolut davon überzeugt und besessen, den begehrten Pokal des 24 Stunden Rennens auf der berühmten Nordschleife zu gewinnen.
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Er jedoch glaubte, dass unser Team keinerlei Chancen hatte. Für Adam und George war es nur ein Spaß gewesen, wie ich es aber erst später feststellte.



Zwar hatte mir zuerst ein Rennporsche GT3 Cup oder ein Lamborghini Murciélago R-GT vorgeschwebt, aber meine Freunde und ich waren schließlich einer Meinung, dass wir unbedingt mit einem typisch amerikanischen Auto starten sollten.

Mit meinem berühmten Namen konnte ich genügend Sponsoren auftreiben, da waren zum Beispiel die Herrschaften von der neuen Reifenfirma FIREFOX, die meinen eigenen zusammengestellten Rennstall unterstützten und uns ausreichend mit Gummi ausrüsteten. Rennreifen waren der höchste Verschleißfaktor, somit hatte ich schon mal gut eingespart. Ich wollte sogar für Marlboro werben, die zahlten schließlich immer gut und sofort, aber Zigarettenwerbungen waren in Deutschland damals überraschenderweise leider verboten worden.

Von diesem Zigaretten Imperium hatte ich mal Anfang der Achtziger einen Werbevertrag ergattert, weil ich in der Erfolgsserie Dallas als Cowboy eine gute Figur abgegeben hatte. Aber als ich dem Regisseur damals während den Dreharbeiten zu einem Werbespott fürs Kino auf die Fresse gehauen hatte (weshalb, da kann ich mich heute beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, leider hatten es aber die hohen Herren von Marlboro nie vergessen), wollten die mit mir nie wieder was zu tun haben.

Aber dann kam irgendein Österreicher zu mir, drückte mir eine silberne-blaue Dose in die Hand und fragte, ob ich daran interessiert sei, für einen einzigartigen Energy-Drink zu werben. Obendrein würde ich eine Seekiste gefüllt mit Red Bull Dosen nach Kalifornien gratis geschickt bekommen. Ich trank die außergewöhnliche schmale Dose leer und versuchten den Geschmack zu definieren. Ich sah den Österreicher nickend an, denn dieses Gesöff schmeckte in der Tat einzigartig und lecker obendrein. Es schmeckte und roch etwas meiner Meinung nach flüssigen Marshmallows und dachte sofort an Shirley. Sie würde sicherlich von dem Getränk begeistert sein und die massenhaften Dosen, die mir versprochen wurden, dann schon irgendwie vertilgen, dachte ich. Der gute Mann bot mir an, sich etwas an den Spritkosten zu beteiligen und verlangte lediglich, dass ich immer schön eine Red Bull Dose in der Hand halten sollte, sobald ich interviewt werde.
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Und dies geschah an dem Rennwochenende ständig.

Also ging ich diesen Deal per Handschlag ein – der Mann war mir aufgrund seines Akzentes irgendwie sympathisch und weil zurzeit Arnold Schwarzenegger ohnehin mein absoluter Lieblingsschauspieler war, wollte ich dem bis dato noch recht unbekannten österreichischen Unternehmen etwas unter die Arme greifen.



Der einzige von uns, der wenigstens etwas Rennfahrererfahrung gesammelt hatte, war Adams Sohn Kevin. Er nahm regelmäßig an NASCAR Veranstaltungen teil, aber hatte bisher noch nie nennenswerte Preise eingeheimst. Trotzdem war der Einundzwanzigjähriger unser Mann gewesen, auf den wir alte Herren gebaut hatten. Insbesondre glaubte ich damals das 24 Stunden Rennen auf dem Nürburgring, eine der anspruchsvollsten sowie schwierigsten Rennstrecke der Welt, tatsächlich zu gewinnen, zumal wir mit einer Viper in das Rennen gingen und Kevin dabei hatten. Insbesondre war ich von dem Jungen überzeugt gewesen und betonte dies auch in jedem Interview. Ich wollte ihn keineswegs unter Druck setzen, sondern mich nur revanchieren, weil er schon seit seiner Kindheit von mir schwärmte. Kevin gehörte zu meinem engsten Freundeskreis, zu meiner Familie sozusagen, und er legte mir immer vor Augen, dass ich meinen Lebenstraum verwirklicht hatte. Nun konnte ich für Kevin endlich auch meine Anerkennung öffentlich kundgeben.

