Memoiren eines Schriftstellers - 17. Kapitel   391

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 17. Oktober 2016
Bei Webstories eingestellt: 17. Oktober 2016
Anzahl gesehen: 2850
Seiten: 20

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Kapitel 17



Krieg unter Freunden



Ich war sehr überrascht gewesen, wie beliebt ich in Deutschland war. Bei den scharfen Schikanen verharrten einige Fans von mir und warteten auf mich. Sie hielten ihre Banner in die Höhe sobald ich an ihnen vorbei fuhr, darauf mein Name und Glückwünsche geschrieben standen. Die Zuschauer jubelten und winkten mir zu und einige Fahrer sowie Mechaniker aus den fremden Teams kamen auf mich zu, um ein Autogramm zu bekommen.

Da war nur eine Sache, die jedem aufgefallen war aber mir nicht. Ich hatte mich gegenüber George und hauptsächlich Adam auffällig aggressiv verhalten und jede Gelegenheit genutzt, beide zu piesacken und wenn sie keine ordentliche Rundenzeiten fuhren, machte ich sie richtig fertig. Schließlich wollte ich, dass mein Team gewinnt!

Ich hatte in unserem Team eine beste Rundenzeit von 9:41 Minuten absolviert, nur Kevin war mit 8:15 Minuten besser gewesen und unschlagbar. Adam hatte es dann irgendwann auch unter zehn Minuten geschafft, aber George war eine absolut lahme Ente gewesen, weil er einfach übertrieben vorsichtig fuhr oder irgendwo von der Rennstrecke abkam. Außerdem hatte er die Viper nicht unter Kontrolle, gab am Ausgang der Schikanen oftmals zu früh Gas, woraufhin das Heck ausbrach und er sich mit dem Rennwagen drehte. Vielleicht lag es daran weil er fünf Jahre älter als ich war, und weil er bereits Großvater war, nannte ich ihn gehässig einen alten Opa.

Sobald ich meine Fahrerpause einhalten musste verharrte ich neben dem Rennleiter und verfolgte auf den Monitoren unseren Rennwagen. Jedes Mal wenn George von der Strecke abkam, im Kiesbett landete oder wiedermal einen Dreher fabrizierte, schlug ich mit der Faust wütend auf den Tisch und fluchte.



Es war bereits spät am Abend, stockdunkel, und die Nachtfahrt hatte längst begonnen. Ich regte mich schon seit Stunden ständig auf, war nur noch wild am Fluchen und hatte bereits den dritten Kopfhörer zornig auf den Boden geworfen und diesen wütend zertrampelt. Die Mechaniker, die Ingenieure, schlicht gesagt jeder aus unserem Fahrerlager, gingen mir aus dem Weg. Selbst der Rennleiter suchte auffällig oft die Toilette auf und verweilte dort ungewöhnlich lange, weil er wahrscheinlich meine miesepetrige Laune nicht mehr ertragen konnte.
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Das war mir aber völlig egal, so konnte ich George anhand des Monitors nach eigenem Ermessen dirigieren, hatte ihn unter meinen Fittichen und sagte ihm wann und wie er in welcher Schikane zu bremsen und wieder Gas zu geben hatte. Bis auf einigen Streckenabschnitten in der Nordschleife, dort waren leider keine Kameras aufgestellt worden, sodass ich George dann nur noch per Funk kontrollieren konnte.

Die euphorische Stimmung, die anfangs zum Rennbeginn geherrscht hatte, war seit einigen Stunden verschwunden. Dass ich die Ursache für den Missmut untereinander war, hatte ich damals nicht wahrgenommen und es hatte mich auch ehrlich gesagt gar nicht interessiert. Mich hatte es vielmehr angekotzt, dass Adam und Kevin ständig herumalberten und mit den Boxenweibern rumschäkerten. Besonders hatte ich Adam auf dem Kieker, weil er mich mit seiner aufgesetzten Fröhlichkeit und seinem ständigen Lachen ziemlich nevte. Wenn er mich entdeckte, wie ich ihn finster anblickte, lächelte er nur und winkte mir sogar frech zu.

Es war kurz nach Mitternacht als ich den Funkspruch von George hörte, dass er neue Reifen benötigte und tanken musste.

„Sag mal, was ist mit dir los? Fährst du spazieren und glotzt dir dabei die Waldlandschaft im Dunkeln an, oder was?“, motzte ich, nachdem er in die Box reingefahren kam.

„Ich ähm … hatte mich in der verflixten Veedol Schikane wiedermal gedreht. Das hat mich Zeit gekostet“, gab George kleinlaut zu. „Tut mir echt leid, William“, sagte er verschwitzt und etwas außer Atem.

„Ach, es tut dir also leid?“, schnauzte ich. „Entweder drehst du dich in dieser Schikane oder du fliegst da raus, und das Runde für Runde immer in der Veedol Schikane. Langsam müsstest du doch wissen, wie man diese verschissene Kurve zu nehmen hat!“



George ging mir dieses Rennwochenende ganz besonders auf die Nerven, nicht nur weil er ständig der Langsamste war und irgendwo im Kiesbett oder auf dem Rasen landete, sondern auch weil mir aufgefallen war, dass er für jeden und alles Verständnis zeigte, obwohl ich ihn doch grad deswegen schon immer gemocht hatte. Selbst wenn ich ihn barsch anmachte, lächelte er, legte seinen Arm um meine Schulter und meinte: „William, jetzt sei doch nicht so. Ist es dir etwa lieber wenn ich das Auto gegen die Leitplanke setze? Wenn der Wagen demoliert ist, ist das Renn für uns vorbei.
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„Komm, lass mich bloß in Ruhe. Du hast dich von einem popligen Corsa abhängen lassen! Du aber hast eine Viper unter deinem Arsch, du solltest dich was schämen! Dich würde ich sogar mit einem alten VW Käfer umrunden!“, stieß ich ihn beleidigt beiseite.

Und Adam stand ganz oben auf meiner Mobbing Liste. Jetzt konnte ich meinem ehrenwerten Boss endlich mal die Leviten lesen, so wie es mir passte. Jahrelang musste ich mir sein Genörgel anhören; selbst als ich damals 1979 gleichzeitig mit sechs Romanen die Bestsellerliste angeführt und ich daraufhin erstmal kein weiteres Manuskript ausgehändigt hatte, hatte er auf unsere Vertragsklausel gepocht und hartnäckig nach einem neuen Buch verlangt. Das einzige und letzte Mal als er zufrieden war und mich gelobt hatte war im Jahre 1975, als ich den Oscar für das beste Drehbuch meines verfilmten Romans: Der Keller überreicht bekam. Ich hatte ihn damals aus dem Publikum heraus gerufen, dann war er zu mir auf die Bühne stolziert und hatte erstmal ausgiebig eine Rede gehalten, einfach so aus dem Stegreif. Diesbezüglich war der Mann schon immer bewundernswert gewesen, er konnte ein großes Publikum stundenlang mit seinem Charme und Witz unterhalten, ohne dabei Lampenfieber zu empfinden oder das ihn jemand ein Zeichen geben musste, dass er langsam zum Ende kommen sollte. Würde er genauso gut fahren wie er quatschen konnte, wäre ich ja zufrieden gewesen.

