DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 7 - FLOTTENSTÜTZPUNKT NUMMER ZWEI   371

Romane/Serien · Spannendes

Von:    Ingrid Alias I      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 5. November 2014
Bei Webstories eingestellt: 5. November 2014
Anzahl gesehen: 2975
Seiten: 11

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Es traf Vanadis wie ein Hammerschlag: Die kühle und zurückhaltende Caenis, eine der vornehmsten Damen Roms, wie sie meinte, hatte sich verliebt? Das war unglaublich. Sie starrte ihre Reisegefährtin fassungslos an. Wie alt war sie eigentlich? Vielleicht an die vierzig Jahre? Also schon sehr alt, und sie war auch nicht wirklich schön, aber wenn sie etwas sagte, dann ging es einem direkt ins Herz.

„Und wer ist der Glückliche?“, fragte sie endlich. Und sie meinte es ernst, denn wenn die Caenis sich in jemanden verliebte, dann musste derjenige wahrhaft glücklich sein.

„Er heißt Titus Flavius, ich kenne ihn schon lange. Vor kurzem ist er aus Britannien heimgekehrt, wo er die besetzten Gebiete verwaltet hat. Und er ist verheiratet...“ Die Caenis sah nicht sonderlich betrübt aus bei diesen Worten, sondern sprach unbekümmert weiter: „Seine Frau ist nicht sehr angesehen beim Adel Roms, denn sie war einmal die Mätresse eines Ritters und nicht einmal im Besitz des vollen römischen Bürgerrechts. Dennoch hat er sie gewählt. Er ist also außergewöhnlich, dieser Mann“, die Caenis lächelte wieder und sagte beschwörend: „Ich werde diesen Mann lieben, solange ich lebe. Ich weiß zwar, dass ich nie seine Frau werden kann, aber das ist mir egal!“

Vanadis starrte sie fassungslos an. So leidenschaftlich, so direkt hatte die Caenis nie gesprochen. Woher kam das? Von der Liebe? Liebe musste schön sein, aber bestimmt auch schmerzhaft. Vielleicht würde sie diesen Wundermann einmal kennenlernen. Nein, nicht ihren eigenen, den gab es nicht und würde es wohl auch nie geben, aber den der Caenis.



Die Landschaft wurde immer flacher, riesige Grasflächen breiteten sich aus, unterbrochen von Olivenhainen. Keine Flüsse mussten mehr überbrückt werden, und nach zwei Stunden sah Vanadis auf einmal am Horizont einen blauen Schatten. Was war das? Eine Wolkenschicht tief am Boden?

Nein, es war das Meer. Vanadis fing an zu lachen, respektlos stupste sie die Caenis an und wies mit dem Finger auf den blauen Streifen. Und auch diese fing an zu lachen. „Ist es nicht schön“, sagte sie.

„Das ist es!“

Die Fahrt ging weiter, immer mit Sicht auf das blaue Meer und auf die sich leicht kräuselnden Wellen, die sanft an den weißen Sandstrand anschlugen und sich dann vorsichtig zurückzogen.
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Darüber strahlte eine blendendweiße Sonne herab, die das Wasser zum Funkeln brachte. Kleine bizarre Wolken wanderten langsam über den Himmel.

Vanadis wusste nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Sie hatte sich zur Caenis gewandt, die saß an der rechten Seite, und Vanadis schaute nun durch das kleine Fenster der Kutschentür hinaus. Es war schön, so leicht, so unbeschwert, so ohne Menschen, und vor allem ohne Römer… Das fand Vanadis einfach herrlich.

Auch die Caenis schaute nur noch nach rechts aus dem Fenster. Vanadis musste darüber lächeln, vermutlich sehnte sich die Caenis auch nach einem freieren Leben, obwohl sie so faul geworden war.

Jedenfalls vergingen die Stunden traumhaft schnell. Ach würden sie doch nie zu Ende gehen…

„Schau, da ist ja ein Ort. Ob das wohl unser Ziel ist?“

„Nein, es geht noch ein wenig weiter“, lächelte die Caenis bedauernd, während Vanadis fasziniert den großen Steinbogen bewunderte, der den Eingang zum Ort bewachte.

„Das ist ein Bogen des großen Augustus, und dieser Ort heißt Ariminum“, erklärte die Caenis.

Leider fuhren sie links vorbei an dem eindrucksvollen Steinbogen, der seitlich von Stadtmauern begleitet wurde, leider nahmen sie nicht die Straße, die durch ihn hindurch führte.

