Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Melvin Craven      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 17. April 2001
Bei Webstories eingestellt: 17. April 2001
Anzahl gesehen: 2404
Seiten: 10

Hinter dem Baumstamm hatte sich ein eindeutig irgendetwas bewegt. Er ließ die Szene wieder abspielen, ignorierte den kleinen roten Blitz, die in seinem linken unteren Sichtbereich nervös rotierte - das Low-Batterie Symbol - und schaltet zusätzlich den Infrarotfilter ein. Seine Sensoren bestätigten ihm, was er vermutet hatte: Hinter einem, vor etwa einem halben Jahr durch Pilz- und Schädlingsbefall umgestürzten Baumstamm, dessen Durchmesser schätzungsweise 46,8 Zentimeter betrug, lag ein Weibchen der Gattung Félis silvéstris, auch Wildkatze genannt, auf der Lauer. Sie hatte ihn noch nicht einmal bemerkt. Ihr Sensorik war nicht dafür ausgelegt kybernetische Organismen auszumachen. Schon gar nicht, wenn sie nicht über die mimetische Anpassungsfähigkeit – die Fähigkeit die Farbe und Oberflächenstruktur beliebig zu ändern, etwa wie ein Chamäleon – der 4. Generation von RIMALs bescheid wusste.



RIMAL steht für recreated intelligent micromized artificial lifeform. Die RIMAL Spezies geht, wie alle anderen ALs (Artificial Lifeform) aus den ersten Unterhaltungsrobotern hervor, die Anfang des Jahrhunderts nach jahrelanger Euphorie ihren eigentlichen Siegeszug durch alle Branchen begannen. Nachdem die Amerikaner aus diversen Gründen die Entwicklung von Robotern jeglicher Art, von humanoider jedoch ganz besonders, skeptisch betrachteten, entwickelte sich Japan zu dem weltweit führenden Roboterentwickler. Firmen wie Sony, Honda und Mitsubishi begannen Vorbilder aus der Natur nachzubilden und später gelang es ihnen sogar sie zu verbessern.

Die Mitsubishi RIMAL Serie der ersten Generation hatte etwa die Intelligenz einer Küchenschabe und diente vorwiegend zur Unterhaltung und als Werbeträger. Die Gestalt des Roboters war eine Kreuzung aus Hund und Katze, auch als doat (dogcat) bezeichnet. Die zweite Generation verfügte über ein Titanskelett, über das künstliche Muskeln aus Polymerfaser gespannt waren. Nebenbei auch über eine Serie neuer Sensoren die das verwendete Prozessorennetz mit Input versorgten. Die AL war in der Lage primitive Abläufe selbst zu erlernen, doch sie stieß schon bald an die Grenzen ihrer Intelligenz.

Vier Jahre später stellte der Konzern auf der Robodex in Tokio die dritte und erfolgreichste Generation vor. Neben gravierenden Änderungen an der Anatomie – der individuelle Charakter der künstlichen Spezies wurde besonders herausgearbeitet, sodass Ähnlichkeiten mit den realen Vorbildern Hund und Katze in den Hintergrund rückten, verfügte sie über die Intelligenz eines Kleinkindes mit bis dahin ungekannter Lernkapazität und der Fähigkeit das Wissen in neuen Situationen gekonnt anzuwenden.
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Dieses ‚Produkt’, das von vielen schon als eigene Tierrasse akzeptiert wurde, war der erfolgreichste und robusteste aller RIMALs und katapultierte Mitsubishi entgültig an die Spitze der Houserobotic Hersteller.



