Romane/Serien · Spannendes

Von:    Tintentod      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 16. Oktober 2010
Bei Webstories eingestellt: 16. Oktober 2010
Anzahl gesehen: 2822
Seiten: 11

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


I. RICK UND HOLLIS UNTERWEGS



1

Es war schwierig, eine neue Packung Zigaretten aufzumachen, ohne dabei auch noch die andere Hand vom Lenkrad zu nehmen. Er stützte das Lenkrad mit dem Knie ab und riss das Zellophanpapier von der Packung, seine Blicke wechselten hin und her, korrigierte leicht mit dem Knie und lenkte den Wagen auf die Spur zurück. Rick gähnte, steckte sich die Zigarette zwischen die Kiemen.

Ich fühl mich wie neunundneunzig, dachte er, korrigiere, einhundertneunundneunzig.

Er legte wieder eine Hand aufs Lenkrad und warf einen Blick auf den Tankanzeiger und entschied, dass es Zeit wurde, eine Tankstelle anzufahren. Rick wusste, dass er kein Geld mehr hatte, aber Hollis hatte sich die Brieftasche des Pechvogels eingeheimst, dem sie die Karre geklaut hatten.

„Hollis?“

Rick griff auf den Nebensitz, dort lagen leere Bierdosen, hatten halb ausgelaufen das Polster ruiniert, nahm eine Dose und warf sie nach hinten, wo Hollis mit angezogenen Beinen auf dem Rücksitz schnarchte. Carlos, Ricks Hund, der sie immer begleitete, hockte unglücklich vor Hollis’ Knien und wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder nach draußen zu dürfen. Die leere Dose landete auf Hollis’ Schulter und sprang auf den Boden. Rick hörte, wie er wach wurde und er fragte: „Wie viel Kohle haben wir noch?“

„Keine Ahnung.“

„Dann zähl nach.“

„Wozu?“ erwiderte Hollis verschlafen, setzte sich auf. Mit müden Augen starrte er auf die vorbeiziehende Landschaft. Die Umgebung war ihm noch immer nicht geheuer, er wäre gern irgendwo anders gewesen. Alles Richtung Atlantic City wäre besser gewesen. Er schob den Hund beiseite.

„Wir müssen bald tanken.“

„Quatsch. Wir tanken nicht. Wir fahren, bis kein Benzin mehr drin ist, und lassen die Karre liegen.“

„Hollis, es wäre mir egal, wenn Sommer wär, aber wir haben No-vem-ber und ich hab keine Lust, mir was abzufrieren.“

„Wir werden mit dieser Karre nicht über die Bundesgrenze fahren.“

Rick drehte den Kopf in seine Richtung und sagte nichts. Die Zigarette qualmte vergessen zwischen seinen Fingern am Lenkrad, Asche fiel auf seine Hose. E saß weit zurückgelehnt im Polster, hatte es sich so gemütlich wie möglich gemacht, den Kopf in den Nacken gelegt und sah unter seinem widerborstigen Haarschopf hervor.
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„Ich will nicht über die Bundesgrenze. Nur bis knapp davor. Es ist scheißegal, wo wir den Wagen liegen lassen. Aber wir wechseln erst vor der Grenze.“

Hollis zischte etwas auf Spanisch und zog die fremde Brieftasche aus seiner Jacke, die ihm eigentlich auch nicht gehörte. Er blätterte die Banknoten durch und schnaufte geringschätzig.

„Fünfzig“, sagte er, „nicht sehr viel für uns beide. Reich mir die Zigarette.“

Rick zog noch einmal an der Kippe, drehte sie zwischen den Fingern und streckte den Arm nach hinten. Hollis wuchtete sich nach vorn und nahm sie entgegen.

„An der nächsten Tanke fahr ich ran“, sagte Rick.

