Mortal Sin Oktober 2008- The Wolf In Sheep´s Clothing   161

Romane/Serien · Spannendes

Von:    JoHo24      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 22. April 2018
Bei Webstories eingestellt: 22. April 2018
Anzahl gesehen: 2042
Seiten: 12

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Muss man einen Menschen unschädlich machen, dann sollte man ihn so verletzen, dass man seine Rache nicht zu fürchten hat.



- Niccolò Machiavelli





Saint Berkaine, kurz nach Mitternacht. Die Luft war klirrend kalt, was ihm jeden Atemzug zur Qual machte. Sein gefütterter Mantel konnte sich nur schwerlichst gegen die niedrigen Temperaturen behaupten und ihn warm halten.

James Matthew Roddick fluchte in sich hinein, während sein Atem sichtbar vor ihm aufstieg. Bis auf das ferne, einsame Bellen eines Hundes war nichts zu hören. Es war eine ruhige Wohngegend, in der ein Fremder, wie er, am Tage sofort auffiel und die Nachbarschaft in Misstrauen versetzte. Doch in der Nacht war der junge Killer unsichtbar. Und er würde genauso schnell verschwinden, wie er aufgetaucht war, wenn er seinen Auftrag hinter sich gebracht hatte.

Sein Blick schweifte zu dem kastenähnlichen Bungalow, der sich vor ihm erhob und etwas abseits der Straße lag. Der Vorgarten erstreckte sich meterweit in die Finsternis, sodass er keine genauen Details des Gebäudes erkennen konnte. Aber diesen Umstand war er gewohnt, schließlich spielte sich der Großteil seiner Tätigkeit in der Dunkelheit ab. Also setzte er sich voller Selbstvertrauen in Bewegung. Geschwind und leichtfüßig, wie eine Katze, schlich er an den Bungalow heran und verschaffte sich einen Überblick. Seine stahlgrauen, wachsamen Augen scannten die Eingangstür und die Fenster, auf der Suche nach einer Einstiegsmöglichkeit.

Aus eigener Erfahrung und dank den Ratschlägen Patton Masseys, der ein Ass in Punkto Einbrüche war, wusste er, dass die Hintertür meist der Weg zum Erfolg war. In leicht gebückter Haltung begab er sich hinter das flache Gebäude und wurde fündig. Eine alte, zerschlissene Tür, dessen Holz bereits an einigen Stellen abgeplatzt war, war die einzige Hürde, die er nehmen musste, um an seine Zielperson zu gelangen. In ihm breitete sich ein wohliges und zufriedenes Gefühl aus, das ihm Stärke und Selbstsicherheit verlieh. Heute Nacht konnte nichts schief gehen.

Der Killer näherte sich, dabei blieb sein Blick unverrichtet am Bungalow hängen, um sicher zu gehen, dass nicht doch ein Licht in einem Fenster erschien. Daher machte er sich eilig an die Arbeit. Das Öffnen der klapperigen Holztür war kein Problem für seine geschickten und geübten Hände. Es dauerte bloß Sekunden, bis die Tür mit einem leisen Quietschen aufschwang und ihm den Zutritt sicherte.
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James Roddick ließ seinen Kopf kreisen, wodurch es vereinzelt in seinem Nacken- und Schulterbereich knackte. Es war eine Art Ritual, womit er sich aufs Töten vorbereitete.

Bedacht trat er über die Schwelle, hielt inne und lauschte. Wie zuvor war kein Geräusch zu vernehmen. Der Dunkelhaarige lächelte triumphal. Der Bewohner des Hauses hatte nichts mitbekommen. Es würde ein Leichtes für ihn sein ins Schlafzimmer zu gehen, seine Beretta zu ziehen und dem Mann in den Kopf zu schießen.