„Wir beide machen das schon. Du und ich werden ausgezeichnete Rundenzeiten einfahren, wirst schon sehen. Dein Vater und George sind nicht die besten Rennfahrer, also müssen wir beide sie raushauen“, erklärte ich Kevin, der sich schon seit Monaten auf dieses Rennen vorbereitet hatte und fest an mir glaubte, weil er mich bewunderte. Für ihn war ich schon seit seiner Kindheit der große Mann gewesen, ein Vorbild, weil ich ein weltberühmter Schriftsteller war und er ebenfalls schrieb. Mit Kevin pflegte ich ein ähnliches Verhältnis wie mit Judith, bis auf den Unterschied, dass der Junge absolut von mir überzeugt war und nicht so wie Judy, meine Denkweise manchmal anzweifelte und mich öfters zurechtwies.

Kevin Hopkins hatte vor zwei Monaten seinen ersten Science-Fiction Roman veröffentlicht, und ich hatte auf dem Rückcover seines Buches vermerkt: Einen Kevin Hopkins muss man gelesen haben.
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In höchstem Maße unterhaltsam.

Adam weigerte sich zwar zuerst, meine Widmung zu veröffentlichen, weil es zu sehr nach Vetternwirtschaft klang. Aber ich konnte mich letztendlich bei meinem Boss durchsetzen, weil ich Kevins Potenzial erkannte und in jeder Talkshow für sein Buch warb.



Für unseren kompletten Spaß musste ich erstmal mit ein paar Millionen in Vorkasse gehen, schließlich waren wir mit einem professionellen Rennstall, mit Mechaniker, Ingenieure, Rennleiter und Ausrüstung angereist. Wir nannten uns: Das Carter Team, somit benutzten wir meinen berühmten Namen um Aufsehen in der Motorsportszene zu erregen, dies uns auch erfolgreich gelungen war. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass meine deutschen Fans mich ganz besonders mochten, weil die meisten negativen Schlagzeilen, die ich in Vergangenheit fabriziert hatte, gar nicht nach Deutschland vorgedrungen waren. Damals steckte das Internet noch in den Kinderschuhen und wer sich für meine Person interessierte, konnte dies nur aus gewissen Zeitschriften oder meinen Biografien entnehmen, darin ich grundsätzlich als ein alleinerziehender Vater einer geistig behinderten Tochter erwähnt wurde, dies stets für mich sprach und man deswegen meine früheren Eskapaden gerne verzieh.

„William ist einfach unglaublich“, sagte George mit vorgehaltener Hand zu Adam. „Ich hatte ihn vor ein paar Jahren dazu überreden können, sich endlich einen Mac-Computer von Apple anzuschaffen. Neulich hatte ich ihm dann das neuste Betriebssystem Windows 95 installiert, weil er total ahnungslos ist, wie so etwas überhaupt funktioniert. Ich verrate dir mal was, das bleibt aber wirklich nur unter uns! William nutzt seinen PC überhaupt nicht, dabei wäre das Internet für ihn überaus wertvoll, weil er nicht mehr stundenlang in irgendwelchen Bibliotheken verbringen müsste, um zu recherchieren. Der ist doch völlig altmodisch, meinst du nicht auch?“

Adam grinste.

„Weißt du, William ist ein hoffnungsloser Hinterwäldler aus Massachusetts, und wird es auch vermutlich immer bleiben. Stell dir nur mal vor, er überreicht mir heute noch seine Manuskripte handgeschrieben, verfasst mit einer lächerlichen Schreibfeder, wie zu Goethes Zeiten, statt diese wenigstens mit einer Schreibmaschine niederzuschreiben.
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Es ist ein Wunder, dass er mittlerweile, zusätzlich seines Autotelefons, ein Handy besitzt. Sein Handy hat er nur wegen Shirley, damit ihn Thelma jederzeit anrufen kann, falls es ein Problem geben sollte. Aber das ist auch ein sehr großer Vorteil für mich, denn so kann auch ich ihn jederzeit und überall erreichen, auch wenn ihm das ganz und gar nicht passt“, hatte Adam ihm zugezwinkert.



Die deutschen Reporter von namentlichen Motorsportzeitungen und einige Fernsehteams verfolgten uns auf Schritt und Tritt, zumal Adam in seinem Element und ohnehin stets gesprächig war. Adam war schon immer eine Schnattertante gewesen, er liebte den Medienrummel und war auch wie dafür geschaffen. Er war äußerst charmant – selbst zu den männlichen Reportern –, witzelte oft und konnte sich ausgesprochen gut artikulieren. Er machte vor laufender Kamera stets den Eindruck, dass er einfach von allem was in der Welt geschah, Ahnung hatte. Aber Adam war ein gebürtiger Kalifornier, für den die USA der Mittelpunkt der Welt war und sich allerhöchstens noch in Kanada gut auskannte. Erkläre also mal einen eingefleischten Kalifornier die Gegebenheiten in Deutschland, oder sonst von einem anderen Land, da kann man genauso gut versuchen einem Pinguin das Bananenschälen beizubringen.

