Ein Städtchen wie fast jedes andere (Trilogie einer Kleinstadt - Teil 2)   178

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 20. Januar 2003
Bei Webstories eingestellt: 20. Januar 2003
Anzahl gesehen: 2369
Seiten: 5

Es ist ein kleines verträumtes Städtchen wie fast jedes andere, eingebettet in sanfte, saftig grüne Hügel und in den trockenen Schoß der katholischen Kirche. Seinen Reichtum bilden viele alte Fachwerk- und Bruchsteinhäuser, deren Fassaden von den Bürgern ständig so sehr gepflegt und ver-schönert werden, daß sich dem Fremden der Eindruck auf-drängt, als stünde man damit in einem stillen aber verbissenen Wettstreit. Umgeben von diesen schönen Häusern befindet sich im Zentrum der Marktplatz des Städtchens. Der Stadtrat, in dem es keine Opposition gibt, was wiederum der Harmonie unter seinen Mitgliedern zugute kommt, hatte vor kurzem be-schlossen, diesen Platz aufwendig zu verschönern. So ge-schah es denn auch. Dessen schwarzes Basaltkopfstein-pflaster war schon seit langem ein Anstoß des Ärgernisses. Hatte es sich doch im Laufe der Jahrhunderte da und dort gesenkt, so daß sich bei Regen häßliche Pfützen bildeten. Und die Damen des Städtchens beklagten sich darüber, daß sie sich ständig in seinen Fugen ihre hochhackigen Schuhe ruinierten.



Wie man bereits ahnt, handelt es sich bei den Bewohnern des Städtchens um ein überaus ordentliches Bürgertum, das es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat. An die ehemals ärmliche kleinbäuerliche Abstammung erinnert man sich ungern. Doch läßt sie sich durch die auffällige Gedrungenheit dieses Menschenschlages nicht gänzlich verbergen, worunter verständlicherweise besonders die Damen leiden. Doch in ihrer Not hilft ihnen die Miederindustrie, deren reizvolle Produkte so manches Pfund anheben, an einen anderen Platz verlagern, oder einfach verschwinden lassen. Und bei den kräftigen Waden einiger Damen verhelfen eben jene hoch-hackige Schuhe zu einer gewissen Streckung. Aber letztlich kann man auch durch eine geschickte Plazierung von auffäl-ligem Schmuck von körperlichen Schwachstellen ablenken und die Augen - die männlichen - auf jene körperlichen Höhe-punkte lenken, die bekanntlich jeder Frau zu eigen sind.



So wurde der Platz also mit einem rötlichen Zementstein neu gepflastert, der nun auch keine Fugen mehr aufweist. Und das Regenwasser sammelt sich fortan in einer Rinne inmitten des Platzes, die es ordentlich dem unterirdischen Abwassersystem zuführt.
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Aber damit nicht genug. Auch die altmodischen guß-eisernen Laternen auf dem Platz die man schon vor Jahren von Gas auf Elektrizität umgestellt hatte, wurden durch modernere Standleuchten ersetzt, die nun auch jenes sanfte rötliche Licht verstrahlen, das andere Städte auf ihren Plätzen schon längst eingeführt hatten.



Ausnahmslos alle Bürger sind mit dem Ergebnis dieser Ver-schönerung hoch zufrieden. Und insbesondere natürlich auch die Damen, die nun beim Gehen nicht mehr auf die Tücken des alten Pflasters achten müssen. Abgesehen davon, daß nun ihre hochhackigen Schuhe eine Saison lang halten, kön-nen sie jetzt endlich in ihren Gang jene stolze, leicht hüftbe-tonte Anmut legen, die einige von ihnen im fernen Spanien aufgegriffen und an jene Damen des Städtchens, die noch nicht in Spanien gewesen waren, weitergegeben haben. Aber auch die Herren des Städtchens profitieren von der Er-neuerung des Platzes und somit von dieser späten weiblichen Anmut, von dieser Renaissance. Bewundernd folgen nun ihre Blicke den auf dem Platz umherschreitenden Damen und ver-ständlicherweise insbesondere jenen, die nicht das heimische Lager mit ihnen teilen. Und auch das kleine Café am Platz profitiert von dieser wundervollen Neugestaltung. Kann es doch nun Stühle und Tische rausstellen, was die groben Fugen des alten Pflasters bislang vereitelt hatten. Besonders an heißen Sommerabenden, wo nun jedermann ein gewisses Vibrieren neu in sich entdeckt, wo die Damen auf dem Platz in ihren betörenden Duftwolken auf- und abschreiten, besonders also an diesen Abenden sind die Stühle des Cafés begehrt wie Logenplätze bei einer heißblütigen Opernaufführung süd-lichen Ursprungs. Somit bildet also der Platz einen neuen Mittelpunkt des Städtchens mit gänzlich neuen Möglichkeiten. Dem umsichtigen und weitblickenden Stadtrat sei Dank.



