Plötzlich kamen alle wieder - Teil 1   41

Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Homo Faber      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 10. April 2006
Bei Webstories eingestellt: 10. April 2006
Anzahl gesehen: 2200
Seiten: 9

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Eine halbe Stunde Aufenthalt. Wieder warten. Ich fragte mich, warum die Bahn so lange Aufenthalt hatte. Ich hatte für so etwas kein Verständnis. So etwas regte mich auf. Zwar war diese Pause offiziell, war also auf dem Fahrplan mit einkalkuliert, aber darin sah ich keinen Sinn. Ich fand es langweilig, für eine halbe Stunde einfach nur auf der Stelle stehen zu bleiben. Immer nur Warten, Warten, mein halbes Leben bestand nur aus Warten. Ich hatte zwar ein gutes Buch und Musik dabei, um die Zeit herumzukriegen, und die Düsseldorferin neben mir würde mir gewiss auch keine Zeit zum Langweilen lassen, sie hatte mich ja schon die ganze Zeit in Gespräche verwickelt, so dass ich sowieso nicht zum Lesen kam, um mir die Zeit zu vertreiben, aber ich fand es unerträglich, nicht vorwärts zu kommen. Ich konnte Düsseldorfer nicht ausstehen, diese Menschen waren für mich das arroganteste Volk, das ich kannte. Ich war zwar kein Kölner, sondern lebte im Ruhrgebiet, aber ich wusste, dass dies auch nicht den besten Ruf bei den Düsseldorfern hatte, zugegebenermaßen nicht einmal bei mir selbst, aber ich zog es vor, mir nur meinen Teil zu denken. Die Kölner fand ich erträglicher, zwar waren diese auch ziemlich stolz, aber trotzdem nicht ganz so ein arrogantes Volk.

Sie schien ein paar Jahre älter als ich, ich schätzte sie auf 28, sie sah toll aus, aber als ich erfuhr, dass sie eine Düsseldorferin war, gab ich mir größte Mühe, sie nicht zu mögen, was mir auch erfolgreich gelang, obwohl sie gewiss nicht so schlimm war und sogar einen netten Eindruck machte, soweit ich es bis dahin mitbekommen hatte. Aber ich dachte keineswegs daran, sie sympathisch zu finden, was ich mir natürlich nicht anmerken ließ.

„Hast du Lust, mit in den Speisewagen zu gehen, wir könnten dort einen Kaffee trinken?“, schlug sie vor. „Ja, warum nicht“, antwortete ich. So würde die halbe Stunde Aufenthalt wenigstens schneller vergehen, dachte ich, auch wenn ich auf ihre Anwesenheit hätte verzichten können. Und wer weiß, wenn ich nicht mitgegangen wäre, hätte sie vielleicht auch keine Lust gehabt, alleine zu gehen und wäre sitzen geblieben.



