DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 11 - DIE LUST DER SCHMERZEN   286

Romane/Serien · Spannendes

Von:    Ingrid Alias I      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 14. Dezember 2014
Bei Webstories eingestellt: 14. Dezember 2014
Anzahl gesehen: 3508
Seiten: 10

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Vanadis behielt Recht mit ihrer Hoffnung. Vorerst passierte nichts, außer dass ganz Rom über die neueste Liebesgeschichte der Kaiserin tuschelte. Natürlich hinter vorgehaltener Hand, keiner wagte es öffentlich auszusprechen, denn der Kaiser war blind in Bezug auf seine geliebte Messalina.

Wilde Gerüchte gingen um: Die Kaiserin zeigte sich öffentlich mit dem Gaius Silius, dieser hatte sich von seiner Frau scheiden lassen unter dem Vorwand, sie hätte ihn betrogen und ihre gemeinsamen Kinder wären von anderen Männern gezeugt worden. Auch über die Messalina wurden auf dem Forum die sonderbarsten Nachrichten verbreitet: Angeblich war sie aus dem Palast ausgezogen, aber der Kaiser zeigte keine Reaktion darauf, er verhielt sich wie immer. Es war alles sehr seltsam.

Vanadis atmete tief durch, die Gefahr war gebannt, die Kaiserin hatte andere Interessen, und bald schon würde die Caenis den Imaginus mitnehmen in ihre Capua-Villa. Und sie selber würde auch dort leben, als seine Gefährtin. Sie freute sich schon auf das Landleben. Es hieß, Capua wäre sehr schön, das Klima angenehmer und die Luft besser als in Rom.

Imaginus, sie verstand sich immer besser mit ihm, manchmal streichelten sie sich zärtlich, und manchmal küssten sie sich sogar. Es war nicht leidenschaftlich, sondern innig und liebevoll.

Und Vanadis genoss es. Es brachte sie einander näher. Dieser Mann war so wunderschön – und gleichzeitig so verloren, aber sie würde ihn ins wirkliche Leben zurückholen. Wenn sie nur wüsste, wie das wirkliche Leben überhaupt war… Die Freiheit, dort zu leben, wo man wollte, vor allem außerhalb Roms. Wie gelangte man aus Rom hinaus? Brauchte man einen Ausweis? Im Chattenland war es viel einfacher gewesen. Aber jetzt als Sklavin schien es schier unmöglich zu sein. So vieles war unmöglich, undenkbar…

Immerhin glaubte sie nun, dass die Liebe der wichtigste Bestandteil des Lebens war – und sie liebte diesen Mann. Diesen Mann, der so scheu war und dennoch die Gestalt eines Gottes besaß. Sie liebte es, ihn zu umarmen, ihn zu liebkosen, sie wollte ihm die dummen Erinnerungen austreiben durch sanfte Berührungen, und sie spürte, dass sie Erfolg hatte.

Allmählich öffnete er sich ihr, offenbarte ihr fast all seine Ängste: Sein Vater, der ihn nicht gerettet hatte.
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Und vor allem nicht zu wissen, was mit seiner Mutter geschehen war. Das hatte ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht. Und dieser Wahnsinn trieb ihn in den Circus. Als Gladiator konnte man töten, besinnungslos zuschlagen, niedermetzeln, jedes Risiko vergessen, um für einen Augenblick die inneren Qualen zu betäuben. War es ihm dann egal, ob er starb oder nicht? Vielleicht wünschte er sich sogar zu sterben.

Am schlimmsten war wohl das Verhältnis zu seinem Erzieher in Ravenna, dem Livius Laventius… Davon hatte er ihr nichts erzählt, aber es war offenkundig, immer wenn die Rede auf diesen kam, dann stockte seine Stimme, und sein Gesicht verzog sich schmerzerfüllt. Vanadis kam es vor, als wäre da noch ein anderes Gefühl im Spiel, sie wusste aber nicht, wie sie es benennen sollte.

