Mission Titanic - Kapitel 1   361

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 24. Juni 2018
Bei Webstories eingestellt: 24. Juni 2018
Anzahl gesehen: 2473
Seiten: 9

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit: Die Verfügbarkeit ist eine Angabe die nur im Prologteil der Reihe zur Verfügung steht.

Diese Story wurde zwar als Teil einer Reihe definiert, eine entsprechende Prologangabe fehlt allerdings noch.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Kapitel 1 – Das Omen



Southampton, Mittwoch 10. April 1912



Nachdem die R.M.S. Titanic pünktlich um 12 Uhr Mittag ablegte, wurde der Ozeangigant von fünf Schlepper mühselig aus dem Hafenbecken gezogen. Tausende Menschen aus ganz Europa waren in die englische Hafenstadt Southampton gereist, um das größte Schiff der Welt zu bestaunen. Etliche von ihnen waren gekommen, um ihre Angehörigen zu verabschieden. Es waren überdies zahlreiche Journalisten erschienen, die das Auslaufen des Schiffes für ihre Tageszeitungen fotografierten, und weil es bis dato der großartigste Moment für die Menschheit war, wurde dieses Ereignis sogar mit einer neuartigen Filmkamera festgehalten.

Aufgrund des aktuellen Kohlestreiks ankerten zahlreiche Passagierschiffe an den Piers, weil der wertvolle Brennstoff aus ihren Kesselräumen hinüber zur Titanic transportiert wurde. Die Jungfernfahrt der Titanic hatte höchste Priorität für die Reederei White Star Line, alle anderen Überseefahrten wurden storniert. Die Titanic war also zurzeit das einzige Passagierschiff, das nach Amerika und wieder zurück nach Europa tingelte.

Die meisten Passagiere waren darüber sogar erfreut, denn nun durften auch sie mit dem angepriesenen Ozeandampfer fahren. Aber manche Leute waren skeptisch, weil ihnen eine Reise mit so einem gigantischen Stahlkoloss einfach nicht geheuer war. Insbesondre waren einige hohen Herrschaften weniger über diesen kurzfristigen Entschluss der Reederei begeistert, denn die Erste-Klasse-Passagiere der New York und Oceanic, die nun menschenleer an den Piers festgezurrt lagen, wurden in die unteren Decks untergebracht, weil bereits die günstigste First-Class-Suite auf der Titanic beinahe doppelt so viel kostete, als auf einem gewöhnlichen Ozeandampfer.

Das Signalhorn der Titanic dröhnte dreimal hintereinander laut auf, sodass selbst die Fensterscheiben der umliegenden Häuser leicht vibrierten, als das Schiff langsam von der Pier ablegte. Unzählige Menschen jubelten und winkten mit ihren Taschentüchern dem langsam abdriftenden Ozeanriesen zu.



Auf dem überdachten Promenaden-Deck, der Zutritt sowie Aufenthalt dort selbstverständlich ausschließlich für die Erste-Klasse-Passagiere erlaubt war, standen die Zeitreisenden Mara und Jean Corbusier.
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Sie blickten erstaunt zur Hafenmole hinüber und beobachteten die Menschen, wie sie jubelten und winkten.

Das Ehepaar Corbusier hatte zwar schon öfters bei der TTA eine Zeitreise gebucht und unternommen, aber niemals zuvor im frühen zwanzigsten Jahrhundert, wo noch ein Mensch nur nach seiner gesellschaftlichen Rangordnung beurteilt wurde. Zudem befanden sie sich auf der Titanic, mitten unter der vermögenden Gesellschaft, weshalb sie unbedingt auf ihre Manieren achten mussten, wenn sie nicht als Neureiche abgestempelt werden wollten und man über sie lästerte. Zu Beginn ihrer Zeitreise hatten sie einen Vertrag unterzeichnet, dass sie keinesfalls Aufsehen erregen durften und sich bei gegebenen Streitigkeiten stets defensiv verhalten mussten. Außerdem wurde beiden von der TTA unter anderem aufgetragen, mit wem sie sich unterhalten durften und welche Personen sie unbedingt meiden mussten. Selbstverständlich war es zudem strikt untersagt, über zukünftige Ereignisse zu plaudern oder diese gar nur zu erwähnen. Einen Vertragsbruch würde für das Ehepaar Corbusier bedeuten, dass dies ihre letzte Zeitreise gewesen war, woraufhin ihre injizierte Transmittersonde von der Sicherheitszentrale deaktiviert werden würde.