Voller Adrenalin und Vorfreude wagte er sich die nächsten Schritte vor. Er stand in einem kleinen, mit Krimskram vollgestopften Wohnzimmer. Es roch nach Zigaretten und Motoröl. Ihm kam augenblicklich eine der Informationen, die Jericho ihm gegeben hatte, in den Sinn: Seine Zielperson, Joseph Higgins, war von Beruf Automechaniker. James wanderte weiter durch den Bungalow, der einengend und ärmlich war. Überall standen Gegenstände im Weg herum, denen er ausweichen musste, wie bei einem Hindernislauf. Die Sammelwut Joseph Higgins ärgerte ihn maßlos, weil sie ihn in seinem Fluss bremste und ihn mehr Zeit, als nötig, kostete. Lautlos schnaubte er, während er einen leeren Umzugskarton mit dem linken Fuß zur Seite schob.

Er brauchte Minuten, bis er den Flur hinter sich gebracht hatte. Entnervt stieß er einen Seufzer aus, dann bog er um die nächste Ecke und…bekam wie aus dem Nichts einen gewaltigen Aufwärtshaken gegen sein Kinn. Der überraschende Treffer traf ihn wie ein Hammerschlag und beförderte ihn krachend auf den Boden. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, als habe sich jemand auf seinen Brustkorb gesetzt. Blut und Speichel sprühten aus seinem Mund und befleckten sein Gesicht.

Vor seinen Augen drehte es sich, sein Schädel dröhnte gewaltig, als das Licht eingeschaltet wurde und ihn blendete. Automatisch bedeckte er mit einer Hand die Augen, um sie zu schützen. Was zur Hölle…

Klobige Hände packten ihn unsanft am Kragen seines Hemdes und zogen ihn nach oben. Kaum hatten seine Füße wieder Bodenkontakt, da schlug er gnadenlos zu und ignorierte rigoros seinen heftigen Schwindel. Links, rechts, links, jeder Schlag saß. Sein Gegner, den er nur als gesichtslose Person wahrnahm, brüllte vor Zorn und lockerte seinen Griff. Sogleich riss James sich los, wich einige Schritte zurück und zog seine Waffe.
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Als er die Stirn des Mannes anvisierte, erhielt er den ersten Blick auf seinen Angreifer.

Der blonde Kerl war nicht älter als 30, riesengroß und muskulös. Scheiße, wer ist das? Definitiv nicht Joseph Higgins. Jericho sagte, er sei ein alleinstehender Mann mittleren Alters mit starken Hüftproblemen. Ist das etwa sein Sohn? Das kann nicht sein. Von einem Kind war nie die Rede. Aber wichtiger ist die Frage, wie mich dieser Typ überhaupt hatte hören können? Und wie habe ich IHN überhören können?

James hatte, seit seinem Betreten, niemand bemerkt. Es konnte unmöglich sein, dass er ungesehen an ihm vorbeigekommen war. Hier stimmte etwas nicht. Die Situation wirkte auf ihn vorbereitet, ja fast schon arrangiert, denn allem Anschein nach hatte der Kerl sein Kommen erwartet. Anders konnte er sich nicht erklären, wie er ihn hatte überraschen und attackieren können. James Roddick entging soetwas nichts. Solch ein fataler Fehler unterlief ihm nicht.

Seine unzähligen Gedanken verwoben sich zu einem engen Netz aus Verwirrung und Zorn, während er den Hahn seiner Beretta spannte. Sein Gegenüber glotzte ihn aus blassblauen Augen emotionslos an. Die auf ihn gerichtete Waffe beunruhigte ihn nicht im Geringsten, was ihm verdeutlichte, dass dies ihm nicht zum ersten Mal passierte. Der Typ war ein abgebrühter, gnadenloser Krimineller, wie er. Das hier war kein schlechter Witz; kein lächerlicher Zufall.

Der Killer war in die Falle gelockt worden…

Wutentbrannt und kopflos drückte er ab, doch der Blonde wich bereits vor dem Schuss flink, wie ein Wiesel, nach links aus. Die Kugel ging ins Leere und schlug knirschend in die gegenüberliegende Wand ein.

Fuck!!!