Sie konnte ihn nur durch zärtliche Umarmungen besänftigen und durch einfache Worte wie: Du hast keine Schuld, deine Mutter hat dich lieb, dein Vater hat dich zwar nie gesehen, aber wer könnte dich nicht liebhaben, und ich, ich habe dich auch lieb…

Wenn sie das sagte, dann entspannte er sich, und manchmal schlief er sogar in ihren Armen ein. Sein Gesicht, es war dann frei von Trauer, Hass und diesem anderen Gefühl, welches sie nicht deuten konnte, und es besaß die Unschuld eines Kindes…

Sie liebte ihn, und sie fühlte sich wie ein Leitstern in seinem verkorksten Leben. Und er würde sie auch lieben, er tat es ja schon, es fehlte nur noch ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Und dabei stellte sie sich sein Gesicht vor, wenn es passierte. Wenn er auf ihr liegen würde, erregt, sie liebkosend…

Seltsamerweise stagnierte ihre Vorstellungskraft dabei, und auch mit größter Anstrengung konnte sie sein Gesicht nicht sehen, wenn sie miteinander schliefen. Auch ihre eigenen Gefühle blieben dabei im Dunkeln, das verwirrte sie. Doch sie war ja unerfahren und hatte keine Ahnung von so etwas. Außerdem fiel ihr ein: Wovon würden sie eigentlich leben? Vermutlich würde die Caenis sie und den Imaginus freilassen, aber wovon sollten sie leben? Sie selber könnte vielleicht ein paar Asse mit ihren Kopien verdienen, aber der Imaginus? Gladiator war er. Nein, das ging nicht, es gab kaum freie Gladiatoren, außerdem war das viel zu gefährlich, das konnte sie nicht dulden. Aber was ging überhaupt? Sie wollte doch nicht ihr Leben lang abhängig von der Caenis sein.
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Sie schüttelte den Kopf. Die würde sich schon was einfallen lassen, aber es war alles nicht richtig. Woran lag das? Natürlich an Rom! Rom hatte viele freie Bürger, die arm waren, und die standen natürlich in Konkurrenz zu den Freigelassenen. Die Freigelassenen… Sie lebten in einer Zwischenwelt. Kontakte mit freien Bürgern gab es kaum, außer sie arbeiteten für sie. Sie waren auf die Gesellschaft von anderen Freigelassenen angewiesen, und wenn sie Glück hatten, wurden ihre Kinder zu richtigen römischen Bürgern. Nicht gut, nicht gut, dachte Vanadis. Wie konnte man jemals aus diesem System herauskommen? Sie vertraute auf die Caenis. Normalerweise hätte sie nur auf sich selber vertraut, egal wie schlecht es kommen würde, aber Imaginus… er ist anders als sie, nicht so realistisch. Aber das würde sie ausgleichen, sie lächelte vor sich hin.

*~*~*

Zwei Tage später – sie hat wie immer um die achte Stunde herum auf dem Forum Einkäufe erledigt, nebenbei eine Schriftrolle kopiert und gutes Geld damit verdient – geht sie am Schlafzimmer der Sidonia vorbei. Das Haus ist menschenleer, alle Sklaven verschwunden, seltsam… Sie will eigentlich nur in das Gartenzimmer, um dort eine Blume hinzustellen, welche die Herrin extra bestellt hat. Doch dann hört sie eine ihr vertraute Stimme. Sie erstarrt, nein, das kann nicht sein, sie muss sich täuschen.

Dennoch schmiegt sie sich eng an den Teppich, der das Schlafzimmer der Sidonia vom Flur abgrenzt. Mit klopfendem Herzen lauscht sie den Stimmen, die aus dem Raum dringen.

„Oh ja, ich will es!“, sagt jemand, und Vanadis beißt sich auf die Lippen, bis sie den salzigen Geschmack von Blut schmeckt. Nein, bitte nicht das, bitte nicht du! Bitte tu es nicht!

Aufkeuchend stellt sie an die Seite des Teppichs und überlegt: Das kann nicht wahr sein, das ist nicht wahr. Es ist bestimmt jemand anderes…

Sie muss sich davon überzeugen, dass es jemand anderes ist, aber sie traut sich nicht. Wie festgefroren hängt sie an der linken Seite des Teppichs. Fühlt sich innerlich wie auseinandergerissen, hofft, dass es nicht so ist, befürchtet, dass es doch so ist – und steht da, starr, bewegungslos.

