Fantastisches · Kurzgeschichten

Von:    kalliope-ues      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 28. Mai 2009
Bei Webstories eingestellt: 28. Mai 2009
Anzahl gesehen: 3101
Seiten: 3

Es war einmal...

vor langer, langer Zeit, da stand auf der Spitze eines sehr hoch aufsteigenden, schlanken Berges hoch oben, weit über dem Rest der Welt ein Kloster. Auf allen Seiten fielen die Felswände glatt und fast senkrecht herab, so dass man nur mithilfe eines langen Seiles heraufholen konnte, was nötig war. Das Plateau teilte sich in zwei Hälften, die durch eine Schlucht voneinander getrennt waren. Im Inneren der Schlucht lag ein See, in dem fleischfressende Riesenechsen wohnten. Um von der einen Hälfte zur anderen gelangen zu können, wurden in mühevoller Arbeit Säulen errichtet, von denen jede bis zum Rande des Plateaus hinaufreichte. So konnte man gehenden Schrittes von der einen zur anderen Seite gelangen.



Jedoch: zaghaften Seelen konnte dies nicht gelingen, weil jede der Säulen gerade so groß war, dass sehr knapp eine einzige Sohle darauf Platz fand. Und sie waren so weit voneinander entfernt, dass sie nur mit gut bemessenem Sprung erreichbar waren. Nur wessen Seele gereinigt war von Angst und Vorsicht, nur wer sich berufen fühlte, konnte den Weg zurücklegen. Manch einer, der in seinem Herzen noch nicht in ausreichendem Maße die Früchte langer Schulung hatte reifen lassen, musste seinen Übermut, seine Selbstüberhebung mit dem Leben bezahlen und stürzte hinab in dunkle Tiefen, den Echsen zum Fraß. Auf der anderen Seite gab es viele kleine Hütten. Die darin wohnten waren nun befreit von den fest gefügten Ritualen des Klosterlebens und ihrer weiteren Entwickelung selbst verantwortlich. Manch einer saß in tiefer Meditation und verließ seine Hütte nicht mehr. Versorgt wurde er dann von denen, die noch keine eigene Hütte besaßen.



In einer dieser Hütten saß ein sehr weiser alter Mann, Senafer, tief in seine Meditationen vertieft. Anfangs sprach er noch hin und wieder mit Arandal, dem jungen Priester, der ihn mit Wasser und Brot versorgte. Allmählich aber hörte er auf zu sprechen, weil ihn dies in seinen Meditationen störte. Arandal brachte ihm weiterhin Nahrung und Getränk. Eines Tages aber sah er, dass beides unberührt blieb. Noch viele Tage und Wochen lang brachte er Wasser und Brot, und jedes Mal war es unangetastet dort, wohin er es gestellt hatte. In den Jahren waren keine Nachfolger eingetroffen in der Runde der Hütten.
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Die Alten waren gegangen. Die Hüttenwächter nicht genügend geschult, um an ihre Stelle zu treten. Einer nach dem anderen verließ diese Seite des Plateaus, so lange er noch in der Lage war, den Weg zurück zu bewältigen und sich wieder einzugliedern ins Klosterleben.



Senafer saß regungslos auf seinem Platz, in tiefe Meditation versunken. Weit reiste sein Geist, überschritt nie vorher gekannte Welten, durchschritt Nebellandschaften, tauchte ein in Sphären, die reines, lauteres Licht waren. Dort wollte er sein, doch war da ein feine, silberne Schnur, die ihn immer wieder zurückholte in die vertraute Welt, in der sein alter, müder Leib saß und sein Recht einforderte. Lästig war ihm dieser geworden, unwillig und ungehorsam außerdem, da er nicht mehr in der gewohnten Weise tun wollte, was er ihm auftrug. Allmählich lernte er, die Silberschnur immer weiter und weiter auszudehnen. Immer besser gelang es ihm, unabhängig von seinem Leib zu sein.