Sie setzte sich, kurz nachdem ich eingestiegen war und meinen reservierten Platz gefunden hatte, neben mich, auch sie hatte ihren Platz reserviert. „Ah, hier bin ich richtig“, sagte sie, als sie an ihrem Platz angekommen war und grüßte mich.
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Ich grüßte zurück und musterte sie. Gekleidet war sie wie eine Geschäftsfrau, mit einer schwarzen Nadelstreifenhose und dazu passendem Blazer. Ihre Schuhe hatten mindestens 10 cm hohe Absätze. Sehr schick sah sie aus, wie es sich für eine Düsseldorferin gehörte. Kaum hatte sie sich hingesetzt, holte sie einen Laptop raus. „Es stört dich doch nicht, wenn ich hiermit arbeite?“, fragte sie mich. „Nein, kein Problem“, gab ich zu Antwort. Aber das Getippe fing an, mich richtig zu nerven, sie tippte rasend schnell, wahrscheinlich schaffte sie es, in einer Minute eine ganze Schreibmaschinenseite zu tippen. Mir verging schon die Lust dabei zu lesen, so sah ich lieber aus dem Fenster und betrachtete die Landschaft. Aber nach etwa 20 Minuten war ihr Akku alle, und zu ihrem Pech gab es auch keine Steckdose, wo sie ihn hätte anschließen können. Darüber war ich sehr erleichtert. Enttäuscht packte sie den Laptop wieder ein. Sie fragte, ob sie die Zeitschrift lesen dürfe, die auf meinem Tisch lag. „Ja klar, bitte“, antwortete ich. „Danke, dann wird es wenigstens nicht so langweilig, wenn ich hier noch Stunden sitze“, sagte sie. „Ja, das kenn ich“, gab ich zurück. „Bis wohin musst du fahren?“, fragte sie. „Dortmund“, antwortete ich. „Und Sie?“ „Ach, dann haben wir ja fast das gleiche Ziel, ich komme aus Düsseldorf.“ Auch das noch, dachte ich. Da hatte ich schon keine Lust mehr, mit ihr ein Gespräch anzufangen, erst das Getippe, und jetzt das. Aber anstatt die Zeitschrift zu lesen, erzählte sie erstmal von sich. Ich erfuhr, dass sie Journalistin war und in Berlin wegen einer Modemesse war, worüber sie schreiben sollte. Dann fragte sie, was ich in Berlin gemacht hätte. Ich sagte, dass ich dort Verwandte besucht hätte, was ja eigentlich auch richtig war, ich hatte wirklich bei Verwandten gewohnt, aber tatsächlich war ich auch wegen dieser Modemesse dort. Ich hatte aber keine Lust es zu erwähnen, denn das hätte ihr nur zusätzlichen Gesprächsstoff gegeben, und ich wollte jegliche Art von Konversation mit ihr vermeiden. Ich fand sie einfach nur nervig, so dass ich sogar über ihr attraktives Erscheinungsbild hinweg sah. Ich hätte froh sein können, einen Gesprächspartner gefunden zu haben, und dazu noch einen attraktiven, ich konnte mir auch nicht erklären, warum ich keine Lust dazu hatte, mich mit ihr zu unterhalten, ich fand es sehr erstaunlich, dass nur eine einzige Tatsache der Grund dafür sein konnte, einen Menschen unsympathisch zu finden.
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Warum musste sie auch ausgerechnet aus dieser Stadt kommen? Es gab doch so viele Städte in Deutschland. Sie konnte ja nun wirklich nichts dafür, dass sie ausgerechnet aus der von mir verhassten Stadt kam. Nur allein dieser Name, hörte ich ihn aus dem Munde eines Menschen, der dort herkam, löste bei mir unendliche Gefühle von Feindschaft aus.

Unglücklicherweise fand sie, wenn ich ihr auch keinen Gesprächsstoff lieferte, ihrerseits genug davon. Wie es sich auch für eine echte Düsseldorferin gehörte, fing sie jetzt an, von ihrer Stadt zu schwärmen. Berlin gefalle ihr auch ganz gut, aber in Düsseldorf fühle sie sich am wohlsten, und sie sei froh, dort leben zu können. Es sei eine so schöne Stadt und so weiter. Ob ich denn auch schon mal in Düsseldorf gewesen sei, fragte sie mich dann. Ja, das war ich. Und ob mir die Stadt gefalle, fragte sie mich darauf. Ja, nicht schlecht, antwortete ich darauf. Abgesehen von den Leuten, die dort wohnen, hätte ich am liebsten noch hinzugefügt. Aber ich ließ es bleiben, ich wollte ja niemanden provozieren, sie kam ja auch zumindest nicht so rüber, als halte sie sich wegen ihrer Herkunft für etwas Besseres.



Wir bestellten beide einen Kaffee. „Und was machst du so beruflich? Oder studierst du?“, fragte sie. „Beides, nun, ich bin Einzelhandelskaufmann für Kleidung, seit einem halben Jahr auch Verkaufsleiter. Und nebenbei mache ich ein Fernstudium in Richtung Wirtschaft“, erzählte ich. „Klingt interessant, du scheinst ziemlich zielstrebig zu sein. Darf ich fragen, wie alt du bist?“ „25“, antwortete ich. „Also für dein Alter hast du es schon ziemlich weit gebracht, mit 25 schon Verkaufsleiter“, meinte sie beeindruckt. „Danke“, sagte ich. „Aber als Einzelhandelskaufmann ist es nicht so schwer sich hochzuarbeiten“, fügte ich dann hinzu. „Trotzdem, es schafft noch lange nicht jeder“, fand sie.