James bemühte sich erst gar nicht einen zweiten Schuss abzufeuern, da sein Angreifer erneut in den Nahkampf überging. Dieses Mal sollte es ein Schlag mitten in sein Gesicht sein, aber auch er verfügte über eine übermenschliche Reaktionszeit und entging nicht nur seiner Faust, sondern boxte ihm so hart in den Magen, dass jener auf die Knie sackte. Jetzt habe ich dich du verfluchter Hurensohn! Er setzte einen gezielten Tritt gegen seine Rippen nach, ehe er mit beiden Händen an seine Kehle packte und ihn zu würgen begann. Ein jämmerliches Röcheln quetschte sich aus seinem Mund, während er James´ Handgelenke mit einer Härte umschloss, als sei der Griff des Killers um seinen Hals bloß eine Nichtigkeit.
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Das Blatt wendete sich gegen ihn. Der Blonde vergrub seine Finger in seinem Fleisch und verdrehte seine Gelenke. Bis zu einem gewissen Grad ertrug James die Schmerzen, aber irgendwann waren auch seine Grenzen erreicht und er musste ihn gezwungenermaßen loslassen. Fluchend zog er sich zurück, doch umgehend bereitete er sich auf seinen nächsten Angriff vor, der schneller kam, als erwartet.

Er sah ihn zähnefletschend aufspringen, mit einem Messer in der linken Hand (wo kam das denn plötzlich her?) und entschlossen zustoßen. Er hörte ein merkwürdiges Geräusch, das er nicht beschreiben konnte, aber nie wieder vergessen würde.

Die lange, scharfe Klinge bohrte sich unbarmherzig durch seine Haut und die angespannten Muskeln. Ein glühendheißer Schmerz schoss durch seine rechte Körperhälfte und lähmte ihn. Es war unvorstellbar, was dieser Messerstich in ihm auslöste, körperlich, wie mental. James Matthew Roddick spürte, dass er lebensgefährlich verletzt war. Sein Instinkt sagte es ihm. Nein, er schrie ihm laut entgegen, dass es für ihn vorbei war, wenn er nicht sofort aus dem Haus verschwand und ärztliche Versorgung erhielt.

Er kämpfte mit aller Macht um den Erhalt seines Bewusstseins, indes zog sein Angreifer das Messer quälend langsam aus ihm heraus. Sich an seinen Qualen ergötzend, leckte er sich genüsslich die Lippen und stach ein zweites Mal zu. Zu seinem Glück funktionierten seine Reflexe, trotz klaffender Stichwunde, weiterhin uneingeschränkt, sodass er sich rechtzeitig wegdrehte und dem Messer entging. Er musste unbedingt hier raus, da er einen weiteren Stich nicht überleben würde. Der Dunkelhaarige entschied sich zur Flucht, auch wenn sein Stolz lautstark gegen diesen feigen Entschluss protestierte.

Noch nie war er brenzligen Situationen entflohen. Stets hatte er mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, gekämpft, doch heute Nacht war es anders. Heute Nacht konnte er sterben.

Der blonde Kerl ließ ihm jedoch keine Zeit zu atmen, geschweige denn zu flüchten. Wie ein wildes Tier knurrte er tollwütig, als er sich mit voller Wucht gegen ihn warf und James erneut Bekanntschaft mit dem Boden machte. Seine Knochen krachten, als zersplitterten sie und so fühlte es sich auch an. Ein Inferno der Qualen beherrschte seinen Körper, den er nicht mehr kontrollieren konnte. Wie fremdgesteuert bebten und zuckten seine Gliedmaße, die Atmung war flach und schnell und seine Pupillen spielten verrückt.
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Der junge Auftragskiller lag niedergestreckt und völlig orientierungslos in einem verdreckten Bungalow und stand an der Schwelle des Todes. Jegliche Kraft entwich ihm und ließ nichts als nutzlose Schwäche in ihm zurück. Zu diesem unglücklichen Zeitpunkt tauchte sein Gegner über ihm auf.

Scheiße, scheiße, scheiße!, war das Einzige, was ihm durch den Kopf ging. Unheilbringend glommen seine blauen Augen, die an ihm hafteten wie ein Schatten. Ihm schwante Böses.

Und dann legte sein rechtes Bein los. Jeder einzelne Tritt ging gegen seine Rippen, was ihn tierisch jaulen und sich zusammenkrümmen ließ. Innerlich dankte er einer höheren Macht, dass er ihm zumindest weitere Messerstiche ersparte.