Klar, wenn ich wiedermal einen Bestseller geschrieben hatte, dann durfte ich gnädiger Weise mit ihm eine Flasche Champagner in seinem Büro trinken (sogar auf seine Kosten, dies dieser Geizhals mir ständig vor Augen hielt), wobei er mich aber immer wieder über mein neues Projekt aushorchte und ich ihm, weil ich logischerweise vom Schampus einen leicht hängen hatte, davon blauäugig berichtete und er wiederum sogleich Druck gemacht hatte, dass ich dieses Manuskript schnellstmöglich fertigstellen und im Lektorat abliefern sollte.

Und nun war die Zeit der Rache gekommen, jetzt verlangte ich von ihm genauso, dass er sich gefälligst den Arsch aufzureißen und über seine Grenzen zu wachsen hatte. Nur war Adam ein anderes Kaliber als George, der keine Konfrontationen scheute und sich niemals etwas gefallen ließ, erst recht nicht von mir.
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Die ersten zwölf Stunden des Rennens hatten wir hinter uns – das Carter Team besetzte bis dahin Rang 89. Das war unter aller Sau und ich war total verärgert. Dieser verdammte Spagettifresser mit dem Corsa hatte George sogar das zweite Mal überrundet und uns bestand eine unbarmherzige Aufholjagd bevor. Unsere einzige Chance war der bevorstehende Regen, denn dann würden sicherlich auch einige der Favoriten irgendwo rausfliegen oder zusammen crashen. Ich war trotz alledem ziemlich optimistisch gewesen was unseren Sieg anging, denn Reifenplatzer oder das der Motor explodierte, geschah beinahe jede fünfte Runde irgendjemanden (besonders hatte es mich gefreut, dass es verhältnismäßig viele der großen Rennwagen an der Spitze erwischt hatte. Dann hatte ich laut losgelacht, mit den Fingern im Mund gepfiffen und applaudiert und war für einige Minuten gut gelaunt gewesen).

Wenn ich meine zweistündige Fahrerpause einhalten musste, war ich in den fremden Fahrerlagern umhergeschlendert, um Autogramme zu verteilen. Aber dies war nur ein listiger Vorwand gewesen, denn insgeheim hatte ich spioniert (die Mechaniker und Fahrer waren dermaßen von meiner Anwesenheit überrascht, dass sie dies gar nicht bemerkten). So hatte ich dann in Erfahrung gebracht, dass FIREFOX sage und schreibe sechs Runden mehr aushielten als Pirelli, Bridgestone und Michelin. Zudem stellte ich mich doof und ließ mir ihre Boxenstrategie und Heckflügeleinstellungen erklären, dies die gegnerischen Teams mir auch bedenkenlos preisgaben. Sie dachten sowieso: wie soll das Carter Team, das beinahe 100 Plätze im Rückstand war und sowieso konkurrenzunfähig scheint (keineswegs aufgrund der Viper, sondern vielmehr wegen uns laienhaften Fahrern) noch ausrichten?



Die Rennwagen brausten aus der Boxengasse mit Getöse an den Fahrerlagern vorbei. Es war schon spät in der Nacht – ich war noch in Topform – da erkannte ich, dass es mit George keinen Sinn mehr machte. Er war völlig erschöpft und kam bereits nach eineinhalb Stunden wieder in die Boxengasse reingefahren. Daraufhin verzog ich meine Mundwinkel und fluchte, weil ich erst frühestens um vier Uhr wieder fahren durfte und nun Adam ihn ablösen musste. Ausgerechnet Adam, dachte ich, dabei wäre mir Kevin viel lieber gewesen aber wir alle hatten abgemacht (insbesondre hatte verständlicherweise Adam darauf gepocht), dass Kevin nachts nicht fahren sollte sondern erst frühestens ab sechs Uhr, wenn es etwas heller wurde.
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„Der Schleicher kommt eingetrudelt. Opa kapituliert, den können wir voll vergessen. Los Adam, beweg deinen Arsch in die Karre und fahr! Aber ich verlange von dir, dass du Rundenzeiten unter zehn Minuten fährst, sonst brauchst du erst gar nicht einsteigen! Haben wir uns verstanden?!“, bedrängte ich ihn.

Das komplette Team, samt unseren Rennleiter sah mitleidig zu, wie George völlig übermüdet aus dem Dodge Viper ausstieg.

„Es tut mir leid William, aber ich kann nicht mehr. Niemals hätte ich gedacht, dass ein Autorennen dermaßen an den Kräften zerrt“, sagte er völlig erschöpft.

„Halt einfach die Klappe, Opa! Komm, geh pennen, ich weck dich dann mit dem Pokal unter meinem Arm! Du brauchst gar nicht mehr fahren … denn du bist raus! Du blamierst das Carter Team nur, geh mir bloß aus den Augen!“, schnauzte ich ihn an.

„Du bist ein echtes Arschloch, weißt du das überhaupt, du Tyrann?“, funkte Adam im ruhigen Ton dazwischen. Er stülpte seinen Helm über und stieg frustriert in den Rennwagen ein.

Daraufhin wurde ich richtig sauer, riss die Autotür wieder auf, schlug beide Hände kräftig auf das Autodach und brüllte ihn vor versammelter Mannschaft an.

„Du nennst mich ein Arschloch? Ich soll ein Tyrann sein? DU bist doch das tyrannische Arschloch! Du und George, für euch ist das bloß ein Spaß oder was? Ich bin ganz bestimmt nicht 10.000 Kilometer weit hierher geflogen um nur mal dabei zu sein, sondern um zu gewinnen! Aber ihr kriecht wie arschgefickte Schnecken über den Asphalt! Ihr zwei parkt hier und da mal gemütlich im Kiesbett aber Daheim habt ihr die großen Töne gespuckt! Mit Vollgas auf dem Speedway im Kreis fahren, da fühlt ihr euch wie die großen Männer und wenn ihr mal in L.A. geblitzt werdet, dann prahlt ihr mit eurem verfickten Strafzettel und vergleicht, wer schneller gefahren ist. Der einzige von euch, der voll bei der Sache ist und vernünftige Rundenzeiten einfährt, ist Kevin … Du blöder Penner!“

Adam sah mich mit einem dermaßen bedrohlichen Blick an, welchen ich von ihm nicht gewohnt war.
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Innerlich zuckte ich zusammen, denn er sah mich an, als wäre ich sein Todfeind. Das Kriegsbeil zwischen uns schien in diesem Moment ausgegraben zu sein.

