Die kleine Forelle Eleonora   283

Kurzgeschichten · Für Kinder

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. August 2001
Bei Webstories eingestellt: 27. August 2001
Anzahl gesehen: 3075
Seiten: 4

Aus den Bergen kam er, dieser kleine wilde Bach. Seit alters her rundete er das Gestein, grub sich ein, sprang übermütig die Felsen herab, machte Umwege, wenn es ihm gefiel, bildete kleine, klare, muldenförmige Teiche, um sich dann letztlich erschöpft in den Fluß zu ergießen, der auch ihm sein Dasein verdankte.



Die Sonne an diesem späten Frühlingstag stand schon so hoch, daß ihre Strahlen über die Spitzen der gewaltigen Fichten lugten um sich in den kleinen Wellen eines Teiches zu tausenden von flirrenden Lichtern zu brechen. In dieser flachen Mulde, wo sich unser Bach eine Atempause gönnte, war Eleonora zu Hause. Sie war eine junge, zierliche Forelle, deren braun-grünliches Kleid mit leuchtend roten Punkten verziert war. Sie bewegte sich nicht, sie war, wie immer, traurig. Sie kannte ihre Eltern nicht, sie hatte keine Spielgefährten, sie fühlte sich einsam und nicht geborgen. Daß ihre Umgebung so schön und friedvoll war, daß die Sonnenstrahlen sie umflossen, all dies spendete ihr keinen Trost. Ihr Herz floß über an zärtlichen Gefühlen. Aber wen hätte sie damit lieben können. Und eine große schwere Träne tropfte in den Bach.



Als dies geschehen, wurde der Bach aufmerksam auf sie. Er bildete um sie einen Strudel und betrachtete sie von allen Seiten. Er kannte viele Forellen, aber fürwahr, diese war besonders hübsch", dachte der alte Bach sinnierend vor sich hin. Er bemerkte ihre Traurigkeit, denn er schmeckte ihre Träne. Mit seiner tiefen Stimme fragte er sie nach ihrem Leid und erfuhr somit von ihrer Einsamkeit. Er mußte eine Weile angestrengt nachdenken, während Eleonora es zuließ, daß der Strudel sie liebkosend um sie selbst drehte. Ein schönes Gefühl, dachte sie und war froh darüber, daß jemand mit ihr sprach. Und es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte einen Sprung aus dem Wasser gemacht, aber das traute sie sich dann doch nicht.



Nach einer langen Stille des Nachdenkens gab der Bach seiner Stimme einen bedeutsamen Ton: "Nun ja, nun ja kleines Fräulein, weder in meinen Ober- noch in meinem Unterlauf kenne ich Deinesgleichen. Das ist ein Problem. Ich weiß nur, wo sich Frösche aufhalten. Aber die sind mal in mir, mal hüpfen sie wer weiß wo rum.
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Außerdem sind sie laut. Nun, das sind keine richtigen Spielgefährten für dich. Nein, nicht wirklich. Junges Fräulein, ich glaube, du mußt eine Reise antreten, um Deinesgleichen zu finden. Eine Tagesreise von hier münde ich in einen großen und breiten Fluß. Ich kenne ihn zwar nicht, wie soll ich auch, aber es tönen doch eine Vielfalt von Stimmen zu mir herüber. Es mag einen Versuch wert sein. Letztlich kannst du ja jederzeit zu mir zurückkehren."



Eleonora neigte sich ein wenig auf die Seite und schaute den Bach mit angstweiten Augen an: "So weit soll ich von hier fortschwimmen?" schluchzte sie.

"Nun, von nichts kommt nichts. Unternimm etwas. Sonst findest du aus deiner mißlichen

Lage nie heraus." erwiderte er und beinahe hätte der weise Bach noch hinzugefügt, daß nur dem Starken die Welt gehört, aber dazu sah sie nun doch zu zierlich aus. "Ich nehme dich mit!" entschied er sanft. Und ohne ihre Zustimmung abzuwarten, führte der kleine Strudel sie bereits fort. Unterwegs mußte der Bach ihr noch viel Zuversicht geben und sie auch ein wenig festhalten, sonst wäre Eleonora so manches Mal zurückgeschwommen. Nach ziemlich genau einer Tagesreise sagte dann der Bach zu ihr: "Nun mußt du den Weg alleine fortsetzen, weiter kann ich dich nicht begleiten. Du weißt, wo du mich findest."

