Schauriges · Kurzgeschichten

Von:    Denise Roßberg      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 11. September 2002
Bei Webstories eingestellt: 11. September 2002
Anzahl gesehen: 2516
Seiten: 5

Betrübt blickte ich aus dem Fenster. Zum Spazierengehen war heute kein guter Tag. Der Himmel war wolkenverhangen und es sah sehr nach Regen aus. Mir war langweilig. Im Fernsehen kam nichts besonderes und zum Lesen hatte ich auch keine große Lust. Ich überlegte was ich sonst noch tun könnte. Ich ging in mein Arbeitszimmer, setzte mich an den Schreibtisch und hoffte darauf, dass mir eine Idee kam. Aber schon nach einer Weile stand ich rastlos wieder auf, ging zurück in die Küche und setzte mich an den Tisch. Wie nicht anders zu erwarten, änderte das nichts an der Situation, dass mir stinklangweilig war. Ich streckte meine Beine aus, um es mir etwas bequemer zu machen, als meine Füße irgendetwas streiften. Ich blickte nach unten und entdeckte einen Kugelschreiber. Verwundert hob ich ihn auf. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, so einen zu besitzen. Vielleicht irgendein Werbegeschenk oder so. Obwohl er wie ein ganz normaler Kugelschreiber aussah, fühlte er sich doch komisch an. Ich hatte das Gefühl, als ob von ihm eine seltsame Aura ausging, die versuchte in mein Hirn einzudringen, mich beeinflussen wollte. Ich wusste, dass es absoluter Blödsinn war, aber verlassen wollte das Gefühl mich auch nicht. Den Stift immer noch in der Hand haltend, ging ich in mein Arbeitszimmer, kramte aus der obersten Schreibtischschublade ein paar Blätter heraus und begann zu schreiben oder besser gesagt, der Kuli befahl mir zu schreiben. Ich war weder in der Lage ihn loszulassen, noch mich gegen ihn zu wehren. Mehr und mehr geriet ich in Trance.



Von Weitem hörte ich die Standuhr in der Stube zwei schlagen. Mühsam kam ich wieder zu Bewusstsein. Meine linke Hand schmerzte stark, ohne dass ich genau sagen konnte warum. Es war dunkel um mich herum und ich hatte keine Ahnung wo ich mich befand. In meinem Kopf herrschte komplette Leere. Ich fühlte mich irgendwie-. Wie sollte ich sagen? Es war mir eigentlich auch egal. Die Schmerzen meiner Hand, machten mich schon wahnsinnig genug, da musste ich mich nicht auch noch mit solchem belanglosen Zeug abgeben. Langsam aber sicher gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich erkannte die vertrauten Umrisse meines Arbeitszimmers. Immerhin etwas. Taumelnd stand ich auf und schaltete das Licht ein. Auf meinem Schreibtisch stapelte sich ein großer Haufen beschriebener Blätter und daneben lag ein hässlicher Kuli, dessen Farbe völlig ausgeblichen war.
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Ich merkte wie die Erinnerung zurückkam, versuchte aber krampfhaft sie aufzuhalten. Ich wollte nicht wissen, was passiert war. Ich wollte nur in mein Bett und meinem ausgelaugten Körper Ruhe gönnen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag. Ich schaltete das Licht aus und ging ins Schlafzimmer, wo ich mich ohne erst auszuziehen sofort hinlegte und ebenso schnell einschlief.