Jean war mit einem schwarzen Frack und Zylinderhut bekleidet, Mara dagegen trug ein beigefarbenes Rüschenkleid mit Blümchen bestickt, und einen beeindruckend großen Sonnenhut, dieser grad in Mode war. Ihre lange rothaarige Perücke trug sie an diesem Tag offen, sodass die Locken über ihre Schultern lagen. Beide lehnten sich gegen die weißlackierte Vertäfelung und schauten abwechselnd nach vorne zum Schiffsbug und zum Achterdeck hinüber, weil sich dort unzählige Menschen versammelt hatten. Das 269 Meter lange Schiff war beeindruckend lang.

Plötzlich wurde Mara von einer alten Dame angerempelt, die einen Mops auf ihren Arm trug. Mara drehte sich ihr entgegen und erschrak, als sie das Hündchen erblickte. Sie wusste zwar aus Fachbüchern, dass die Menschen damals Hunde als Haustiere gehalten hatten, aber jetzt sah sie zum ersten Mal ein lebendiges Tier aus nächster Nähe. Krampfhaft versuchte sie ihre Angst vor dem kleinen Hund zu verbergen und lächelte verlegen.

„Verzeihen Sie mir Miss, das war keine Absicht. Wenn Sie erlauben, mein Constantin möchte auch mal die winkenden Menschen am Ufer sehen“, fuhr die alte Dame sie mit einem hochgestochenen Unterton an, wobei sie ihren Mops streichelte.
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Constantin guckte die großgewachsene Mara mit seinen dunklen Knopfaugen zuerst nur an, knurrte dann und bellte schließlich giftig. Mara erschrak erneut und zuckte kurz zusammen, als der kleine Köter seine spitzen Beißerchen fletschte und ständig nach ihr schnappte.

„Oui, s-selbstverständlich, gnädige Madame“, antwortete Mara und trat einen Schritt zur Seite, damit die kleine Frau ihrem Hündchen einen schönen Ausblick auf den Hafen ermöglichen konnte. Die alte Lady starrte sie durch ihr feines Hut-Netz verwundert an und runzelte die Stirn, weil sie Maras unüberhörbaren französischen Dialekt vernommen hatte.

„Aha, soso, Sie sind also eine Mademoiselle“, grinste die betagte Dame. „Reisen Sie etwa ganz alleine? Na, wenn das mal keinen Skandal gibt, junges Fräulein“, wankte sie mahnend mit dem Finger. Dann schimpfte sie mit ihrem kleinen Mops, weil er einfach nicht zu bellen aufhörte. „Sei jetzt endlich still, Constantin! Was sollen die Leute denn von uns denken?“

„No Mademoiselle, Madame. No Mademoiselle“, konterte Mara lächelnd und zog Jean ruppig an sich heran. „Ich bin auch eine Madame, Madame, und reise selbstverständlich gemeinsam mit meinem Ehegatten!“ Daraufhin wurde die Dame freundlicher und lächelte.

„Aja, interessant. Dann entschuldige ich mich bei Ihnen. Es tut mir aufrichtig leid, Sie noch als Fräulein betitelt und Sie möglicherweise gekrängt zu haben“, antwortete sie gestelzt.

Als der kleine Mops immer noch nicht aufhörte, Mara anzukläffen, schimpfte die alte feine Lady erneut mit ihrem Hund. „Pschscht, Constantin, bist du jetzt endlich still! Was ist denn heute bloß los mit dir?! Bist du nicht artig, gibt es kein Leckerli für dich, wenn es nachher am Nachmittag Zeit für den Tee ist! Und diesmal meine ich es wirklich ernst, Constantin!“

Daraufhin gehorchte das Hündchen, schleckte sich seine platte Schnauze aber knurrte Mara trotzdem an.