„Wenn dein dämliches Rennen vorbei ist, sprechen wir uns wieder“, antwortete er kühl, zog die Autotür ruppig zu und zeigte mir den Mittelfinger. Dann ließ er den Motor der Viper provokant aufheulen und preschte mit durchdrehenden Reifen davon, sodass ein Qualm von stinkendem Gummi entstand.

„Halte bloß die Geschwindigkeitsbegrenzung in der Boxengasse ein, du Idiot! Wenn wir wegen dir eine Zeitstrafe aufgebrummt bekommen, dann bieg lieber in eine andere Boxengasse ab, denn sonst dreh ich dir nämlich den Hals um!“, schrie ich ihm wütend hinterher.

Aber Adam war kein primitiver Typ gewesen, der sich so gerächt hätte. Er hätte die Viper auch irgendwo gegen die Leitplanke lenken können, sodass das Rennen für uns legitim gelaufen wäre, damit hätte er mich genauso strafen können. Seine Vergeltung erfolgte stets wenn sich die Gemüter abgekühlt hatten, aber diesmal drohte unsere Freundschaft zu zerbrechen.



Ich hatte gutes Adrenalin in der Blutbahn, sodass ich, genauso wie Kevin, mich unmöglich entspannen konnte, sondern stets beim Rennleiter blieb und Adams Rennen konzentriert verfolgte. Es waren ja überall Fernsehkameras aufgestellt worden aber nicht in der Nordschleife. In dem Waldgebiet campierten nur vereinzelte Motorsportverrückte und ein paar Streckenposten.

Ich war von Adam beeindruckt, denn er raste wie ein wildgewordener Stier. Seine beste Rundenzeit betrug sogar 7:41, das war der absolute Rekord im Carter Team, damit hatte er sogar Kevin und auch mich geschlagen, woraufhin ich ihn über Funk lobte. Doch er reagierte nicht. Adam antwortete ausschließlich auf die Fragen und Kommentare des Rennleiters und der Mechaniker, mich aber, obwohl ich ihm im ruhigen Ton gut zusprach, ignorierte er ständig.

Um vier Uhr morgens kam Adam in die Box reingefahren. Ich war nun als Nächster dran und hatte schon seit einer Stunde darauf gefiebert, endlich losfahren zu dürfen.



Die Viper wurde vollgetankt und man beriet sich, ob es nun sinnvoll wäre die Regenreifen zu montieren. Der Nachthimmel war bewölkt und die ersten Tropfen plätscherten sporadisch herunter, es hörte aber immer wieder auf.
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Ich sah hinauf und entdeckte im Osten einen wolkenlosen Himmel, wobei man einen Schimmer von der aufgehenden Sonne bereits entdecken konnte. Aber die anderen Himmelsrichtungen waren stockdunkel, weil regenschwere Wolken im Anmarsch waren.

Ich entschied schließlich die Slicks (profillose Rennreifen) vorerst draufzulassen, weil Adam zwei Runden zuvor in der Box war, gewechselt hatte und die Reifen nun eine optimale Temperatur erreicht hatten. Diese würden mir jetzt eine Zeit lang hervorragende Rundenzeiten ermöglichen. Falls es unterwegs doch plötzlich regnen würde, könnte ich ja immer noch in die Box fahren und dann die Regenschlappen montieren lassen.

Adam öffnete die Autotür, nahm seinen Helm ab und drückte diesen einen Mechaniker in die Hände. Sein kurzes dunkles Haar war nassgeschwitzt.

Zeitgleich donnerten in der Dunkelheit drei Rennwagen mit hoher Geschwindigkeit heran und bremsten stark ab, weil sie eine scharfe Schikane überwinden mussten, wobei es knallte und Feuerblitze aus deren Auspuffe schossen. Die Rennreifen quietschten laut.

Adam lief direkt auf mich zu, starrte mich an und hielt das Gurtmesser in seiner Hand. Man hätte bei seinem Anblick wirklich glauben können, dass er mich damit abstechen wollte. Verlegen lächelnd ging ich mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, um ihn für seine Leistung zu loben. Er hatte die kleinen Tourenwagen, die George überholt hatten, zweimal überrundet und so standen wir wenigstens zu diesem Zeitpunkt auf Platz 48 (wir hatten Glück, etliche Teams unserer Klasse mussten wegen Motorschaden oder anderweitigen Pannen kapitulieren). Unsere Siegchancen waren also gestiegen.

Doch von meiner Anerkennung wollte Adam nichts wissen, sondern erklärte mir nur mit einem arroganten Unterton, dass die Halterung für das Gurtmesser abgerissen war. Er hielt mir das Messer mit der Klinge entgegen, und ich fühlte mich von ihm provoziert. Es war die Art und Weise wie er mir dieses Messer entgegen hielt.

„Bist du jetzt beleidigt? Was ist? Willst du mich etwa abstechen?“, fragte ich ihn zynisch und erntete einen ausdruckslosen Blick, statt eine vernünftige Antwort zu erhalten. Ich fand sein nachtragendes Verhalten albern, verzog meine Mundwinkel und sagte: „Stecks dir doch in deinen Arsch.
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Bevor ich in die Viper einsteigen wollte, hatte ich Adam absichtlich angerempelt. Damit wollte ich ihm zeigen, falls er unsere Freundschaft hiermit für beendet hielt, dann sollte es von mir aus so sein. Arrogante Typen brauche ich nicht in meinem Lebenslauf.

Doch er packte mich an der Schulter, riss mich zurück und blickte mich feindselig an.

„Nimm gefälligst das verdammte Messer! Wie willst du Idiot dich sonst vom Gurt lösen, wenn du dich samt der Karre irgendwo in der Prärie überschlägst?“

„Nur keine Bange, mein Lieber, ich schlage schon keinen Purzelbaum.“

Da hörte ich wieder seine überklugen Bemerkungen, die mir schon seit über zwei Jahrzehnten ziemlich widerstrebten. Augenblicklich kam alles per Fingerschnippen hoch. Egal wie viele Manuskripte ich ihm überreicht hatte, er war unersättlich und wollte immer mehr. Niemals konnte ich es ihm recht machen und ständig drangsalierte er mich, wenn auch nur spaßhalber (besonders hatte mich letztens die Angelegenheit mit dem Behindertenausweis geärgert, weil ich Shirley diesen erst nach zwei Wochen abnehmen konnte und ich deswegen stundenlang einen Parkplatz in der Stadt suchen musste. Das empfand ich wirklich nicht spaßig!)