„Guten Tag, die Fahrausweise bitte!“, ertönte die Stimme des Schaffners. Er war etwa 30 und machte irgendwie den Eindruck wie ein typisches Arschloch. Er hatte ein richtiges Machogrinsen drauf, als er sich von der Düsseldorferin die Fahrkarte zeigen ließ.
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So dieses richtige schleimige Grinsen. Genau solche Typen kotzten mich an, aber genau die kamen bei Frauen immer gut an, wahrscheinlich fand die Düsseldorferin ihn auch gut. „Der kam sich ja wohl richtig toll vor“, meinte sie belustigt, was mich überraschte. Offensichtlich dachte sie das Gleiche wie ich. „Ja, das hab ich auch so gedacht“, sagte ich. Plötzlich fand ich sie schon ein klein wenig erträglicher.

„Was für Kleidung wird bei euch verkauft?“, fragte sie. „Damenmoden“, antwortete ich ein wenig verlegen. „Echt?“, fragte sie und musste lachen. „Entschuldige, dass ich jetzt lachen muss. Versteh das nicht falsch, ich lache nicht über dich, es ist nur, dass ich damit jetzt überhaupt nicht gerechnet hab, ich find das aber interessant.“ „Na ja, ist schon ein wenig ungewöhnlich vielleicht, wenn Männer das machen, aber mir macht es Spaß, Frauen zu beraten“, erklärte ich. "Verkauft ihr Mode für alle Altersklassen?“ „Nicht für alle, Jugendmode bis Mode für etwa 40-jährige. Und da alles Mögliche, sportliche Kleidung, Jeans und auch Outfits im Business-Look.“ „Dann wäre die Modemesse für dich auch interessant gewesen.“ „Da bin ich auch gewesen“, sagte ich. „Ach so, da hast du ja gar nichts von erzählt“, bemerkte sie. „Ich fand das irgendwie nicht so erwähnenswert, ich war zwar dienstlich dort, aber ich hatte das mehr als Gelegenheit genutzt, um Berlin zu besuchen, weil ich da sowieso mal wieder hin wollte“, erklärte ich, als ich ein schlechtes Gewissen bekommen hatte. Eigentlich war das auch die Wahrheit, ich wollte nur mal weg von zu Hause, was eigentlich gar nicht mehr mein zu Hause war, ich wusste nur nicht, wo ich wirklich zu Hause war, eigentlich gab es für mich kein zu Hause mehr. „Und Sie haben mich auch nicht richtig zu Wort kommen lassen“, fügte ich scherzhaft hinzu. Sie lachte. „Ja, damit hatte ich noch nie ein Problem, andere voll zu quasseln.“ „Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie dann. „Martin“, antwortete ich. „Ich bin die Kirsten. Und du musst mich nicht siezen“, stellte sie sich vor. „Klar, kein Thema“, antwortete ich.

„Arbeitest du direkt in Dortmund“, fragte sie. „Ja.“ „Dann musst du mir unbedingt mal die Adresse von dem Geschäft geben, dann gucke ich, wenn ich mal wieder in Dortmund bin, dort mal rein, vielleicht finde ich dort auch etwas Schönes für mich.
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“ „Warst du schon mal in Dortmund?“ „Ja, schon öfter. Auch eine interessante Stadt, und man kann dort gut shoppen.“ Das hatte ich gar nicht erwartet. Ich war ja selbst nicht besonders glücklich, im Ruhrgebiet zu leben, was nichts damit zu tun hatte, dass ich gebürtiger Münsterländer war. Aber dass einer Düsseldorferin eine Stadt im Ruhrgebiet gefiel, verwunderte mich sehr. „Köln finde ich auch gut“, sagte ich dann und war gespannt, was sie dazu sagen würde, da Kölner und Düsseldorfer sich ja überhaupt nicht mochten. „Oh ja, find ich auch, eine wunderschöne Stadt, dort könnte ich auch gut leben.“ Sie schien wirklich nicht so eine arrogante Zicke zu sein, die sich für etwas Besseres hielt und Vorurteile gegenüber gewisse andere Städte hatte. „Damit hätte ich jetzt gar nicht gerechnet“, sagte ich überrascht. „Warum? Weil Düsseldorfer und Kölner sich nicht mögen?“, fragte sie. „Ja“, antwortete ich. „Ich find das albern, dass diese zwei Städte gegenseitig über sich herziehen. Ich hab nichts gegen Kölner und auch nichts gegen das Ruhrgebiet oder gegen sonst irgendeine Stadt und ihre Bewohner.“ Sie schien doch in Ordnung zu sein. „Warum sind eigentlich Kölner und Düsseldorfer solche Todfeinde?“, fragte ich. „Ich glaub die Ursache sind das Kölsch und das Düsseldorfer Altbier, es ging einfach darum, welches Bier besser schmeckt und dadurch ist diese traditionelle Feindschaft entstanden“, erklärte sie. „Was echt? Wegen Bier?“, fragte ich. „Ich hatte mir eher vorgestellt, dass es darum geht, welches die schönere Stadt ist, aber das zwei Biermarken der Grund sind, hätte ich nie gedacht.“ „Ja, kann man sich wirklich kaum vorstellen, was es für lächerliche Gründe gibt“, sagte sie lachend. Nun kannte ich endlich den Grund, weshalb Kölner und Düsseldorfer solche Feinde waren: Bier. Ich musste schmunzeln. „Ich find das kölsche Deutsch auch schön“, sagte ich. „Ja, aber euer Ruhrpottdeutsch find ich auch lustig“, fand sie. „Na ja, ich weigere mich jedenfalls, so zu sprechen“, betonte ich.