„Verzeihen Sie bitte meinem Constantin sein schlechtes Benehmen, Madame. Er ist immer so aufgeregt wenn wir eine Kreuzfahrt unternehmen“, entschuldigte sich die englische Lady.

Mara grinste kurz und zwinkerte auffällig mit ihren Augenlidern, und wandte sich dann ab.
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Jean zog seine Ehefrau behutsam zurück, damit die alte Lady mit ihrem Hund die Aussicht auf den Hafen genießen konnte. Die Jubelschreie vom Ufer hörten sich an, als würden die Menschen den König von England Georg V verabschieden.

„Sag mal, sind die Leute im zwanzigsten Jahrhundert alle so merkwürdig?“, fragte er Mara flüsternd ins Ohr. „Die Akteurin behandelt dieses Tiergeschöpf, als wäre es ihr eigenes Kind. Das ist doch völlig absurd, meinst du nicht? Komm, lass uns reingehen. Ich will jetzt endlich die Innenausstattung des Schiffes bestaunen und unsere Suite sehen. Immerhin haben wir dafür vierundzwanzig Milliarden Euro bezahlt.“

Mara zuckte mit ihrer Schulter, sah ihren Ehemann ratlos an und seufzte.

„Darüber bin ich selbst überrascht. Ich kann es mir nur so erklären, dass Haustiere für die Akteure ebenso wichtig waren, wie für uns die Haushaltsroboter.“

Jean grinste, während er sich in Maras Arm einhakte und beide, wie ein vornehmes Ehepaar, durch den Rauchersalon der Ersten-Klasse stolzierten.

„Wie wahr, wie wahr. Letztens hatte ich dich dabei erwischt, wie du mit Doreen-A250 ähnlich geschimpft hattest“, nuschelte Jean ihr ins Ohr, zog seinen Zylinderhut ab und grüßte freundlich ein Ehepaar, das ihnen begegnete.



Zeitgleich hatten sich unzählige Menschen aus der zweiten und dritten Klasse auf dem Achterdeck versammelt, um sich von England zu verabschieden, dort sich die Passagiere allerdings etwas lebhafter und ruppiger verhielten, als auf dem Promenadendeck. Nichtsdestotrotz herrschte eine euphorische Stimmung. Es wurde geschubst und gedrängelt, denn am liebsten wollte sich jeder zugleich über die Reling lehnen und allen Leuten am Ufer zuwinken. Die Väter nahmen ihre Kinder auf ihre Schultern, damit sie diesen tosenden Applaus miterleben konnten. Der Schreinerlehrling Aaron O’Neill, sowie die anderen Lehrlinge aus den anderen Handwerkerberufen, die zu der auserwählten Garantiegruppe gehörten, eilten ebenfalls zum Achterdeck und zwängten sich durch die Menschenmasse, lehnten sich gegen die weiße Reling weit hinaus und winkten der Menschenmasse am Kai zu.

Goodbye England, Europa goodbye.

„Irgendwo dort in der Menge ist meine Mutter“, sagte Aaron zu seinen Kameraden.
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Er lehnte sich weit über die Reling hinaus und spuckte in das schäumende Hafenwasser. Dann hielt er sich die Hände gegen seine Wangen und rief: „Mom! Sobald ich in Amerika mein erstes Gehalt bekommen habe, schicke ich dir per Post das Geld. Dann kannst du mit dem nächsten Schiff zu mir kommen!“

Daraufhin blickte der vierzehnjährige Elektrikerlehrling Sean ihn verwundert an.

„Was meinst du damit, dass du deine Mutter zu dir holen willst? Wir fahren doch sowieso wieder zurück nach Southampton, wenn wir Amerika erreicht haben.“

„Ihr ja, ich aber nicht“, erwiderte der siebzehnjährige Aaron grinsend, während er eine Zigarette rauchte und sich lässig gegen die Reling lehnte.

