Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Heiko Sonnleitner-Seegmüller      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 11. Oktober 2005
Bei Webstories eingestellt: 11. Oktober 2005
Anzahl gesehen: 2500
Seiten: 12

Kapitel 1



1



D. war gerade erst durch die Tür getreten, blieb nahe dem Eingang stehen und ließ seine Blicke durch den Raum gleiten, welcher dem Themenraum eines angesehenen Museums glich. Die Wände hatten keine Fenster und waren mit braunen, glatten, massiven Steintafeln verkleidet, welchen Zeichen aufgemalt waren, die eine scheinbar perfekte Regelmäßigkeit aufwiesen. Inmitten des Raumes standen sieben Steintische, wobei auch auf ihren Seiten diese für D. zwar faszinierenden, aber dennoch sinnlosen Zeichen aufgemalt waren. Auf drei dieser Tische standen mit Gold überzogene Sarkophage, deren Gesichter erkennbar waren und welche mit, außer mit Gold, noch mit weiteren Farben verziert waren, gerade so, als waren sie geschminkt. Stille beherrschte diese unwirkliche Szene und das gedämpfte rötliche Licht tat ein Übriges, um D. den kalten Schauer des unheimlichen über den Rücken zu jagen.

„Gespenstisch, nicht?“, erklang eine zarte Stimme. D. erschrak und wandte sich mit einer schnellen Drehung der Stimme zu. Seine Augen hielten die Frau gefangen, welche lächelnd und auf Antwort wartend vor ihm stand.

„Viel zu kurze giftgrüne Hosen und ein oranges Hemd. Dazu abgetragene Schuhe, nicht rasiert und ungekämmt. Sie müssen D. sein“, fuhr die junge Frau fort, ohne dabei ihr Lächeln zu verlieren.

D. zog verblüfft seine Augenbrauen hoch und schaute dann an sich herunter. „Nachdem ich nicht weiß, wer Sie sind, aber Sie wissen, wer ich bin, wäre es vielleicht ganz nett, einen Ausgleich zu schaffen, finden Sie nicht?“ Während er diesen Satz sprach, richtete er seine Blicke wieder auf jene Frau, die noch immer lächelnd vor ihm stand.

„Nennen Sie mich einfach Miriam“, entgegnete die junge Frau, wobei sie ihm ihre zierliche Hand entgegenstreckte.

D. schaute auf ihre Hand ohne sie zu ergreifen. „Und was wollen Sie hier?“, kam streng und monoton über seine Lippen.

Miriam zog verlegen ihre Hand zurück. Das Lächeln verschwand von ihren Lippen. „Ihnen helfen. Ich wurde beauftragt Ihnen zu helfen. Ich kenne mich mit sowas aus“, sagte sie ernst, wobei sie mit ihrer Hand in den Raum zeigte, ohne dabei auf einen speziellen Punkt zu deuten.

„Und woher kennen Sie mich? Wir wurden uns, wenn ich mich richtig erinnere, noch nie vorgestellt und wir kennen uns auch nicht von.
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..“

„Mir wurde gesagt, Sie seien gestern aus dem Urlaub gekommen, würden zuerst hierher fahren und ich würde Sie mit absoluter Sicherheit an der Kleidung erkennen“, unterbrach ihn die Frau. Dann lächelte sie und betrachtete ihn von unten nach oben. „Und ich muss sagen, Ihr Kollege hatte in allen Punkten recht.“

Zum ersten Mal seit ihrem Zusammentreffen lächelte D. „Dann können Sie mir bestimmt über das hier Auskunft geben.“

Miriam lief an D. vorbei. Ihre Schritte waren schnell und strahlten Selbstbewusstsein aus.

„Und sagen Sie mir doch bitte auch, warum die Spurensicherung hier war und alles so aussieht, als wäre das nicht der Fall gewesen“, rief D. ihr nach, wobei seine Augen ihren Körper abtasteten.

„Weil ich es so wollte. Wissen Sie, einen solchen Raum zu untersuchen, dauert eine Weile und es darf nur hier sein, was und wie es angelegt wurde. Das Zeug der Spurensicherung hätte irritieren oder verfälschen können“, gab Miriam zurück. Sie blieb auf der gegenüberliegenden Seite stehen und wandte sich D. zu. Für einen kurzen Augenblick sah sie wortlos zu D. „Worauf warten Sie? Kommen Sie rüber“, forderte sie den Polizisten auf, welcher noch immer auf ihren Körper starrte.