Der Morgen war grausam. Meine Hand konnte ich immer noch nicht bewegen und in meinem Kopf schien ein Presslufthammer am Werk zu sein. Mein Wecker sagte mir, dass ich 13 Stunden geschlafen hatte. Nach mindestens 10 Stunden ununterbrochenem Schreiben, war das auch dringend nötig gewesen. Und alles nur, weil ich diesen dämlichen Kugelschreiber aufgehoben hatte. Würde er jetzt noch unterm Küchentisch liegen, wäre es nie so weit gekommen. Ich stand auf, ging ins Bad und suchte erst einmal mehrere Aspirin aus dem Arzneischrank heraus. Anschließend ging ich in die Küche und kochte mir einen schönen starken Kaffee. Während ich so trank, überlegte ich welcher Tag heute eigentlich war. Sonntag, Montag oder vielleicht doch Samstag? Was soll’s. War ja nicht das erstemal, dass ich die Übersicht über das Datum verlor, wenn ich Urlaub hatte. Außerdem konnte ich sowieso nicht zum Arzt gehen, da ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich ihm erzählen sollte. Nachdem ich zwei Tassen getrunken hatte, öffnete ich das Gefrierfach, holte sämtliche Eiswürfel heraus, wickelte sie in ein Geschirrtuch und kühlte damit meine linke Hand. Es tat gut, aber ob es auch was nützen würde, konnte ich so genau noch nicht sagen. Den Kuli würde ich jedenfalls so schnell nicht mehr anfassen. Trotzdem ging ich ins Arbeitszimmer. Schließlich wollte ich ja wissen, was ich bzw. der Stift geschrieben hatte. Vorsichtig ging ich mit einem flauen Gefühl im Magen hinein. Zu meinem Vergnügen hatte der verhasste Kuli seine alte Farbe noch nicht wiedergefunden. Wenigstens hatte nicht nur ich gelitten. Ich nahm mir das Manuskript und setzte mich in die Stube. Bis jetzt hatte ich nur die vielen Nachteile dieser verrückten Aktion gesehen, aber nachdem ich 100 Seiten gelesen hatte, sah ich auch verdammt viele Vorteile. Wenn die restlichen 125 Seiten genauso spannend geschrieben waren, dann hielt ich hier die genialste Story in der Hand, die ich je gelesen hatte.
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Die Überschrift lautete „Darkworld“ und es ging um einen Mann namens Eric, der in einem eigenartigen Jahrmarkt eine Parallelwelt, genannt Darkworld, entdeckte. Begierig las ich weiter. Während unsere Welt noch nie zuvor etwas von dieser Parallelwelt gehört hatte, wusste man in Darkworld schon seit 200 Jahren von unserer Welt und man war kurz davor sie zu übernehmen und zu beherrschen. Sie mussten nur noch Ailana, eine Art Zwillingsschwester von Eric und Eric selbst finden, da sie die Einzigen waren, die in beiden Welten überleben konnten. Der Genstrahler der die Umwelt der Erde so verändern würde, dass die Leoner, die Bewohner dieser Parallelwelt, überleben würden, war schon fertiggestellt. Obwohl Eric und Ailana gefasst werden und diesen Genstrahler in unsere Welt bringen sollten, da die Leoner sie sonst zerstören würden, schaffen sie es das Vorhaben zu vereiteln und die Verbindung zwischen den Welten zu vernichten.

Überwältigt legte ich das Manuskript auf den Tisch. Ich war mir ziemlich sicher, dass es sich hierbei um eines der brillantesten Fantasy-Spektakel aller Zeiten handelte. Ich musste es unbedingt an einen Verleger schicken. Aber zuerst würde ich sie auf meinem Computer abtippen. Die Eiswürfel waren mittlerweile alle aufgetaut und das Wasser lief mir die Hand herunter. Ich trocknete mich mit dem Wischtuch ab und stellte überraschend fest, dass meine Hand überhaupt nicht mehr weh tat. In der Hoffnung, dass es so lange wie möglich anhalten würde, ging ich ins Arbeitszimmer und machte mich daran „Darkworld“ auf dem Computer abzuschreiben. Zurzeit noch harmlos und ohne jegliche Farbkraft, lag mein kleiner Stift neben mir. So lieb ich ihn auch gewonnen hatte, wagte ich es nicht ihn anzufassen. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass er gar nicht angefasst werden wollte. Nach ca. fünf Stunden hatte ich es tatsächlich geschafft die 225 Seiten abzutippen. Todmüde ging ich ins Bett und schlief auf der Stelle ein. Zum Ausdrucken hatte ich sowieso nicht genügend Papier.