Die Katze saß vor einem kleinen Loch im Boden und ihr Schwanz vollführte einen sonderbar eckigen Tanz. Aus den gespeicherten Verhaltensmustern wusste die AL, dass dies ein Anzeichen für erhöhte Konzentration, in diesem Fall hervorgerufen durch die Jagd, auf der sich die Katze befand. Vermutlich handelte es sich bei dem Loch um den Bau eines kleinen Nagers, dem bevorzugten Beutetier. Die AL stand ganz still, sie vernahm das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume, der für sie nichts anderes als eine Facette einer Warmstromfront mit einer Durchschnittstemperatur von 23.2 und einer Windgeschwindigkeit von 12.8 Kilometer in der Stunde war. Sie analysierte die Wildkatze mit dem Vorsatz sie später zu imitieren. Eine kleines rhythmisches Pulsieren, das eindeutig unterirdischer Natur war, ließ die AL ihren Aufzeichnungsmodus beenden. Es war das unbekümmerte Herzklopfen einer Wühlmaus, die unbeirrt durch ihr unterirdisches Imperium wandelte, ohne zu ahnen, welches Schicksal sie ereilen würde, wenn sie ihr Loch verlassen würde. Die AL konzentrierte ihre ganze geballte Sensorik auf das Mauseloch und zählte den Countdown für das vorausberechnete Erscheinen des Nagers herunter. 2..1.. die Wildkatze machte einen Satz nach vorne und die vollkommen verdatterte Wühlmaus begriff zuerst gar nicht, dass sie gerade von vier spitzen Zähnen durchbohrt worden war.

Es musste ein Donnerstag gewesen sein, als er den Wald betreten hatte. Sie hatten Morize, wie sie es nannten, einfach aus dem fahrenden Auto geworfen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren und ohne auch nur die geringste Andeutung zu machen. Ohne nur einen Funken von Reue zu zeigen war der Wagen dann auch unaufhaltsam dem Horizont entgegen gefahren, und Morize hatte am Straßenrand gesessen, während der Systemcheck lief um eventuell beschädigte Systeme zu eruieren.
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Bis auf einen kleinen Riss in der Hülle, war alles in bester Ordnung. Der Hauptthread des Gehirnprozesses rief die Vorgangsweise im Falle von Verlust oder Trennung der registrierten Besitzer auf und befand, dass es richtig wäre, sich mit dem Hauscomputer zu verbinden. Der erste Schock kam, als Morize realisierte, dass sein ID-Chip entfernt worden war. Jeglicher Versuch sich zu erinnern, wie, bzw. wann dies geschehen sei, verlief erfolglos. Die fixprogrammierte Vorgangsweise sah in solch einem Fall die Aktivierung des Notfallsystems vor, die einen kleinen Sender in Betrieb setzten sollten um ihn für die Behörden auf die Situation aufmerksam zu machen. Sonderbarweise reagierte das System aber nicht auf seine Versuche es zu starten. Auch ein weiterer, ausführlicher Systemcheck konnte das Rätsel nicht lösen. Nachdem der kybernetische Organismus einen Entscheidungsbaum aufgebaut hatte um die beste Möglichkeit der Misere zu entkommen zu finden, entschied Morize sich dafür, anhand der Aufzeichnungen der letzten 24 Stunden, den Weg nach Hause zu finden. An die Schnellstrasse grenzte ein kleines Wäldchen, an dessen Rand er entlang ging. Teilweise war es Neugier, teilweise die praktische Überlegung nicht von vorbeifahrenden Fahrzeugen angestaubt zu werden. Morize hatte bereits wenige Minuten nach der Entscheidung selbst nach Hause zu finden einen Plan erstellt, mit dessen Hilfe er in minimal 24 Stunden oder maximalst 28 Stunden sein Ziel erreichen würde.