D. steckte seine Hand in die Hosentasche und lief langsam auf die Frau zu. Während er auf dem Weg war, richtete er seine Augen nur auf Miriam, die wartend auf jener Position stand, welche sie vor einigen Sekunden eingenommen hatte. Nach einigen Sekunden erreichte er sie und blieb vor ihr stehen.

„Kunstraub, Mumienraub oder was ist das hier?“, kam die Frage über D.‘s Lippen.

„Weder noch. Ich denke es waren drei Morde. Könnte aber auch Ihre Theorie gewesen sein. Weiß man noch nicht. Ich sag‘ Ihnen was zu den Wandtafeln“, wehrte sie ab. „Wissen Sie, bei Mumien sollte man das Alter feststellen. Vielleicht haben wir Glück und können durch die Röntgenbilder der Zähne bereits was dazu sagen.“

„Durch die Röntgenbilder, aha“, sagte D. leicht abwertend.

„Ja, Sie Scherzkeks. Schon was davon gehört, dass es im alten Ägypten noch keine Zahnfüllungen gab? Ich tippe auch ohne das zu wissen auf Mord.
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Sehen Sie, die Binden sahen noch nicht sehr alt aus, wenn auch originalgetreu nachgebildet.“

D. lächelte einen Moment. Er war überrascht von dem Auftreten dieser Frau und aus irgendeinem Grund fand er Gefallen an ihrem Wesen.

„Und jetzt?“, wollte D. wissen.

„Und jetzt sag‘ ich Ihnen etwas zu den Wandtafeln“, erklärte Miriam selbstbewusst. Dann wandte sie sich den Tafeln zu. „Die Tafeln wurden wohl mit einer Maschine zugesägt. Sie passen Millimetergenau. Die Zeichen allerdings sind handgearbeitet. Scheinbar auf die gleiche Weise, wie es auch die alten Ägypter taten. Auf den ersten Blick scheint hier alles so gearbeitet zu sein, wie es die alten Ägypter taten.“

„Und dann lässt er die Wandtafeln mit der Maschine zusägen. Na ja, wenn die alten Ägypter solche Maschinen hatten. Hatten Sie doch, oder?“, fragte D. wobei ein Grinsen auf seinen Lippen lag.

Miriam wandte sich dem Grinsenden zu. „Sehr scharfsinnig. Mangelnde Bildung führt wohl automatisch zu dummen Sprüchen“, gab die Frau fast beiläufig zu verstehen. „Wie die Wandtafeln gearbeitet wurden, spielt keine Rolle. Die Ägypter benutzten keine Wandtafeln. Lag wohl daran, dass sie ihre Grabkammern nicht in eine ehemalige Disco eingebaut haben“, erklärte Miriam, wobei sie sich einen kurzen Moment zu D. umdrehte, der ihr Grinsen bemerkte, worauf er ihr zulächelte. „Ich vermute die Person, die das hier gemacht hat, weiß viel über die Ägypter. Das, was ich bisher gesehen habe, ist ziemlich originalgetreu gearbeitet. Und wenn die Ägypter damals keine Wandtafeln benutzten, warum sollte er sich dann mehr Mühe machen als notwendig? Er wollte doch nur eine Grabkammer, die in ihrem Inneren originalgetreu aussieht.

D. betrachtete Miriam für einen Moment. Seine Lippen hatten jenes Grinsen verloren, welches er noch vor einigen Sekunden aufgelegt hatte. „Was können Sie mir über diese Dinger sagen?“, fragte D. wobei er auf die Steintische wies, welche einige Schritte entfernt waren. Miriam wandte sich diesen Tischen zu, verharrte einen Moment, wobei ihr Gesicht verriet, dass sie gerade nachdachte. D. schaute in das Gesicht der Frau; verkniff sich einen seiner Sprüche, welchen er in einer solchen Situation für gewöhnlich zum Besten gab.

„Wissen Sie, die Mumien sind jetzt in der Gerichtsmedizin“, sagte Miriam ohne die Steintische aus den Augen zu lassen.
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„Die Sarkophage sind leer.“

„Stimmt etwas nicht?“

„Doch doch, alles ist prima. Ich frage mich nur, wie man das Gehirn und die Organe entfernt hat. Außerdem würde ich gerne wissen, ob irgendetwas in den Bandagen war und aus was die Bandagen bestanden.“

„Vielleicht sollten wir den Bericht der Gerichtsmedizin abwarten. – Wäre mein Vorschlag“, sagte D.