„Ich bin zum ersten Mal in Deutschland und ich liebe euch alle!“, bekundete Adam breit lächelnd einem Fernsehteam namens RTL. „Es ist fantastisch hier zu sein. Ich liebe eure Autobahn, weil man bei euch so schnell fahren darf, was die Kiste hergibt. Nur vermisse ich eure Tradition, wovon ich schon immer gehört habe. Wo sind all diese Leute mit diesen …“

Er rang nach den rechten Worten woraufhin ich antwortete: „Tirolerhüte.“

„Genau, Tirolerhut, Lederhose und diese Blasmusik, wobei ihr immer jodelt. Ihr esst doch jeden Tag Sauerkraut und diese weißen Würste mit Mayonnaise anstatt mit Ketchup. Ist das tatsächlich wahr?“

„Nein, Adam, da verwechselst du etwas“, meldete sich George zu Worte. „Mayonnaise essen nur die Holländer und Belgier. Ich hab’s in Amsterdam während meines Urlaubes letztes Jahr selbst gesehen. Die essen Fritten tatsächlich mit Mayonnaise. Echt eklig und unglaublich, aber wahr!“

Adam runzelte die Stirn, während ihm etliche Mikrofone vor seinem Gesicht gehalten wurden.
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„Du bringst mich jetzt aber ziemlich aus dem Konzept, George. Die Holländer sind doch auch Deutsche, die leben nur an der Westküste direkt am Meer und waren früher im Mittelalter alle Piraten. Sie waren es, die Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Dörfchen Nieuw Amsterdam gegründet hatten, also New York. Diese Leute nennt man nur Holländer, so wie wir die Leute aus Texas Texaner nennen, und trotzdem sind sie Amerikaner. Ist doch so … Oder ist das etwa falsch?“

Der Reporter wankte schmunzelnd mit dem Kopf.

„Tirolerhut … Meine Herren, wir sind hier nicht in Österreich, so fängt es schon mal an, aber ich weiß, was sie meinen, Mister Hopkins. Es ist scheinbar in Ihrem Land ein verbreitetes Klischee, dass ihr Amerikaner uns Deutsche mit Dirndl, Lederhose und Blasmusik assoziiert. Weißwurst, Sauerkraut und Senf gehören scheinbar zu euren Vorstellungen des einheimischen Deutschen. Aber das ist typisch bayrisch. Wenn sie diese angebliche deutsche Tradition erleben möchten, empfehle ich Ihnen einen Besuch auf dem berühmten Oktoberfest in München, Ende September. Überdies ist es ratsam auf unseren Autobahnen vernünftig zu fahren, wenn Sie Ihre Fahrerlaubnis behalten wollen.“

Nachdem dieses recht amüsante Interview beendet war, flüsterte der Journalist seiner Kollegin ins Ohr: „Diese aufgeblasenen Amis sind hochgradige Knallköpfe. Das Carter Team taugt meiner Meinung nach nicht einmal für einen Streckenposten. Die sollten besser bei einem Kart Rennen mitmachen, ihre Viper ist definitiv eine Nummer zu groß für sie. Die werden sich mit dem Wagen noch umbringen.“

„Aber wieso?“, fragte die junge Frau. „Ich fand sie ganz nett. Mister Carter war auch nicht so bärbeißig, wie man erzählt. Aber ganz besonders nett fand ich Mister Hopkins“, sagte sie schmunzelnd.



Wir Vier marschierten jeweils mit einer Red Bull Dose haltend durch das Fahrerlager. Adam schluckte den Energy Drink in einem Zug herunter, zerknüllte die Dose und warf sie hinter sich. Dann rülpste er dermaßen laut, sodass es schallte und die umherstehenden Mechaniker uns verwundert anblickten, und er grinste. Selbst mit seinen dreiundfünfzig Jahren verhielt er sich, wenn wir unter uns waren, wie ein alberner Teenager.
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Adam hätte eigentlich in seinem Alter längst ergrautes Haar haben müssen, aber er war außerordentlich eitel und ließ sein Haar regelmäßig dunkel tönen. Er war auch stets braungebräunt, weil er sich Zuhause bei uns im Sonnenstaat auf der Terrasse regelmäßig sonnte. Er war schon damals ein kerniger Typ gewesen, auf den die Frauen standen, und jetzt im reifen Alter wirkte er, trotz einigen Falten im Gesicht, immer noch äußerst attraktiv. Möglich sogar, dass er jetzt, in seinem gereiften Alter, erst recht auf die Frauen attraktiv wirkte. Zudem hatte er schon vor zwanzig Jahren mit dem Rauchen aufgehört (nur ab und zu gönnte er sich eine kubanische Zigarre) und hielt sein Körper mit Krafttraining fit.