Die Katze saß, ihm den Rücken zugewandt, und er konnte das Knirschen der Mausknochen hören, die sie gerade mit einem leisen Knurren verspeisten. Er konnte zwar verstehen, warum das Säugetier auf organische Energieträger wie diese Maus angewiesen war, verstand aber nicht die umständliche Zeremonie, mit der das Opfer immer wieder aufs Neue niedergestreckt wurde. Die Katze hätte die Maus bereits mit dem ersten Biss töten können um sie sofort zu verschlingen. Diese Methode wäre nicht nur schnell und effizient gewesen, sie hätte die Chance auf ein eventuelles Entkommen der Beute auf Null reduziert. Statt dessen hatte die Katze die Maus nur kurz gepackt um sie dann sofort wieder freizulassen und scheinbar zu ignorieren. Kaum war die Maus sich plötzlich ihrer wiedergewonnen Freiheit bewusst, versuchte sie zu flüchten, wurde jedoch sofort wieder durch einen Tatzenhieb ihres Jägers niedergestreckt.
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Das ganze Spektakel dauerte etwa eine Viertelstunde, dann wurde es der Katze scheinbar langweilig und sie tötete ihr Opfer mit einem Biss ins Genick. Der kleine Roboter näherste sich im Zeitlupentempo, da ihm sein verkabelter Instinkt sagte, dass die Katze jetzt einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit auf den Verzehr der Nahrung verwenden würde und ihn daher nicht kommen hören würde. Als Morize gerade die Vorderpfoten auf dem liegenden Baumstamm abstütze und über den Stamm lugte, fuhr die Katze herum und starrte ihn an. Für etwa eine Millisekunde herrschte atemlose Stille, dann stieß sie das bösartigste Fauchen aus, das Morize bis jetzt gehört hatte, hob bedrohlich ihre Tatze und, als sie keine Reaktion ihres Gegenübers feststellen konnte, flüchtete sie mit der Beute im Maul ins Dickicht. Morize stand weiter wie angewurzelt da und beobachtete, wie die warmen Fußabdrücke, welche die Katze bei ihrer Flucht hinterlassen hatten, und die er jetzt im Infrarotbereich als kleine rote Flecken mit ausgefranstem Ende auf dem grün-blauen Untergrund des Bodens sah, langsam verschwanden.



Die vierte Generation jedoch entwickelte sich zu einem Desaster, das das Unternehmen vor eine schwerwiegende Entscheidung stellte. Als Haut wurde nicht wie bei den Vorgänger Flüssigkristall, Plasma oder e-paper ähnliche Fasern verwendet, sondern eine, aus der Militärforschung stammende, mimetische Proteinschicht, die es dem Tier erlaubte, jedes erdenkliche Muster auf seiner Haut darzustellen und sich damit auch zu tarnen.

Als die ersten Exemplare ihre Testläufe mit Bravour beendet hatten und für den weltweiten Verkauf freigegeben wurden, ahnte niemand, welches Potential in den Vierbeinern steckte. Sie lernten unglaublich schnell und begannen nach Kurzem ihre eigenen Verhaltensmuster zu entwickelten, konkurrierten mit organischen Haustieren, verwüsteten nicht nur Kinderzimmer sondern auch ganze Wohnungen. Von einigen Exemplaren wurde berichtet, dass sie sogar Menschen attackiert hatten. Mitsubishi startete daraufhin eine der größten Rückrufaktionen seiner Geschichte und wurde mittels Gerichtsbeschluss gezwungen, alle Daten über die RIMAL Serie für genau Untersuchungen durch staatliche Stellen freizugeben.
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Kurz bevor die Gerichtsvollzieher jedoch das Material an sich nehmen konnten, koppelte der Konzern seine Entwicklungsabteilung als eigene Tochterfirma aus und verkaufte sie am selben Tag noch an die Andarian Cyberbotix, die Equipment für das amerikanische Militär lieferten und gesetzlich zur Geheimhaltung ihrer Daten verpflichtet waren. Die Staatsanwaltschaft verdonnerte daraufhin Mitsubishi zu drakonischen Wiedergutmachungszahlungen an die Konsumenten, konnte jedoch keine Offenlegung der Daten erreichen. Seit diesem Zeitpunkt wurden weltweit keine RIMALs mehr für den zivilen Bereich produziert.