Das Leben nimmt also in diesem Städtchen seinen Fortgang, aber jetzt natürlich nicht unbeträchtlich verfeinert. Wenn der Platz nun auch eine neue magische Anziehungskraft auf Jung und Alt ausstrahlt, so lassen es sich die Honoratioren doch nicht nehmen, sich wie bisher allwöchentlich einmal im "Freischütz" zu einer Doppelkopfrunde einzufinden. Der Apo-theker ist im übrigen der einzige in dieser Runde, den man als Zugereisten duldet, denn bis dato hat man noch seine viel-fältigen krankheitsverhütenden, lindernden oder überhaupt gänzlich verhütenden Mittelchen in der Apotheke des Nach-barortes holen müssen.
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Das gehört nun gottlob der Ver-gangenheit an. Beiläufig bemerkt, werden in diesem Städtchen die Fremden und die Andersgläubigen zumindest gedanklich abends vor die unsichtbaren Stadtmauern ver-wiesen, es sei denn, sie hätten sich die Aufenthaltsge-nehmigung mit nicht unbeträchtlichen finanziellen Zuschüssen für öffentliche Einrichtungen oder große private Schatullen erkauft.



Aber zurück zu unserer Herrenrunde. Wenn der schweigsame Notar in diesem Kreis, dem durch ein Prostata-Leiden und eine extreme Kurzsichtigkeit die Lebensfreude versagt bleibt, durch eine Gewinnserie im Spiel plötzlich aus seiner Traurig-keit herausgerissen wird, dann erzählt er gewöhnlich die Ge-schichte, wie sein treuer Hund auf dem Eis eingebrochen und ertrunken sei. Wobei er sich jedes Mal mit dem Handrücken über die Augen fährt. Und ausnahmslos jeder in der Herren-runde bekundet dann sein Mitleid mit den Worten "Wie schlimm!".



Und für gewöhnlich danach, wenn man eine respektvolle Schweigeminute hat verstreichen lassen, erzählt der Veterinär sodann seine sattsam bekannte Geschichte, wie er einst in Afrika einer Schwarzen die großen Brustwarzen habe um-knicken können. Diese Geschichte verfehlt dann auch nie ihre Wirkung auf die Herren, von denen sich jedoch keiner daran erinnern kann, daß der Veterinär jemals in Afrika gewesen war.



Dem Lehrer in der Runde war vor kurzem seine Frau zusam-men mit einem Kollegen abhanden gekommen. Seine insge-samt große Lebendigkeit hat es ihm aber versagt, in eine längere Phase der Traurigkeit zu verfallen. So hat er sich, dem Beispiel des katholischen Pfarrers folgend, eine etwas sehr junge Haushälterin ins Haus geholt, was immer noch für phantasiereichen Gesprächsstoff in seiner Abwesenheit sorgt. Doch will es seinen Doppelkopfbrüdern so erscheinen, als habe der Lehrer seitdem an Fröhlichkeit eingebüßt, denn er ist auffallend still geworden; auch scheint er schneller und mehr als vorher an solchen Abenden zu trinken. Letzeres kann vielleicht seinen Grund darin finden, daß er meist vor der Zeit von seiner jungen Haushälterin abgeholt wird.
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Und auch die Damen der feineren Gesellschaft gehen ihrem wöchentlichen Vergnügen nach, indem sie sich reihum zum Bridgespielen treffen. Da bietet sich u. a. die vorzügliche Ge-legenheit die modischen Neuerwerbungen vorzuführen, wobei auch schon mal der eine oder andere modische Probelauf im Hinblick auf das nächste größere gesellschaftliche Ereignis gewagt wird. Wenn sich dann die Freundinnen beispielsweise euphorisch über das dezent-teure neue Kleid von Bertha äußern, dann weiß diese, daß es fortan sein Dasein aus-schließlich im Kleiderschrank zu fristen hat. Oder wenn dann beispielsweise die Bemerkung über Helenes kleines Schwarzes und tief Dekolletiertes fällt: "Für dein Alter ist das aber etwas gewagt", dann weiß diese, daß die Schneiderin durchaus etwas mutiger hätte gewesen sein können. Wenn-gleich, ja wenngleich die Freundinnen in diesem Fall nicht so gänzlich unrecht haben, denn die in diesem Dekolleté nun sichtbar gewordenen Falten hätten sich eigentlich doch gern ein schattigeres Plätzchen gewünscht.