Ein Schluchzen drängt sich in ihre Kehle, aber sie lässt es nicht heraus.
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Sie reißt sich zusammen, lüpft vorsichtig den Teppich zur Seite und späht in das Zimmer hinein.

Auf dem Bett der Herrin, es ist breites Bett, liegt ein Mann, er ist mit den Beinen an die Bettpfosten gefesselt und mit den Armen an ein Seil gebunden, das von der Decke herunterhängt. Der Oberkörper ist vorne und hinten frei zugänglich. Er sitzt praktisch im Bett, wenn auch festgehalten durch Fesseln und Stricke.

Über ihn beugen sich zwei nackte Frauen.

Vanadis muss ein Stöhnen unterdrücken. Die eine ist die Herrin, und die andere ist die Kaiserin. Beide machen sich an der männlichen Gestalt zu schaffen. Die Herrin Sidonia hält eine zierliche Peitsche in der Hand, Weiberpeitsche heißt sie im römischen Jargon, und sie ist zwar darauf spezialisiert, Schmerzen zu verschaffen, doch es handelt sich um Schmerzen, die verkraftbar sind und die Lust erzeugen sollen.

Im ersten Augenblick will sie in das Zimmer hineinstürmen, um ihn zu befreien. Die beiden weiblichen Dämonen haben ihn gefangen genommen und wollen ihn foltern. Ganz sicher!

Doch Vanadis tut es nicht, sie muss hinschauen, ob sie es will oder nicht. Sie sieht den Thumelicus an, er sitzt gefesselt auf diesem breiten Bett, und er stöhnt.

Er stöhnt lustvoll, ja, so ist es. Er genießt die Schläge, die ihm die Sidonia auf den Rücken versetzt.

Wirre Gedanken gehen ihr durch den Kopf. Viele Männer in Rom bevorzugen Schmerzen, die ihnen zugefügt werden, oder Schmerzen, die sie anderen zufügen, und durch diese Schmerzen empfinden sie Lust. Die Nubierin hat es ihr erzählt.

Aber mit dem Thumelicus ist es anders: Die Schmerzen, die er gerade erleidet, sind eine Möglichkeit für ihn, seine inneren Wunden zu äußeren Wunden zu machen, sie somit kurzfristig zu verdrängen und sie in Lust umzuwandeln. Das erkennt Vanadis in diesem Moment.

So steht es mit ihm? Sie fängt an zu schluchzen, und sie hält sich die Hand vor den Mund, damit niemand ihr Schluchzen hören kann.

Sie atmet mühsam ein. Das ist furchtbar, das ist nichts für sie. Sie ist nicht die Frau, die ihn geißelt, um ihm Lust zu verschaffen. Sie will viel weniger und viel mehr, sie will ein normales Liebesleben, nicht eine Peitschenorgie, um ihren Geliebten überhaupt in Stimmung zu bringen.
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Wie besessen beugt sie sich vor, um alles mitzubekommen. Es wird ihr weh tun, das weiß sie, aber sie muss es wissen.

Er hängt immer noch zwischen den Seilen, er stöhnt immer noch. Sie sieht sein voll aufgerichtetes Glied. Es ist groß, denkt sie verschwommen, obwohl sie gar nicht weiß, wie groß ein männliches Glied sein kann, sie sieht, wie die Kaiserin sich an ihm zu schaffen macht. Erst mit ihren Händen, sie streichelt dieses herrliche Glied, es geschieht im Rhythmus zu den Peitschenhieben, welche die Sidonia auf die Brust des Thumelicus niedersausen lässt. Zu jedem Peitschenhieb röhrt er lustvoll wie ein Hirsch in der Brunst.

Was wiegt wohl mehr, die Hiebe oder der Mund der Kaiserin, der sich mittlerweile um sein Glied geschlossen hat und im Takt der Peitschenhiebe sich mal fest, dann wieder spielerisch leicht vor- und zurückbewegt. Was wiegt wohl mehr? Das denkt Vanadis, und sie hasst sich dafür. Es ist eine so realistische Frage, und sie liebt den Thumelicus doch.

