Spannendes · Kurzgeschichten

Von:    Profil gelöscht      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. Juni 2001
Bei Webstories eingestellt: 19. Juni 2001
Anzahl gesehen: 2175
Seiten: 3

Es war die übliche Verabschiedungs-Stehparty. Die ganze

Redaktion hatte sich im großen Konferenzraum versammelt, den Prosecco in der einen, das Fingerfood in der anderen Hand. Verlagsleiter Cohn beendete gerade seine

schwungvolle Lobeshymne auf den scheidenden

Chefredakteur als Stefan Mahn, der Stellvertreter, etwas

abgehetzt den Raum betrat.



"Tschuldigung, der Titel musste noch raus."

"Aber ich bitte Sie", sagte Cohn, "Ihr unermüdlicher Einsatz

und Ihr Engagement haben Ihren jeweiligen Chefredakteuren ja erst den nötigen Freiraum verschafft. Und ich bin zuversichtlich, dass Sie auch den Nachfolger von Andreas Leichtenfeld mit der gleichen Effizienz unterstützen werden."



Nachfolger? Stefan Mahn wurde noch eine Nuance blasser

als sonst. Er musste sich an dem Stehtisch festhalten, um

nicht umzukippen. Die Reden waren beendet, das

Stimmengewirr schwoll an. Den Nachfolger unterstützen.

Cohn hatte ihm fest versprochen, dass er auf den Posten des Chefredakteurs nachrücken würde. Leichtenfeld kam auf ihn zu und bedankte sich noch einmal artig und formvollendet für die gute Zusammenarbeit. Mahn hörte kaum, was er sagte. Warum erfuhr er erst jetzt von diesem Nachfolger? Und noch dazu auf diese demütigende Art und Weise?



Plötzlich stand Cohn neben ihm. An seiner Seite Gero

Wilder, der Macher des erfolgreichen Konkurrenzblattes.

"Herr Wilder, darf ich Ihnen Stefan Mahn, Ihren zukünftigen

Stellvertreter vorstellen. Herr Mahn, Gero Wilder wird ab

sofort die Position von Herrn Leichtenfeld übernehmen. Ich

bin sicher, dass Sie beide hervorragend zusammenarbeiten

werden."



"Und das willst Du Dir gefallen lassen?", Annabelle knallte

die Kühlschranktür zu und ging ohne ihn eines weiteren

Blicks zu würdigen hinauf ins Schlafzimmer. Resigniert

schenkte Mahn sich noch einen Whisky ein. Als er

Annabelle kennen lernte, war sie die Freundin seines älteren

Bruders Alexander. Die beiden schienen wie füreinander

geschaffen: schön, intelligent, lebens- und abenteuerlustig.

Doch eines Tages kostete Alexander die Abenteuerlust das

Leben. Beim Versuch einer Einhand-Weltumsegelung

kenterte sein Boot und er ertrank irgendwo vor dem Kap der Guten Hoffnung.
Seite 1 von 3       
Stefan Mahn übernahm die Rolle des

ritterlichen Trostspenders, und nach zwei Jahren hatte

Annabelle sich so seine fürsorgliche und zärtliche

Anwesenheit gewöhnt, dass sie einwilligte, seine Frau zu

werden. Damals hatte er gerade bei dem Blatt angefangen

und man sagte ihm eine glänzende Karriere voraus. Ein Jahr

später war er bereits stellvertretender Chefredakteur. Doch das war jetzt mehr als fünf Jahre her.

Mahn löschte das Licht und ging die Treppe hinauf. Er öffnete die Schlafzimmertür ganz leise. Annabelle stellte sich schlafend. Das Mondlicht schien direkt auf ihr Kopfkissen, und er sah ihre Augenlider zucken. Als er sich neben sie legte und versuchte, sie zu berühren, rückte sie von ihm weg. Mahn drehte sich auf den Rücken und versuchte, sich zu konzentrieren.

Als er um sechs Uhr aufstand hatte er zwar keine Sekunde geschlafen,aber er fühlte sich ungewöhnlich frisch, denn sein Plan stand fest.



Zwei Monate später hatte Wilder längst sein Büro bezogen

und mit der klassischen "Neue Besen kehren

gut"-Mentalitität die Hälfte der Redaktion in Angst und

Schrecken versetzt. Die andere Hälfte lebte eher nach dem

Motto "Ich habe schon sieben Chefredakteure überlebt - den

hier schaffe ich auch noch." Langsam kehrte wieder Routine

ein. Mahn hatte seinen Job mit gewohnter Perfektion erledigt und dabei die Zeit genutzt, um Wilders Lebensgewohnheiten zu studieren.

Der Mann war erschreckend langweilig. War er nicht gerade auf einer Dienstreise, rollte seine Limousine jeden Morgen um Punkt neun Uhr in die Tiefgarage. Sein Mittagessen nahm er grundsätzlich beim gleichen Italiener ein. Der Donnerstagabend gehörte seiner Frau – Theaterbesuch mit anschließendem Essen beim Franzosen. Der Montag war für die Geliebte, eine junge Journalistin mit Ambitionen, reserviert. An den übrigen Abenden drehte er nach vollbrachtem Tagewerk noch ein paar Runden im

firmeneigenen Schwimmbad, Saunagang inklusive. Da die

meisten Mitarbeiter lieber auf ihren Sport verzichteten, als ihrem Chef in Badehose gegenüberzutreten, hatte er das Bad für sich allein.



