Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Thomas Schwarz      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 1. Januar 2021
Bei Webstories eingestellt: 1. Januar 2021
Anzahl gesehen: 1763
Seiten: 3

Vom chinesischen Gelehrten Konfuzius stammt der berühmte Satz:





Der Weg ist das Ziel.



Oft rätselte ich und diskutierte mit anderen über die Bedeutung dieser Aussage, dabei war es meine Mutter die mich diese Lektion bereits in meiner Jugend lehrte, was ich wie so vieles andere gern vergaß, weil ein etwas bitterer Nachgeschmack an diesen Erinnerungen klebt.

Wir lebten in einem kleinen Mietshaus fernab der Stadt. Wer zu uns wollte, musste vorbei an Feldern, durch Wiesen und auf unebenen Pfaden gehen und nur wenige taten sich diese Strapazen an, darunter der Postmann, der jedes mal knurrte, wenn ein Brief für unsere Mietergemeinschaft zugestellt werden musste. Zusammen mit sechs anderen Familien lebten wir im alten Bahnhofsgebäude der Stadt. Noch immer zeugen die rostbraunen, mit Gras und Unkraut überwachsenen Gleise von der Zeit als hier Menschen ankamen und fortfuhren. Die neue Bahnlinie führt jetzt zwei Kilometer vom nördlich liegenden Stadtrand vorbei nach H. und unsere Gemeinde teilt sich mit der Nachbargemeinde den neuen Bahnhof. Nachdem der alte Bahnhof leer stand, verkaufte ihn die Bahn an die Stadt, welche sich daran machte, daraus Sozialwohnungen zu bauen. Sieben kleine Wohnungen entstanden. Vater und Mutter waren froh, die erste Wohnung zugesprochen zu bekommen. Zum Wohnhaus gehörte noch ein kleines Nebengebäude mit Wellblechdach das Vater in Eigenregie zu einem Hühnerstall umfunktionierte. In der Schule und bei der Stadtverwaltung galten wir als arm. Falls wir es je waren, verdeckten meine Eltern die Realität vollkommen vor meinen Augen. Von ihnen bekam ich sogar jede Woche ein kleines Taschengeld

Wir besaßen keinen Garten mit Zaun, nein, wir herrschten über die Wiesen, Felder und den Himmel der das Unsere bis zum Waldrand am Horizont überdeckte. Die Feldarbeiter ließen so manche Kohlköpfe mit Dellen oder die vom Wild angeknabbert wurden liegen. Wir machten uns auch einen Spaß daraus, nach der Ernte die liegengebliebenen kleinen Kartoffeln oder nicht schön gewachsene Kürbisse aufzusammeln. Die Stadtbewohner ignorierten den Sanddorn und die Hagebuttensträucher neben unserem Haus auf ihren sonntäglichen Wanderungen. Einmal saß ich am Fenster und hörte eine Stimme vor den orange farbenen giftigen Vogelbeeren warnen.
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Ich wollte den am Haus vorbeigehenden Leuten die Sorge nehmen und sie aufklären. Mutter knuffte mich aber in die Seite und hieß mich still sein. Die meisten ließen vermutlich die Finger von den Sträuchern wegen der Dornen. Ca zweieinhalb Kilometer von unserem kleinen Reich entfernt lag ein großer Bauernhof mit einem gutgehenden Hofladen. Die Wiesen mit den Obstbäumen die zwischen uns und dem Hof lagen, gehörten nicht zum Besitz des Bauern, sondern jemandem der im Ausland lebte.

Es war ein heißer Tag im August. Die ersten Heuböcke standen aufgerichtet in den abgemähten Wiesen und die Sonne trocknete das Gras. Mutter wollte unserer Familie zum Sonntag etwas gutes tun und einen Apfelauflauf backen. Sie bat mich Äpfel zu holen. „Wo krieg ich die denn her?“, fragte ich etwas ratlos. Es war Samstag nachmittag, in der Stadt hatten alle Läden bereits zu. Mutter, die mit dem Wäschebügeln beschäftigt war und gleichzeitig mit Vater etwas besprach, winkte in Richtung Westen. Ich verstand; zum Hofladen sollte ich wohl gehen. Die Luft flirrte vor Hitze. Zum Glück konnte man unter den Bäumen und am Bach entlang gehen. Als ich bei Bauer Wedel ankam fiel mir ein, dass ich losgelaufen war ohne die Eltern um Geld zu bitten damit ich die Äpfel bezahlen konnte. Zum Glück hatte ich vormittags mein wöchentliches Taschengeld erhalten, das ich im Geldbeutel bei mir trug. Ich kaufte zwei Kilo Äpfel und lief stolz zurück. Zu Hause angekommen legte ich Mutter die Äpfel auf den Tisch mit der Rechnung. Sie blickte mich an und fragte wo ich die Äpfel geholt hätte. Ich antwortete: Beim Bauern im Hofladen. „Du wirst ja nicht glauben, dass ich dir das Obst hier zahlen werde“, schalt sie, „ wenn du auf deinem Weg nach sonst wohin buchstäblich von Apfelbäumen umgeben bist, kam es dir da nicht in den Sinn, ein paar Äpfel vom Boden aufzusammeln oder von den Bäumen zu zupfen? Die Klaräpfel dort auf der Wiese gibt es seit Jahr und Tag, die stehen da seit wir hierher gezogen sind und du weißt, dass sie niemandem gehören. Niemand mag die kleinen, sauren weißen Äpfelchen, deswegen fallen sie ungeerntet von den Bäumen und verrotten am Boden, Stattdessen läufst du in der Hitze den ganzen Weg rüber zum Bauern und wirfst unnötig Geld aus dem Fenster.
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An den Apfelauflauf am darauf folgenden Sonntag erinnere ich mich noch gut, denn er schmeckte bitter, nicht so sehr vom Geschmack der Äpfel her, aber von dem Zorn den ich hegte, auf meine Mutter, auf mich und auf eine Woche ohne Taschengeld. Diese Erinnerung aus meiner Kindheit fiel mir ein, als ich kürzlich in einer Buchhandlung ein Buch mit Laotses Weisheiten in meinen Händen hielt.
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Kommentare zur Story:

  Die Vergangenheit ist immer wieder interessant. Da war ja deine Mutter ganz schön streng mit dir. Aber so war es damals und deine Eltern waren nicht gerade die Reichsten. Schön, dass du ansonsten von ihrer Armut kaum etwas gespürt hast. Sie müssen nicht nur klug gewirtschaftet haben, auch zufrieden mit Wenigem gewesen sein.
Tolle kleine Geschichte. Hat sich sehr schön gelesen.

Einen schönen Jahresanfang
wünscht Dir  
   Gerald W.  -  02.01.21 13:41

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Jonatan Schenk" zu "Eine Rose wird blühen"

ein sehr schönes gedicht!

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