Gegen elf Uhr stand ich auf, zog mich an und frühstückte ausgiebig. Die Sonne schien zum Fenster herein und ich war seit langem mal wieder richtig gut drauf. Nachdem ich fertig war, zog ich meine Jacke an, stieg in mein Auto und fuhr zum, Schreibwarenladen und kaufte drei Packungen Druckerpapier.
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Am liebsten hätte ich zehn gekauft, da ich ahnte das noch mehr Geschichten geschrieben werden würden, wollte aber auch nicht unnötig auffallen. So schnell wie möglich fuhr ich wieder nach Hause. Ich konnte es kaum noch erwarten mein Meisterwerk der Öffentlichkeit preiszugeben. Ich buckelte das Druckerpapier nach oben, ging zum Computer und begann „Darkworld“ auszudrucken. Nun brauchte ich mich nur noch um einen Verlag zu kümmern.



Es war nun zwei Wochen her, dass mein Buch veröffentlicht wurde. Die Kritiken waren gut und man freute sich schon sehnsüchtig auf meine nächsten Bücher. Sollte es wieder ein Bestseller werden, würde er mir sogar einen Vorschuss von 100 0000€ für die nächsten zwei Bücher geben.

Ich kam gerade erschöpft aus Frankfurt, wo ich eine Vorlesung gehalten hatte, zurück, als ich dieses vertraute Kribbeln in meinem Kopf spürte. Ich ließ meine Tasche fallen und ging wie hypnotisiert ins Arbeitszimmer. Der Kugelschreiber leuchtete aus voller Kraft und wieder einmal war ich völlig machtlos gegen ihn. Diesmal hatte ich um die vierhundert Seiten geschrieben. Meine linke Hand war vollkommen entzündet, da würde auch keine Kühlung mehr helfen und mein Hirn kam sich einfach nur missbraucht vor, von dem Rest meines Körpers ganz zu schweigen. Ich wünschte mir sehnlichst den Blackout vom erstem Mal zurück, aber mein Gedächtnis hatte alles bis ins kleinste Detail gespeichert. Ich konnte mich sogar bruchstückhaft daran erinnern, was ich geschrieben hatte. Diesmal ging es um einen Magier, der sein Reich gegen eine böse Zauberin beschützen muss und sich dabei dummerweise in sie verliebt. Wusste gar nicht, dass es so was auch gab. Natürlich schaffte es der Magier die Zauberin zu verwandeln und alles nahm ein gutes Ende. Mehr kriechend als laufend, beförderte mich ins Bad. Erstens brauchte ich eine Überdosis Aspirin und zweitens konnte ich meinen Schweißgeruch nicht mehr ertragen.



Mir ging es wieder pudelwohl. Selbst meine Hand muckte nicht mehr auf, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte und die geplatzte Ader, die sich quer über meine Stirn zog, konnte ich locker verkraften. Ich war gerade dabei mein zweites Meisterwerk ausdrucken und würde es in einer Stunde Herrn Meyer, meinem Verleger, auf den Tisch knallen.
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Selbstverständlich würde es wieder ein Bestseller werden, das stand außer Frage. Ich begann meinen Kuli wieder zu lieben. Was waren schon ein paar kleine Wehwehchen, wenn ich in ein paar Jahren regelrecht im Geld schwimmen und die berühmteste Schriftstellerin aller Zeiten sein würde?