„Leute, ich sag euch das jetzt im Vertrauen. Wenn ihr mich verpetzt, werde ich es abstreiten und euch als Lügner bezeichnen. Obendrein wird sich jedes Plappermaul von mir eine mächtig fangen, kapiert? Ich werde in New York aussteigen und dort mein Glück versuchen. Jawohl, das werde ich machen!“

„Ja aber – aber das darfst du doch gar nicht“, antwortete Sean empört. „Wir gehören zur Garantiegruppe und müssen auch während der Rückfahrt zur Verfügung stehen, falls irgendwelche Reparaturen anstehen. Dafür werden wir bezahlt!“

Sean sah demonstrativ zu der Brücke hinauf, die sich waagerecht über das Achterdeck erstreckte und einige Männer dort in blauen Uniformen standen. Das waren nur einige von den unzähligen Matrosen der Titanic, die grimmig dreinschauten und für Zucht und Ordnung auf dem Schiff zu sorgen hatten.

„Siehst du die gefährlichen Kerle dort oben? Das sind die Polizisten des Schiffes und sie werden uns genau beobachten, wenn wir New York erreicht haben. Die werden dich niemals von Bord lassen. Mensch Aaron, bau bloß keinen Mist. Allein der Versuch abzuhauen, wird dich deinen Job kosten!“, ermahnte ihn der vierzehnjährige Sean.

Aaron aber kicherte.

„Ich bin jetzt ein Schreinergeselle, wie die anderen, und steige in Amerika aus. Niemand wird mich daran hindern, nicht einmal Mister Andrews. Basta! Ich sag euch mal was, Leute. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass die Amerikaner in New York große Hochhäuser bauen wollen und dazu benötigen sie gelernte Schreiner.
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Dort gibt es also mehr als genug Arbeit, ganz anders als bei uns in Irland. Und irgendwann werde ich eine eigene Firma gründen und steinreich werden. So einfach ist das“, antwortete er selbstsicher.

„Mensch Aaron, überlege dir genau, was du tust“, antwortete Sean aufgebracht. „Harland & Wolff bietet dir eine Arbeitsstelle auf Lebzeiten an. Zurzeit wird der dritte Ozeanliner gebaut, die Britanic, und danach folgen ganz bestimmt weitere Aufträge, aber wenn Mister Andrews von deinem Vorhaben erfährt, wird er den Zahlmeister beauftragen, dich einsperren zu lassen. Sei doch kein Narr und einfach nur glücklich, dass du ein Auserwählter für die Garantiegruppe bist. Was glaubst du, welche berufliche Möglichkeiten sich jetzt für dich in ganz Irland ergeben wird, weil du dabei bist“, versuchte Sean ihn zu überzeugen

Aaron schnappte sich blitzschnell Seans Schirmmütze, schleuderte sie wie ein Frisbee über dutzende Menschenköpfe hinweg und sah ihn ernst an, während er paffte.

„Du hast doch keine Ahnung, du kleiner Knirps“, sagte er, woraufhin er schallendes Gelächter von seine Kameraden erntete. „Amerika ist die Zukunft, nicht Irland. Kapiert? Was glaubst du denn, weshalb jeder aus Irland abhaut? Aber wehe du verpfeifst mich, dann kriegst du es mit mir zu tun. Ist-das-klar?!“, ermahnte er Sean, wobei er ihm in die Wange kniff. „Das gilt für euch alle!“, fauchte Aaron, wobei er die anderen Lehrlinge ebenso ernst ansah.

Über die Mundwinkel des Siebzehnjährigen huschte ein müdes Lächeln. „Ihr seid brave Jungs. Ansonsten gibt’s heiße Ohren!“

Der junge rothaarige Bursche O’Neill mit dem Lockenkopf, der einst unter den Fittichen seines Lehrmeisters Ike van Broek gestanden hatte, war fest entschlossen, in New York illegal auszusteigen. Aus dem einst kleinen, vorlauten Bengel war mittlerweile ein großgewachsener, dominanter Bursche geworden, der mit seinem selbstbewussten Auftreten insgeheim das Sagen unter den Lehrjungen der Garantiegruppe errungen hatte.