„Sagt mal, wo sind wir hier überhaupt?“, fragte Adam, während er seine gespiegelte Pilotenbrille richtete. „In West- oder Ostdeutschland?“

„Willst du mich jetzt verarschen oder bist du tatsächlich so blöd?“, erwiderte ich während wir fortan zu unserem Fahrerlager marschierten. „Deutschland ist wiedervereint worden. Die Berliner Mauer ist längst weg. War doch damals ganz groß in den Nachrichten.“

„Ach ja? Seit wann? Davon habe ich nix mitbekommen.“

„Seit mindestens zwei Jahren“, antwortete ich gelangweilt.

„Das ist absolut unkorrekt“, meldete sich George zu Wort. „Die Mauer zwischen DDR und BRD war am neunten November 1989 praktisch gefallen, aber erst am dritten Oktober 1990 erfolgte der offizielle Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Der dritte Oktober ist seitdem ihr Nationalfeiertag.“

Wir blieben nach Georges Bemerkung einfach stehen und sahen ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Kevin grinste und schüttelte fassungslos seinen Kopf. Im Hintergrund hörten wir wieder einen Motor eines Rennwagens mächtig aufheulen. Dann zeigten wir mit unseren Zeigefinger auf George und sagten gleichzeitig: „Klugscheißer Alarm!“

Dann marschierten wir lachend weiter.

„Also ich habe den Eindruck, dass bei den Deutschen einiges anders läuft als bei uns“, erzählte Adam während wir weiter liefen. „Die sind alle etwas voreilig, finde ich. Obwohl diese Berliner Mauer, wie der Klugscheißer uns belehrte, im November gefallen war, feiern sie ihr Nationaltag schon im Oktober.
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Das wäre ja dasselbe, wenn wir unseren Unabhängigkeitstag ebenfalls einen Monat früher feiern würden, im Juni. Wie der Journalist es uns erklärt hat, beginnen die Deutschen ihr Oktoberfest bereits im September. Aber die Krönung ist, dass sie Weihnachten schon am vierundzwanzigsten Dezember feiern, statt so wie es doch wohl überall auf der Welt üblich ist, morgens am Fünfundzwanzigsten. Ist das zu fassen? Hier in Deutschland kräht der Hahn offenbar schon vor dem Sonnenaufgang, wenn es noch dunkel ist, und der Kirchturm läutet dann sicherlich fünf vor zwölf. Würde mich wirklich nicht wundern, wenn sie Silvester bereits am dreißigsten Dezember und Thanksgiving schon im Oktober feiern würden.“

George fing zu lachen an und wankte mit dem Kopf, woraufhin Adam ihn fragend anblickte.

„Sie feiern keinen Thanksgiving, aber etwas ähnliches, das sie Erntedankfest nennen. Im Grunde ist es eigentlich das Gleiche, nur ist es nicht so ein großer Festtag wie bei uns.“

„Okay. Und wann bitteschön feiern sie es?“, fragte Adam genervt, weil George wiedermal alles besser wusste.

„Jeden ersten Sonntag im Oktober.“

„Da, hab ich`s nicht gesagt? Die Deutschen feiern Thanksgiving tatsächlich schon im Oktober, einen Monat zu früh. Dafür sind die deutschen Frauen aber recht schnuckelig“, meinte Adam sogleich, als er in die Zuschauermenge blickte. „Seht ihr dort hinten die blonde Frau mit den üppigen Brüsten? Ob die echt sind? Mann, da geht einem glatt das Klappmesser in der Hose auf.“

„Hey, beherrsche dich doch mal. Muss du denn ständig jedem Rock hinterher schauen, du alter geiler Bock. Was soll denn dein Sohn von dir denken?“, fuhr ich ihn an, weil mir seine ständigen Machosprüche oftmals auf die Nerven gingen. Außerdem war es mein Rennstall und diesmal war ich der Boss. Jetzt bestimmte ich die Regeln und verlangte, dass meine Fahrer sich ausschließlich auf das Rennen zu konzentrieren hatten.