Miriam sah D. an. Ein Lächeln kam über ihre Lippen. „Sie müssen mich für total bescheuert halten“, gab Miriam zu verstehen, worauf sie leise lachte.

„In den letzten zehn Minuten mindestens fünfmal Wissen sie; ich denke, wir sollten einen gemütlicheren Platz aufsuchen, um weiterzureden. Das heißt, falls Sie mir hier nicht noch etwas Wichtiges zeigen wollen.“

„Eigentlich nicht“, erwiderte Miriam, wobei sie verlegen auf den Boden schaute.



2



Miriam war D. aus dem Gebäude gefolgt, hatte noch kurz zugesehen, wie D. die Tür wieder versiegelte. Dann folgte sie ihm über die Straße, welche mit zahlreichen Autos bestückt war um dann einige Meter weiter unter dem Dach einer kleinen Bude stehen zu bleiben und D. ungläubig anzusehen, wobei sie sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.

„Dass hier nennen Sie also einen gemütlichen Ort?“, fragte Miriam, während sie einen Pappbecher, welcher mit heißem Kaffee gefüllt war, auf den kleinen Tisch stellte, welcher unter diesem recht großen Dach stand. So, wie er scheinbar bereits seit Jahren unter diesem Dach stand. Ihre Augen betasteten die Gegend. Der dröhnende Lärm der unzähligen Fahrzeuge, welche auf der Hauptstraße vorbeifuhren, die nur wenige Meter entfernt war, drang ungehindert in ihre Ohren.“

„Eine Kneipe ist für mich unpassend, ein Restaurant ist mir zu teuer, wobei wir hierfür nicht gerade vorteilhaft angezogen wären, und ein Café ist eindeutig zu langweilig. Also bleibt diese Bude hier - und glauben Sie mir, hier gibt es den besten Kaffee und die beste Currywurst, die Sie jemals gegessen haben“, gab D. zu verstehen, hob dann die Gabel hoch und ließ jenes Stück Wurst, welches er einige Augenblicke zuvor aufgespießt hatte, in seinem Mund verschwinden.
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„Und ich schwöre Ihnen, es ist die beste Currywurst“, fuhr er fort, während er das würzige Stück Wurst zerkaute, um es danach zu schlucken.

Miriam lachte. „Kann ich nicht beurteilen, Sie essen gerade meine Portion, die Sie mir eben noch bezahlt haben.“

D. blickte einen Moment auf die Teller, welche beide nur noch mit einem Rest der Soße gefüllt waren. „Zu spät, weg ist sie“, sagte er verlegen und ließ die Gabel in den Teller fallen. Für einen Moment schwiegen beide und schauten sich wortlos an.

„Sie wollten mehr über diese Kammer wissen. Nehme ich jedenfalls an“, sagte Miriam und war für einen Moment still. D. gab keine Antwort und wartete darauf, dass Miriam ihrem Rededrang, welchen sie offensichtlich verspürte, freien Lauf ließ.

„Wie gesagt, alles ist ziemlich originalgetreu. Wissen Sie, die Schrift wurde oft als Verzierung benutzt. Meistens werden Geschichten erzählt. Die Schrift kann von links nach rechts, von rechts nach links oder von oben nach unten verlaufen. Niemals von unten nach oben“, sagte Miriam und schaute D. während ihrer Worte bedeutungsvoll an. Dann schwieg sie einen kurzen Moment. D. reagierte nicht auf ihr Schweigen. Er verhielt sich, als würde Miriam noch immer ihre Ausführungen fortsetzen und konnte es sich nicht verkneifen, ein oder zweimal zu nicken, als würde er ihr recht geben und aufmerksam zuhören. Miriam rollte mit ihren Augen. „Es ist so, dass Zeichen sowohl Buchstaben als auch Worte bedeuten können. Der größte Unterschied zu den alten Ägyptern ist, dass der, der die Kammer angelegt hat, einige Worte buchstabiert hat, obwohl es dafür Zeichen gibt.“

„Schön, dann haben wir ja was“, entgegnete D. Miriam schaute ihn einen kurzen Moment nachdenklich an.