„Du bis irre. Wir können uns jederzeit nen Neuen unter den Nagel reißen und brauchen kein Geld auszugeben, um zu tanken.“

„Wer knackt die Wagen?“ Rick brachte das beste Argument, gegen das Hollis nie ankam. „Du oder ich?“

Hollis warf die Brieftasche nach vorn, die auf dem Armaturenbrett landete, und legte sich wieder hin. Die Zigarette ließ er auf den Boden fallen, nachdem er einmal daran gezogen hatte, sie zischte in einer Bierlache ihr Leben aus. Möglich, dass es auch Hundepisse war.



Sie waren kurz hinter der Grenze nach Maine, als Hollis wieder aufwachte. Er starrte auf ein vorbeifliegendes Ortsschild, entdeckte den Hummer auf Autokennzeichen an geparkten Wagen am Straßenrand und fragte: „Wieviel haben wir noch, nachdem du’n totes Pferd mit Heu gefüttert hast?“

Er bemerkte, dass Carlos auf den Vordersitz gewechselt war. Rick reichte ihm ein unordentliches Geldbündel nach hinten, ohne die Augen von der Straße zu nehmen.

„Zweihundertsechzig?“ Hollis glaubte, sich verzählt zu haben und blätterte die Scheine noch einmal durch.

„Naja“, sagte Rick vorsichtig, „war ’ne ziemlich kleine einsame Tankstelle. War nicht mehr drin.“

„Wahnsinnig geworden? Während ich geschlafen hab?“

Rick zuckte mit den Schultern.

„Wer hat mit dem Tanz angefangen, dass wir zu wenig Geld haben? Außerdem hat sich der Zapfsäulendompteur fast in die Hosen geschissen, hat gebettelt, dass ich ihm die Kasse leer mache.“

„Erinnerst du dich an das da?“

Hollis tippte ihm mit dem Zeigefinger über das rechte Ohr, wo Rick eine deutlich fühlbare Narbe hatte.
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Als er vor einiger Zeit einem Tankwart die Kasse geplündert hatte, hatte sich ein Kunde von hinten angeschlichen und ihm mit einem Baseballschläger eins über den Schädel gezogen. Er war in die Knie gegangen, hatte aber das Bewusstsein behalten, und als er sich wieder hochdrücken konnte, war Blut in die offene Kassenlade getropft, genau auf die Geldscheine, die er sich nicht mehr greifen konnte. In dem Moment war Hollis mit der Kanone reingekommen und hatte ihn rausgeholt. Seitdem hatte er bei schlechtem Wetter Kopfschmerzen.

Aber diesmal war es wirklich leicht gewesen. Der alte Kerl hatte vor Schreck fast sein Gebiss verloren und Rick hatte sich schnell aus dem Staub gemacht, bevor das Ganze noch in einem Herzanfall endete.

Sie stellten den Wagen in einer Wiese außerhalb der Ortschaft ab, die sie gerade durchzogen hatten, kontrollierten ihre Taschen und sahen sehr genau nach, dass sie nichts im Wagen vergessen hatten. Carlos sprang gut gelaunt aus dem Wagen, setzte ein paar Duftmarken und trabte durch die Gegend, scheuchte Vögel und Kaninchen auf, kam aber schon bald im Wolfstrott zum Wagen zurück. Die Luft war kalt und schnitt tief in die Lungen, aber zum Glück war es trocken und der strahlend blaue Himmel sah nicht nach Regen oder Schnee aus. Sie hatten einen Winter erwischt, der seine Kraft noch nicht ausgespielt hatte. Rick war noch nie in Neu-England gewesen, aber er wusste, dass das ganze Land in einem Schneesturm verschwinden konnte. Wenn sie noch lange genug in der Gegend blieben, konnten sie es hautnah miterleben. Rick hoffte allerdings, dass sie bis dahin wieder zu Hause sein würden.

Sie machten sich auf den Weg, diesmal zu Fuß. Ihre Schrittlängen waren aufeinander abgestimmt, der Hund sprang um sie herum und musste immer wieder von der Straße gepfiffen werden. Es dauerte lange, bis sie die nächste Ortschaft erreichten.