Wie lange er ihn malträtierte, konnte James nicht sagen. Er hatte den Blick für Raum und Zeit verloren. Seine Sinne stumpften ab, sodass seine Umgebung wie ein undurchdringlicher, grauer Nebel vor ihm verschwamm. Es schien, als schwebe er.

Eine friedliche Ruhe hüllte ihn ein und machte ihn schläfrig. Fühlte sich sterben so an? Oder war er bereits tot? Nein, das konnte nicht sein, denn ja…da! Da waren Geräusche! Es waren Schritte, die neben seinem Kopf verstummten.

„Pass das nächste Mal auf, wenn du ein Haus betrittst, Junge“, schnitt eine höhnische Stimme durch den Nebel und lichtete diesen. Langsam klärte sich sein Blick.

„Man weiß nie, was einen erwartet.“ Ein widerwärtiges, hinterhältiges Grinsen umspielte die Lippen des blonden Kerls, der anscheinend nicht vor hatte, ihn erneut zu attackieren. Nach einem letzten, abwertenden Blick auf ihn, wandte er sich ab und war für ihn nicht mehr zu sehen. Die Haut seines Gesichtes spannte sich an, seine Nerven zerrissen fast. Er traute der Stille nicht. Der Kerl musste noch irgendwo sein. Er musste...sofort fliehen! James hörte auf, sich Gedanken über den Aufenthaltsort seines Gegners zu machen. Er musste daran denken sein Leben zu retten. Doch das war leichter gesagt, als getan, denn wie sollte er aufstehen?

Zuerst probierte er seinen Oberkörper nach oben zu stemmen, aber seine kraftlosen Arme gaben kümmerlich nach und ließen ihn zurück auf den Boden krachen.

„Komm schon! Du schaffst das“, motivierte er sich lautstark und drehte sich beim nächsten Versuch auf die rechte, unverletzte Seite. Bereits diese Bewegung verursachte bei ihm beinahe einen Kreislaufkollaps.
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„Argh! Mach, dass du hochkommst, Roddick!“ Der Klang seiner eigenen, zornerfüllten Stimme ließ ihn wieder zur Besinnung kommen und sich zusammenreißen. Der Dunkelhaarige verdrängte jegliche negativen Gedanken, die ihn behindern könnten, und richtete sich mithilfe seines rechten Armes über die Seite auf. Tosender Husten brach aus ihm heraus und ließ blutigen Nebel aufsteigen, der sich auf seine Schultern legte.

Schmerzen, Schwindel, Übelkeit und noch viel mehr stiegen drastisch an und überschritten seine körperlichen Grenzen, doch er musste hier raus. Er konnte sich nicht mit seinen Verletzungen beschäftigen. Er musste sie ausschalten, wenn er überleben wollte. Mit einem Mal rappelte er sich auf und machte sich auf den Weg.

Der Killer stolperte benommen und von Schmerzen betäubt aus dem Bungalow. Warmes Blut strömte aus seiner Bauchwunde und rann durch seine Finger, als sei es umsonst. Seine Beine waren weich wie Gummi und trugen kaum seinen lädierten Körper.

Er schleppte sich wenige Meter in den Garten, bevor er, wie ein nasser Sack, zusammensackte. James Matthew Roddick war am Ende. Wie er es dennoch schaffte sein Handy zu zücken, Jericho anzurufen und erbärmlich um Hilfe zu flehen, konnte er sich nicht erklären. Denn kaum hatte er aufgelegt, da stürzte er in eisige Dunkelheit.



Gleißendes, weißes Licht flackerte in unregelmäßigen Abständen über ihm auf, wie grelle Blitze. Seine Augen, vor denen die Lider wild und unaufhörlich flatterten, waren ausgetrocknet und brannten wie Feuer. Seine Stirn klebte von kaltem Schweiß, sein Puls raste.