Sie kann ihren Blick nicht von der Dreiergruppe abwenden, und jetzt kommt der Schmerz, trotzdem schaut sie weiter zu, auch wenn es furchtbar wehtut. Aber sie will wissen, was da mit dem Thumelicus geschieht…

Es ist der Abgesang ihrer Liebe, die dort stattfindet mit Gestöhn und Peitschenschlägen. Und sie hält sich den Mund zu, um nicht herauszuschreien, was sie empfindet.

Dennoch fühlt sie Mitleid mit dem Thumelicus. Sie hat ihn lieb, doch wird sie ihm nie helfen können, es sei denn unter größter Selbstverleugnung. Und dafür ist ihre Liebe zu ihm nicht groß genug.

Das erkennt sie innerhalb eines Herzschlages. Es ist nicht genug Liebe da, weder bei ihr selber, geschweige denn beim Thumelicus. Es war alles eine Illusion. Trotzdem tut es weh, und trotzdem meint sie, immer noch für ihn verantwortlich zu sein.

Sie hat gedacht, er wäre ihre große Liebe, hat gedacht, er wäre ihr vorbestimmt, aber sie hat sich getäuscht. Es ist aus…

Sie muss einfach hinschauen, als sie erkennt, was nun passieren wird. Die Kaiserin kniet sich breitbeinig über ihn, sie nimmt sein Glied und führte es zwischen ihre Brüste, während die Sidonia jetzt hinter dem Thumelicus ist und die Peitsche auf seinen Rücken knallen lässt…

„Nicht genug!“, stöhnt er.
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„Nicht genug! Mehr!“

In diesem Augenblick schaut die Sidonia hoch und richtet ihren Blick auf sie. Das kann nicht sein, woher weiß sie… In dem Blick stehen Triumph und Häme. Und dann lächelt sie auf hässliche Weise.

Vanadis zuckt zurück. Sie lässt den Vorhang los und dreht sich um. Es ist ihr egal, was die Herrin mit ihr vorhat, denn die hasst sie, das weiß sie nun, aber es ist ihr egal. Sie nimmt den Blumentopf an sich, den sie neben sich gestellt hat und geht mit ihm leise in das Sklavenzimmer, es ist leer, weil alle Sklaven fortgeschickt wurden. Es war ein gut inszeniertes Theaterstück. Aber warum? Dieser Hass in den Augen der Sidonia, was hat sie dieser Frau getan?

Sie wirft sich auf ihr Bett, und versucht zu weinen. Es geht nicht, ihre Augen bleiben trocken, während sich ihre Kehle immer mehr zuschnürt. Warum kann sie nicht weinen? Stattdessen sind ihre Gedanken ganz klar: Thumelicus, ihm ist schwer zu helfen, doch sie selber wird damit fertig werden. Es hat keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Zwischen ihr und dem Thumelicus war nie Leidenschaft im Spiel, nur Zuneigung und vor allem Mitleid.

Und instinktiv weiß sie: Egal was sie ihm von seinem Vater erzählt, es wird seinen Schmerz nicht lindern. Er ist geprägt worden von diesem Rom. Diesem Moloch, der alles an sich reißt und beherrscht, und den sie hasst. Samt Marcus, dem treuen Diener dieses Molochs!

Sie hat in einer Traumwelt gelebt, in einer anderen Dimension, im griechischen Himmel, auf den elysischen Feldern mit ihren rosengeschmückten Wiesen, wo ewiger Frühling herrscht und wo der Trank aus einer verzauberten Quelle das Vergessen aller irdischen Leiden ermöglicht. Falsch, falsch, Täuschung... Die wirkliche Welt ist anders.

Man kann den Thumelicus nur beschützen, indem man ihn vor sich selber schützt. Leider liegt das nicht in ihrer Macht. Und sie entschließt sich, die Antonia Caenis zu verständigen, denn der Sklave Imaginus ist in diesem Haus nicht mehr sicher.

Aber vielleicht… Ein trockenes Schluchzen schüttelt sie, während sie sich an die winzige Hoffnung klammert: Mit Liebe kann man alles überwinden, mit Liebe ist alles zu heilen.
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Dann muss sie wieder an das Bild denken, es hat sich ihren Augen eingebrannt: Imaginus ächzend den Schlägen der Peitsche ausgeliefert und nach mehr verlangend. „Nicht genug…“ Es stimmt, auch bei ihr ist es nicht genug, sie stöhnt auf, es geht nicht, das kann sie nicht. Alles, aber nicht das!