„Brownfield“, sagte Hollis, „soll’n wir weiter?“

Sie standen vor dem Ortseingangsschild, konnten in einiger Entfernung die ersten Häuser sehen. Rick machte sich über die Entscheidung keine Gedanken, Hollis stellte dauernd solche Fragen, die eigentlich nichts bedeuteten. Der Himmel zog sich zu und es sah plötzlich nach Regen oder Schnee aus und Ricks Antwort kam nicht überlegt.
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„Bleiben wir“, sagte er.

„Okay“, sagte Hollis, „aber behaupte hinterher nicht, es wär’n Fehler gewesen.“

Sie marschierten in die Stadt. Rick kannte solche Nester, nicht viel größer als ein Baseballfeld, aber jedes Haus ein Familienpalast, zumindest die in der besseren Gegend. Vor jeder Garage standen mindestens ein großes Auto, Familienkutschen und kleine Japaner für Jungvermählte. Hollis bemerkte Ricks Blicke und stieß ihn an.

„Ganz nett, was?“ sagte Rick, als ginge es um Mädchen und grinste. Er hatte nur noch Augen für die Schlitten, die überall in den Einfahrten standen.

„Ich hab Hunger“, sagte Hollis.

In einem Burger King stopften sie sich voll, Rick trank ein Bier und nahm eine seiner Pillen, die er immer schluckte, wenn er unterwegs war. Carlos war unter den Tisch gekrochen und schlief. Während Hollis sich Nachschlag holte, weil dieses fast food niemals satt machte, verschwand Rick Richtung Toilette, umrundete aber sehr deutlich den Fernsprecher, der in einer Ecke hing.

Ich muss sie anrufen, dachte er, ich muss den Mist wieder irgendwie hinbiegen.

Zurück am Tisch meinte Hollis: „Hast du sie angerufen?“

„Knutsch mir die Kimme.“



Wieder auf der Straße, waren sie sich nicht einig, wo sie der Weg hinführen sollte.

Hollis sagte, es sähe nach Regen aus und er wolle nicht ziellos durch die Gegend marschieren.

„Scheiße ja“, sagte Rick und blinzelte nach oben, „du hast recht. Lass uns wenigstens den Regen abwarten.“

Der Himmel zog sich mit dicken dunklen Wolken zu und die beiden stellten sich in einem Hauseingang unter, in dem Teil der Kleinstadt, wo die Autos auf dem Bürgersteig parkten und es sich nicht wirklich gelohnt hätte, sie aufzubrechen. Ein scharfer Wind kam auf, fegte den Regen schräg über die Straße und der Himmel verdunkelte sich immer mehr mit tief hängenden Wolken. Rick stand an den Türbalken gelehnt, den Kopf zwischen die Schultern eingezogen und starrte auf seine Schuhe. Seine rechte Schulter wurde nass, aber das schien er nicht zu bemerken. Hollis nahm an, dass er wieder Kopfschmerzen hatte. Er selber hatte sich dicht mit dem Rücken gegen das Holz der Haustür gepresst und die Hände in den Hosentaschen vergraben.
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Carlos hockte ebenso trübsinnig im Regen, schnüffelte ab und zu den Passanten hinterher. Er hatte Hunger, obwohl er von Hollis einen Hamburger bekommen hatte. Vereinzelte Passanten hasteten vorbei, mit Regenschirmen und missmutigen Gesichtern. Nach einer Weile ging der Regen in klumpigen Schnee über, der die Straße zupappte und die wenigen Autos erfolgreich behinderte.

„Prima“, sagte Hollis, „kann ja nur noch besser werden, wenn wir jetzt hier bleiben, was?“

Er sah Rick an, dass er am liebsten umgedreht wäre. Aber was brachte das.

Schließlich landeten sie in einer mexikanischen Bar, in der nicht einmal die Kellnerin echt war, Hollis schraubte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht fest und versuchte eine abzuschleppen, worauf Rick ihm zubrummte, er brauche sich gar keine Mühe geben, bevor die alle Feierabend hatten, wären sie längst aus der Stadt.

„Es macht dir nur Spaß, mir die Laune zu verderben“, sagte Hollis.

Rick verschwand nach draußen, sagte Carlos, er solle bei Hollis bleiben und auf ihn achtgeben, eine halbe Stunde später hupte er mit einem fremden Wagen vor der Tür und sie fuhren weiter.