Während die Titanic von den Schlepperschiffen gezogen wurde und gemächlich durch das Hafenbecken glitt, peitschten plötzlich unheilvolle Knalle durch die Luft, so laut wie Gewehrschüsse. Die faustdicken Taue der R.
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M.S New York waren gerissen, weil sie vom Sog des Ozeanriesen erfasst wurde, woraufhin das Passagierschiff New York langsam sowie unaufhaltsam auf die Titanic driftete.

Die Passagiere der Titanic, die auf dem Promenaden- und Bootsdeck standen und ihren Angehörigen zuwinkten, schrien erschrocken auf, als die manövrierunfähige New York zielstrebig auf den riesigen Ozeanliner zusteuerte. Die meisten Leute hielten sich entsetzt ihre Hand vor dem Mund, denn ein Zusammenstoß schien unvermeidlich zu sein. Dies würde für die Titanic das frühzeitige Ende der Überseereise bedeuten, denn der Schaden wäre gewaltig. Doch der erfahrene Kapitän E.J. Smith reagierte geistesgegenwärtig und befahl seiner Crew, dass allein nur die Backbordschraube auf „voller Kraft voraus“ gesteuert werden müsse. Jedoch für nur wenige Sekunden, und zwar augenblicklich!

Unten im Maschinenraum reagierten die Maschinisten genauso blitzschnell. Sie schalteten in Windeseile die Backbordschiffsschraube auf „volle Fahrt voraus“ ein und aufgrund des gewaltigen Strudels, der durch diesen mächtigen Schub entstanden war, wurde die herrenlose New York vom Schiffsrumpf der Titanic allmählich weggedrängt. Dieses Manöver war ein gewagtes Unterfangen, denn würde die riesige Titanic nur einige Sekunden länger mit einer Schiffsschraube mit voller Kraft vorwärts fahren, würde sie die Schlepperschiffe auf der Steuerbordseite rammen und möglicherweise gar versenken.

Sogleich läutete oben im Ausguck, im sogenannten Krähennest, dreimal die Glocke als Zeichen dafür, dass das Schiff stoppen wird. Kurz darauf ertönte minutenlang ein ohrenbetäubendes Zischen, weil der überschüssige Dampfdruck in den Kesselräumen abgelassen wurde, und weißer Rauch schoss aus den gewaltigen Schornsteinen hinaus in die Luft und verbreitete sich über den Hafen von Southampton.

Kapitän E.J. Smith eilte mit kurzen schnellen Schritten von der Kommandobrücke die Treppe hinunter, lehnte sich über die Reling und verfolgte mit ernstem Blick, wie gegenüberliegend die R.M.S. New York von Matrosen wieder an die Pier gezogen wurde.

Der stattliche Mann mit dem weißen Bart atmete erleichtert auf. Die Jungfernfahrt der Titanic sollte seine letzte Überfahrt für die Reederei White Star Line sein, danach wollte er in den Ruhestand gehen.
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Nun hätte ihm beinahe ein anderes Schiff, welches sogar ausgerechnet wie das Reiseziel hieß, am Ende seiner erfolgreichen Berufskarriere eine negative Schlagzeile in den Zeitungen beschert. Immerhin berichtete die ganze Welt über das Auslaufen des größten Schiffes der Welt, und noch einen Zeitungsbericht über einen Schiffsunfall würde ihn inkompetent darstellen lassen.