Bestialischer Blutgestank platzierte sich in seiner Nase und verblieb dort. Der junge Killer verkrampfte sich und musste augenblicklich würgen. Was war hier los? Wo war er? Woher kam dieses Licht? Was…

Das Chaos in seinem Kopf wurde zur Nebensache, als es unter seiner Haut explodierte. Überreizt und rastlos wand er sich unter den qualvollen Schmerzen, die durch seinen Körper pumpten und ihm sein Dasein zur Hölle machten.

„Ganz ruhig, James“, drang es dumpf an seine Ohren. „Ich weiß, dass es weh tut, aber versuch dich nicht zu bewegen, okay?“, erkannte er plötzlich die ruhige und gelassene Stimme Peter Colemans. James wurde wütend und brauste trotz seines beschissenen Gesundheitszustandes auf.

„Halt dein Maul, Pete“, presste er mühselig hervor, was den Arzt wiederum zum Lachen brachte.
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„Zumindest erkennt er mich“, sagte er heiter zu jemandem, den James nicht sehen konnte. Er versuchte seinen Kopf zu drehen, doch dieser war tonnenschwer. Frustriert und verärgert ballte er die Hände zu Fäusten.

„Verdammt, wer ist noch hier?“, fragte der junge Killer streitsüchtig, da er es hasste im Unklaren gelassen zu werden.

„Jericho.“ Bei der Erwähnung seines Bosses traten die Bilder dieser Nacht (wie viel Zeit war wohl vergangen?) vor seine Augen. Er hatte ihn in das Haus geschickt, wo er nicht auf Joseph Higgins, sondern auf einen angriffslustigen Schläger getroffen war. Er hatte ihm den Auftrag erteilt, der ihn beinahe umgebracht hätte. Hektisch huschten seine Pupillen durch den Raum, von dem er durch das helle Licht jedoch nicht viel erkennen konnte. Er suchte das Gesicht Jerichos, in der Hoffnung, dort etwas zu finden, was ihm helfen würde die heutigen Ereignisse zu verstehen, doch er sah nichts. Nicht, außer dieses ätzende Licht. Und er spürte bloß unvergleichlichen Schmerz, der ihn kaum atmen ließ. James Roddick war mit seinem Zustand und der unüberschaubaren Situation, in der er sich befand, vollkommen überfordert.

Er war gefangen in einer Welt aus Qualen und grellem Licht, ohne Aussicht auf Rettung.

Warum wurde seine Sicht nicht besser? Wieso sagte ihm niemand, was passiert und mit ihm los war? Nachdem er Jericho am Telefon um Hilfe gebeten hatte, musste er das Bewusstsein verloren haben. Genau und dann…dann musste sein Boss ihn eingesammelt und zu Peter Coleman gebracht haben. Er brauchte dennoch mehr Informationen.

„Pete?“, krächzte er mit staubtrockener Kehle.

„Ja?“ Seine Stimme klang nahe, aber er zeigte sich nicht. Vermutlich war er zu sehr damit beschäftigt ihn zusammenzuflicken.

„Wie geht´s mir?“, war für ihn der zentrale Punkt, den er abklären musste. Der Arzt blieb beunruhigend still. Ein schlechtes Zeichen.

„Sprich mit mir, Pete! Es wird nicht besser, wenn du mir verschweigst, wie scheiße es um meine Gesundheit bestellt ist.“ Ein erneutes Lachen, nur dieses Mal war es verhalten und unsicher.

„Also…drei Rippen sind gebrochen.“

„Unwichtig. Was noch?“ Halt mich nicht hin! Raus mit der Sprache!

„Was hat der Wichser mit dem Messer getroffen? Warum blute ich, wie ein abgestochenes Schwein?“

„Es ist deine Leber, James“, brachte er ernst hervor.
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„Es ist ein Wunder, dass du noch lebst.“

„Das hat er mir zu verdanken“, hörte er das erste Mal Jericho sprechen. „Ohne meine schnelle Hilfe wäre er verblutet.“ Überheblichkeit und Stolz bestimmten seinen Tonfall, der ihn reizte.