Im nächsten Ort, dessen Namen sie sofort wieder vergaßen, fanden sie einen neuen Wagen auf dem Parkplatz eines 7-eleven.

Hollis schob einen Einkaufswagen mit leeren Pappkartons durch die Autoreihen und blieb zwischen einem grünen Ford und einem blauen Chevy stehen. Rick hockte sich vor das Türschloss und begann zu arbeiten. Es war einfach das, was er am Besten konnte.

„Beeil dich“, zischte Hollis. Er sah alle paar Sekunden auf die Uhr und überflog die nähere Umgebung. Rick schwitzte und fluchte. Seine Finger waren steif und klamm, er konnte sich nicht richtig konzentrieren, weil ihn der helle Tag und die Betriebsamkeit des Parkplatzes irritierten. Er wünschte sich, seine hämmernden Kopfschmerzen würden endlich nachlassen.

Carlos hechelte ständig um ihn herum, stupste ihn an und wollte gekrault werden, heischte um Aufmerksamkeit und nahm es Rick nicht übel, dass er ihn ständig mit den Ellenbogen wegstieß.

Eine Familie zog eine Autoreihe entfernt an ihnen vorbei, und die Mutter warf Hollis kurze Blicke zu, als ahnte sie etwas.
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Rick konnten sie nicht sehen, aber Hollis stand wie bestellt und nicht abgeholt bei den Wagen und begann sofort, alle Taschen abzuklopfen und zu durchwühlen, als suche er nach seinen Autoschlüsseln. Ihm stand der Schweiß auf der Stirn, verfluchte Rick in Gedanken, dass er plötzlich nicht mehr in der Lage war, einen Wagen innerhalb von zwei Minuten aufzumachen. Und dabei hatte er noch nicht einmal eine Alarmanlage auszuschalten.

Endlich rutschte Rick auf den Knien zurück und öffnete die Tür. Hollis ließ von dem Suchen ab und schwang sich auf den Fahrersitz, wo er sofort kopfüber unter der Konsole verschwand. Rick stemmte sich mit dreckverschmierten Hosen hoch, wobei er sich aufmerksam umsah, schnappte seine und Hollis’ Tasche und umrundete den grünen Ford. Inzwischen hatte Hollis die Kabel gefunden und öffnete ihm die Tür auf der Beifahrerseite, er hing halb über dem Fahrersitz, die Beine noch nach draußen gestreckt und startete den Motor. Mit Schwung warf Rick die Taschen nach hinten auf den Rücksitz und kümmerte sich darum, dass Carlos ebenfalls im Wagen landete. In den Taschen seiner hässlichen alten Jacke klimperten Kleingeld, Hundeleckerlis, ein paar Steine, die er irgendwo aufgehoben hatte und auch noch immer die Schlüssel zur Wohnung, obwohl das Schloss ausgetauscht worden war und sie nutzlos waren. Er hatte sie nicht weggeworfen.

Hollis ließ den Motor aufheulen und brauste vom Parkplatz, kurvte gefährlich zwischen den Autoreihen und verlassenen Einkaufswagen hindurch, dass Rick sich mit beiden Händen am Armaturenbrett festhalten musste. Rick drehte sich zu Carlos um, um zu sehen, ob er keinen Unsinn machte oder durch den Wagen geschleudert wurde. Einmal hatte der Hund aus lauter Langeweile seine Tasche angefressen. In dem Moment fuhr Hollis den Wagen den Bordstein auf die Straße hinunter und Rick knallte mit dem Schädel an den Türrahmen. Er fluchte laut und krallte sich mit der linken Hand an die Kopfstütze.

„Kannst du nicht ordentlich fahren?“ fragte er.

„Sind doch keine Bullen hinter uns, oder?“

„Noch nicht“, sagte Rick und hielt sich den Kopf, „kann aber nicht mehr lange dauern, wenn du so weiterfährst.“

Hollis drehte den Motor auf und brauste knapp unter dem Speedlimit aus der Stadt.
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Alles blieb hinter ihnen zurück, die letzte Tankstelle flog an ihnen vorbei.