Jetzt kochte ich vor Wut, ging auf ihn zornig zu und hielt ihm meinen Zeigefinger gegen die Stirn, genau zwischen seinen Augen. Mein Daumen stellte der Abzug einer Pistole dar und sagte: „Buff. So, wenn das jetzt eine Knarre gewesen wäre, hättest du jetzt ein Loch im Kopf und ich meine Ruhe vor dir.“



Ich konnte weder handeln noch sonst irgendeine Abwehraktion tätigen, denn plötzlich lag ich auf dem Boden und war mit dem Kopf hart aufgeschlagen. Mein Gesicht fühlte sich taub an und ich fasste an meine Nase, weil ich eine Feuchtigkeit fühlte, die über meinem Mund lief. Als ich meine Hand betrachtete sah ich verwundert, dass daran Blut haftete. Eine Menge Blut. Der Ärmel und im Brustbereich meines Overalls war mit Blut getränkt. Ich sah dann Kevin, der sich zu mir runterbeugte und mich entsetzt ansah.

„William, bist du in Ordnung?“, hörte ich ihn gedämpft, so, als wäre er weit weg. Alles um mich herum schwankte und ich sah alles doppelt. Ich saß auf meinen Hintern und starrte die Mechaniker und den Rennleiter verdutzt an.
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Adam blickte bösartig zu mir herunter … Er hatte mir mit seiner Faust mitten ins Gesicht geschlagen. So also fühlten sich die Paparazzi, wenn ich ihnen eine reingehauen hatte, war mein erster Gedanke.

Kevin half mir auf die Beine und wie ferngesteuert ging ich auf meine Viper zu. Er hielt mich fest am Arm, weil ich wie ein Besoffener schwankte und hörte wie er stammelte, dass ich in diesem Zustand unmöglich fahren könnte. Aber ich torkelte unbeirrbar auf meinen Rennwagen zu, der nun vollgetankt war.

„I-ich bin in Ordnung. Ich fahre … Ich bin doch dran“, stammelte ich leicht verwirrt.

Aber nachdem mich Kevin in meinen Schalensitz gesetzt hatte und ich das Lenkrad festhielt, fühlte ich mich schon wesentlich besser. Nur meine Nase triefte unermüdlich weiter und versuchte mit dem Ärmel die Blutung zu stoppen.

„Ich komme mit dir!“, sagte Kevin entschlossen, zog seinen Helm an und stieg auf der Beifahrerseite einfach ein.

„Raus hier, was soll das? Du bist nur unnötiger Ballast. Ich habe vollgetankt und das ist schon Gewicht genug. Wir müssen etliche Plätze wieder gut machen, die George verbockt hatte. Dein Vater hat uns zwar schon gut rausgerissen, aber das reicht noch lange nicht! Außerdem sollst du dich endlich schlafen legen, ruhe dich aus. Um Sieben bist du an der Reihe und dann kommen die finalen Runden, die ich unbedingt fahren werde! Wir werden gewinnen, Kevin, wir werden gewinnen!“, lächelte ich ihn durch meinem Helm an.

„Mann, William … Ist doch jetzt auch egal. Schau dich nur im Spiegel an, du siehst furchtbar aus! Sehe es ein … Unser Rennen ist vorbei! Mein Vater hat dir mächtig eine reingehauen. Deine Nase ist wahrscheinlich gebrochen. Du brauchst unbedingt sofort einen Arzt!“

Kevin fasste an meinen Arm und sah mich ernst sowie besorgt an. Zum ersten Mal in seinem Leben widersprach er mir.

„Außerdem …“, er druckste herum, „will ich nicht, dass du und mein Vater … ihr plötzlich Feinde seid. Was soll das? Was ist nur mit euch geschehen? Ihr seid Freunde, doch keine Feinde!“

Kaum hatte Kevin dies ausgesprochen, da riss Adam die Beifahrertür auf und drohte seinem Sohn mit dem Zeigefinger.

„Los Kevin, sofort raus da! Du fährst nicht mit! Niemand wird mehr für ihn fahren! Ich werde dafür sorgen, dass unser Team disqualifiziert wird! Ich schlitze dir alle Reifen auf, du Riesenarschloch! Dein scheiß Rennen ist vorbei und einen neuen Verlag kannst du dir auch suchen.
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Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben!“, brüllte Adam.

Daraufhin grinste ich ihn nur überheblich an.

„Das macht gar nichts. Dich brauche ich gewiss nicht, um meine Bücher zu verticken. Jeder andere Verlag in Amerika, oder sonst in irgendeinem entlegenen Busch auf der Welt, wird mich mit Kusshand nehmen. Zisch ab!“

Kevin stieß seinen Vater weg und klappte die Autotür zu.

„Ich kann William in diesem Zustand nicht alleine lassen. Fahr los!“, forderte er mich auf.

Ich ließ die Reifen durchdrehen und sah in den Rückspiegel. Adam rannte fuchsteufelswild geworden hinter uns her und ich vernahm wie er brüllte: „Wenn meinem Jungen etwas zustößt, bring ich dich um! Das ist mein Ernst!“



Die ganze Situation hatte mich völlig durcheinander gebracht. Adam hatte mir mit der Faust ins Gesicht geschlagen und immer noch sah ich manches doppelt, dies aber langsam abklang, als ich ruckartig den fünften Gang einlegte und das Gaspedal durchtrat. Dann wieder Kupplung und in den sechsten Gang. Sogleich bremste ich behutsam ab und schaltete hektisch runter bis in den zweiten Gang, wobei das Lenkrad leicht vibrierte, weil wir bergauf eine scharfe Linkskurve nehmen mussten. Jetzt war ich wieder voll konzentriert und sah nur noch auf den Asphalt. Dann gab ich wieder Vollgas, wartete bis der Motor laut aufheulte und der Drehzahlmesseranzeiger mitten im roten Bereich war, bevor ich kuppelte und blitzschnell hochschaltete.

Kevin überreichte mir ein Taschentuch, damit ich meine blutende Nase trocknen konnte. Als ich merkte, dass das Blut geronnen war, sah ich lächelnd zu ihm rüber.

