Das Grauen vor Lampedusa (eine Meer-Ballade)   142

Poetisches · Schauriges

Von:    Frank Bao Carter      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 9. September 2015
Bei Webstories eingestellt: 9. September 2015
Anzahl gesehen: 2711
Seiten: 2

Auf peitschen die Wogen,

Zehn Meter hoch.

Schwarz ist die Nacht,

Von Wolken verhangen.

Auf ihrem Kamm tragend

Zehn Boote in Not.

Schreiende Menschen,

Weinende Kinder.

Kämpfende Arme,

Poseidon zum Trotz.

Fliehend dem Hungertod,

Der Gewalt herrschaftlicher Struktur.



Krachend fällt der Kutter

Ins Wellental.

Hat´s ihn zerstört?

Nein, er blieb ganz.

Erneut die Fahrt zum Himmel,

Von Neuem die Todesangst.

Ein Bersten, ein Kreischen -

Von keinem vernommen.

Auf dem nächsten Wasserberg:

Bohlen, Bretter, Seesäcke,

Ein schreiender Kopf, ein brauner Arm,

Dreißig Leben waren gewesen.



In Taneeshas Armen

Ihr schreiendes Kind.

In den Augen der Schlepper

Panik und Wut.

Grausam wird ihr

Das Kind entrissen.

Hoch fliegt es hinaus

In die Schwärze der Nacht.

Taneesha will ihm nach,

Den Tod verlachen.

Doch eisern hält Obinna sie fest,

Der Vater ihrer Kinder, ihr Gemahl.



Neun Boote in Not,

Sagt der Radar.

Nicht weit von der Küste,

Doch die Wache schweigt.

Selbstmord, wer jetzt führe:

„Seht selbst, jetzt nur noch acht!

Sollten auch wir

Unter die Hufe

Poseidons Rösser geraten?

Ich sage euch: Nein.

Sie haben sich den Tod selber erlesen.

Unschuldig in ihrer Schuld verfangen.“



Das Boot neben Taneesha,

Schnell frisst es die See.

Last müssen sie abwerfen,

Sonst werden die Haie

Sie alle verschlingen.

Schon packt ein Schlepper,

Taneesha am Arm,

Schon kommt der zweite,

Zu greifen ihren Fuß,

Da tritt hervor Obinna.

Heiß dringt der Dolch in des Vaters Herz,

Dem Baby folgt der Gatte.



Rum trinken die einen,

Die anderen Tee.

Gebannt den Blick auf den Radar.

Wenn doch nur das Ende käme,

Sie zu lösen aus der Pflicht.
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Da erschüttert sie alle

Die zornige Stimme

Andrea Sarellis.

Ein Baum an Mann

In der Tür zur Brücke.

Eine Legende auf stürmischen Wassern,

Ein Berserker der Gerechtigkeit.



Ein Sturz in das Tal,

Wie lange noch?

Taneeshas Bub,

Drei Jahre alt,

Fest seine Ärmchen

Ums Bein der Mutter geschlungen;

Zitternd und weinend vor Angst.

Ganz hinten in der Menge

Hat sie Schutz gesucht

Und weiß, sie ist allein.

Schon zeigt der eine auf die Mutter.

Schon knackt der andere seine Finger.



„Hab ich nicht einst

Dich, Davide, und Dich Simone,

Den Rössern entrissen?

Noch heute dankt´s mir

Eure Mutter.

Was ist mit deren Müttern?“

Sein Finger weist mahnend

Auf den Radar.

„Geschick, Mut und Gottvertrauen

Sind damals meine Gefährten gewesen.

Vertraut unserer heutigen Technik.

Wir werden es schaffen.“



„Mich kriegst Du nicht

Hinaus in die See,

Andrea Sarelli!

Mein Leben als Tausch

Für die Todgeweihten?

Niemals. Mein Schwur.

Sie schaffen uns nur Probleme.“

„Sicherlich, so ist die Zeit.

Doch wir sind stark,

Unser Land ist nicht schwach.

Denkt jetzt nicht an die Zukunft.

Die Gegenwart heißt Leben retten.“



Schon sind es nur noch sechs.

Unermüdlich die Gier der See.

Die Masse in Angst,

Schiebt Taneesha nach vorne,

Heran zu den gierigen Händen,

Den Fratzen des Todes.

Das Schreien ihres Bubes

Ihr letzter Lebenswille;

Wie sehr doch lockt die See.

Hoffnung zerplatzt,

Kein Entkommen dem Elend.

Die Armen werden ans Kreuz geschlagen.



Alles Ersparte, hinfort,

Die Hoffnung auf ein

Bisschen Menschlichkeit

Erloschen. Verweint.

Die Unmenschen heben an,

Ihr Werk zu vollenden.

Schnell fasst der eine ihre Arme,

Packt der andere sie bei den Füßen,

Schaukeln beide sie grölend

In der pechschwarzen Nacht.
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Da erfasst ein Lichtstrahl das Boot.

„Die Leitern herab!“ schreit Andrea Sarelli.
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Punktestand der Geschichte:   142
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Kommentare zur Story:

  Hallo Frank,
du hast so eine Situation, in der diese Menschen und Gefahr sind, so mitreißend geschrieben und vor Augen geführt, dass ich die Luft angehalten habe.
Das Elend ist grenzenlos.
LG lillii  
   lillii  -  11.12.15 18:15

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  Ja Michael, diese Situation ist wirklich nicht einfach. Ich bin froh, dass Deutschland hier eine positive Vorreiterrolle einnimmt. Ich glaube, trotz Fernsehen können wir das große Ausmaß des Elends in Afrika oder Syrien nicht wirklich ermessen. Krieg, Korruption und Menschenverachtung lässt diese Menschen fliehen. Sie bei uns zu integrieren, wird wahrlich nicht einfach werden. Die Mitmenschlichkeit kennt jedoch kein anderes Gebot als Hilfe. Zum Glück. Und eigentlich ist die ganze Welt aufgefordert, sich diesem Problem anzunehmen.  
   Frank Bao Carter  -  13.09.15 19:32

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  Hallo Frank,
mit starken bildhaften Worten des Schreckens
und dem passenden Bild von einer Monsterwelle
hast du das gnadenlose Schicksal dieser
Menschen, die zum Teil sogar nur in
Schlauchbooten unterwegs sind, uns vor Augen
geführt. Und diese skrupellosen Schlepper
versprechen diesen Menschen, dass sie in
Deutschland das Blau vom Himmel erleben
werden. Stattdessen reiht sich in Deutschland
eine Notunterkunft an der anderen. Und dennoch
schauen viele EU-Länder dem Elend einfach zu.
LG. Michael  
   Michael Brushwood  -  12.09.15 13:50

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  Herzlichen Dank, Marco.

Das Leid dieser Menschen geht mir sehr nah und die herrschaftspolitischen Ursachen dieser Not machen mich sehr ärgerlich. Diese großen Emotionen ließen mich diese Ballade an einem windigen Abend schreiben.

Viele Grüße
Frank-Bao  
   Frank Bao Carter  -  10.09.15 19:28

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  Einfach gelungen. Ein hochdramatiches Gedicht mit einem sehr aktuellen Thema.
Man ist gefesselt von deinen Worten.  
   Marco Polo  -  10.09.15 17:40

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Interessante Kommentare

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