Bevor sie antworten konnte, trug sie eine große Strömung fort. Und für einen Augenblick dachte sie, sie sei blind, denn sie konnte fast nichts mehr sehen. Aber wenn sie nach oben spähte, sah sie Lichtschein. Es mußte also das schmutzige Wasser der Grund dafür sein, daß sie nichts sehen konnte. Und welch? dröhnende Geräusche sie umgaben! Verschreckt flüchtete sie ans Ufer und suchte unter einem farnartigen Blatt Unterschlupf. Da kicherte doch jemand. Sie sah sich um und entdeckte unter sich ein großes, ovales Wesen mit vielen Beinen und mit einem schwarzen Panzer bewehrt. Es balancierte auf einem Stengel und kicherte vor sich hin: "He, Kleine, komm mal näher, ich hab? noch nichts im Magen!" Eleonora empfand diese Aufforderung als Befehl und näherte sich ihm. In seine Reichweite gekommen, zwickte sie dieser dicke Vielfüßler derart kräftig in den Bauch, daß Eleonora vor Schmerz aufschrie und sich mit einem kräftigen Stoß zurück in den Strom warf.
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Dort don-nerte in diesem Augenblick ein großes Ungeheuer mit einem solchen Getöse über sie hin-weg, daß sie meinte ihren Verstand zu verlieren. Wo war sie nur hingeraten! Hier würde sie nicht leben können. Ein solches Gefühl von Einsamkeit und der Verzweiflung überkam sie, wie sie es in ihrem jungen Leben noch nicht erfahren hatte. Heimweh nach ihrem Bach stellte sich ein. War doch die in ihm empfundene Einsamkeit tausendfach besser zu er-tragen als dieses unüberschaubare Labyrinth von Scheußlichkeiten, in dem sie sich nun befand. Sie änderte die Richtung und schwamm gegen den starken Strom an mit einer tiefen Sehnsucht im Herzen, ihren Bach wiederzufinden. Und weil ihr Wille stark war, fand sie ihn wirklich wieder.



Der Bach hatte sich derweil doch Sorgen gemacht, ob sein Rat der richtige gewesen sei. So hielt er denn immer öfter Ausschau nach ihr. ?Hilf mir in dein Bett" ertönte vor ihm eine helle ängstliche Stimme. Tatsächlich, es war Eleonora , die sich ihm mit ihrer letzten Kraft näherte. Er schickte ihr einen kleinen Strudel zu Hilfe, der sie sanft an sich zog. Beide waren so glücklich sich wieder zu sehen, daß es eine Weile brauchte, bis er sagte: ?Kleines, ich habe eine Überraschung für dich." Erschöpft, aber doch nicht erschöpft genug, um neu-gierig zu sein, wollte sie wissen, um welche Überraschung es sich handelt und dies immer wieder, während sie zurück zu ihrer Mulde schwamm, die ihr Zuhause war. Aber der alte, weise Bach schmunzelte in sich hinein. Es sollte eine Überraschung bleiben.



Als sie erleichtert in ihre kleine Mulde schlüpfte, begrüßte sie eine dunkle, warme Stimme: ?Da bist du ja, ich habe auf dich gewartet. Der Bach hat mich hierher gebracht." Erschroc-ken erspähte sie rechts von sich eine große, schlanke andere Forelle. Da sie schüchtern war, riskierte sie keinen zweiten Blick und schwamm in die Mitte ihrer Mulde weiter. Die große dunkle Forelle, die übrigens Max hieß, umkreiste Eleonora langsam, einmal links rum und dann rechts rum, sich mit jedem Auge vergewissernd, ob der Bach nicht bzgl. der Schönheit von Eleonora übertrieben hatte. ?Willst du mich denn gar nicht begrüßen?" frage er sie sodann, offensichtlich sehr zufrieden damit, was er gesehen hatte.
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?Doch" kam wispernd und kaum vernehmlich als Antwort. ?Doch, doch" wiederholte sie schon mutiger. Dabei warf sie zwei Augen in seine Richtung. Max mußte schon älter sein, trug er doch Moos auf seinen beiden Kiemen. Das stand ihm gut und verlieh ihm eine gewisse Würde. Er bemerkte, daß ihre Blicke auf ihm ruhten. Er drehte sich langsam um, so daß er sie in Rückenlage umkreiste. Ein sehr seltenes Kunststück für eine Forelle. Das mußte sie beein-drucken. Und feierlich, sich voll der Bedeutung des Augenblickes bewußt, sagte er in dieser Haltung mit dem Bauch nach oben: ?Du sollst nicht weinen, denn ich bin hier und liebe dich."

Als Eleonora dies vernahm, war ihre Pein zuende und eine dicke Träne, schillernd wie eine seltene Perle, vermischte sich mit dem Wasser des Baches, aber dieses Mal nicht aus Kummer, sondern aus Freude.




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Kommentare zur Story:

  Mir gefällt die Geschichte auch. Nett erzählt, es wurde nicht langweilig. LG Sabine  
   Sommertänzerin  -  18.08.08 09:17

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  An sich eine nette Geschichte zum Vorlesen für kleine Kinder. Einfach Handlung und nicht zu viele Informationen. Der Mittelteil ist jedoch zu kurz geraten, meiner Meinung nach. Ihre Zeit außerhalb des Baches hätte man ausbauen können.

Gut.  
Redfrettchen  -  30.11.03 09:30

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Wunderschoenes Maerchen. Schreib weiter so!!  
werwoelfin  -  21.03.02 00:18

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