Bald war der Jüngling Arandal nur noch als Einziger da, er und Senafer der Alte, der seit Wochen keine Nahrung mehr aufnahm, nichts trank, gerade noch mit einem kleinen Lebensfaden verbunden war mit seinem Leib und offensichtlich nicht zurückkehren wollte. Also verließ auch er das Plateau-Hüttenrund. Doch er hatte zu lange gewartet, seine Schulung war zu lange Zeit nicht gepflegt, war vernachlässigt worden. Seine Schritte waren zu zaghaft und mit einem leuchtenden Blitz zerriss seine Schnur. Er sah seinen Leib in die Tiefen stürzen, wo die ausgemergelten Echsen erwartungsfroh aufblickten. Arandal ließ ihn gerne zurück und tauchte ein ins gleißende Strahlen, das er hinter dem Tunnel bereits auf sich zu wirbeln sah..



Eines Tages, als Senafer zurückkehrte, fand er an gewohnter Stelle nichts vor. Sein Mund gehorchte ihm nicht, um zu rufen. Seine Beine wollten ihn nicht tragen, auch seine Arme und Hände zogen ihn nicht aus der Hütte heraus, sie verweigerten sich ihm. Da erkannte er, welch schändlichen Frevel er mit seinem Leib begangen hatte. Er wollte sich erheben und in jene fernen, weiten Lichtsphären eintauchen, um den physischen Plan zu verlassen und dort zu wohnen, wo er sich schon so lange aufhielt. Doch nun musste er erkennen, dass ihm hierfür die Kraft fehlte. Nun erkannte er auch, wie tief und weisheitsvoll Leib, Seele und Geist miteinander verwoben sind.
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Allmählich entschwand seine müde Seele, verließ den nicht mehr genährten, an Wasser mangelnden Leib ganz und verlor sich in Nebelschwaden.



Wenn du dich ans Ufer setzt mit wacher Seele, kannst Du die Säulen noch immer sehen. Doch hüte Dich, unvorbereitet den ersten Schritt zu tun und Arandals Schicksal zu teilen. Senafer jedoch reicht Dir gerne seine Hand und geleitet Dich hinauf zu fernen Sphären des Seins.



Steige hinauf zu den Sphären des Lichts

weit hinter den Sternen, den Nebeln des Nichts

labend am Blute des göttlichen Gral

durchströmt von der Liebe gleißendem Strahl

kehr zurück zu den Sternen, den Nebelschwaden

um dich im Feuer der Liebe zu baden
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Punktestand der Geschichte:   49
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Kommentare zur Story:

  Vielen Dank für die Lorbeeren, Fan-Tasia, es ist immer schön zu wissen, dass man mit Worten Bilder in Köpfe und Herzen malen kann =)  
   kalliope-ues  -  04.06.09 03:54

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  Wundervoll zu lesen und echt sagenhaft. Ich stelle mir vor, ich bekomme die Geschichte von einem alten weisen Mann vorgelesen so leicht und besonnen und er erzählt sie immer und immer wieder gerne und man hört ihm auch immer und immer wieder gerne zu. Das Bild hab ich richtig im Kopf.  
   Profil gelöscht  -  29.05.09 20:10

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  Danke Jochen, ja, es hat uralt in mir gesaget ... :) Ich hatte diesen Text schon voriges Jahr mal gepostet, aber eindeutig zu früh und unausgegoren. Nun ist er überarbeitet und scheint mir stimmiger und abgerundet. Es freut mich, dass dich meine Wortbilder erreichen. lg. ues  
   kalliope-ues  -  29.05.09 19:42

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  Eine schöne Methapher. Tolle Bilder. Man hat das Gefühl, als würde man eine uralte Sage lesen.  
   Jochen  -  29.05.09 10:51

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nathanahel Compte de Lampeé" zu "Manchesmal"

... welch ein wunderschöner text ! lg nathan

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