„Warum haben wir dann was?“

„Das passt irgendwie nicht zusammen. Alles perfekt und dann sowas? Etwas merkwürdig, finden Sie nicht auch?“

Miriam nahm einen Schluck Kaffee aus ihrem Pappbecher. „Das ist Ihr Job, fragen Sie mich nicht“, entgegnete Miriam beiläufig. „Ich liefere nur die Fakten. Außerdem scheinen die Farben wie damals angerührt worden zu sein. Na ja, und diese Steintische und Sarkophage waren auch richtig gut nachgebaut und erst die Kanopen.
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„Was erzählen eigentlich diese Geschichten?“, wollte D. wissen. In seiner Stimme schwang ehrlich Interesse.

Miriam nahm wieder einen Schluck Kaffee aus ihrem Pappbecher. „Normalerweise steht da auch was über das Leben der Mumien. In diesem Fall nicht. Es sind eher allgemeine Geschichten. Über das Leben nach dem Tod und so `n Zeug.“

„Und was sind diese Kanopen?“

„Das sind so kleine Gefäße, in denen man die Organe der Mumien konservierte. Sie standen in einem kleinen Hohlraum unter der Mumie. Bei diesen Mumien waren die Kanopen mit Natronlauge gefüllt. Das ist im alten Ägypten nicht unüblich gewesen.“

„Wozu hat man Mumien gemacht?“

„Das hängt mit dem Glauben zusammen“, erklärte Miriam kurz und nippte daraufhin wieder an ihrem Kaffee.

„Was besagt denn der Glaube?“, gab D. der jungen Frau zurück, die ihre Hand verspielt durch ihre braunen Haare gleiten ließ.

„Na ja, eigentlich nichts, was es in anderen Kulturen nicht auch geben würde. Im Fall der Mumien hat das was mit dem Leben nach dem Tod zu tun.“ Wieder nahm die Frau einen Schluck aus ihrem Pappbecher, wobei ihre Blicke die Blicke des Polizisten kreuzten. Einige Sekunden lang standen sie regungslos auf ihren Plätzen.

„Gibt es irgendetwas Außergewöhnliches in diesem Raum? Irgendetwas das mir weiterhelfen könnte?“, fragte D. und unterbrach damit dieses seltsam vertraute Schweigen. Noch immer hielten sich ihre Blicke gefangen.

„Nein, nichts. Außer dass man solche Grabkammern eigentlich nicht in alten Gebäuden findet, die zur Vermietung ausgeschrieben sind. Und dann eben die Schriftzeichen, die irgendwelche Worte darstellen, für die es eigentlich eigene Zeichen gibt. Na ja, vielleicht findet man was bei den Mumien. Die werden heute untersucht. Ich bin dabei.“ Miriam sprach leise. Ihre Stimme war zart und zurückhaltend. Verlegen spielte sie mit dem nun leeren Pappbecher, löste ihre Blicke von denen des Polizisten, um den Pappbecher zu beobachten, welcher noch immer zwischen ihren Fingern kreiste.

„Ach was, Sie zerlegen die Mumien mit?“, fragte D., wobei er versuchte seine eigene Verlegenheit in den Hintergrund zu drängen. Gleichfalls unterbrach er damit eine Zeit der verlegenen Stille zwischen ihm und jener Frau, die ihm gegenüber stand, noch immer mit dem Pappbecher beschäftigt.
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Sie schien direkte Blicke zu vermeiden; ihnen auszuweichen. D. hingegen versuchte ihre Blicke auf sich zu ziehen. „Was hoffen Sie zu finden?“, fuhr er nach einigen Sekunden fort.

„Eine Antwort darauf, wie alt diese Mumien sind, wer sie sind und woher sie kommen“, gab Miriam zurück. Noch immer bemühte sie sich, seinen Blicken zu entgehen. Und so ließ sie ihre Blicke über die kleine, von der Zeit vergilbten Speisekarte gleiten, um anschließend auf den Boden zu schauen.

„Und was denken Sie?“, fragte der Mann leise.