Von nun an würde er Dank für seine Rettung erwarten. Wenn er glaubt, dass ich ihm in den Arsch krieche, dann irrt er sich. Ich bin ihm nichts schuldig. Er ist schließlich derjenige, der…

Im Bungalow hatte er bereits eine Ahnung gehabt, doch diese verworfen und verdrängt. Nun, da er wieder einen klaren Kopf besaß und sich keinem gefährlichen Gegner gegenübersah, kehrte diese Ahnung auf einen Schlag zurück und schürte sein Misstrauen. Es war ein schrecklicher Verdacht, der sich James aufdrängte. Wie viel wusste Jericho über den Angriff auf ihn? Hatte er den Kerl etwa…? Nein, daran wollte er nicht denken. Sein Boss würde niemals so weit gehen, oder? Passend in diesem Augenblick fiel ihm siedendheiß ihre heftige Auseinandersetzung ein, die sie vor drei Wochen gehabt hatten. Mal wieder war James´, Jerichos Meinung nach, aufmüpfiges und respektloses Verhalten der Grund gewesen. Immer wieder gerieten die beiden grundverschiedenen Männer aneinander. Angefangen hatte es bereits vor Williams Ableben. James wusste, dass Jericho, seit er damals von ihm und seiner Frau Grace adoptiert worden war, panische Angst hatte. Er befürchtete, dass er ihm seinen Platz streitig machte und war von Neid zerfressen.

Offen gezeigt hatte er seine Abneigung jedoch nie, zumindest nicht vor William. War er mit James alleine, hatte er spöttische und beißende Bemerkungen gemacht, die der junge Killer rigoros ignoriert hatte. Für ihn war dies nur die Bestätigung dafür gewesen, wie sehr er ihn fürchtete.

Doch nachdem William gestorben war und Jericho die Stellung des Bosses inne hatte, nach der er jahrelang gegiert hatte, waren seine Sticheleien und sein Zorn gegen ihn rasant angestiegen und James hatte es bereut, ihm den Platz geräumt zu haben, den sein Adoptivvater für ihn vorgesehen hatte. Aber ich konnte nicht an seine Stelle treten. Ich war einfach noch zu jung. Tut mir Leid, William, aber es ging nicht anders. Du bist viel zu früh von uns gegangen und hast mir nicht weiter zur Seite stehen können…

Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf, um die Erinnerung an William zu verscheuchen und sich auf die aktuelle Problematik zu konzentrieren.
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Es war es nicht anders gewohnt, dass Jericho ihn auf dem Kicker hatte und mit ihm umsprang, als sei er ein wertloser Lakai. Jedoch war der letzte Streit zwischen ihnen ausgeartet und er hatte ihm, bevor er wutentbrannt aus seinem Büro gestürmt war, etwas hinterher gerufen, was er nach dieser Nacht in einem anderen Licht sah. Ihm kam erst jetzt wieder in den Sinn, was er gesagt hatte, denn damals hatte er es als unwichtig abgetan; als Ergebnis seines arroganten Machtgehabes. Was hatte er genau gesagt? Kurz grübelte er nach, um sich an den exakten Wortlaut zu erinnern.

Ich bin der Boss und ich lasse mir von einem Bengel wie dir nicht auf der Nase herumtanzen! Ich werde dir zeigen, wer hier das Sagen hat! Du bekommst meine Macht noch zu spüren, Roddick!, das waren seine Worte gewesen. Er hatte ihm ganz direkt gedroht. Hatte er seine Drohung tatsächlich wahr gemacht? Hatte er James´ Tod in Kauf genommen, um ihm eine Lektion zu erteilen? Er verachtete Jericho und traute ihm einiges zu, aber selbst er würde diese Grenze nicht überschreiten.

„Was ist genau passiert und wo bin ich hier?“, beschloss er seiner Vermutung erstmal nicht weiter nachzugehen. Stattdessen wollte er endlich Klarheit für sich schaffen.

„Nach deinem Anruf bin ich sofort losgefahren, habe dich abgeholt und zu Petes Haus gebracht“, ratterte sein Boss gelangweilt herunter. „Übrigens hast du meinen Beifahrersitz versaut.“

„Wenn ich überlebe, dann schick mir die Rechnung für die Reinigung“, blaffte James zurück. Die Wut gegen Jericho raubte ihm die letzten, kostbaren Kraftreserven, die sein Körper dringend brauchte, doch er ließ sich von ihm nicht verspotten.