„Es ist alles in Ordnung. Dein Vater und ich hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Wir … Das was eben geschah, war sowieso unvermeidlich. Du musst verstehen, das Verhältnis zwischen deinem Vater und mir war geschäftlich schon immer angespannt und wie eine Zeitbombe gewesen, und jeder von uns hatte den Timer immer wieder vorgestellt, weil wir ja Freunde bleiben wollten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich ihm schon eher die Meinung geblasen hätte, dann wäre es vielleicht nicht so weit gekommen.
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Und ausgerechnet heute, an so einem entscheidenden Tag, ist die Bombe leider geplatzt.“

Wieder musste ich von 300 Stundenkilometer bis auf 90 behutsam herunterbremsten, wobei das Lenkrad wieder leicht vibrierte und die Rennreifen laut Quietschten. Ruckzuck schaltete ich wieder hoch und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Die FIREFOX Slicks hatten nun die optimale Konsistenz erreicht – das Heck brach weder aus noch übersteuerte das Fahrzeug. Die Viper klebte förmlich auf der Strecke. Ich lächelte. Diese Runde würde wahrscheinlich eine sieben Minuten Rundenzeit ergeben.



Ich bemerkte, dass Kevin weinte. Er mimte unter uns zwar immer den harten Mann, vielleicht auch unter seinen Freunden, aber in Wahrheit war er ein äußerst sensibler Kerl. Er erinnerte mich sehr an mich selbst, als ich noch so jung war wie er. Kevin war diesbezüglich ganz anders als sein Vater. Er dachte und handelte immer mit seinem Herz, statt wie Adam, ausschließlich mit dem Verstand. Kevin befürchtete nun, dass die Freundschaft zwischen seinem Vater und mir beendet war.

„Hey, alles wird gut, okay? Dass dein Vater mir eine reingehauen hat, ist jetzt auch nicht so dramatisch. Wir kennen uns jetzt schon so lange, noch bevor du geboren wurdest, das kriegen wir schon wieder hin“, versuchte ich ihn zu beruhigen obwohl ich selbst davon nicht hundertprozentig überzeugt war. Aber Kevin sah nur aus dem Seitenfenster raus und sagte kein Wort. Mir war klar geworden, dass ich den Bengel etwas aufmuntern musste. Er musste sich ähnlich gefühlt haben, als wenn seine Eltern beabsichtigten, sich scheiden zu lassen. So lange er denken konnte gehörte ich zu seiner Familie dazu.

„Es war absolut nicht in Ordnung, dass du eine Pistole angedeutet hattest und in seinen Kopf geschossen hast!“, schnauzte er.

„Hey, das war doch nur Spaß. Es war doch nur mein Finger … mehr nicht.“

„Das hat damit nichts zu tun. Die Bedeutung war ausschlaggebend, darum hat mein Vater dich geschlagen. Im Grunde geschieht es dir recht“, sagte Kevin während er fortan aus dem Seitenfenster in die Finsternis schaute.

„Und er hat mich mit dem Gurtmesser bedroht“, verteidigte ich mich. „So habe ich es jedenfalls aufgefasst.“

„Ach, ihr seid doch beide bescheuert!“

„Na schön, also bin ich wiedermal an allem Schuld.
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Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt machen?“, fragte ich ihn vorwurfsvoll, wobei ich vom Gaspedal ging und dabei war behutsam zu bremsen, weil eine äußerst scharfe Schikane uns bevorstand.

„Entschuldige dich bei ihm. Wenn euch eure Freundschaft etwas bedeutet, dann solltet ihr euch gegenseitig entschuldigen. Weswegen bist du so erpicht darauf, dieses Rennen zu gewinnen? Wem willst du was beweisen? Ständig begibst du dich in Gefahr und jetzt, jetzt bezahlst du einen hohen Preis dafür. Du setzt die Freundschaft mit meinem Vater aufs Spiel! Und für was? Weil du es Dickson beweisen willst? Etwa tatsächlich wegen Penny? Was willst du noch von dieser blöden Kuh? Nicht einmal um Shirley kümmert sie sich!“

Kevin sah mich an, durch seinen Helm erkannte ich seine feuchten Wangen. Ich seufzte.

„Hey … Penny hat damit gar nichts zu tun … Ehrlich. Ich erzähle dir mal, wie dein Vater und ich uns kennen gelernt haben. Das war 1967, verdammt lange her, da hast du noch in den Eiern deines Vaters geschlummert“, schmunzelte ich. „Ich fand ihn sofort sympathisch, weil er lustig und absolut cool war. Aber eine große Klappe hatte er schon immer gehabt. Ich weiß noch genau wie wir uns das erste Mal begegneten. Das war auf eurer Godspeed, im Hafen von Constanta … Das ist irgendwo in Rumänien. Er begrüßte mich mit den Worten: Aye-Aye Captain, ich bin der Matrose Adam und …“



Plötzlich wurden wir von einem Platzregen überrascht. Völlig unerwartet aus heiterem Himmel. Wir befanden uns irgendwo auf der Nordschleife, dort wo sich nicht einmal ein Streckenposten oder eine Kamera befand. Hinter dem Mond sozusagen, wie wir es in unserem Team immer nannten. Rundherum war nur Waldgebiet und die Rennstrecke war innerhalb von einem Moment zum anderen überschwemmt. Der schwarze Asphalt glänzte vor Nässe und es war im Lichtkegel der Scheinwerfer deutlich zu sehen, dass der strömende Regen mächtig niederprasselt, bis gar nichts mehr zu sehen war, weil nicht einmal die Scheibenwischer etwas ausrichten konnten.

Die Viper schlenkerte plötzlich stark umher, aufgrund des massiven Aquaplanings, und ich bremste behutsam ab. Wir fuhren wie auf Glatteis, die profillosen Slicks hatten keinerlei Grip. Und nun machte sich der entscheidende Nachteil der FIREFOX Reifen bemerkbar.
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Diese hielten zwar eine hohe Temperatur aus um ausgezeichnet zu funktionieren, doch einen plötzlichen Temperaturabsturz hielten sie offenbar nicht stand. Als der vordere Reifen platzte, trat ich instinktiv das Bremspedal komplett durch. Die Viper schleuderte, krachte gegen die Leitplanke und dann überschlugen wir uns mehrmals auf dem Asphalt.

Glas zerbärste, Blech knirschte, und ich meinte tausende Saltos zu schlagen. Ein grauenvolles Krachen und Knirschen ertönte, bis der Rennwagen schließlich auf dem Autodach lag und wir die Straße entlang schlitterten. Die Viper rotierte zweimal um ihre Achse, dann blieben wir endlich stehen.