Sie nimmt den Blumentopf, der neben ihrer Matratze steht und flieht aus dem Haus. Dort schmeißt sie ihn auf die Straße. Es gibt einen lauten Krach, der aber niemanden interessiert.

*~*~*

Der Kaiserpalast auf dem Palatin wurde natürlich streng bewacht. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte einen der Wachposten nach der Antonia Caenis. Zuerst schaute er sie misstrauisch an, doch dieser Name schien ein Zauberwort zu sein, denn er winkte einen der Gardisten herbei.

„Hast du denn eine Legitimation?“, seine Stimme klang freundlich, und Vanadis sagte genauso freundlich: „Nein, die habe ich nicht, aber die Antonia Caenis ist meine Herrin, und wenn du ihr sagst, dass ihre Sklavin Vanadis sie sprechen möchte, dann wird sie mich gewiss zu ihr lassen.“

„Hast du das gehört?“ Der Wachposten wandte sich an den Gardisten, dieser nickte und verschwand in dem riesigen Gebäude.

„Du bist eine sehr hübsche Frau!“, der Wachposten warf ihr einen bewundernden Blick zu.

„Danke! Die Antonia Caenis beschützt mich auch deswegen“, sagte Vanadis vieldeutig, und der Mann blickte sie daraufhin respektvoll an.

„Sie ist eine gute Herrin, das sagen viele von ihr“, gab er zu. „Genauso wie unser Kaiser ein guter Herr ist.“

„Den kenne ich zwar nicht von Angesicht“, Vanadis musste lächeln, „aber ich glaube das ungesehen…“

Sie fühlte sich erleichtert, zum ersten würde sie die Caenis treffen, und diese würde ihr die Bürde abnehmen, denn sie selber konnte dem Imaginus nicht helfen – aber dieses Gerede zwischen dem Wachposten und ihr hatte gezeigt, dass sie trotzdem eine begehrenswerte Frau war, auch wenn der Imaginus sie nicht lieben konnte. Jedenfalls nicht auf die Art, die sie sich wünschte: Mit Leidenschaft, Hingabe, Entzücken und allem, was darauf folgen konnte. Wieder wollte sie weinen, aber sie hielt die Tränen zurück.

Der Gardist kam und sagte: „Die junge Frau soll sofort hineingelassen werden zu der Antonia Caenis.
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Er hatte sie als Frau bezeichnet und nicht als Sklavin. Das kam bestimmt von der Caenis, und es war schön. Vanadis verabschiedete sich mit einem freundlichen Blick von dem Wachposten, der ihr bedauernd nachsah und folgte dem Gardisten. Wenn auch ein bestimmter anderer Mann so empfinden würde. Aber nein, er tat es nicht, er hatte andere Vorlieben. Wieder wurden ihre Augen feucht, aber sie unterdrückte die Tränen.

Der Palast war natürlich riesig, und er war nicht der einzige, zahlreiche andere Bauten schlossen sich ihm an, denn jeder Kaiser hatte den Palast um Gebäude erweitert, bis schließlich der ganze Hügel Palatin aus prunkvollen Wohngebäuden, Gärten, Verwaltungssitzen und Foren bestand.

Die Caenis arbeitete in einem der hinteren Gebäude, sie saß an einem Schreibtisch und studierte gerade eine Schriftrolle. Doch dann sah sie Vanadis und stand auf. Die beiden Frauen umarmten sich.

„Nett hast du es hier“, sagte Vanadis und musste trotz ihrer Niedergeschlagenheit lachen.

„Man tut was man kann…“ Auch die Caenis musste lachen. „Aber sprich, warum bist du hier? Was ist passiert? Und setze dich doch!“ Sie wies auf die üppige Polsterbank, die vor dem Fenster des großen Raumes stand.

Vanadis nahm nicht gleich Platz, sondern schaute erst einmal aus dem Fenster. Es war ein grandioser Anblick, prachtvolle Bauten, umrahmt von kunstvollen Gärten. Die Gärten des Lucullus kamen ihr in den Sinn. Waren die noch schöner als diese? Vermutlich waren sie es, sonst hätte die Messalina nicht ihren Eigentümer beiseite schaffen lassen. Diesen Asiaticus. Sie schüttelte den Kopf und fragte: „Sind die Gärten des Lucullus wirklich so schön?“

Die Caenis schaute sie verständnislos an.