Gemütlich saß ich in meinem Sessel und blickte eine Reportage über mich an. Auch mein fünfter Fantasy-Roman war wie eine Bombe eingeschlagen. Mit einem Grinsen im Gesicht betrachtete ich meine Auszeichnungen. Mal sehen wie viele es diesmal geben würde. Ich schaltete den Fernseher aus und ging ins Bad um mich zu duschen, bevor ich zu Bett ging. An mein neues Spiegelbild, das mit den vielen geplatzten Adern auf meiner Stirn, hatte ich mich gewöhnt, die Zeitungen anscheinend auch, da sie nicht mehr davon berichteten. Die restlichen Schmerzen hatte ich ebenfalls zu ertragen gelernt. Ich drehte gerade den Wasserhahn auf, als ich in mein Arbeitszimmer gerufen wurde. Ein Teil von mir wollte sich zwar irgendwo festklammern, hatte aber keine andere Wahl. Zudem ein anderer, der überlegenere, Teil sich schon auf ein weiteres Werk freute. Wie besessen begann ich zu schreiben, die grausame Qual meines Hirns ignorierend.



Epilog



Zwei Polizisten betraten die Wohnung von Silvana Klein. Herr Meyer hatte sich ernsthaft Sorgen gemacht, als sie sich gestern nicht gemeldet hatte und auch nicht ans Telefon ging, obwohl sie eine Vorlesung mit anschließender Autogrammstunde gehabt hätte. Leichter Verwesungsgeruch kam den beiden entgegen und ihnen wurde klar, dass sie nur noch eine Leiche vorfinden würden. Mit dem Anblick hatten sie aber keineswegs gerechnet: Ihr Kopf war regelrecht zerplatzt und ihre linke Hand war als solche nicht mehr zu identifizieren. Neben dem riesigen Berg an Manuskriptseiten lag ein hässlicher Kugelschreiber.



Ende
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Punktestand der Geschichte:   23
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Kommentare zur Story:

  hi john.

danke für deinen kommentar. würde mich jetzt aber trotzdem interessieren, was du hättest anders gemacht. zugegeben über das ende kann man sich durchaus streiten.

lg denise  
Denise Roßberg  -  08.11.06 21:09

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Obwohl der Anfang am besten war, und zum Ende hin die Idee etwas abflacht ist diese Geschichte gut!
Die Grundidee ist das, was diese Story überhaupt ausmacht, ihr "Seele". Man hätte vielleicht... aber ich will hier nicht mecckern. Fazit: Gut!  
John John Dorian  -  01.11.06 19:36

   Zustimmungen: 4     Zustimmen

  Hi!

Die Geschichte ist echt gut. Entwickelt sich spannend und ist spitze geschrieben.
Besonders beeindruckt mich, daß die Dame 225 Seiten in 5 Stunden abtippen kann. Da würd mir auch der Schädel platzen ;-)

Jedenfalls Lob und lg
Chris  
Chris  -  23.10.02 15:19

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Schön... mich würde mal interessieren, was den Kuli denn verhext hat. Die Parodie auf Workaholics (die ich in der Geschichte sehe) ist gut gelungen.  
Erik Hart  -  06.10.02 14:27

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  Toll geschrieben . Herje , jetz kann ich nie wieder einen Kugelschreiber anfassen  
Stephan Cemetery  -  05.10.02 19:38

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  Schön gruselig geschrieben, wie der verfluchte Kugelschreiber mehr und mehr Macht über die Schriftstellerin erringt.
So ist es nun mal: Nichts fällt einem in den Schoß. Das mit der schmerzenden Hand kenne ich nur zu gut... :-)
Man schreibt und schreibt und schreibt wie besessen, dabei wollte man sich doch "nur schnell ein halbes Stündchen" an den Schreibtisch setzen. :-)
Gute Geschichte und ein interessanter Einfall.  
Stefan Steinmetz  -  18.09.02 17:28

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  Gut Story über einen Wunsch, der zum Wahn wird und schließlich zum Tode führt.
Was mich aber auch interresieren würde, sind die beiden Geschichten, welche die Autorin geschrieben hat... ;)  
Destiny  -  12.09.02 20:38

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