Ich wusste noch gar nicht, wie alt sie war und fragte sie danach.
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Sie war tatsächlich 28, ich hatte also genau geschätzt. Aber in einem Jahr würde ich sie wahrscheinlich auch auf 28 schätzen.

„Wohnst du alleine oder mit einer Freundin zusammen oder bei deinen Eltern?“, fragte sie. „Ich wohn alleine“, antwortete ich. „Ich auch, seit ich mit meinem Studium fertig bin. Mein Exfreund wollte zwar vor zwei Jahren mit mir zusammenziehen, als wir noch zusammen waren, aber ich wollte es noch nicht, weil wir erst ein halbes Jahr zusammen waren, und vor einem dreiviertel Jahr haben wir uns getrennt, und daher bin ich froh, dass wir nicht zusammen gezogen sind“, erzählte sie. Ich musste an Pia denken, vielleicht würde ich mit ihr zusammen wohnen, wenn ich noch mit ihr zusammen wäre. Aber das war jetzt zwei Jahre her. Ich fühlte mich traurig. „Wie lange lebst du schon allein?“, fragte sie. „Ich bin mit knapp 21 ausgezogen, kurz nachdem ich mit der Ausbildung angefangen hatte.“ „Hast du dich mit deinen Eltern nicht so gut verstanden, dass du schon während der Ausbildung ausgezogen bist?“ „Ich hatte bei meiner Oma gelebt, meine Mutter ist tot, und mein Vater hat es nicht verkraftet und ist zum Säufer geworden, da hat meine Oma mich aufgenommen. Ich kam zwar gut mit ihr aus, aber ich wollte einfach alleine sein.“ „Das tut mir leid mit deiner Mutter, darf ich fragen, wann sie gestorben ist?“ „Ich war damals elf, sie hatte einen Autounfall.“ „Das ist schrecklich“, sagte sie.

Der Zug fuhr wieder los. Ich merkte, dass ich gar nicht zurück wollte, ich wäre am liebsten in Berlin geblieben und hätte dort ein neues Leben angefangen. Aber ich musste am nächsten Tag wieder arbeiten. Ich liebte zwar meinen Job, aber sonst hielt mich nichts in meiner Umgebung, ich wollte einfach ausbrechen, nur weg.

„Sollen wir wieder zurück zu unseren Plätzen gehen?“, schlug sie vor. Ich war einverstanden. Sie rief den Kellner, um zu bezahlen. Sie bezahlte für mich mit, noch bevor ich etwas sagen konnte. „Danke, aber das war doch nicht nötig“, sagte ich. „Keine Widerrede“, sagte sie lächelnd.

Wir gingen zurück. Zwei Mädchen von etwa 20 Jahren kamen uns entgegen. Eine davon hatte die gleiche Stimme wie Pia. Ich wurde noch trauriger, ich merkte plötzlich, dass meine Augen feucht wurden. „Ich geh mal eben zur Toilette“, sagte ich zu Kirsten und eilte dorthin.
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Fast musste ich weinen, aber nur fast. Ich hatte es schon lange nicht mehr getan, irgendwie konnte ich es auch nicht mehr richtig. Fast zehn Minuten verbrachte ich dort, bis ich mich wieder gefangen hatte. Ich ging zurück zu meinem Platz, Kirsten schien zu merken, dass etwas nicht in Ordnung war. „Geht es dir nicht gut?“, fragte sie. „Doch, doch, ich hatte nur plötzlich Zahnschmerzen, da hab ich in letzter Zeit öfter Last mit, hab gerade den Mund gespült und eine Tablette genommen.“ „Oh je, dann wird es wohl höchste Zeit, zum Zahnarzt zu gehen, du bist wohl auch so einer, der so etwas immer aufschiebt“, sagte sie amüsiert. „Ja, da geh ich absolut nicht gern hin.“ Wenn es nur das wäre, dachte ich. Lieber hätte ich Probleme mit den Zähnen, denn die konnte man heilen. Ich wollte ihr nicht erzählen, was los war, ich kannte sie ja erst seit heute.