„Ich denke, die Mumien sind nicht sehr alt. Vielleicht kommen die Menschen aus der näheren Umgebung. Ich meine, wer macht sich schon die Mühe, eine solche Grabkammer aufzubauen und dann noch die Mumien herzustellen, um sie anschließend viele Kilometer hierher zu bringen. Wissen Sie, ich weiß nicht, wo sie mumifiziert wurden. Ich weiß nur, dass dazu eine größere Menge Natron nötig ist. Vielleicht haben Sie damit einen Anhaltspunkt. Wissen Sie, das Zeug gibt es in dieser Menge nicht im Supermarkt. Und irgendjemand muss das Zeug schließlich hergestellt oder importiert haben. Natron wird, wenn ich mich nicht irre, in Gewürzfabriken produziert – oder man lässt es importieren. Wie dem auch sei, eine solche Menge muss auffallen. Spätestens, wenn sie bestellt wird“, erklärte Miriam. Noch immer vermied sie den direkten Blickkontakt zu jenem Mann, der nun vor ihr stand und wortlos auf ihre Worte hörte. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen.

„Nun ja, geeignetes Werkzeug muss auch vorhanden sein. Sehen Sie, wenn er die Mumien wie damals präpariert hat, dann hat der das Gehirn im Schädel zu Püree verarbeitet und anschließend das ganze aus der Nase herauslaufen lassen. Das Gehirn würde jemand der sich auskennt mit Sicherheit nicht vergessen. Es verwest viel zu schnell und das könnte die Mumie beschädigen. Außerdem tippe ich darauf, dass er nur einen kleinen Schnitt für die Organentnahme gemacht hat. Dafür brauchte er Werkzeug. Vielleicht hat er sich selbst welches gebaut, vielleicht hat er irgendwoher auch Originalwerkzeug herbekommen. Jetzt wissen Sie, was ich darüber denke“, beendete Miriam ihre Ausführungen. Dann schaute sie wieder in die Richtung seiner Augen.
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Wieder trafen sich die Blicke und wieder hielten sich ihre Blicke gefangen.

„Ich dachte, solche Schlussfolgerungen wären meine Arbeit?“, sagte D. beinahe zärtlich.

„Nun ja, einige Gedanken mache ich mir schon“, gab sie ihm leise lächelnd zurück. „Wenn ich dabei sein will, wenn die Mumien ausgepackt werden, sollte ich jetzt gehen“, stellte sie fest, ohne ihre Blicke von D. zu lösen.

„Sagen Sie mir bescheid, was Sie herausgefunden haben?“

„Ich denke, die ersten Befunde werden wir heute noch haben. Ich schicke sie Ihnen per Fax zu. Wenn ich die Mumien genauer untersuche, dauert das natürlich ein paar Tage. Ich kann ja zu Ihnen in Ihr Büro kommen und die Fakten mit Ihnen besprechen.“

„Ich würde mich darüber freuen“, sagte D. Miriam klopfte noch dreimal mit dem Pappbecher auf den kleinen Tisch. Dann lächelte sie noch einmal, lief mit dem Becher zu dem kleinen Mülleimer neben dem Eingang und warf ihn hinein. Bevor sie hinter der kleinen Wand verschwand schaute sie noch einmal zu D. zurück, hob die Hand. „Bis dann.“

D. hob ebenfalls die Hand und beobachtete, wie diese Frau hinter der kleinen Wand verschwand. Er blieb noch einige Zeit stehen und dachte über diese Mumien nach. Und über jene Frau, mit der er an diesem Morgen einige Zeit verbracht hatte.



3



D. saß hinter seinem hellen, mit Kunststoffurnieren bestückten Schreibtisch. Das kalte Licht der Neonröhre verlief sich im Licht der Sonne, die noch immer hoch am Himmel stand. Alles im Raum war still. Die Stille wurde nur gelegentlich von einer Stimme unterbrochen, welche von irgendeinem Menschen, der zufällig an dieser Tür vorbeikam, unterbrochen. Hin und wieder hörte man noch die eiligen Schritte von Kollegen, die gerade einen Einsatz hatten und durch ihre schnellen Schritte härter auf dem Boden aufkamen, als dies normal war.

Die Gedanken des jungen Polizisten kreisten um jene junge Frau, welcher er vor zwei oder drei Stunden getroffen hatte und deren Bild ihm noch immer im Gedächtnis verweilte, als stünde sie noch vor ihm; als sei sie noch immer in seiner Nähe. Auch ihre Worte kreisten noch immer in seinem Gedächtnis.