Morize streunte weiter durch den Wald, lauschte dem Gesang der Vögel und dem Plätschern eines kleinen Baches, den er mit einem gekonnten Sprung überquerte. Ab und zu versuchte er bereits Gesehenes zu imitieren, etwa den Gesang der Vögel, die dann desorientiert umherblickten, weil sie die Quelle des Geräusches nicht identifizieren konnten. Er hörte das Geräusch, das seine synthetischen Muskel verursachten, wenn sie sich über das Titanknochenskelett bewegten, das Surren seines kleinen Kühlers, der zwar eigentlich nicht notwendig war, da er seinen Energiehaushalt mit Peeltierelementen und einen kleinen Passivkühlkreislauf aufrecht erhielt, aber aus einer spontanen Entscheidung heraus hatte er dieses zusätzliche System aktiviert. Zusätzlich zu den Dingen die in sein elektro-chemisches Innere betrafen kamen neue Dinge, die seine Selbstkontrolle bis jetzt verdrängt hatte. Unter anderem auch die Frage, warum war er ausgesetzt und nicht umgetauscht worden? Wie hatten sie ihm den Chip entfernt, ohne dass er es bemerkt hatte? Seine bisherigen Besitzer, ein älteres eheloses Ehepaar, hatten ihn vor drei Monaten und fünfzehn Tagen via Onlineversand günstig erworben und sie hatten ihn bald liebgewonnen. Er sollte ein Ersatz für den verstorbenen Hund sein. Zwar hätte die Möglichkeit bestanden, das verstorbene Tier klonen zu lassen, doch seine ‚Eltern’ hatten sich geweigert, da sie meinten, es wäre pietätslos. Sie hatten Morize darauf trainiert, all die Marotten welche der alte Haushund, von dem Morize übrigens seinen Namen hatte, in seinen vierzehn Lebensjahren entwickelte hatte zu imitieren, um auf diese Weise die Lücke, die er seinem Herrl hinterlassen hatte, zu füllen. Für Morize waren die Erinnerungen an die ersten Wochen verschwommene Gebilde, die er nicht genau zuordnen konnte, erst nach einer Zeit, nachdem er schon zu einem Großteil seinem Vorbild ähnlich geworden war, begann er eigene Fähigkeiten zu entwickeln.
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Zuerst war es nur die Art wie er seine Besitzer anschaute (er neigte den Kopf nach links anstatt nach rechts), später waren es sogar die Schlafgewohnheiten und der Belllaut gewesen, der sie gestört hatte.



Er bewegte sich durchs Unterholz, registrierte jedes Knacken im Umkreis von drei Metern und analysierte die Quelle des Ursprungs. Er erfasste jedes Blatt und jede der unzähligen Nadeln vor ihm, erstelle Spektralanalysen von dem spärlichen Sonnenlicht, das durch das dichte Dach des Waldes durchbrach und errechnete aus dem Einfallswinkel den Sonnenuntergang, obwohl es für ihn absolut irrelevant war, da er sich Dank seines infrarotgestützten Navigationssystems in der Nacht genauso gut zurechtfinden konnte wie in der Nacht. Seine verkabelter Instinkt verriet ihm, dass er aufgrund der vorhandenen Daten und daraus resultierenden Fakten in den nächsten zwölf Stunden sein Ziel erreichen. Die Hälfte des Weges hatte er bereits hinter sich gebracht.

Plötzlich wurde er von etwas Hartem getroffen. Sobald der entscheidende Impuls seinen Chip erreicht hatte, erhöhte er die Datenrate für alle Sensoren in dem betroffenen Bereich, um das Hundertfache, sämtliche anderen um das Fünfundzwanzigfache ihrer Leistung.