„Wir hätten Carlos zu Hause lassen sollen“, sagte Rick plötzlich.

„Bei wem? Niemand hätte sich um ihn gekümmert.“

„Vielleicht hätte Dom ihn ein paar Tage zu sich genommen. Ich hab einfach das Gefühl, dass er uns nur im Weg sein wird.“

Hollis zuckte mit den Schultern und blieb stumm. Es war Ricks Hund und er musste wissen, was er mit ihm anstellte.



Sie fuhren, bis es dunkel wurde, und hielten den Wagen auf einer hochgewachsenen Wiese an. Hollis stieg zum Pinkeln aus und streckte seine steifen Knochen. Carlos sprang kläffend aus dem Wagen und begleitete ihn. Rick verbrachte die Zeit damit, das Handschuhfach genau zu durchsuchen. Eine Brieftasche lag nicht darin, auch kein Geld. Er fand einen halb aufgebrauchten Lippenstift, eine Packung Papiertaschentücher, einen verklebten Umschlag ohne Aufschrift, eine angebrochene Packung Mentholzigaretten, die er aus dem Fenster warf, einen einsamen Handschuh aus Leder und ein schweres Feuerzeug. Rick wog es in der Hand, schnippte es an. Das war kein Werbegeschenk. Er machte die Notbeleuchtung im Wagen an und suchte nach einem Stempel. Es war Gold und undeutlich konnte er den Schriftzug Cartier lesen. Für den Stempel waren seine Augen zu schlecht. Hollis kam zurück und er ließ das Feuerzeug schnell in seiner Tasche verschwunden.

„Warum machst du das Licht an?“ wollte Hollis wissen, „könnte uns jemand sehen.“

„Hab nur was gesucht.“

Hollis schlug die Tür zu und schüttelte sich.

„Wo ist Carlos?“ fragte Rick.

„Einem Kaninchen hinterher.“

„Der Köter wird sich noch verlaufen.“

„Wer schläft heute hinten?“ fragte Hollis.

„Wirf ’ne Münze“, antwortete Rick und steckte sich eine Zigarette an. Wenig später kam Carlos zurück, kratzte an der Autotür und wollte hereingelassen werden, er hechelte Rick munter ins Gesicht, als er sich neben ihn hockte.

„Kopf oder Zahl?“ fragte Hollis und Rick sagte: „Kopf.“

Hollis warf die Münze bis knapp unter den künstlichen Himmel und fing sie wieder auf. Als er die Hand wegnahm, grinste ihn Lincoln an.

„Mikey hätte sich bestimmt um ihn gekümmert“, sagte Rick und kletterte über die Rückenlehne auf den Beifahrersitz.
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Hollis schob den Hund zur Seite und streckte sich auf dem Beifahrersitz aus.



Rick erwachte, als etwas Haariges sein Gesicht streifte. Er nieste und setzte sich auf. Carlos hockte neben ihm auf dem Polster, ließ die Zunge weit aus seinem Maul hängen. Er schien zu fragen „Und? Wo ist mein Frühstück?“ Rick schob seinen grauen Schnauzerkopf beiseite und fragte: „Wo sind wir?“

Sein Mund war staubtrocken und er kratzte sich das stoppelige Kinn, sein sprießender Bart juckte erbärmlich. Er fühlte sich wie ein Stachelschwein.

„Kurz vor Auburn. Ich bin ziemlich früh losgefahren.“

„Yeh“, machte Rick.

„Hast du Hunger? Ich hab bei einem Drive-in gehalten.“

„Nee“, sagte Rick.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen, versuchte sich vorzustellen, dass Sophie jetzt bei ihm wäre und dass sie in einem sauberen Wagen fahren würden. Carlos würde gebadet und mit Halsband neben ihnen sitzen und Hollis, als guter Freund, hätte sich angeboten, sie überall hinzufahren, wo sie hinwollten.