Lustlos, unkonzentriert blätterte er in jener Akte, welche nur dünn war und bereits bei seiner Ankunft auf diesem Tisch lag.
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D. hatte diese Akte in den vergangenen Stunden schon einige male gelesen. Immer wieder hatte er versucht irgendetwas in der Akte zu finden, das ihn weiterbringen könnte; irgendetwas, das verwertbar war. Doch so sehr er sich bemühte, er konnte nichts finden. Vielleicht waren es seine Gedanken, die ihn immer wieder abschweifen ließen, vielleicht war es auch nur der Umstand, dass seine Kollegen noch keine verwertbaren Fakten sammeln konnten, die man hätte in dieser Akte ablegen können.

„Nach was suche ich eigentlich? Wer sagt denn, dass die drei Mumien ermordet wurden? Wer sagt mir denn, dass die Mumien nicht schon hunderte Jahre alt sind? Vielleicht ist es einfach nur ein Kunstraub oder irgendetwas in der Art, dann hätte ich wenigstens nichts damit zu tun“, murmelte der Beamte in den leeren Raum. Eine Hoffnung, die in ihm aufkeimte, als er erfuhr, welchen Fall er übernehmen sollte. Direkt nach seinem Urlaub. Der junge Beamte war der Meinung, es müsse ein Kindheitstrauma gewesen sein, das ihn dazu bewog, Gefühle beim Gedanken an diesen Fall zu entwickeln, die ihn nachdenklich, ängstlich stimmten. Ängstlich genug, um diesen Fall abzugeben. Doch es war seine Arbeit und so versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.

Ein verhaltenes Klopfen drang von der Tür her durch den Raum. D. schloss die Akte, warf sie einige Zentimeter weit weg, so dass sie am anderen Ende des Tisches liegen blieb. Nachdem die Schriftstücke auf dem Tisch landeten und nach einem kurzen Rutschen zum liegen kamen, atmete D. noch einmal tief durch. „Herein.“

Die Tür öffnete sich und ein Uniformierter betrat den Raum.

„Was gibt’s?“, sagte D., wobei er aus dem Fenster sah.

„Da kam gerade was aus dem Fax“, erwiderte der Uniformierte, schloss die Tür, lief auf den Schreibtisch zu und warf einige Blätter Papier vor D. auf den Tisch.

„Schätze, das ist von der Gerichtsmedizin“, gab D. monoton in den Raum, seine Augen noch immer auf das Fenster gerichtet, so dass es auf den Beamten, welcher nun wortlos vor dem Tisch stand, den Eindruck erweckte, D. würde sich langweilen.

„Gut geraten“, gab der Hereingekommene nach einem kurzen Moment des Schweigens bekannt. „Seltsamer Fall, das mit den Mumien.
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Ich und Harry waren die ersten, die in dieser Disco waren.“

D. wandte sich dem Uniformierten zu. „Was war denn los?“

„Gegen Mittag hatte der Eigentümer von dem Laden angerufen. Hat gemeint, wir sollten mal vorbeischauen. Irgendjemand wäre in diesen Laden eingebrochen. Zuerst dachten wir an eine Kleinigkeit. Was soll es in einer alten Disco zu holen geben, die seit Jahren niemand mehr betreibt. Wir dachten an ein paar Jugendliche, die sich daraus einen Spaß gemacht haben oder sich dort umsehen wollten. Ist bei den Eltern in der Stadt ja auch bekannt gewesen, der Schuppen. Als wir dort angekommen sind und uns den Laden angesehen haben, hat uns der Schlag getroffen. Du kannst dir vorstellen, wie es uns gegangen ist, als wir gemerkt haben, dass das da drin keine Kulisse ist, die jemand aus Zeitvertreib aufgebaut hat. Wir wussten zunächst auch nicht, welche Abteilung wir holen sollten. Nachdem da drei von diesen Särgen rumstanden, haben wir uns dafür entschieden die vom Mord zu holen.“

„Ohne reinzuschauen?“

„Natürlich haben wir die Dinger aufgemacht.“

„Habt ihr den Vermieter befragt?“

„Klar haben wir das. Es hatte niemand Zugang zu dem Gebäude. Es gab schon einige Interessenten, seit die Disco dicht gemacht worden ist, der letzte davon vor zwei Monaten. Damals wurde die Disco besichtigt und da war noch alles in Ordnung. Keine Spur von irgendwelchen Mumien. Der Vermieter hat erzählt, dass nach diesem Interessenten keiner mehr eine Besichtigung von dem Gebäude wollte. Das Interesse hat wohl nachgelassen. Vorher hat er beinahe jede Woche eine Besichtigung gemacht“, gab der uniformierte Beamte zu verstehen. D. überlegte einen Moment.