„Sei nicht so vorlaut, Roddick. Du…“

„Hey, muss das sein?“ Der Arzt ging dazwischen, um ihren Streit zu beenden. „Ich brauche Ruhe und James genauso. Also…entweder du hältst jetzt den Mund oder du verlässt den Raum, Jericho.“ Stille seitens seines Bosses. Man hörte bloß Petes gleichmäßige Atemzüge, die James´ aufgewühltes Inneres wieder in geordnete Bahnen brachte.

„Ich gehe“, meinte er zerknirscht und setzte sich in Bewegung. Schwerfällige Schritte kamen näher und hielten neben ihm an. Über ihm erschien das quadratische Gesicht Jerichos.
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Seine braunen, kleinen Augen bohrten sich in seine, als wolle er ihn damit zusätzlich Schmerzen zufügen. Sekunden verhaarte er in dieser Stellung, bis er sich tief zu ihm herunterbeugte. Nun roch er neben seinem eigenen Blut Jerichos Schweiß und sandelholz-lastiges Aftershave.

„Fang an dich zu benehmen, James“, raunte er ihm heimtückisch ins linke Ohr, ehe er sich abwandte und aus seinem Blickfeld so schnell verschwand, wie er aufgetaucht war.

Der Killer spürte, wie er kalkweiß wurde. Er hatte Recht gehabt. Es war Jericho gewesen, er selbst hatte ihm gerade die Bestätigung gegeben. Ihm war speiübel und er vergaß zu atmen.

Der Gedanke, dass Jericho ihn eiskalt in einen Hinterhalt gelockt hatte, folterte ihn. Er trieb ihn in den Wahnsinn; machte ihn paranoid und ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Ein heftiges Zucken durchfuhr seinen Körper, was er nicht unter Kontrolle bekam.

„James, was…?“

„Tu etwas, Pete!“, brüllte James verzweifelt. Der Arzt sollte ihm verdammt noch mal die Schmerzen nehmen…er sollte…

Ja, was sollte er tun? Er konnte zwar seine Stichwunde heilen, aber er war nicht in der Lage ihm die seelische Qual, die der Verrat Jerichos ausgelöst hatte, zu nehmen. Dieser verfluchte Scheißkerl hat mich in die Höhle des Löwen geschickt. Er wollte mich bestrafen und hat mir einen Schläger auf den Hals gehetzt, der mich fast umgebracht hätte!!!

„Du musst dich beruhigen“, forderte Pete ihn streng auf. „Ich werde dich nur noch mehr verletzen, wenn du nicht still hältst.“ Seine Erklärung leuchtete ihm durchaus ein, doch er konnte nicht aufhören zu wüten und sich zu winden.

„Hör auf, James, sonst gehen die Nähte auf und du fängst wieder an zu bluten. Und einen erneuten Blutverlust überlebst du nicht.“ Sein scharfer Tonfall schnitt durch die Luft wie eine Klinge. Augenblicklich erstarrte der Dunkelhaarige zu Stein. Er wollte nicht sterben. Er wollte nicht, dass Jericho ihn aus dem Weg räumte und sein Ziel erreichte. Also musste er auf den erfahrenen Arzt hören und Ruhe bewahren. James schloss die Augen und bemühte sich zu einer regelmäßigen Atmung zurückzukehren. Sein Puls normalisierte sich mit der Zeit, sodass seine Schmerzen wieder präsenter wurden und er Peter verfluchte.

„Kannst du mir nichts gegen die Schmerzen geben?“, jammerte er angesäuert.

„Ich habe dir schon ein Mittel gespritzt und dich auch lokal betäubt“, fing er an, ohne auf seine miese Laune einzugehen.
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„Aber wir sind nicht in einem Krankenhaus. Ich habe nun mal nicht die gleichen Möglichkeiten und das Equipment, um dich vernünftig zu versorgen. Wir beide müssen uns damit begnügen, was ich hier habe.“

James fühlte sich schlecht, weil er Peter anschnauzte, anstatt ihm dankbar für seine Hilfe zu sein. Besonders, als er den Arzt klar und deutlich neben sich stehen sah, eifrig damit beschäftigt ihn am Leben zu erhalten.