Noch eine Stunde bis Dortmund. Plötzlich blieb der Zug wieder stehen, obwohl wir an keinem Bahnhof standen. „Was soll das denn jetzt wieder?“, hörte ich mich aufbrausend fragen. Mich wunderte es, dass sie so geduldig blieb. Man wartete. Nach etwa fünf Minuten kam eine Ansage vom Zugführer. „Verehrte Fahrgäste, leider verzögert sich unsere Weiterfahrt um ungewisse Zeit aufgrund eines Unfalls, der sich hier auf dem Gleis ergeben hat. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Ich war sauer, ungewisse Zeit, das könnte Stunden bedeuten. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. Man wartete weiter. Ich blicke mich um und sah plötzlich in das Gesicht eines älteren Mannes, der auf einem Sitz auf der anderen Seite des Ganges saß. Der Mann sah mir direkt in die Augen, als hätte er mich vorher schon beobachtet. Ich erschrak über seinen Blick, er sah aus wie der Tot in Person. Der Schaffner ging durch das Abteil, einige Leute fragten ihn, was los sei, er müsse doch etwas wissen. Er wollte erst nichts sagen, schließlich sprach er doch. Ein Mann habe sich auf das Gleis gelegt und sei vom Zug überrollt worden. „Schrecklich“, hörte ich eine ältere Frau sagen, und alle anderen Fahrgäste begannen zu tuscheln und zu tratschen. Es hatte sich also jemand umgebracht. Auch Kirsten war erschrocken. „Wie kann man nur so seinem Leben ein Ende setzen?“ Ich sah rüber zum älteren Mann. „Liebeskummer“, sprach dieser.
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Der alte Mann kam mir unheimlich vor. Irgendwie kam es mir so vor, als würde ich ihn kennen, als hätte ich ihn schon mal gesehen. Kirsten hatte die Bemerkung auch mitbekommen. „Meinen Sie? Wie kommen Sie darauf?“, fragte sie neugierig. „Ganz gewiss“, antwortete der Mann. Sie sah mich an. Wahrscheinlich würde sie jetzt am liebsten darüber recherchieren und darüber eine Story schreiben. Neugierig war ich auch, aber viel mehr interessierte mich, wann die Fahrt jetzt wohl weiter gehen würde. Man wartete weiter. Am liebsten wäre ich ausgestiegen und abgehauen, nur wohin? Kirsten rief eine Freundin an, um ihr zu sagen, dass sie festsitze und noch nicht wisse, wann sie in Düsseldorf eintreffen werde und sich später noch mal melden werde, wann sie vom Bahnhof abgeholt werden könne. Getränke wurden serviert, natürlich auf Kosten der Bahn, versteht sich. „Das ist aber nett“, fand Kirsten. Das ist ja wohl das Mindeste, fand ich. „Ich könnte jetzt ein Bier gebrauchen“, sagte ich.

Ich bekam richtig Lust, mich vollaufen zu lassen, irgendwie war diese Fahrt der reinste Stress. Aber inzwischen war ich froh, dass ich in Kirsten eine Gesprächspartnerin gefunden hatte, ich mochte gar nicht daran denken, wie unerträglich diese Warterei sonst gewesen wäre, auch wenn ich mit Musik ausgerüstet war. Außerdem fand ich sie ja nun nicht mehr so nervig wie zu Beginn der Fahrt.

Nach ca. einer Stunde wurde die Fahrt endlich fortgesetzt. Alle waren erleichtert. Eigentlich müsste man einen Teil des Geldes zurück erstattet bekommen, fand ich. Ich fand die Werbung der Bahn so etwas von lächerlich und auch schon unverschämt, „Zuverlässig, schnell etc.“, so hieß es immer, aber davon traf nichts wirklich zu, auch Kirsten war der Meinung. Natürlich waren dies jetzt besondere Umstände, die sich ergeben hatten, aber man hätte ja die Gleise umlegen können und den Zugführer rechtzeitig informieren können, die Unfallstelle war ja schon etwas länger da.