Mal abgesehen davon, daß an solchen Abenden natürlich auch über Kinder, Haushalt oder über die Beschwerlichkeiten der Menopause gesprochen wird, nimmt gewöhnlich bei vor-gerückter Stunde das Tuscheln unter den Damen zu, wobei so mancher gestandener Mann erröten würde. Denn bei den häufig geleerten und wieder gefüllten Sektkelchen scheint auch die Sittsamste unter ihnen zu vergessen, daß sie doch glücklich und so lange verheiratet ist. Schließlich haben dann auch diese so befreienden und überaus anregenden Abende ihr Ende, und für gewöhnlich finden dann die meisten Damen auch den direkten Nachhauseweg.



In diesem friedvollen Städtchen gibt es zwei glanzvolle gesell-schaftliche Höhepunkte im Jahr, nämlich das jährliche Gala-diner, über das schon ausführlich berichtet wurde, und ferner Weiberfastnacht, wo für gewöhnlich die Weiber das Sagen haben. In diesem Städtchen feiert man dieses Fest jedoch weitgehend auf venezianische Art. Diese Anregung hatten die Damen vor vielen Jahren vom Fernsehen erhalten und es jedoch den vorliegenden Gegebenheiten angepaßt.
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Dadurch fiel dem Fest zwar die etwas feinere höfische venezianische Art zum Opfer, aber dem allseits großen Vergnügen schadete dies keineswegs. Jedenfalls hat sich dafür jeder insgeheim so zu verkleiden, daß er selbst von dem langjährigen Ehepartner nicht zu erkennen ist. Daß allein dieser Umstand immer wieder aufs Neue für das Gelingen dieses Festes beiträgt, liegt auf der Hand. Auch sorgt die bange Frage, in welchem Kostüm und hinter welcher Maske sich der eigene Partner verbirgt, jedes Mal für eine nicht unbeträchtliche Spannung, die noch durch die mannigfaltigen erotischen Querver-bindungen in dieser feinen Gesellschaft verstärkt, wenn nicht gar verschärft wird. So tanzt man denn so manches Tänzchen miteinander, gibt sich galant und kokett und verschwindet auch schon mal zum gemeinsamen Betrachten des Sternen-himmels in den weitläufigen Garten. Und wenn der Sternen-himmel dabei mal verhangen sein sollte, so stellt dies auch keinen Hinderungsgrund dar.



Aber nicht immer endet ein solches Fest für das eine oder andere Paar so heiter, wie es begonnen hatte. Da hat bei-spielsweise eine angesehene Dame ihrer besten Freundin folgende Geschichte erzählt, die notgedrungen dann die Runde machte und noch heute für viel Heiterkeit sorgt:



"Wir, mein Mann und ich, haben am darauf folgenden Morgen wie gewöhnlich zusammen gefrühstückt, wo-bei sein Gesicht hinter der Zeitung verborgen blieb. Nun, da habe ich ihn gefragt, ob er wisse, daß ich es gewesen sei, die er während des Festes im Garten gevögelt habe. Daraufhin habe ich zum ersten Mal während dieses Frühstücks sein Gesicht gesehen. Und er fragte entgeistert und ziemlich unsicher zurück, woran ich ihn denn erkannt zu haben glaube. "An der Warze auf Deinem Pimmel," habe ich, so schlicht es ging, geantwortet."
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Kommentare zur Story:

  Wundervoller Sarkasmus!  
Dr. Ell  -  09.02.04 17:38

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