„Ich meine, diese Gärten sind doch schon wunderbar“, beeilte sich Vanadis zu erklären. „Um wie viel schöner müssen dann die Gärten des Lucullus sein, wenn die Kaiserin dafür ihren Besitzer umgebracht hat…“

Die Caenis lächelte etwas schief. „Ja, unsere Kaiserin…“ Dann sprach sie leise weiter: „Sage besser nichts über sie, hier gibt es viele neugierige Ohren, sprich über das Wetter…“

Vanadis stutzte, sie überlegte und meinte dann: „Das Wetter könnte besser sein, ein Sturm ist aufgezogen, er wühlt alles durcheinander, und gewisse Leute sind sehr sturmempfindlich, bei dem leisesten Wind fallen sie um…“ Vanadis wusste nicht, ob die Caenis ihr Geschwätz verstehen würde, aber diese trat daraufhin näher an sie heran.
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„Was meinst du damit? Geht es um Imaginus?“, flüsterte sie ihr ins Ohr.

Und Vanadis flüsterte zurück: „Ja, und um die Kaiserin und die Sidonia. Die beiden Schlampen haben ihn sich vorgenommen, und er tut mir so leid.“ Wieder traten ihr Tränen in die Augen, aber sie wollte nicht, dass die Caenis es bemerkte.

„Oh verdammt“, fluchte diese untypisch für ihre Art. „Ich hatte gehofft, sie wäre mit ihrem neuen Liebhaber beschäftigt, aber für einen Männerhappen zwischendurch hat sie immer Zeit. War es freiwillig von ihm?“

„Ich befürchte ja, er hat es genossen, ich wollte wegschauen, aber ich konnte es nicht, es war so abscheulich, diese furchtbaren Frauen - und er, so hilflos ihnen preisgegeben.“ Vanadis verzog ihr Gesicht und stöhnte auf. Mühsam sprach sie weiter: „Er ist verloren, wenn er in diesem Haus bleibt. Sie werden ihn so weit treiben, dass er sich töten lässt, um diese Lust zu empfinden.“ Sie wusste nicht, warum sie das sagte, aber es schien ihr auf einmal logisch zu sein.

„Oh! So schlimm ist es?“ Die Caenis versank in Gedanken. „Gut“, sagte sie nach einer Weile leise, „er muss sofort da hinaus. Ich werde ihn auf meinen Landsitz in Capua bringen lassen, dessen Bau nun fast vollendet ist. Und später vielleicht in ein anderes Land…“

„Ein anderes Land? Das wäre bestimmt gut für ihn, es schwebt ihm vor, in der Wildnis zu leben, vollkommen unabhängig von anderen Menschen, vermutlich muss er sich selber finden. Ich hoffe so sehr, dass er irgendwann in Frieden leben kann…“

„Willst du mit ihm gehen?“

„Nein, besser nicht“, sagte Vanadis nach kurzem Nachdenken. Nein, das wollte sie nicht, es war doch sinnlos. Helfen konnte sie ihm nicht. Und ertragen konnte sie ihn im Moment auch nicht. „Ich bleibe lieber hier, obwohl ich kein gutes Gefühl dabei habe. Die Sidonia, sie hat mich beim Lauschen gesehen, und ich glaube, sie hasst mich.“

„Ach Kind, und du hast keine Ahnung warum?“

„Natürlich hat sie gemerkt, dass ich und der Imaginus, dass wir beide irgendwie…“, Vanadis wusste nicht, wie sie es sagen sollte und hörte auf zu sprechen.
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„Liebst du ihn?“

Diese Frage traf Vanadis völlig unvorbereitet. „Ja, nein…“, stammelte sie schließlich.

„Also nicht“, stellte die Caenis fest und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: „Ich habe das erst vor kurzem erfahren: Ein paar Tage nach unserer Ravenna-Reise kam eine Delegation im Palast an. Du wirst nicht erraten, um wen es sich handelte.“

Vanadis schaute sie fragend an, denn sie hatte wirklich keine Idee dazu.