„Hollis“, sagte er verträumt, „in Abburn besorgen wir uns was zu rauchen.“

„Auburn“, verbesserte Hollis, „okay, aber als Erstes brauchen wir einen anderen Wagen.“

„Und ein paar Dosen Hundefutter.“

In Auburn ließen sie den Wagen stehen, besorgten sich, was sie brauchten und knackten einen neuen Wagen, einen roten Ausländer, der schlecht gepflegt war und den sie bald wieder abstoßen würden.

„Diese Karre ist eine einzige Umweltsünde“, sagte Rick.

Stinkender blauer Qualm quoll aus dem Auspuff.

Sie fuhren nur weiter bis nach Lewiston, der Zwillingsstadt von Auburn, nur getrennt durch den Androscoggin, und dort konnte Hollis Stoff besorgen. Sie fuhren weiter, Hollis am Steuer, Carlos hatte sich in die Auslage des Rückfensters gequetscht und knabberte an ein paar Hundekuchen herum. Rick war im Moment nicht ansprechbar. Er lag auf dem Rücksitz, die Füße aus dem offenen Fenster, obwohl es dazu eigentlich zu kalt war, und hatte eine halb leere Whiskeyflasche im Arm wie ein Wickelkind. Die dick gedrehte Tüte war ihm schon zweimal aus den tauben Fingern gefallen und er hatte sich die Brust unter dem T-Shirt verbrannt.
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Er lachte und dann weinte er ein bisschen, das Übliche, wenn er Pot rauchte und Whiskey trank. Hollis war das gewöhnt. Er selbst hatte ein paar Mal an dem Joint gezogen und das reichte ihm. Schließlich wollte er den Wagen sicher durch die Gegend steuern und nicht das Gefühl haben, irgendwann abzuheben und in den Wolken zu verschwinden. Es reichte ihm in dieser Situation zu wissen, dass wenigstens Rick sich zudröhnen konnte. Sie hatten selten genug Geld, um sich das gute Zeug leisten zu können.

Die kleine Stadt, in der sie nach Stunden kurz anhielten, hieß Week Mills. Hollis war die ganze Nacht durchgefahren, immer die Küste entlang, abseits der großen Städte. Rick war eingeschlafen und Carlos lag ausgestreckt auf seinem Bauch, er sah auch etwas bekifft aus. Es war früh am Morgen.

Hollis war nicht müde, er überlegte, was sie in Weeks Mills alles anstellen konnten, wo sie jetzt für die nächsten Tage genug Geld hatten. Irgendwie schien selbst er zu verdrängen, dass sie nur in Maine waren, um Ricks persönliche Angelegenheit wieder in das rechte Lot zu bringen. Wenn sie auf einer richtigen Tour gewesen wären, hätten sie sich nicht so eine Ecke wie Maine ausgesucht, dann wären sie wieder in Atlantic City gelandet.

In Weeks Mills erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen langsam das Leben. Von einem offenen Lieferwagen klaute Hollis eine Flasche Milch und ein Brot, nahm sich noch aus einem Vorgarten die Zeitung mit und kehrte zum Wagen zurück. Carlos war aufgewacht und gab ein paar Bettelgeräusche von sich.

„Weck Ricky, dann bekommst du was“, sagte Hollis und stellte die Flasche auf dem Boden des Wagens ab, wo sie nicht umkippen konnte.

„Bin wach“, erklärte Rick müde, „wo sind wir, zum Henker?“

„Weeks Mills“, sagte Hollis, „ein lahmes Nest.“

„Lass uns umdrehen. Ich will zurück nach Newark.“

„Trink erst mal was.“

„Diese Gegend geht mir auf die Nerven. Ich kann’s nicht mehr sehen.“

„Dom wird dir die Haut in Streifen abziehen, wenn du ihm jetzt unter die Augen kommst.“

„Der kann mich mal. Außerdem will ich nach Newark und nicht zu Dom. Was hast du zu trinken?“

Die Whiskeyflasche lag leer zwischen seinen Füßen.
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„Got milk?“

Hollis bückte sich und reichte Rick die bauchige Flasche nach hinten. Carlos’ Nase begann zu tropfen und er sprang Rick versuchsweise an den Hals. Rick war dabei, den Aludeckel zu öffnen und goss sich einen kleinen Teil der Milch in die hohle Hand, um den Hund daraus schlabbern zu lassen.