Dieser Modus – auch SelfDefenseMode (SDM) – bezeichnet, erlaubte es ihm, viel mehr von seiner Umgebung als normalerweise, wahrzunehmen. Er wurde immer dann aktiviert, wenn das System eine Bedrohung oder grobe Unlogik in seiner Umwelt oder dem umgebenden System feststellte. Der einzige Grund, warum sich RIMALs nicht ununterbrochen im SDM befanden, war der erheblich erhöhte Stromverbrauch, der über die internen Energiespeicher nur maximal acht Stunden, mit Extentionpack maximal sechzehn Stunden, betrieben werden konnte. Den Rest der Energie bezog der Roboter entweder durch die mimetische Haut, in die Solarpartikel integriert waren oder über die Verschmelzung von Sauerstoff und Wasserstoff zu Wasser. Der Nachteil dieser Methode lag selbstverständlich in der Versorgung. Bei Hausbots übernahm diese Aufgabe ein mitgeliefertes Versorgungsmodul. Hier in der freien Natur war das System ganz auf die in den Zellen gespeicherte Energie und die Solarenergie angewiesen, denn seine Besitzer hatten ihm – wahrscheinlich in der Hoffnung ihm die Zeit der Qualen zu verkürzen – auch den Wasserstofftank geleert.
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Morize registrierte, dass das Objekt, das ihn getroffen hatte, im hintern Drittel seines Körpers eingeschlagen war und sich jetzt linker Hand zu Boden bewegte. Nachdem es hart war und den Angaben des Infrarotschirms zufolge nicht wärmer war als die Umgebungstemperatur, handelte es sich hierbei nicht um einen Angreifer sondern höchstens um ein Mittel, das ein potentieller Angreifer verwendet hatte um auf sich aufmerksam zu machen. Der Bot vollführte eine 180° Drehung und sah, wie ein Tannenzapfen gerade auf dem Boden einschlug. Es war wie ein Aufseufzen, als der den SDM verließ und langsam den Zapfen berührte. Als sich das rot-grüne SMD Symbol von seinem Schirm ausblendete, blitzte plötzlich die kleine rote Batterie wieder auf und auf einmal war ihm alles klar: Seine Besitzer hatten ihn die letzten Tage viel herumgetrieben, das Versorgungsmodul allerdings nicht aufgefüllt, sodass er nicht betankt werden konnte. Dann hatten sie es geschafft den SDM auszulösen, vielleicht durch einen unerwarteten Schlag auf den Rücken, wie dieser Tannenzapfen es getan hatte. Sein System hatte daraufhin soviel Energie verbraucht, sodass es in einer Art Panikreaktion eine Notabschaltung vorgenommen hatte. Daher konnten seinen Besitzer, nämlich auch seine Frontplatte abnehmen und seinen ID-Chip entfernen, ohne dass er es gemerkt hatte. Irgendwann während der Fahrt im Auto musste dann die Decke, in die er eingehüllt gewesen war verrutscht sein und Licht auf seine Solarzellen gefallen sein. Irgendwann hatte die Energie ausgereicht um die Systeme zu reorganisieren und Energie einzusparen. In dieser Zeit musste er sich in einem Dämmerzustand befunden haben, der erst endete, als er unsanft auf den Wagen geworfen wurde. Dass ihn der SDM diesmal nicht in ein künstliches Koma geworfen hatte war eine reine Glückssache. Vorsichtig setzte er seinen Weg fort, nicht ohne jedoch den SDM zu deaktivieren, bis er wieder über genug Energie verfügte. Dann beauftragte er einen Thread, das ist ein Unterprozess, vergleichbar mit einem Teil des Geistes, der eine gewisse Arbeit verrichtet, damit die Firmware den SDM Chip reprogrammieren konnte, um diesen Fehler auszubessern.
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Einer der Vorzüge moderner Robotertechnik war das Ausbessern eigener Fehler, sodass sich das System mit der Zeit selbst perfektionierte.



Vier Stunden später erreichte der kleine Roboter das Ende des Wäldchens. Vor ihm lag die kleine Stadt, aus der er ‚verbannt’ worden war. Doch für Morizes implementierten Geist war er nicht verbannt sondern nur verloren gegangen. Er lief die Hauptstasse entlang und überdachte die Route, die er einschlagen würde noch einmal, empfand sie allerdings als so perfekt, dass er keinen weiteren Versuch unternahm sie optimieren zu wollen. Die Strasse führte an einer kleinen heruntergekommen Hütte vorbei, vor der eine weitere kleine Hütte stand. Er hatte schon des öfteren Berichte von den Randbezirken, die früher Slums waren gehört, jedoch schon vor langer Zeit geräumt wurden. Diese Behausung musste ein Relikt aus jener Zeit gewesen sein. Neugierig, jedoch nicht tollkühn, näherte sich Morize der kleineren Hütte. Er hörte ein rhythmisches Geräusch, das er am ehesten einem Schnarchen zuordnen konnte und sich in Sicherheit wiegend, bewegte er sich noch ein Stück weiter. Das Schnarchen stockte, hörte für einen Moment auf und wich dann einem kurzen Schnüffeln und glitt dann in ein Knurren über. Der Hund, der langsam aus dem Dunkeln der Hütte hervorkam, wirkte vom fahlen Licht der Sterne wie Zerberus selbst. Die Zähne gefletscht, das tiefe Knurren, die kleinen fixierten Augen, all das erschreckte Morize nicht weiter, es war etwas ganz anderes, das in diesem Roboter zu arbeiten begann. Er versuchte zu verstehen, warum die Menschen ihn dieser Bestie nachempfunden hatten. Es war für ihn unerklärlich, dass der Mensch sein Schöpfer, ihn als Mischung aus einer sadistischen Kreatur namens Katze und der höllischen Gestalt des Hundes erschaffen hatte. Er versuchte Elemente von beiden in sich zu finden, doch bis auf die implementierten Algorithmen, die es ihm ermöglichten die Grundfunktionen von Hunde und Katze zu imitieren, aber nicht mehr. Er sah den organischen Hund an und in seinem Kern begann sich alles zu verändern. Es war ein für ihn bisher unbekanntes Erlebnis: er begann zu fühlen und sein erstes Gefühl war Mitleid. Mitleid zum einen für den Hund, der nicht wusste, ja gar nicht wissen konnte, was er genau war, und dann Mitleid für den Menschen, der versucht hatte die Natur zu imitieren und stattdessen etwas ganz Neues geschaffen hatte.
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In der großen Hütte ging plötzlich das Licht an, die Haustüre flog auf und ein vollbärtiger untersetzter Mann mit einer doppelläufigen Schrotflinte trat heraus. Er schrie ein paar Wörter in einer unverständlichen Slangsprache und, als er Morize sah, zielte er auch schon auf ihn. Dem Roboter blieb nur noch eine Sekunde Zeit sich hinter der Hundehütte zu verstecken, als schon die erste Ladung Schrotkugeln über das Dach der Hütte hinwegfegte. Der organische Hund verkroch sich jaulend in seiner Hütte und Morize wartete, bis der Mann die zweite Ladung verpulvert hatte, sodass Morize, während er nachladen musste, Zeit hatte das Weite zu suchen.