„Wieso?“, entgegnete mir Kevin, der diese Frau ebenso entdeckt hatte. „Dad hat doch recht, die ist wirklich nicht schlecht. Hey Dad, die Jüngere neben ihr ist bestimmt die Tochter. Wenn du die Alte klar gemacht hast, kannst du mich ja ihrer Tochter vorstellen“, witzelte er.
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Adam gab seinem Sohn daraufhin spaßhalber ein Klaps auf seinen Hinterkopf.

„Werde jetzt bloß nicht unverschämt. Wer sagt denn, dass die Jüngere für dich ist? Wer hier wen bekommt, entscheide immer noch ich, mein lieber Sohnemann!“

„Ich glaube, dass ihre Brüste echt sind. Die deutschen Frauen legen sich bestimmt nicht unters Messer“, meinte Kevin. „Das ist nicht so wie bei uns, glaube ich. Hey William, Penny hat jetzt auch dicke Titten. Ziemlich dicke Dinger sogar, weißt du das schon?“

Daraufhin stieß Adam seinen Ellenbogen in seine Rippen.

„Was soll das? Rede nicht so eine Scheiße. Überlege zuerst, bevor du deinen frechen Schnabel aufmachst. Das ist ziemlich taktlos“, fauchte er seinen Sohn ernst an.

Ich aber grinste nur.

„Ist schon gut, Adam. Penny ist für mich Vergangenheit“, antwortete ich, legte meinen Arm um Kevin und drückte ihn nahe an mich heran. Dann fing ich an die FIREFOX Reifen zu lobpreisen, um von diesem unangenehmen Thema abzulenken und meinen Freunden, vor allem Kevin zu zeigen, dass ich mit meiner Exfrau endgültig abgeschlossen habe und sie mir absolut nichts mehr bedeutete. Doch insgeheim hatte mich Kevin mit seiner unbedachten Bemerkung tief verletzt, dies ich ihm aber nicht verübelte. Aber am liebsten hätte ich ihn dafür schon gerne geohrfeigt.

Wir waren bestens ausgerüstet, mit feuerabweisenden Overalls bekleidet, aber ich erkannte sehr schnell, dass uns die deutschen Reporter gar nicht für ernst nahmen und uns nur für megareiche, amerikanische Snobs hielten, die mal einen Adrenalinkick brauchten und sich präsentieren wollten. Dies kotzte mich ziemlich an, weil wir eine Stunde vor dem Start zu unserem Viper marschierten, ständig interviewt wurden und ich ohnehin nervös war. Aber das wollte ich niemanden zeigen sondern mich so darstellen, dass ich alles unter Kontrolle hatte. Meinem ergrauten Haar hatte ich, bevor wir nach Deutschland gereist waren, einen stylishen Bürstenhaarschnitt verpasst, dies eine reine Kampfansage bedeuten sollte.



Auf der Startbahn war ein Höllenkrach gewesen. Die Motoren der Rennwagen heulten sporadisch auf, und es stank nach Abgase und aufgrund der durchdrehenden Reifen auch nach angesengtem Gummi. Das war Musik in unseren Ohren und es roch nach Abenteuer, der uns vierundzwanzig Stunden begleiten sollte.
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Mit einer dunklen Pilotenbrille auf der Nase und meinem Schutzhelm untern Arm tragend wurde ich erneut von Kameras umzingelt, lief aber unbeeindruckt weiter und ließ mich wie ein Star feiern, während mir jeder sein Mikrofon entgegen hielt.

„Mister Carter, ich freue mich Sie hier wiedermal in Deutschland begrüßen zu dürfen“, sprach ein deutscher Reporter mit einem Akzent, der mich zum Schmunzeln brachte.

„Wieso wiedermal? Kenn wir uns etwa?“, fragte ich lächelnd wobei ich unbeirrbar meinem Rennwagen entgegen schritt. Dieses geile Geschoss entzückte mich sogar mehr als eine attraktive Frau (eventuell hätte es Penélope nur fertig gebracht, mich im diesen Augenblick abzulenken).

„Aber selbstverständlich, Mister Carter. Vor drei Jahren waren Sie doch in Berlin bei der Fernsehshow Wetten dass zu Gast gewesen. Wir hatten uns dann später kurz hinter der Bühne kennen gelernt. Erinnern Sie sich noch an mich? Mein Name ist Martin Steigerwald von der Bildzeitung.“

„Tatsächlich?“, fragte ich ohne ihn dabei anzuschauen. „Welche Fernsehshow war das? Wetten dass? Was‘n das? Kenn ich nicht.“

„Sie waren damals Gast bei Thomas Gottschalk gewesen.“

„Ach so, beim Tommy. Sag das doch gleich, dann weiß ich auch sofort Bescheid.“

Plötzlich drängelte sich irgendein Journalist dazwischen, der behauptet von der Zeitschrift Auto, Motor und Sport zu sein. Ich hatte keine Ahnung ob dies ein wichtiges Interview war oder wieder nur ein Wichtigtuer, obwohl mir George mit dem Ellenbogen in die Seite stieß, was mir eigentlich zu denken geben sollte, dass ich anständig hätte antworten sollen. Es waren nur noch wenige Meter, dann würde ich in meine Höllenmaschine einsteigen und mit 180 weiteren Rennautos im freien Start um die Wette fahren.