„Selbst, wenn du es ernst meinst, wirst du mich erst umbringen müssen, damit du wieder zurück kannst. Ich mach das nicht länger mit, dass du wie ein Zombie herumläufst. Halt dich an der Flasche fest, wir fahren weiter.“

„Kann das ganze Grün nicht mehr sehen“, brummte Rick missmutig.

Der startende Motor klang laut in der ruhigen Stadt und Hollis ließ den Wagen langsam durch die Straßen rollen.

„Hey“, sagte Rick plötzlich und deutete mit einer Hand aus dem Fenster, „ein Schnapsladen.“

„Na und?“ erwiderte Hollis und fuhr ungerührt weiter.

Durch den Rückspiegel sah er, dass Rick einen Milchbart hatte und grinste. Er wandte den Blick wieder der Straße zu, als Rick den nächsten Schluck aus der Flasche nahm und dabei das Gesicht verzog.

Sie fanden am Rande der Stadt einen abgelegenen Feldweg, der von einem Wald umsäumt war. Dort stellten sie den Wagen ab, Carlos sprang sofort aus dem Wagen und versuchte, ein paar flüchtende Vögel zu fangen, aber er verfehlte jeden Einzelnen. Schließlich trat er in eine Bodenwelle und überschlug sich, schüttelte sich ordentlich, trabte weiter und schnüffelte am Boden herum, folgte einer Spur und hob erstaunt und neugierig den Kopf, als Hollis nach ihm pfiff.

Rick war ausgestiegen und blinzelte in die Sonne, er sah aus, als ob er sich gleich übergeben müsse, sich aber noch nicht dazu entschlossen hatte. Sein Gesicht war blass, unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, er sah aus wie angemalt.

Freund, du hast verdammte Ähnlichkeit mit einer Halloweenmaske, dachte Hollis, konnte aber daran nichts komisch finden.

Vielleicht war es an der Zeit, dass er sich den Pot abgewöhnte, achtzehnjährige rauchten Pot, aber Rick war schon lange keine Achtzehn mehr.

„Rick“, begann er, ohne eigentlich zu wissen, was er sagen wollte, „ich glaub, dass wir nicht lange hier bleiben sollten.
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Die Zeit rennt uns davon. Wir haben nicht Jahre Zeit.“

„Weiß ich selber.“ Ricks Stimme klang wie durch einen Trichter aus Metall. „Wenn wir jetzt durchfahren, wann sind wir dann da?“

„In vier Stunden etwa.“

„Das geht mir zu schnell“, sagte Rick, schob sich das Haar aus den Augen. Er ließ es schon seit geraumer Zeit wieder wachsen, obwohl ihm alle sagten, sein Hund sähe ordentlicher aus als er.

„Wir könnten auch ein paar Tage hier bleiben und dann weiterfahren, wenn du willst. Ich will auch nicht, dass wir heute noch in Blue Hill sind. Nicht so, wie du jetzt aussiehst.“

Wie ein ausgehöhlter Kürbis, genauso lebendig.

„Schon gut“, sagte Rick müde, „bleiben wir eine Weile. Nehmen wir uns ein Zimmer.“

„Gute Idee. Mein Rücken kann mal wieder ein anständiges Bett vertragen. Wenn dieses Kaff überhaupt ein Hotel hat.“

Weeks Mills hatte ein kleines Hotel, das schon bessere Zeiten erlebt hatte, der Portier war ein alter Kerl mit Totenkopfschädel und einer Fuselfahne. Er warf einen strafenden Blick auf Carlos, aber als er das Geld auf dem Tisch hatte, sagte er nichts mehr.

Das Zimmer war klein und muffig. Rick öffnete das Fenster und schloss es direkt wieder, weil es von unten nach altem Abfall stank. Selbst bei der Kälte roch es erbärmlich. Hollis untersuchte als Erstes das Bett und befand es für gut, für den Rest fühlte er sich nicht zuständig. In den Ecken hausten mordsmäßige Kakerlaken und an dem Kleiderschrank fehlten die Türen.