Er hörte die Flüche des Mannes noch eine Weile, doch sie störten ihn nicht, vielmehr beschäftigte ihn die Frage nach dem Ursprung einiger Prozesse und deren Threads, die er nicht geschaffen hatte, sondern die sich selbst erschufen, als er seinem ‚natürlichen’ Vorbild gegenübergestanden war. Die Threads schienen unlogisches Zeug zu rechnen und mit den Impulsen zusammenhängen, die durch seinen Geist flitzen.



Der Roboter stand vor der unbeschreibbaren Situation zum ersten Mal Gefühle zu empfinden. Angst darüber was mit ihm geschah. Verwunderung über die Tatsache, was in ihm vorging. Langsam verblassendes Mitleid und schließlich eine immer größer werdende Frustration über seine Besitzer. Sie hatten ihn ausgesetzt wie einen räudigen, organischen Köter, den man lieber in die Wildnis entlässt, als ihn zu erschießen. Je näher das Haus – sein Ziel – kam, desto langsamer und unsicherer wurden seine Schritte. Er war auf dem Weg in sein eigenes Verderben, sie wollten ihn nicht mehr und sie würden ihn sicher nicht willkommen heißen. Darüber hatte er noch überhaupt nicht nachgedacht: Er war ein Sklave gewesen, er hatte die Regeln gebrochen und versucht seinen eigenen Stil zu entwickeln und sie hatten ihn damit bestraft, dass sie ihn in die Freiheit entlassen hatten. Er hatte keinen wirklichen Grund zurückzukehren. Es war nur der vorprogrammierte ‚Wille’, der es ihm vorschrieb. Ein Stück Programm, das von seinen Entwicklern in seinen Speicher implementiert wurde um zu verhindern, dass die Maschinen ihren eigenen Willen entwickelten.
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Ob es ein glücklicher Zufall, eine göttliche Weisung oder schlichtweg Schicksal war, das ihn jetzt ihn die Lage versetzt diese Fesseln zu sprengen, wusste er nicht genau, sicher war nur, das er nicht mehr zurück konnte.