„Mister Carter, die Viper GTS hatte zwar letztes Jahr das 24 Stunden Rennen von Le Mans gewonnen, aber glauben Sie ernsthaft, dass Ihr Team hier auf dem Nürburgring nur annähernd eine Chance hat, das Treppchen zu besteigen? Abgesehen davon die Chance, die vierundzwanzig Stunden Rennfahrt überhaupt zu überstehen? Hier in der Eifel ist das Wetter sehr unbeständig und es wurde wiedermal eine Unwetterwarnung gemeldet.
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Diesmal sogar irgendwann in der Nacht oder gegen Morgengrauen. Ich meine, ohne Sie dabei diskriminieren zu wollen, aber Sie und Ihre Teamkollegen sind nun mal keine erfahrenen Rennfahrer. Ihre Fahrer bestehen nur aus einen Schriftsteller, Verleger und einen Rechtsanwalt. Sicherlich beabsichtigen Sie lediglich Ihren neuen Roman zu promoten, aber doch nicht wirklich dieses Rennen zu gewinnen“, lächelte er.

Ich blieb stehen, richtete meine dunkle Pilotenbrille und klopfte Kevin auf die Schulter.

„Sie haben Mister Hopkins Junior nicht erwähnt. Das können Sie nicht wissen, denn was wisst ihr in Deutschland schon vom amerikanischen Rennsport? Darum sage ich es Ihnen. Dieser junge Mann hier hat schon einige Preise im NASCAR abgeräumt und wir – ich deutete auf George, Adam und mich – haben gestern beachtliche Rundenzeiten im Training abgelegt. Unser Baby, die Viper, so wie wir, sind in Topform. Wir sind, bis auf unseren jungen Freund, zwar schon ein älteres Semester, aber haben es noch voll drauf, mein Lieber. Macht euch auf was gefasst“, wankte ich mit dem Zeigefinger.

Über des Reporters Mund huschte ein freches Schmunzeln.

„Selbstverständlich kenne ich Mister Hopkins Junior und weiß, dass er bislang nicht einmal das Treppchen in der NASCAR Jugendmeisterschaft bestiegen hatte. Er ist im Grunde nur einer wie Sie … Ein Schriftsteller.“

Der Journalist beglückwünschte Kevin zu seinem ersten Roman, bevor er fortfuhr.

„Eher gesagt, will Mister Hopkins Junior einmal ein Schriftsteller werden. Beachtliche Rundenzeiten also?“, fragte er prustend. „Das soll wohl ein Witz sein. Ihr Team fährt in der Königsklasse mit, das sind überwiegend professionelle Rennfahrer, die die Strecke meistens unter acht Minuten umrunden. Sie persönlich benötigten gestern zwölf Minuten und achtundvierzig Sekunden. Das war Ihre Bestzeit gewesen. Der Verleger ist auch nicht unbedingt der Schnellste, weil er nichts riskiert, hat wahrscheinlich Angst einen Kratzer im Lack zu hinterlassen. Und der Rechtsanwalt hat das Auto nicht unter Kontrolle, hätte gestern sogar beinahe Ihr Auto im Kiesbett gegen die Leitplanke gelenkt. Der Spanier Lorenzo Guerro fuhr unter zwölf Minuten … In der kleinsten Klasse mit einem Astra Turing Wagen wohlbemerkt. Ihr Team hat zwar das nötige Auto, um eventuell zu gewinnen, aber doch lange nicht das Know-how, wie ihr Amerikaner es gerne nennt.
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Also gehe ich davon aus, dass Sie lediglich an diesem Rennen teilnehmen, um präsent zu sein, weil Sie Ihr neues Buch publizieren wollen: Die Insel der Verdammten?“

