Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 20. Februar 2002
Bei Webstories eingestellt: 20. Februar 2002
Anzahl gesehen: 2789
Seiten: 3

Ein Clown war deshalb so berühmt, weil er zwischen Lachen und Weinen nicht mehr zu unterscheiden wußte. Das war aber auch der Grund dafür, daß sich nach und nach seine eigenen Schatten dergestalt über ihn senkten, daß er gezwungen war, sie als Ängste wahrzunehmen. Als diese so stark wurden, daß sie ihm die Sicht nahmen, und er in tiefe Finsternis abzugleiten drohte, erhob er seine Augen flehend nach oben mit dem Ausruf: „Ihr Mächte erbarmt Euch meiner!“ Woraufhin ihm ein großer männlicher Engel mit wallendem Haupthaar und einem flammenden Schwert in seiner Rechten erschien und ihn fragte: „Bist Du bereit, die Verantwortung für Deine Taten und Unterlassungen zu übernehmen und derart vor das höchste Gericht zu treten und dessen Urteilsspruch als Deine Dir bestimmte Gerechtigkeit anzuerkennen, auf daß Dir Friede beschert sein möge.“ Darauf antwortete der Clown leise doch ohne Zögern: „Ja, dazu bin ich bereit.“



Der Engel sah den Clown ernst und streng an, führte ihn in eine enge Zelle und trug ihm auf zu beten, bis die Stunde seiner Wahrheit gekommen sei. Wie ihm geheißen, verbrachte der Clown Tage und Nächte betend vor seiner Lagerstatt. Und so manche Versuchung, sein Schicksal und Gott zu verfluchen, schüttelte seine Glieder.

Dann endlich klopfte es gebieterisch an seine Zellentür, und er vernahm die tiefe Stimme des Engels: „Streife Dein Büßergewand über und folge mir mit gesenktem Blick, denn Deine Stunde ist gekommen.“ Und er folgte dem Engel. Doch war er nicht imstande, den Blick zu senken. So trat er vor seine fünf in blendendes Weiß gekleidete Richter und vor seine fünf in leuchtendes Rot gekleidete Ankläger. Und es schien ihm, als sei er jedem der fünf Ankläger schon einmal in seinem Leben begegnet.



Nach einer Pause tiefster Stille fragte der Oberste Richter den Clown von seiner Erhöhung herab: „Angeklagter, warum senkst Du nicht den Blick, wie Dir geheißen?“ Und der Clown antwortete: „Weil ich als freier Mensch vor Euch getreten bin.“ Der Oberste Richter jedoch entgegnete mit einem Blick in die Ferne gerichtet: „Wenn Du ein freier Mensch wärst, wie es Dich dünkt, dann stündest Du jetzt nicht vor uns.“ Daraufhin drückte der Engel den Kopf des Clowns unbezwingbar nach unten, so daß dieser seinen Blick senken mußte.
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Sodann traten nacheinander die fünf Ankläger vor.

Der Erste sagte: „Ich klage Dich an wegen falschen Stolzes.“

Der Zweite sagte: „Ich klage Dich an wegen zerstörerischer Habgier.“

Der Dritte sagte: „Ich klage Dich an wegen tierischer Wollust.“

Der Vierte sagte: „Ich klage Dich an wegen verletzender Überheblichkeit.“

Und der Fünfte trat vor und sagte: „Ich klage Dich an wegen dumpfer Ignoranz.“



Der Oberste Richter richtete den Blick auf den Clown und fragte ihn sodann: „Angeklagter, Du hast den Vorwurf der fünf Todsünden vernommen. Was hast Du darauf zu Deiner Verteidigung zu erwidern? Sprich!“ Doch der Clown verharrte mit gesenktem Blick in Schweigen. Und seine Augen füllten sich mit Tränen des unvergänglichen Schmerzes.



Die Ankläger verließen daraufhin einer nach dem anderen den Raum, und die Richter zogen sich zur Beratung zurück. Nach einer kurzen Zeitspanne, die dem Clown jedoch wie eine Ewigkeit erschienen war, kehrten die Richter in schwarzer Robe zurück. Der Oberste Richter legte ein dickes Buch vor sich hin und hob wie folgt zu sprechen an: „Angeklagter, wir haben die schweren Anschuldigungen gegen Dich vernommen. Wir haben in Deinem vor uns liegenden Lebensbuch geblättert, Seite für Seite, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Wir haben Dich im Sinne der Anklage für schuldig befunden. Und nun holt zur Verkündung des Strafmaßes die ehemaligen Ankläger herein.“



Die ehemaligen Ankläger hatten ihre roten Roben abgelegt. Sie betraten als einfach gekleidete Menschen den Raum, vier Frauen und ein Mann.



Der Oberste Richter fuhr sodann fort, indem er sagte: „Angeklagter, sieh mich an und höre nun Deine Strafe. Wir verhängen über Dich als Strafe das Fegefeuer, das wir zeitlich auf die Spanne Deines bisherigen Lebens begrenzen.“ Sodann schwieg er. Zu den fünf ehemaligen Anklägern blickend, sprach er weiter: „Jedoch,“ es entstand eine Pause, wobei jeder der fünf ehemaligen Ankläger einer nach dem anderen erst zögerlich doch dann entschlossen zustimmend mit dem Kopf nickte, und dann fuhr der Oberste Richter fort: „Jedoch setzen wir Deine Strafe zur Bewährung aus.
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Denn für Dein Tun und Unterlassen im Sinne der Anklage erkennen wir auf mildernde Umstände. Wir sehen, daß Du Dich nicht von bösem Willen hast leiten lassen. Und wir würdigen, daß Du mutig, freiwillig und vorzeitig vor die Schranken dieses Gerichtes getreten bist.“

So sprach der Oberste Richter, indem er das Buch des Lebens zuschlug.



Der Engel, der die ganze Zeit neben dem Clown gestanden und dabei seinen Blick keinen Augenblick von dem Obersten Richter abgewendet hatte, nahm den Clown an die Hand und führte ihn in gleißendes Licht nach draußen. Als der Clown seine Augen zum Himmel richtete, vernahm er die Worte des Engels: „Gehe hin in Frieden und bringe den Menschen Freude.“






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Kommentare zur Story:

  Ich finde, dass gerade dieses christlich-fantastische der Geschichte einen besonderen Anreiz geben (kann natürlich auch an den vielen Computerspielen meinerseits liegen).
Sehr schöne Story, obwohl mir der Anfang nicht gefällt. Ich hätte auch noch eine gewisse 'Pointe' erwartet, etwas im Bezug auf das Clownsleben.

Sehr gut, allerdings zu gut tendierend.  
Redfrettchen  -  30.11.03 09:31

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  Erinnert mich ein bisschen an die Beschreibung des Totengerichtes aus dem altägyptischen Totenbuch - nur dass es dort zweiundvierzig Richter sind und nicht nur fünf. Ebenfalls gut finde ich, dass "Fegefeuer" als Bewusstseinszustand gedeutet wird und nicht als realer Ort auf irgendeiner Raumzeitebene. Nur das Engelgeöns, die Beterei und das ganze hat einen zu stark einengenden, christlich-dogmatischen Beigeschmack.
4 Punkte  
Gwenhwyfar  -  03.07.02 14:57

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Ist super geschrieben, aber mir zu korrekt und religiös  
Pascal  -  24.03.02 13:42

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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