Der Regen prasselte unbarmherzig nieder. Die Frontscheibe war zerplatzt und das Autodach bis zu meinem Kopf heruntergedrückt. Ich konnte mich kaum bewegen, weil der Gurt mich an meinen Schalensitz presste. Zuerst sah ich auf den Tacho – die Armaturen leuchteten noch schwach –, dieser war bei Tempo 233 stehen geblieben. Dann schaute ich rüber zur Beifahrerseite und war entsetzt. Diese war völlig eingedellt und aufgerissen: Kevin war samt dem Schalensitz herausgerissen worden und er lag mindestens zehn Meter weiter vor mir, mitten auf der Rennstrecke. Noch bevor auch der linke Scheinwerfer erlosch erkannte ich, dass er bewegungslos war. Offensichtlich lag er bewusstlos, wenn nicht gar tot, mitten auf der Strecke. Zu allem Überfluss fing der Motor an zu brennen, wobei die Flammen immer stärker loderten. Bald würde der komplette Wagen brennen.

Im Wageninneren qualmte es und es wurde rasch heißer. Verzweifelt versuchte ich mich vom Gurt zu lösen, doch es war vergebens. Dann griff ich seitlich unter mir nach dem Halter (das Autodach war schließlich unten), darin das Gurtmesser eigentlich stecken müsste, doch dieser war abgebrochen. Mir war sogleich eingefallen, dass Adam mir das Messer überreichen wollte und mir war zudem eingefallen, dass die Viper verdammt nochmal vollgetankt war. Daraufhin hörte ich ein gewaltiges WUPP, und der Wagen stand augenblicklich komplett in Flammen.



Ein gewaltiges Feuer tobte, die Flammen schlugen meterhoch und erhellten flackernd die Waldgegend. Die Reifen verbrannten und es zischte laut. Das Rennauto lag auf dem Dach, ich saß kopfüber straff festgeschnallt im Schalensitz und der Wagen brannte lichterloh.
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In wenigen Minuten würden die Flammen auch den kompletten Innenraum verzehren. Zwar war ich mit einem feuerabweisenden Overall bekleidet, doch dieser vermochte mich nur einige Minuten zu schützen. Gefangen in dieser heißen Hölle fühlte ich mich wie in einem Backofen und schrie um Hilfe, aber es befand sich weit und breit nicht einmal ein Streckenposten, der mich augenblicklich retten könnte.

Plötzlich sah ich durch die zertrümmerte Front eine Gestallt auf mich zulaufen. Die brennende Viper hatte die Gegend erhellt und ich erkannte einen Mann, bekleidet mit einem dunklen Herrenanzug. Gemächlich stolzierte er auf mich zu, dann ging er vor der Fahrerseite in die Hocke, umklammerte seine Beine und neigte seinen Kopf seitlich runter, um mir in die Augen zu schauen. Die unerträgliche Hitze sowie die Flammen schienen ihm nichts auszumachen. Er trug schwarze Handschuhe und streifte seine kupferroten langen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Lächelnd blickte er mich an.

„Wie geht’s dir so, William?“, fragte er mit einer ausgeprägten rauen Stimme. „Nach meiner Einschätzung sieht es im Moment nicht unbedingt rosig für dich aus. Wiedermal sitzt du bös in der Tinte, mein Freund. Du lernst es wohl nicht … Mmm?“

„Helfen Sie mir! Befreien Sie mich vom Gurt, sonst verbrenne ich!“, antwortete ich panisch.

Er kicherte.

„Ja, ja. Du hättest auf deinen Freund hören und das Messer annehmen sollen, stattdessen warst du hochmütig. Somit hättest du dich eigenständig aus dieser Misere befreien und deinen jungen Freund vor dem Tod retten können.“

Das Lächeln verschwand aus seinem wunderschönen Gesicht, seine blauen Augen sahen mich streng an und er hob seinen Finger.

„Hörst du sie? Sie kommen, sie kommen mit hoher Geschwindigkeit angerast. Drei Rennwagen nähern sich und wenn sie die Kurve passieren, werden sie dein brennendes Wrack sehen, ausweichen und deinen jungen Freund, der dort vorne regungslos auf der Straße liegt, den werden sie leider überfahren.“



Mittlerweile hatte der Innenraum ebenfalls Feuer gefangen. Der Schaltknauf befand sich über mir und ich konnte zusehen, wie dieser schmolz. Mein Visier hatte ich zwar längst zugeklappt, aber der beißende Rauch kroch langsam in meinen Helm rein.
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Ich hustete und konnte kaum atmen und reden. Stirnrunzelnd sah ich ihn an. Mir war eingefallen, dass ich diesen Kerl schon einmal begegnet war, und zwar im Traum. Damals trat er als eine Engelerscheinung vor mir, mit riesigen Schwanenflügeln, doch diesmal war er eine lebendige Person. Ich erkannte dies, weil er vom Regen triefnass geworden war, aber die Flammen und die Hitze schienen ihm nichts anzuhaben. Dieser Mann, vielleicht war er aber auch eine Frau, war kein Mensch. So viel stand fest.

„Du-du musst mein Schutzengel sein. Komm schon, befreie mich aus dem Wrack. Wir müssen Kevin retten! Von mir aus lass mich verbrennen, wenn meine Zeit abgelaufen ist, dann ist sie eben abgelaufen. Aber bitte rette Kevin!“

Doch der rothaarige Kerl wankte mit dem Kopf und zog behutsam seine schwarzen Handschuhe aus. Entsetzt sah ich, dass er lange silberne Fingernägel hatte, die aussahen, als seien sie messerscharf. Wieder strich er seine langen, nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Das kann ich nicht machen, William. Nur du bist für mich maßgebend. Allein nur du. Du erinnerst dich noch an den Vertrag? Genauso wie du, muss auch ich mich an die Vereinbarung halten. Für den jungen Kevin ist jemand anderer zuständig. Das Problem an dieser tragischen Geschichte ist, dass die von der anderen Seite nur selten persönlich erscheinen, um ihre Schützlinge vor dem Unheil zu bewahren. Sie versuchen es, so gut es geht, brenzlige Situationen wie diese hier, auf die natürliche Weise zu meistern. Du verstehst schon, wegen der menschlichen Logik und so weiter. Ihr lebt in einer realen, vergänglichen Welt und ein Wunder darf nur äußerst selten geschehen. Sonst wäre ein Wunder kein Wunder mehr. Unerklärliche Phänomene übersteigen eure Vorstellungskraft, und diese versucht ihr verbissen mit eurer Wissenschaft zu erklären. Darum ist es für uns eigentlich verboten, euch tatkräftig beiseite zu stehen“, sagte er, wobei er mit seiner Hand kurz abwertend gestikulierte. „Weil der Herr es so wünscht. Also der andere Herr, nicht unser beider Herr wohlbemerkt. Du jedoch hattest einen Pakt mit UNS geschlossen und genießt bis zu deinem Lebensende ein Sonderrecht. Ohne jegliches Unheil zu erleben.“

Ein gütiges Lächeln huschte über seinem hübschen Gesicht.
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Verzweifelt versuchte ich mich selbst vom Gurt zu befreien, denn der Ärmel meines Rennoveralls fing zu brennen an und unter meinem Helm verspürte ich die glühende Hitze, die jede Minute unerträglicher wurde. Zudem roch ich ekelhafte Gerüche. Giftige Dämpfe drangen in meinen Helm.