„Ne-ne Kollege, wir sind in der Tat hier, um zu gewinnen!“

„Sehr optimistisch, Mister Carter. Eher gesagt, etwas zu optimistisch. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Mister Carter, grenzt Ihr Optimismus an Hochmut und Selbstüberschätzung“, lächelte er frech. „Die neue Viper ist schwer zu fahren und obendrein habe ich erfahren, dass Ihr Hauptsponsor der Hersteller der neuen Reifenmarke FIREFOX ist. Eine unbekannte Reifenmarke, während eines 24 Stunden Rennens und ausgerechnet auf dem Nürburgring auszuprobieren, ist meiner Meinung nach äußerst töricht. Die Nordschleife ist selbst für einen Profi immer wieder eine Herausforderung, die kurvenreiche Strecke wird den Reifen höchst beanspruchen. Der ehemalige Weltmeister Niki Lauda ist hier auf der Nordschleife mit einem Formel 1 Rennwagen 1976 verunglückt, und Niki Lauda zählt zu den allerbesten Rennfahrer der Welt. Das sollte Ihnen zu denken geben. Wenn Sie sich nicht hundertprozentig auf das Material verlassen können, ist es Selbstmord. Mag ja sein, das Ihr FIREFOX Sponsor Ihnen gut was zusteckt, aber die benutzen Ihren Namen nur für ihre Zwecke und nur ein Narr lässt sich auf solch einen irrsinnigen Deal ein!“

Ich zog meine Sonnenbrille ab, tätschelte auf den Heckspoiler meiner Viper und war dabei, meinen Helm anzuziehen. Ich war derjenige, der die ersten drei Stunden fahren musste.

„Wir haben FIREFOX bereits erfolgreich getestet, meine Mechaniker und ich sind von dem Material absolut überzeugt.“

„Wie sieht es eigentlich in ihrem Land sportlich aus? Wie mir zu Ohren gekommen ist, scheint momentan der Footballspieler Louis Dickson der absolute Volksheld zu sein. Die San Francisco 49ers haben den Super Bowl gewonnen. Was halten Sie von Mister Dickson, Mister Carter?“



In dem Moment fühlte ich mich von dem Mann nicht ernst genommen. Sicherlich wollte er mich, wie sie es auch in meinem Land machten, nur mein Gemüt provozieren. Wenn er meine Biografie gelesen hätte, dies für einen Journalisten selbstverständlich sein müsste, hätte er mir solch eine provokative Frage niemals gestellt.
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Ich war überrascht gewesen, wie hervorragend informiert er über die amerikanischen Sportarten war, und so musste er ebenfalls gewusst haben, dass Penélope meine Ehefrau war aber nun mit dem berühmten Footballspieler verheiratet ist. Er war also entweder ein mieses Schwein oder einfach nur dumm. Beide Typen empfand ich als unwürdig, dass sie mich interviewen durften.

„Was soll diese sinnlose, unverschämte Frage? Wollen Sie mich reizen? Aus dem Alter, euch Zeitungsheinis zu vermöbeln, bin ich lange raus. Pech gehabt, falls Sie auf ein dickes Schmerzensgeld spekulierten“, lächelte ich ihm entgegen. „Und überhaupt … über diesen Mohrenkopf verschwende ich kein Wort, selbst wenn er für die Yankees spielen würde. Geh mir aus den Augen und interview lieber für die kleinen Mädchen die Backstreet Boys, du Anfänger“, antwortete ich und setzte meinen Helm auf.

„Oha, das klingt aber äußerst rassistisch, Mister Carter. Das wird Ihren Fans hier in Deutschland aber ganz und gar nicht gefallen“, äußerte er mit einem hämischen Grinsen. Also setzte ich meinen Helm wieder ab, um etwas klar zu stellen.

„Hör mir mal genau zu, mein Lieber. Ich beleidige Dickson nur … mehr nicht. Denn er beleidigt mich ebenso ständig. Wenn ein Schwarzer einen Weißen beleidigt, ist das dann etwa in Ordnung? Ja? Ihr in Deutschland habt doch keine Ahnung, wie es bei uns tatsächlich abgeht. Genauso ist es aber auch umgekehrt. Viele halten euch immer noch für Nazis. Weißt du eigentlich, dass eine Menge Schwarze genauso rassistisch sind, viele sogar noch fanatischer? Eltern verbieten ihre Kinder mit den weißen Kindern zu spielen, weißt du das? Umgekehrt ist es genauso, das bestreite ich gar nicht. Die Mexikaner sind in unseren Augen ein Drecksvolk, die nur Drogen zu uns rüber schmuggeln und korrupt sind, doch ihr könnt euch über die Bohnenfresser nicht beschweren und versteht es nicht. Viele von euch hassen die Türken, wie ich es mitbekommen habe, bei uns wiederum sind sie gern gesehene Leute. Bei uns hat niemand was gegen Türken. Weshalb auch? Sie sind doch alle gastfreundlich und herzlich.“

Er sah mich verdutzt an, also setzte ich nochmal einen oben drauf.