Letztes Jahr hatte E.J. Smith die Olympic kommandiert, wobei das Kriegsschiff H.M.S Hawke mit dem Schwesterschiff der Titanic auf hoher See kollidiert war. Es waren nur den wasserdichten Schotten zu verdanken, die sofort heruntergelassen wurden und das vollgelaufene Abteil abgedichtet hatten, dass die Olympic wieder eigenständig zurück nach Belfast zur Schiffswerft Harland & Wolff fahren konnte. Die Reparaturen an der Olympic dauerten drei Wochen lang an, woraufhin die Bauarbeiten auf der Titanic sich kritisch verzögert hatten.

Ein aufgebrachtes Geschrei ertönte, woraufhin Aaron und die anderen Lehrlinge sich auf dem Achterdeck zur Backbordseite drängelten um nachzuschauen, was geschehen war. Ein äußerst beunruhigender Anblick offenbarte sich den Lehrburschen. Der spitze Bug der halb so großen R.M.S. New York war nur wenige Meter vom Schiffsrumpf der Titanic entfernt, so nahe, dass man hinüberspringen hätte können.

„Ach du Schreck!“, rief der blutjunge Sean aufgebracht, als er beobachtete, wie dutzende Matrosen das manövrierunfähige Schiff mithilfe von etlichen Seilen wieder an die Pier zogen. „Beinahe wären wir gerammt worden“, sagte er ängstlich.

Aaron aber war begeistert.

„Junge, Junge, das war echt knapp. Mein lieber Scholli. Schade, ich hätte es gerne gesehen, wie dieser blöde Kahn uns gerammt hätte, am Schiffsrumpf der Titanic zerschellt und im Hafenbecken abgesoffen wäre. Leute, das wäre echt eine Gaudi gewesen“, kicherte Aaron.

Sean jedoch teilte nicht seine Meinung, und blickte stattdessen wie erstarrt vom Achterdeck hinunter, wie das Passagierschiff New York langsam zur Pier gezogen wurde.

„Oje, ich weiß nicht so recht, Aaron. Aber ich glaube, das ist kein gutes Omen für eine Jungfernfahrt, sage ich dir.“

„So ein Blödsinn. Du hast doch absolut keine Ahnung“, fuhr ihn Aaron ärgerlich an und schlug ihm mit der flachen Hand gegen seinen Hinterkopf.
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„AUA!“, erwiderte Sean erbost. „Du bist voll gemein, weißt du das eigentlich?“

„Die Titanic ist nicht nur das größte Schiff der Welt, sondern sie ist auch das sicherste Schiff der Welt. Nicht einmal der Herrgott könnte dieses Schiff versenken, weil die Titanic aufgrund der wasserdichten Schotten einfach unsinkbar ist. Vertraue mir, Kumpel“, sagte Aaron.

Der bekennende Katholik bekreuzigte sich sogleich demütig und sagte: „Verzeihe meine Bemerkung und sei mir nicht böse, HERR, aber das ist nun mal Fakt.“



Nachdem aufgrund der Vorkommnisse eine Stunde verstrichen war, stach die R.M.S. Titanic endgültig in See. Gegen 22 Uhr erreichte das Royal Mail Ship die Küste von Frankreich und ankerte vor Cherbourg, dort weitere Auswanderer und prominente Persönlichkeiten an Bord gingen, wie beispielsweise John Jacob Astor, der zurzeit reichste Mann der Welt, in Begleitung mit seiner blutjungen, schwangeren Ehefrau Madeleine, sowie die neureiche Margaret Brown, die später als die unsinkbare Molly Brown bekannt wurde. Der achtundvierzigjährige, mehrfache Milliardär John Jacob Astor war dermaßen vermögend, dass er seiner neunzehnjährigen Ehefrau die Titanic zum Geburtstag einfach hätte schenken können. Nun steuerte der legendäre Ozeandampfer seiner allerletzten Anlegestelle entgegen, und würde den südlichsten Zipfel von Irland am nächsten Mittag erreichen. Unter allen anderen Passagieren, die in Queenstown einsteigen wollten, gedachte auch Ike van Broek an Bord zu gehen.
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Kommentar von "Nathanahel Compte de Lampeé" zu "Manchesmal"

... welch ein wunderschöner text ! lg nathan

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