„So viele Interessenten und keiner nimmt den Bau?“

„Na ja, das Gebäude ist nicht gerade in einem Zustand, bei dem man sagen kann, das hält dreißig Jahre. Innen musste zu diesem Zeitpunkt auch viel gemacht werden. Kann ich mir gut vorstellen, dass die Leute sich das dann anders überlegt haben. Und dass seit zwei Monaten Ruhe mit Besichtigung ist, kann ich mir auch gut vorstellen. Irgendwann gibt es einfach niemanden mehr, der sich dafür interessieren könnte“, erklärte der Uniformierte.

„Sonst irgendwas?“, fragte D.

„Nein, die von der Spurensicherung haben auch nichts gefunden, so weit ich weiß.
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„Warum gehört der Fall eigentlich mir? Ich war im Urlaub und in den paar Tagen hätte der Fall jemand anderes übernehmen können?“

„Weiß nicht. Es wollte sich niemand an die Sache `ran wagen. Warum, weiß ich ehrlich nicht. Könnte aber daran liegen, dass es noch jede Menge andere Fälle gibt, die schließlich auch bearbeitet werden wollen.“

„Danke“, gab D. dem Mann zurück, der sich nun wieder auf die Tür zubewegte, diese öffnete, um danach aus dem Zimmer zu treten und die Tür wieder leise zu schließen. Wieder kehrte diese Ruhe ein, die wieder nur von einigen leisen Stimmen auf dem Flur unterbrochen wurde.

D. nahm das Papier, welches der Uniformierte vor einigen Minuten vor ihm auf den Tisch geworfen hatte.

D. konnte verstehen, dass seine Kollegen, sah man einmal von der Fülle der Fälle ab, die zu bearbeiten waren, diesen Fall nicht übernehmen wollten. Er selbst fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass es vielleicht wirklich Mord war und diese Möglichkeit hielt er selbst nun für immer wahrscheinlicher. Er wusste nicht warum, doch immer wieder keimte in ihm die Hoffnung auf, diese Mumien waren ein einfacher Kunstraub. Vielleicht wollte sich jemand auf diese illegale Weise sein privates Museum sichern. Entspräche dies der Realität, so wäre er nicht verantwortlich. Er könnte diesen Fall einfach abgeben. Doch es gab noch seine Logik und die widersprach der Vorstellung, es könne sich um etwas handeln, das nicht in seinem Aufgabengebiet liege. Hätte jemand das Geld gehabt, sich diese Kulisse bauen zu lassen und dann noch die Mumien zu importieren oder irgendwoher stehlen zu lassen, hätte er mit Sicherheit auch das Geld gehabt, sich einen Raum anzumieten. Er hätte gewollt, dass man nicht in seine Räume kommt; dass man diese Mumien nicht findet. Doch auf diese Weise, die Mumien in einen Raum zu legen, der besichtigt werden könnte, musste er damit gerechnet haben, dass man diese Mumien findet. Vielleicht war es sogar seine Absicht, dass diese Mumien gefunden werden. Wenn er vielleicht auch nicht gewollt hat, dass diese Mumien so schnell gefunden werden, denn es waren sieben Steintische und nur drei Pakete. Es fehlten noch vier in Stoff eingehüllte Leichen. Doch wenn es seine Absicht war, dass diese Mumien gefunden werden, so kam unweigerlich die Frage auf, warum er dies wollte.
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War es Geltungsdrang oder hatte es vielleicht einen anderen Hintergrund. D. hielt es allerdings für sicher, dass es, egal ob sie tausende von Jahren oder nur zwei Tage alt waren, noch weitere Mumien geben wird. Nur wusste er, nachdem diese Lagerstätte gefunden wurde, noch nicht, wo es diese Mumien geben würde.