„Es waren die Cherusker, der Stamm des Arminius“, Caenis lächelte, „und sie wollten einen König, weil sie nämlich keinen mehr haben. Und weißt du auch, wen sie haben wollten?“

Vanadis hatte zwar eine Ahnung, verneinte es aber.

„Sie wollten den Sohn des Arminius, diese Geisel des Römischen Reiches, die schon seit Ewigkeiten in Ravenna lebt…“

„Was denn, sie wollten wirklich den…“ Vanadis brach bei diesen Worten ab und schaute die Caenis gespannt an.

„Sie wollten den Thumelicus.“

„Oh!“ Vanadis verschluckte sich fast, sie wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war.

Die Caenis erkannte wohl ihre Gedanken: „Claudius hatte kurz vorher erfahren, dass der Thumelicus nicht mehr lebte. Normalerweise hätte man nachgeforscht. Doch nun, da die Cherusker ihn als König wollten, wäre sein Tod zwingend gewesen. Der Sohn des Abtrünnigen der neue Herrscher der Cherusker? Der Kaiser hätte dies nie akzeptiert! Nähere Untersuchungen fanden nicht statt…“

„Das ist schön, schön für dich und schön für den Thumelicus. Niemand wird ihn suchen, und ich hoffe, dass er in diesem Leben noch glücklich wird.“

„Das hoffen wir alle, liebe Vanadis. Der Claudius hat den Cheruskern übrigens einen anderen König gegeben, nämlich den Italicus. Sein Vater war der Bruder des Arminius und stand immer treu zu Rom…“

„Also Thumelicus’ Vetter… Mir egal, was interessiert mich der neue König der Cherusker!“

Die Caenis stimmte ihr zu. „Zumal wir alle private Sorgen haben…“

Vanadis starrte sie an. „Ist es immer noch dein Titus Flavius?“

„Er war es, und er wird es immer sein! Aber er hat Sorgen, seine Tochter ist gestorben, und er liebte sie sehr.
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Die Caenis kümmerte es nicht, dass dieser Titus Flavius verheiratet war, sie nahm Anteil an seinem Leid und versuchte ihn zu unterstützen. Vanadis überkam ein Gefühl des Neides, sie wünschte sich auch, so sicher zu sein, so sehr zu lieben, aber wenn es mit dem Thumelicus schon nicht ging, mit wem sonst? „Werde ich jemals richtig lieben können?“, murmelte sie vor sich hin. „Wie ist das wohl? Und wie kann ich es wissen?“

„Wenn es irgendwann geschieht“, sagte die Caenis, „dann wirst du es schon wissen.“

„Ach, ich weiß nicht…“

Sie umarmten sich und schieden voneinander. Als Vanadis den Palast verließ, wurden ihre Augen wieder feucht, und auf dem Heimweg ließ sie den Tränen endlich freien Lauf. Es tat gut und spülte einiges an Bitternis fort.

Zwei Tage später kam die Caenis in das Haus Colonius, um ihren Sklaven Imaginus mitzunehmen.

Es war kein schöner Tag…
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Kommentare zur Story:

  danke doska! wenn's überzeugend rübergekommen ist, ist es gut. zwar schlecht für vanadis... aber die wird schon damit fertig. falls nicht von anderer seite etwas geschieht. ;-)
lieben gruß an dich!  
   Ingrid Alias I  -  21.12.14 16:59

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  Ach, die arme Vanadis, das ist ja wirklich sehr enttäuschend für sie. Sehr echt beschrieben. Ein Mensch, der zum Gladiator heranwachsen musste, und der noch dazu vielleicht als Kind missbraucht worden ist, könnte sich durchaus so entwickeln, wie du das beschreibst. Aber Vandis verhielt sich klug. Auch wenn ihr diese Entscheidung gewiss nicht leicht gefallen ist. Jetzt kann man nur hoffen, dass sich die Sidonia nicht dafür an ihr rächen wird oder gar sie Kaiserin. Du hältst den Spannungsbogen sehr schön weiter aufrecht. Daher freue ich mich schon auf das nächste Kapitel.  
   doska  -  19.12.14 21:31

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