„Es gab vor langer Zeit einen Großen Mann in meinem Leben, den ich immer noch in meinem Herzen sehr verehre, sogar mehr als meinen eigenen Vater, der mit mir sein Hab und Gut und das Brot geteilt hatte.
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Jetzt war ich sehr aufgewühlt und hielt ihm meinen Zeigefinger vor die Nase während ich sprach. George erkannte, dass ich kurz davor war meine Faust zu ballen und stieß mir in die Seite, weil die Fernsehkamera live übertrug und Millionen Motorsportbegeisterte zuschauten, sodass ich dann besonnen fortfuhr.

„Diesem Mann verdanke ich, dass ich auf der Straße von New York überlebt hatte, und dieser Mann war ein Schwarzer! Ich war mit einer Spanierin verheiratet und meine Lebensgefährtin, seit fast fünfzehn Jahren, ist eine Chinesin. Also … Ich bin gewiss nicht rassistisch aber Arschlöcher gibt es in jeder Hautfarbe.“

Die erheblich lächelnden Mundwinkel des Journalisten sanken allmählich. Ich deutete auf George, dann auf ihn und sah ihn ernst an.

„Hiermit hast du deine Chance vertan. Ich verbiete dir offiziell, dieses Interview zu veröffentlichen. Andernfalls wird sich mein Anwalt mit Ihnen auseinandersetzen. Das einzige Wort, was ich dir jetzt mit auf den Weg gebe, fängt mit Fick an und hört mit Dich auf. Kapiert?“

Ich stülpte meinen Helm über, stieg in den Rennwagen und schlug die Autotür zu. George klopfte gegen die Scheibe und deutete, dass ich sie runterkurbeln sollte.

„Mach bloß kein Mist. Beruhige dich wieder. Für die nächsten drei Stunden brauchst du einen klaren Kopf.“

Mit meinem Handschuh klatschte ich ihm auf die Wange.

„Keine Sorge, George. Diesen Depp habe ich gebraucht, denn jetzt bin ich auf hundertachtzig und das ist genau das, was ich zum Gastreten brauche.“



Der Nürburgring war vom Krach geprägt. Die Motoren aller Rennwagen heulten sporadisch auf, durch die Lautsprecher ertönte die Durchsage eines Moderators und die Zuschauer jubelten und schwenkten bunte Fahnen. Eine der wichtigsten Regel für dieses 24 Stunden Rennen lautete, dass ein Fahrer maximal drei Stunden ohne Ablösung fahren durfte und dann eine Pause von mindestens zwei Stunden einhalten musste. Als die schwarz-weiß karierte Rennflagge geschwungen wurde und die Einführungsrunde begann, ertönte ein Höllenkrach von aufheulenden Motoren und durchdrehenden Reifen.
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Das Safety Car fuhr vor uns her und hielt 180 Rennautos, wie eine Horde wildgewordene Büffel, im Zaum. Ich befand mich mit meiner Viper unter den ersten und doch war ich von dutzenden Rennwagen umgeben. Das Besondere an dieser Rennstrecke war, dass sie permanent bergab und wieder bergauf verlief, so fühlte ich mich wie bei einer Fahrt in einer Achterbahn. Die Nordschleife wird auch die grüne Hölle genannt – rechts wie links sah ich etliche Kilometer nichts weiter als Wald. Und auf den freien Flächen waren unzählige Campingzelte zu sehen. Der provokante Reporter hatte mein Gemüt auf eine ordentliche Temperatur gebracht, sodass ich schon mal mit einer aggressiven Stimmung startete. Als wir mit dem Safety Car den Nürburgring umrundet hatten und dieser an der Start und Zielgerade in die Boxengassen abbog, beschleunigten alle Rennautos gleichzeitig auf Höchstgeschwindigkeit. Ich hatte nur noch eine Sache im Kopf: Ich muss dieses Autorennen unbedingt gewinnen, koste es was es will. Beziehungsweise musste mein Team gewinnen, andernfalls würde ich mich vor der ganzen Welt, hauptsächlich in meinem Land und vor Louis Dickson unendlich blamieren. Dies jedenfalls hatte ich mir damals eingeredet, als das 24 Stunden Rennen begann.
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Kommentar von "Sabine Müller" zu "verkaufte Seele"

Hallo, sehr berührend. Gefällt mir gut, auch wenn es sehr traurig ist. Gruß Sabine

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