Vielleicht waren dies auch mit die Gründe, warum sich niemand die Mühe machte, diesen Fall zu bearbeiten. Wer will schon einen Fall bearbeiten, bei dem niemand weiß, wie viele Mumien es noch werden würden und es nicht den geringsten Anhaltspunkt gab? Bisher war noch nichts an die Öffentlichkeit getragen worden. Wie groß würde der Druck werden, würde dieser Fall veröffentlicht werden? Und um wieviel mehr würde der Druck sich steigern, wenn bekannt werden würde, dass man davon ausgehen muss, dass es noch mehr Mumien geben würde?

D. betrachtete die erste Seite dieser Blätter. Seine Augen versuchten das wichtige von den schmückenden Beiwerken zu trennen.



... zeigen die Röntgenbilder des Gebisses Füllungen an den Backenzähnen, die den Schluss nahe legen, dass es sich bei den Personen nicht um Menschen aus der Zeit handelt, die bei dieser Bestattungsart anzunehmen wäre.



... zeigen die Bilder Einstiche in der Herzgegend und



... ist davon auszugehen, dass es sich um Personen handelt, an denen Handlungen vorgenommen wurden...



... ist aufgrund der bisher vorliegenden Befunde von einer Tötung durch fremde Personen auszugehen.



D. schmiss die Blätter auf den Tisch, betrachtete sie noch einen Moment. Dann stand er auf und lief auf das Fenster zu. Seine Augen fixierten einen Punkt am Horizont.
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Kommentare zur Story:

  Da also "versteckt" sich HEIKO - Sonnleitner ...!
Ob DOSKA oder HOLDRIANDER es wollen interessiert mich aktuell eigentlich weniger.

Mich interessiert lediglich, warum Sie Ihre alte Fortsetzungsgeschichte (Labyrinth) nicht mal kurz aufrufen und die Folgebeiträge sowohl von den beiden vorgenannten Mitstreitern als auch meine checken und dann ersatzlos löschen oder akzeptieren.

Es ist nämlich frustrierend zu schreiben und zu schreiben - ohne dass man vom URSPRUNGSAUTOR zumindest ein vages WINKE-WINKE erhält. O.K. - oder hat jetzt auch wieder, wer auch immer - was zu meckern, zu streichen ....  
   Simon Templar  -  23.03.09 16:25

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  Hallo Heiko!
Nun wollte ich doch mal etwas von dir lesen, weil du so allen tollen Anfang als Fortsetzungsgeschichte in`s Netz gestellt hattest. Ich weiß, das ist schon etliche Jährchen her, aber mich interessiert dein Talent. Auch hier fängt alles erst einmal sehr spannend an, aber man wartet vergeblich auf die Pointe. Das liegt wohl daran, dass du nur ein erstes Kapitel veröffentlicht hast.  
   doska  -  25.02.09 10:47

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  Sorry hab die Bewertung vergessen.
Heute gibts nur ein Mittel, aber wenns das nächste mal überarbeitet is, gibts was mehr!  
Bianca  -  12.10.05 18:36

   Zustimmungen: 3     Zustimmen

  Hallo!

Ich finde du solltest das Kapitel auf jeden Fall nochmal überarbeiten. (Aber das weißt du ja schon ;-))
Dabei solltest du darauf achten, nicht immer solch riesige Sätze zu bilden. Ausserdem solltest du das Wörtchen "welche" nicht so oft benutzen. Das liest sich nicht sehr gut.

Ich denke es gibt da einige Stellen, an denen du noch verbessern kannst.

So genug gemeckert. ;-)

Ich muss ehrlich sagen, am Anfang musste ich mich ein bisschen zwingen weiterzulesen (wegen der obigen Punkte). Aber du hattest meine Neugier geweckt und ich musste doch wissen wie es weitergeht! :-)

Gegen Ende sind auch deine Sätze besser/kürzer geworden und es hat sich immer besser lesen lassen!

Eine gewisse Spannung die einen neugierig macht ist auch vorhanden!

Also meine Bitte: Auf jeden Fall weiterschreiben, aber das nächste mal, das Kapitel vorm Einstellen unbedingt nochmal überarbeiten! ;-)

So, habe fertig! :-)

LG Bianca  
Bianca  -  12.10.05 18:35

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  Hallo Leute,

ich habe die Geschichte noch nicht korrigiert und auch noch nicht überarbeitet. Es handelt sich auch lediglich nur um das erste Kapitel. Ich weiß, daß noch Fehler vorhanden sind. Nehmt es mir bitte nicht übel  
Heiko Sonnleitner-Seegmüller  -  12.10.05 10:58

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