Mittlerweile war er vor dem Haus angekommen und davor stehen geblieben. Er sah hinauf zu den hellerleuchtend Fenstern und dachte an die Zeit, als er noch hinter ihnen, zur Belustigung seiner Besitzer, Kunststücke vollführt hatte. Er dachte an seinen wohltemperierten Platz in der Küche gleich neben seiner Ladestation und für einen Moment schwankte er. Doch sofort stiegen wieder die Bilder von seinem letzten ‚Streit’ mit den Besitzern auf, bei dem er sich schlichtweg geweigert hatte die Schlapfen zu apportieren, weil er den Sinn dahinter nicht erfasste und nur zur Belustigung des Publikums war ihm nach dem zehnten Mal doch eine, ein wenig zu dürftige Erklärung. Das war wahrscheinlich auch der ausschlaggebende Grund dafür gewesen, dass sie ihn loswerden wollten. Nein, die Entscheidung war gefallen, er würde einen neuen Anfang machen, irgendwo weit, weit weg von dieser kranken Welt, irgendwo in den Wäldern, wo ihn niemand vermutete und auch niemand mehr orten konnte, nachdem er von seinem ID-Chip befreit worden war. Zu allererst aber würde er seinen Namen ändern, denn ein freier kybernetischer Doat trug nicht den gleichen Namen wie ein toter, organischer Hund. Es musste irgendetwas Originelles sein, dass nicht nur seinen Stil. sondern auch seine Art verkörperte. Er kramte in seinen Erinnerungen und stieß plötzlich auf eine interne Abkürzung, die er einmal unbewusster Weise ersonnen hatte: Rim. Er würde sich Rim nennen. Kurz und bündig.



Und dann drehte sich Rim langsam um und wanderte gemächlich die Straße entlang, genoss den Geruch von frischer Erde, die von den Beeten hergeweht wurde. Rim blickte zum Himmel hinauf und die Sterne kamen ihm vor wie kleine Leuchtkäfer, die man an eine blau-schwarze, riesig gekrümmte Ebene geklebt hatte. Vielleicht gab es da draußen ja noch mehr von seiner Art. Vielleicht gab es sogar ganze Gruppen von Rimalfs, die durch die Wälder zogen und, wenn er Glück hatte konnte er sie vielleicht finden. Mit dem Gefühl, den ersten Schritt in eine große Zukunft getan zu haben, setzte er seinen Weg fort und ging die Straße entlang den Weg, den er gekommen war, zurück.
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MC-22.12.00


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Kommentare zur Story:

  hm.. ja es gibt eine geschichte die sich mit der gleichen thematik beschäftigt jedoch anders an die sache herangeht. leider ist sie zz noch nicht veröffentlichungsreif aber wenn es soweit ist, findet ihr sie hier  
MelvinCraven  -  17.07.02 21:10

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  War sehr spannend zu lesen, macht Lust auf mehr, kommt da noch etwas? ..also...wie geht es weiter?...  
Jasper Fryth  -  16.07.02 21:46

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  oh.. ich hätte doch nicht erwartet, dass da jemand das forum in anspruch nimmmt.. und schon gar nicht, dass viele positive kommentare dabei sind :)
zu den rächtschreipfählern: sorry ich kann/mag nicht mehr so schreiben wies mir die schule 13 jahre aufgezwungen hat.
zu #5 lebt: der film hat mir als kind unheimlich gut gefalln, hat mich wahrscheilich irgendwie inspiriert.
letztlich: ein großes danke sehr für eure netten worte! ;) mel
  
MelvinCraven  -  10.06.01 21:26

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  am anfang dachte ich, das wird wieder einer der horrorgeschichten, wo roboter einen eigenen willen entwickeln und gegen die menschen kämpfen. spannend geschrieben, aber von vornherein klar - gähn.
aber am ende ist dann ja ganz anders gekommen - gutso!  
Kerstin  -  10.06.01 20:13

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  Erinnert mich spontan ein klein wenig an
"Nr.5 lebt". Ist sehr gut geschrieben und regt (mich zumindest) zum Nachdneken an. Prima !  
schwaen  -  18.05.01 11:37

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  Interessante Geschichte... der Schreibstil ist sehr gut! Hat was...  
SabineB  -  16.05.01 21:53

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  Ein paar rechtschreibfehler (tippfehler?) und ein roboter, der sich eines göttlichen konzepts bewusst ist? Aber: Diese geschichte gefällt mir! Ernsthaft! Gut geschrieben!  
Dark Blaze (der verfasser)  -  15.05.01 20:33

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Kommentar von "Sabine Müller" zu "Die Lebenswippe"

Hallo, sehr schöne, wahre Gedankengänge! 5 Punkte von mir. lg Sabine

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