Selbst die Autotür war dermaßen verkeilt, dass sie sich nicht mehr öffnen ließ. Die einzige Chance mich zu befreien wäre, wenn man mich aus der aufgerissenen Beifahrerseite herausziehen würde. Aber im Innenraum tobten die Flammen wie in einem Kamin. Und dieser Kerl redete einfach selenruhig weiter, obwohl ich ihm kaum zuhörte. Ich verspürte unglaubliche Schmerzen und fühlte mich wie auf einem Scheiterhaufen am Marterpfahl gefesselt. Er saß in der Hocke, umklammerte seine Beine und blickte nachdenklich in den Himmel, während er mir seine Geschichte erzählte, die ich in dieser brenzligen Situation für völlig unangebracht hielt. Die Zeit rannte mir davon.

„Weißt du, vor sehr, sehr langer Zeit hatte ich mich gefragt, was das für einen Sinn ergeben soll. Da erschuf der Herr die Engel, verlieh ihnen göttliche Fähigkeiten aber untersagte ihnen gleichzeitig, zu den Menschen herabzugehen, um ihnen den rechten Weg zu weisen. Damit war ich nicht einverstanden gewesen, hatte nach eigenem Ermessen gehandelt und wurde daraufhin verstoßen. Das musst du dir mal reinziehen, Willie. Ich wurde in der Tat dafür bestraft, nur weil ich, wie jetzt, zu euch Menschen gekommen war, um zu helfen. Gott straft, das weißt du ja. Das hat dir schon deine Mutter immer gepredigt“, lächelte er.

„Hol mich hier endlich raus!“, brüllte ich.

„Einen Moment noch … Gleich. Unterbreche mich nicht dauernd. Lass mich noch dieses erzählen: Dabei begebe ich mich selbst ständig in Gefahr, wenn ich leibhaftig erscheine. Du kannst dir nicht im Entferntesten vorstellen, was bei euch Lebenden mitten im Alltag so alles kreucht und fleucht, was ihr gar nicht sehen aber manche von euch spüren können. Nur glauben es die Wenigsten, weil es für euch unerklärlich ist. Dieser blaue Ball im Universum ist nur ein winziger Punkt in der Unendlichkeit, aber er lebt. Und er erzeugt tagtäglich neue Seelen. Darum ist eure Erde so interessant für uns. Jedes neue Leben erzeugt wiederum neue Seelen.
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Wundervoll. So kann unsere Gemeinschaft wachsen, verstehst du? Alles lebt hier, selbst jeder einzelne Baum im Wald ringsherum ist ein Lebewesen und besitzt eine Seele und sogar der Köter deines Nachbars ist kein seelenloses Geschöpf. Stell dir mal vor, eine lästige Stubenfliege, die sich von Fäkalien ernährt, ist die Wiedergeburt eines miesen Menschen. Was sagst du jetzt dazu? Unsere Zone ist schon seit einigen tausende Jahre überbevölkert, darum werden die unbedeutenden Seelen hierher zurückgeschickt, um den Organismus dieses Planeten aufrecht zu erhalten. Dreck bekämpft Dreck, ist das nicht genial? Nur der wirkliche Abschaum bleibt da wo er hingehört: im Kerker des Fegefeuers. Ist eine komplizierte Angelegenheit aber du wirst es bald erfahren, wie die Dinge so laufen … wenn auch du stirbst, das ist gewiss. Aber deine Zeit ist noch nicht gekommen. Noch nicht.“

„Würdest du mich jetzt bitte hier rausholen!“, schrie ich und zerrte verzweifelt an meinem straffen Gurt, der meinen Brustkorb einzuquetschen drohte.

„Sei doch nicht immer so ungeduldig, Willie. Fürchte dich nicht, ich bin doch bei dir. Wo bin ich stehen geblieben?“, fragte er mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck, dann schnalzte er mit seinen Fingern und lächelte spitzbubenartig.

„Aja, jetzt weiß ich`s wieder. Hör zu: Nun diene ich dem wahren Lichtbringer. Er ist absolut mächtig, ihm kann niemand etwas antun und er ist wirklich gütig. Er ist wie der Zauberer von Oz, der bestrebt danach ist diesen blauen Ball in ein Wunderland zu verwandeln. Ohne Kriege, ohne Traurigkeit und Liebe, Schmerz und Leid. Denn die Liebe ist die Ursache des Schmerzes und der Traurigkeit, wie du es ja selbst erfahren hast.“

„Ich kenne die Geschichte vom Zauberer von Oz. Er war ein Betrüger, nur ein Jahrmarktschausteller aus Kansas. Hör endlich auf zu reden, hol mich hier verdammt nochmal raus! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Kevin ist in Gefahr!“

„Zeit?“, fragte er wobei er mich verwundert anblickte. „Zeit hat keine Bedeutung, mein lieber Willie. Die Zeit verrinnt nur für euch Lebenden. Nur der Organismus dieses lebenden Wunderwerkes im Universum ist an der Zeit gebunden. Zeit ist lediglich Veränderung, ihr Menschleins werdet alt und schwach, die Schönheit eurer Körper vergehen, aber euer Sein wird bestand bleiben.
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Hast du das soweit verstanden?“

Die Flammen loderten wild aus dem längst zerbärsten Seitenfenster heraus und schlugen ihm entgegen. Ich saß inmitten dieser Feuerbrunst und sah sein Angesicht flimmernd vor mir. Doch das Feuer machte ihm nicht im Geringsten etwas aus. Vorsichtig tippte er mit seinem langen, spitzen Fingernagel sachte gegen meinen Helm.

„Dein Körper ist organisch und somit vergänglich, aber was da drinnen steckt, Willie, ist für die Ewigkeit geschaffen. Wir sind eine gute Gemeinschaft, die etwas bewegt und lenkt. Nicht so wie die anderen, die nur in ihrem Paradies hocken und zusehen, wie ihre eigenen Leute, Verwandte und sogar ihre eigenen Kinder unsägliches Leid erdulden müssen, obwohl sie ohne weiteres dem ein Ende bereiten könnten. Die anderen – ein abfälliges Lächeln huschte über seinen Mund – nehmen jeden Dahergelaufenen auf, insofern dieser nicht arg so viel Dreck am Stecken hat. Wir dagegen suchen uns ausschließlich die Elite aus und der Abschaum wandert dorthin, wo er hingehört. Nun lass uns mal sehen, wie du den Hopkins Jüngling aus der Patsche hilfst. Wenn du es nicht schaffst, wovon ich ausgehe, ist es auch nicht tragisch. Sterben werdet ihr sowieso irgendwann einmal. Der eine früher, der andere später. Die anderen warten schon auf ihn.“

Er griff an die Autotür, riss diese mühelos ab, wobei das Auto schunkelte, und schleuderte sie einfach hinter sich in den Wald. Plötzlich wurden seine wunderschönen blauen Augen milchig. Nun sah er grauenvoll aus und seine strichförmigen Pupillen erinnerten an die Augen eines Reptils.