Heute war Dienstag.
Seite 2 von 3       
Um viertel vor sieben schaltete Mahn

den Rechner aus, packte seine Sachen zusammen,

verabschiedete sich von Wilder und rief der Sekretärin zu:

"Ich gehe jetzt zu dem Empfang im Grand Hotel. Wenn

etwas ist, bin ich übers Handy zu erreichen."

Um sieben betrat Mahn den Blauen Salon des Grand Hotels,

in dem 400 Gäste den 75. Geburtstag des Filmproduzenten

Dieter Trollenkamp feierten. Er begrüßte ein paar Kollegen,

gratulierte Trollenkamp persönlich und verschwand um

zwanzig Uhr unbemerkt durch einen Seiteneingang. Zu Fuß

ging er zurück zum Verlag, nahm den Eingang durch die

Tiefgarage und erreichte um halb neun das Schwimmbad.



Wie erwartet war Wilder da. Er saß auf der Saunabank, die

Augen in kindlichem Erstaunen aufgerissen. Das Handtuch

um seine Hüfte war verrutscht, seine Stirn durch ein

hässliches Loch verunstaltet. Wider besseres Wissen hob

Mahn die Waffe, die neben Wilder auf der Bank lag, auf.

Während er noch fieberhaft überlegte er, was er tun sollte,

näherten sich Schritte. Als er sich umdrehte, stand er Cohn

direkt gegenüber. Der Anblick erschreckte ihn mehr als

Wilders Leiche: Für den Bruchteil einer Sekunde flackerten

unverhohlener Triumph und Schadenfreude in Cohns Augen

auf. Doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle:

"Mahn, lassen Sie die Waffe fallen! Machen Sie es nicht

noch schlimmer."

Zwanzig Minuten später erschienen zwei Beamte von der

Mordkommission, lasen Mahn seine Rechte vor, legten ihm

Handschellen an und führten ihn ab.



Drei Monate später erging das Urteil gegen Mahn:

lebenslänglich wegen vorsätzlichen Mordes an Gero Wilder.

Nach der Überführung vom Untersuchungsgefängnis in die

Vollzugsanstalt, überreichte ihm der diensthabende Beamte

einen Brief von Cohn:

"Lieber Mahn, für mich bleiben Sie der beste Stellvertreter,

den ich je hatte."




Seite 3 von 3       
Punktestand der Geschichte:   23
Dir hat die Geschichte gefallen? Unterstütze diese Story auf Webstories:      Wozu?
  Weitere Optionen stehen dir hier als angemeldeter Benutzer zur Verfügung.
Ich möchte diese Geschichte auf anderen Netzwerken bekannt machen (Social Bookmark's):
      Was ist das alles?

Kommentare zur Story:

  Gut!
Nur die Szene in der Sauna imho zu kurz. Vielleicht ein Fitzelchen mehr Erklärung... wobei, wenn ich es mir recht überlege ist es vielleicht auch genau so gut, weil man g enug Spielraum zum kommentieren hat.  
christine  -  14.06.02 20:59

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Liebe Susanne, ich steige nicht so ganz durch! Mahn, der Stellvertreter scheint zu planen, Gero Wilder auszulöschen. Tat ers? Oder wars sein Chef? Wieso wurde Mahn verurteilt? Schnall ich nicht so ganz.
Es hapert also meiner Meinung am Inhalt. Ansonsten hast du einen guten flüssigen Schreibstil.  
Stefan Steinmetz  -  02.03.02 14:52

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Makaber, kann ich nur sagen! Tststs! Gut geschrieben! Weiter so!  
esmias  -  19.06.01 17:57

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

Stories finden

   Hörbücher  

   Stichworte suchen:

Freunde Online

Leider noch in Arbeit.

Hier siehst du demnächst, wenn Freunde von dir Online sind.

Interessante Kommentare

Kommentar von "Unbekannt" zu "Violett"

schöö :-)

Zur Story  

Aktuell gelesen

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. Über ein Konzept zur sicheren und möglichst Bandbreite schonenden Speicherung von aktuell gelesenen Geschichten und Bewertungen, etc. machen die Entwickler sich zur Zeit noch Gedanken.

Tag Cloud

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. In der Tag Cloud wollen wir verschiedene Suchbegriffe, Kategorien und ähnliches vereinen, die euch dann direkt auf eine Geschichte Rubrik, etc. von Webstories weiterleiten.

Dein Webstories

Noch nicht registriert?

Jetzt Registrieren  

Webstories zu Gast

Du kannst unsere Profile bei Google+ und Facebook bewerten:

Letzte Kommentare

Kommentar von "rosmarin" zu "Sich fühl'n wie Seifenblasen"

Hahaha, darauf muss man erstmal kommen. Köstlich. Habt alle ein schönes Osterfest. Gruß von

Zur Story  

Letzte Forenbeiträge

Beitrag von "Redaktion" im Thread "Account nicht erreichbar"

mit dem äöü hat sich inzwischen erlegt. Liebe Grüße eure Redaktion.

Zum Beitrag