Noch eine halbe Stunde bis Dortmund, falls nicht wieder etwas dazwischen kommen sollte. „Wirst du abgeholt?“, fragte sie. „Nein, ich fahre mit der U-Bahn, aber es ist nicht so weit“, antwortete ich. „Ich werde von meiner Freundin abgeholt, wir wollen heute Abend noch etwas trinken gehen“, sagte sie. Ich hatte niemanden, der mich abholen würde.
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„Und was machst du heute Abend noch?“, fragte sie. „Nichts Besonderes, fernsehen“, antwortete ich. „Wenn du willst, können wir in Kontakt bleiben“, schlug sie vor. Ich war einverstanden. „Gern“, sagte ich. Ich gab ihr eine Visitenkarte, auch sie hatte eine, die sie mir gab.

Endlich, wir waren in Dortmund angekommen, nicht dass ich mich auf „zu Hause“ freute, aber ich war froh, dass diese Fahrt endlich vorbei war. Ich ging hinunter zur U-Bahnstation, es kam auch eine Minute später eine Bahn, die in meine Richtung fuhr, es fuhren mehrere Linien dorthin. Bis zu mir waren es fünf Stationen, zum Glück wurde die U-Bahn nicht auch noch zwischendurch aufgehalten, dass hätte mir noch gefehlt. In Berlin stand ich auch einen Tag eine halbe Stunde in der U-Bahn fest.

Von der U-Bahnhaltestelle lief ich noch zwei Minuten bis zu meiner Wohnung. So, da war ich wieder. Irgendwie fühlte ich mich nach den paar Tagen, die ich weg war, noch einsamer als vorher. Die paar Tage, die ich in Berlin war, waren für mich eine Abwechslung, da gab es soviel, was man unternehmen und sehen konnte, und ich hatte längst nicht alles sehen können. Aber jetzt begann bei mir wieder der Alltag. Ich war letztendlich froh, dass ich mit Kirsten in Kontakt blieb.
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Punktestand der Geschichte:   41
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Kommentare zur Story:

  Hallo,

ich freu mich über eure bewertungen,
@ Bine: ja, mit den Düsseldorfern ist das so eine sache, aber mittlerweile hab ich ja auch nicht mehr dieses vorurteil, vor ein paar jahren noch, hätte ich niemals daran gedacht, dass ich dort mal hinziehen möchte :-).
Du hast recht, der schluss ist wirklich etwas knapp erzählt, mir fiel da irgendwie nichts ein, um es noch weiter auszuweiten, das problem hatte ich noch an einigen anderen stellen im laufe des romans. Ich werde auf jeden fall versuchen, diese stellen zu überarbeiten.
@Rosmarin: in den fortsetzungen werden auf jeden fall einige wendungen kommen, aber ich will ja nicht zu viel verraten :-)  
Homo Faber  -  11.04.06 23:20

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Es sind die "zufälligen" Begegnungen, die manchmal etwas verändern. Nicht immer gleich, manchmal sogar, ohne daß Du es merkst.
Gut geschrieben, bin gespannt auf die Fortsetzung.
LG Christa  
CC Huber  -  11.04.06 20:08

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  eine gut geschriebene, nachvollziehbare geschichte. die geschehnisse und gedankengänge fließen harmonisch ineinander. ja, - wenn jemand eine reise tut, kann er was erzählen - . hoffentlich hat die fortsetzung einige wendungen.
lg
rosmarin  
rosmarin  -  11.04.06 08:28

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Meeeeeeeeeeehr! Tolle Geschichte. So real, kommt mir alles so bekannt vor. Gefällt mir richtig gut. Auch das Vorurteil mit den Düsseldorfern. Kam auch erst absolut nicht auf diese Stadt klar, aber mitlerweile gehts ja, weißste ja ;-) Bei der Geschichte könnte man meinen, man hätte hinter dir gesessen oder halt selbst in der Bahn. Freu mich auf die Fortsetzung. Der Schluss mit der U Bahn ist ein wenig hektisch. Aber das untermalt den Wunsch "nach Hause" zu kommen.
Lustig ist, dass ich eben, bevor ich diese Geschichte gelesen habe, einen Text abgeschickt hat, bei dem auch Jemand unter einen Zug bzw. Strassenbahn kommt *lol*
Wünsche dir einen schönen Abend, lass es dir gut gehen
Gruß Sabine  
Sabine Müller  -  10.04.06 23:47

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