„Jetzt hast du genug von diesen giftigen Dämpfen eingeatmet, somit wirst du unsere Unterhaltung, wenn du aus dem Koma erwachen wirst, vergessen haben. Nur noch in deinem Unterbewusstsein wirst du dich an mich erinnern und es wird dich warnen: Unterlasse gefälligst zukünftig solchen Unsinn! Denn ich habe keine Lust dir ständig persönlich aus der Misere zu helfen!“, fauchte er hassverzerrt und schnitt mit seinem scharfen Fingernagel den Sicherheitsgurt durch.



Ich rollte kopfüber aus dem brennenden Wrack raus. Die Gestalt war einfach weg. Spurlos. Ich glaubte, der Engel wäre mir nur für einen Augenblick erschienen, gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass unsere Unterhaltung mindestens eine halbe Stunde gedauert hatte.
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Diese Begegnung konnte nur einen Augenblick gedauert haben, denn sonst wäre ich längst verbrannt. Aber groß darüber nachzudenken war nicht möglich, denn ich stand in Flammen und spürte die beißende Hitze auf meiner Haut.

Der starke Regen hatte leider aufgehört aber am Straßenrand entdeckte ich einen kleinen Teich, darin ich mich hätte löschen können. Bevor der geheimnisvolle Fremde spurlos verschwand riet er mir, dass ich sofort hinein springen sollte anstatt Kevin zu retten, andernfalls würde ich starke Verbrennungen erleiden und müsste lebenslang, wie Shirley, in einem Rollstuhl verharren. Zudem wäre mein Körper völlig entstellt und würde wie ein Monster aussehen, warnte er mich.

Doch die Motorengeräusche waren unmittelbar zu hören – ich sah wie vier Scheinwerfer aus der Schikane geschossen kamen und weil ich sowieso plötzlich keinerlei Schmerzen mehr spürte, torkelte ich wie eine brennende Fackel eilig auf Kevin zu, der samt Autositz regungslos mitten auf der Strecke lag.

Wie erwartet wurden die zwei heranschnellenden Rennautos völlig überrascht, wichen meinem brennenden Wrack aus und bremsten stark ab, als beide Wagen direkt auf mich zu schlitterten. Gerade so, noch im letzten Augenblick, packte ich den Autositz samt Kevin und riss ihn beiseite, wobei ich vom Außenspiegel eines der Rennwagen am Arm getroffen wurde. Beide Wagen kollidierten und rutschten über den Asphalt – ich wurde gegen die Leitplanke geschleudert und saß auf meinem Hintern. Das dritte heranrasende Rennauto bremste sofort ab. Der Fahrer stieg mit einem Feuerlöscher aus und brüllte: „Visier runter und halte die Luft an, Carter!“

Während mich der Rennfahrer mit dem Feuerlöscher löschte, fiel ich in Ohnmacht.



„Mach die Augen auf“, hörte William die Stimme von Penélope wie in Trance. „Mach die Augen auf“, sprach sie mit ihrem ausgeprägten spanischen Akzent. Er blinzelte, sah Penélope verschwommen – nur ganz kurz –, die ihn mitleidig anblickte. „Bist du tatsächlich da oder bist du nur ein Traum?“, nuschelte er kraftlos. Dann verfiel er wieder ins Koma.

William Carter erntete tosenden Applaus von seinen Freunden, als er zwei Wochen später im Hospital von Los Angeles endgültig aus dem Koma erwachte.
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Kevin saß im Rollstuhl und fasste vorsichtig an seine bandagierte Hand. Williams kompletter Körper war aufgrund der massiven Verbrennung bandagiert worden und die Ärzte vermuteten, dass William Carter entstellt bleiben würde. Selbst sein Kopf war mit einem Verband umwickelt worden, bis auf einen Schlitz, und nur anhand seiner Augen erkannte man, dass er lächelte.

Kevin lebte und hatte sich nur seine Beine gebrochen. Die ganze Welt hatte von diesem Rennunfall berichtet und William Carter wurde als ein Held gefeiert, insbesondre in seiner Heimat Amerika. Nun hatte er seine positive Schlagzeile bekommen.

Er hätte in den nebenliegenden Teich springen können, um seine schwere Brandverletzung, die ihm sein Leben hätte kosten können, zu mindern. Doch er hatte sich dazu entschlossen, den einundzwanzigjährigen Kevin Hopkins zu retten. Adam trat vor seinem Krankenbett, kniete vor ihm nieder und hielt vorsichtig seine bandagierte Hand.

„Hey, Kumpel, das vergesse ich dir nie. Du hast eine Menge gut bei mir, und das bis zu meinem Lebensende. Danke, dass du meinen Sohn gerettet hast. Ich danke dir, dass du mein Freund bist. Jetzt musst nur noch du gesund werden.“

William zwinkerte mit den Augen und vermittelte ihm, dass er glücklich darüber ist, das Kevin noch lebte.

Wochenlang musste William die Bandage am kompletten Körper erdulden. Die Ärzte hatten ihn auf das Schlimmste vorbereitet. Er hatte Biografien von Niki Lauda gelesen, weil er ihn bewunderte, weil er trotz seiner Deformierung ein charakterstarker, erfolgreicher Mann geblieben war, der zielstrebig seinen Weg ging und alle Höhen und Tiefen optimistisch anpackte. Als endlich eines Tages sein Verband abgelegt wurde, waren die Ärzte sichtlich erstaunt. Selbst William war verwundert, als er in den Spiegel schaute. Seine Haut war nur stark errötet, so, als hätte er einen mächtigen Sonnenbrand erlitten. Selbst sein verbranntes Haar war nachgewachsen. Nachdenklich betrachtete er sein Gesicht im Spiegel.

„Ich glaube, in Zukunft werde ich weder Segelfliegen noch irgendein Autorennen unternehmen. Mein Hinterstübchen empfiehlt es mir“, sagte er zu den verdutzten Ärzten.
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Kommentar von "Buchwurm" zu "PK Chat Story 2 - return to life - (1-22)"

Echt super krass gut!

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