„Wahrscheinlich haben sie damit zwei Tote rausgetragen“, sagte Hollis. Er warf sich auf das Bett, was unter seinem Gewicht gewaltig zu quietschen und zu federn begann, aber es brach nicht zusammen, obwohl die Matratze fast bis auf dem Boden durchhing.

„Ich werde schlafen wie ein Toter“, versprach er, als Rick sich ebenfalls geräuschvoll auf das Bett warf. Carlos schlich schnüffelnd und eingeschüchtert im Zimmer herum, sprang vor den krabbelnden Kakerlaken zurück und setzte sich dann vor Rick auf den Boden. Als niemand reagierte und ihm niemand verbot, ins Bett zu kommen, sprang er ans Fußende und rollte sich dort zusammen.

Mitten in der Nacht sprang er aus dem Bett, pinkelte sorglos in die Ecke auf die Kakerlaken unter dem Fenster und kehrte ins Bett zurück.
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Zu Hause hätte er das nie getan.
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Kommentare zur Story:

  Rick und Hollis und Hund Carlos. Die drei sind sehr interessante Wesen und darum werde ich die Story weiterlesen.  
   Petra  -  17.01.11 19:32

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  Hallo Pia, die Story fängt rasant an, wird n bisschen lahm in der Mitte und die Spannung wie s weitergeht hält den Leser bei der Story bis zum nächsten Kapitel...was will manfrau mehr...lese und lese damm ma weiter...beste grüße  
   Jürgen Hellweg  -  20.10.10 21:38

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  Und wiedermal eine Story mit Rick und Co. Da bin ich neugierig was sie eigentlich wirklich als nächstes vorhaben.  
   Jochen  -  18.10.10 15:37

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  Hi Jingizu,
vielen Dank für deinen Kommentar. Sicher meinte ich Halloween (den Fehler hat der Duden nicht gefunden) & auch got milk wird korrigiert. Danke dafür. ;0)
Ich fürchte, die beiden sind allen nicht sofort sympatisch, aber das legt sich hoffentlich im Verlauf der Geschichte. Es ist ja erst das erste Kapitel. Rick und Hollis sind auch die Protas einiger meiner Geschichten, die ich eingestellt habe, wobei Rocking Chairs den Abschluss bildet.
Liebe Grüße Dubliner Tinte ;0)  
   Tintentod  -  17.10.10 12:08

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  Vorab erstmal: Gute Geschichte.

Da dürfen wir jetzt also zwei gescheiterte Soziopathen auf ihrer Spritztour (ist es ne Spritztour?) an der Ostküste begleiten.
Erinnert mich von der Grundidee ein bisschen an From Dusk till Dawn oder auch Natural Born Killers. In den Filmen wird das asoziale und eher abnormale Verhlaten der Protagonisten auch so normal und fast beiläufig dargestellt.

Es momentan aber ungeheuer schwer den zwei (na ja drei) Figuren dieses Kapitels auch nur die geringsten Sympathien entgegen zu bringen, da sich bislang keine positiven Charakterzüge zeigen.

Irgendwie fehlt mir etwas an dem Kapitel. Es wiederholt sich einfach alles immer wieder. Autoknacken, fahren, sich gegenseitig zulabern, Überfall, fahren, labern, Autoknacken,... son bisschen hätt ich mir ein Zeichen gewünscht wo die Geschichte hin will.

Der Schreibstil ist flüssig und mit der durchweg saloppen Art unterstreicht es gut den Charakter der Geschichte.

Und hier noch ein paar Kleinigkeiten am Rande:
Der Werbeslogan mit der Milch heiß "Got milk?" und du meinst sicher eine "Halloweenmaske", denn Helloween ist ne Metallband ;)  
   Jingizu  -  17.10.10 11:31

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  Auto Knacken um weiter zu kommen, so könnte man doch billiger ans Ziel kommen, nich?^^ Hat mir gut gefallen.  
   Heartless Heart  -  17.10.10 00:35

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