„Pete?“ Er hob den Blick. In seinen müden, graublauen Augen und der ernsten Miene sah er den Stress der vergangenen Stunden.

„Tut mir leid.“ Beiläufig winkte er ab, ehe er seine Arbeit an ihm wieder aufnahm.

„Du hast Angst, James. Das ist bloß deine Art mir zu zeigen, wie unsicher du bist. Und versuch ja nicht, mir etwas anderes zu erzählen“, mahnte er, nachdem James empört den Mund geöffnet hatte, um ihm zu widersprechen.

„Ich kenne diese Verhaltensweise, nicht nur von dir. Ich habe euch Killer schon oft genug beobachtet. Ihr wollt stets demonstrieren, wie furchtlos und knallhart ihr seid. Nichts und niemand kann euch etwas anhaben. Klar, dies ist das Image, das ihr verkörpern wollt und sogar müsst, aber nicht allen Menschen könnt ihr etwas vormachen.“ Peter Coleman bedachte ihn mit einem altklugen Seitenblick.

„Auch ihr habt Angst vor dem Tod, selbst wenn er euer Geschäft ist.“ Er zog seine behandschuhten Hände zurück, an denen sein Blut klebte. „Du bist unter euch noch mal ein besonderer Fall, denn du bist verdammt jung, James Roddick. Du warst noch ein Kind, als du an ein Metier herangeführt wurdest, das selbst für gestandene Männer eine Herausforderung ist. Du hast früh gelernt, was für eine Fassade du zu tagen hast, aber ich rate dir etwas: Unterdrück deine Ängste nicht, sie machen dich menschlich.“ Peter entledigte sich der Latexhandschuhe, bevor er vielsagend schmunzelte.

„Verliere nicht deine Seele, James. Wer weiß für was oder für wen du sie noch brauchst.“ Der Killer verdrehte die Augen über seine Belehrungen.

„Verschon mich mit deinen Ratschlägen zu meinem Beruf oder meinem Charakter, Pete. Ich weiß, wer ich bin und was ich tue. Ich brauche niemanden, der mir erklärt, wie ich funktioniere.“

„Stolz und uneinsichtig, wie immer“, kommentierte er heiter, enthielt sich zu seinem Glück aber weiterer Sprüche.
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Für James war das Thema abgeschlossen.

„Bist du fertig? Darf ich aufstehen?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, richtete er seinen entblößten Oberkörper auf und entdeckte rechts, unterhalb seiner Rippen seine genähte Stichwunde und Blut, das Peter noch nicht entfernt hatte. Ehe er sich einen genaueren Überblick verschaffen konnte, kam der Arzt herangerauscht und drückte ihn sanft, aber bestimmt auf seine gepolsterte Liege zurück.

„Nein, du darfst nicht aufstehen! Du musst dich ausruhen.“

„Du kannst mich nicht…“

„ICH KANN!!!“ Sein Ausbrach kam wie aus dem Nichts und machte ihn sprachlos. Der sonst besonnene Arzt verstand keinen Spaß, wenn es um das Ignorieren seiner Anweisungen ging.

„Ich kann und werde dich solange hier behalten, bis ich entscheide, dass du gesund bist und gehen darfst. Du bist mein Patient und ich habe die Verantwort für dich. Glaub nicht, dass du mit einer verletzten Leber einfach herumspazieren und weiter arbeiten kannst. Auch ein Auftragskiller braucht Regenerierungszeit. Du bist nicht unsterblich, James!“, machte er ihm eine Ansage, gegen die er nicht ankam. Langsam dämmerte ihm, dass er nicht so bald in seinen normalen Alltag zurückkehren konnte. Jericho, sein Boss, hatte dafür gesorgt, dass er außer Gefecht gesetzt war. Er hing bei Peter Coleman fest und befand sich außerhalb seiner Reichweite, genau dort, wo er ihn haben wollte.
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