Aber das war ihr egal. Denn das Meer begleitet sie immer noch mit träge schwappenden Wellen, es schien wirklich endlos zu sein, aber diese Wellen schlugen auch an die Heimat der Caenis. Das Meer… blau war es, so blau, und der riesige nicht enden wollende Sandstrand versetzte Vanadis in Verzückung.

Wie wäre es wohl, dort mit nackten Füßen entlang zu gehen, den sanften Wellen auszuweichen oder sie zu suchen. Den würzigen Wind einzuatmen. Alle Sorgen hinter sich zulassen unter diesem strahlenden klaren Himmel mit Blick auf das unendliche Meer.

Es wäre bestimmt wunderbar.

Leider war das Meer immer seltener zu erblicken, die Straße führte langsam aber sicher von ihm fort. „Wir werden es doch wiedersehen, oder?“, fragte sie die Caenis. Diese sagte: „Aber gewiss doch!“

Vanadis war beruhigt und schaute wieder aus ihrem eigenen Fenster, sie sah wie eine finstere Wolke sich vom Boden aufhob und gen Himmel flog.
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Es wirkte unheimlich. „Was ist denn das, schau mal“, sie stupste die Caenis an, die beugte sich herüber und folgte ihrem Blick. „Bienen“, sagte sie dann lakonisch. „Sie schwärmen. Die Römer sind ganz versessen auf Süßes, sie würzen alles damit, sogar das Fleisch. Und deswegen muss es ganz viele Bienen in Latium oder auch in anderen Bezirken des Reiches geben.“

Natürlich, Bienen! Die hatte es im Chattenland auch gegeben, aber bei weitem nicht so zahlreich. Dort süßte man den Brei mit eingekochtem Pflaumenmus, und Honig war ein seltener Genuss. Außerdem wurde daraus Met hergestellt, die Männer liebten den Met und die daraus resultierenden Räusche. Männer....

„Hast du schon einmal Met getrunken, Caenis?“

„Ja natürlich! Er ist in Rom sehr begehrt, er gilt als schmackhaft und gesund, doch keiner kann ihn hier herstellen, also ist er teuer, weil er aus Germanien importiert werden muss.“

Vanadis seufzte auf. „Schade“, sagte sie dann, „ich kenne mich leider auch nicht damit aus, aber wenn ich es könnte, würde ich in Rom damit wohl ein Vermögen machen...“

„Wenn du es könntest, würde ich sofort deine Geschäftspartnerin werden. Überlege noch mal genau….“

Vanadis überlegte, aber da kam nichts. „Ich weiß nur, dass es mit Honig zu tun hat“, sagte sie bedauernd. „Das ist schade“, grinste die Caenis, und beide Frauen fingen daraufhin an zu lachen.

„Ich kann dir ja das Rezept für Ebbelweu geben“, kicherte Vanadis.

„Was ist denn das?“ Die Caenis schaute sie verwirrt an.

„Wein aus Äpfeln, aber dieses Getränk schmeckt etwas sauer…“

„Nein, besser nicht, damit können wir keine guten Geschäfte machen.“

„Hilfe, da brennt es!“ Wieder stupste Vanadis ihre Besitzerin an. Diese war gerade ein wenig eingenickt und richtete sich verwirrt auf.

„Ach das“, meinte sie schließlich. „Dort wird Holzkohle hergestellt. Diese entwickelt große Hitze, deswegen benötigt man sie für das Schmelzen von Metallen, die dadurch reiner werden und dann weiterverarbeitet werden können.“

„Oh“, Vanadis überlegte und kam zu dem Schluss: „Kann es sein, dass es deswegen kaum noch Wald hier gibt? Da war es im Chattenland anders.
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„Da hast du recht, Vanadis. Das Reich braucht Werkzeuge und vor allem Waffen, all diese Dinge können nur aus Erzen gewonnen werden – die wiederum in Minen abgebaut werden durch Sklaven…“ Die Caenis biss sich auf die Lippen, doch dann fuhr sie gelassen fort: „Irgendwann wird der Apennin ganz kahl sein. Nein, nicht irgendwann, sondern in naher Zukunft. Denn auch für die vielen Schiffe, die gebaut werden, braucht man Holz.“

Vanadis nickte, das erschien ihr einleuchtend. „Und dieses Ravenna, was ist das für ein Ort?“, fragte sie.

„Es ist der Flottenstützpunkt Nummer zwei im römischen Reich. Er ist praktisch uneinnehmbar – und er ist auf Holz gebaut...“

„Was denn, wieso?“

„Ich meine den eigentlichen Hafen, er wird Classe genannt. Er liegt auf sumpfigen Boden, denn Ravenna ist eine Lagunenstadt. Deswegen wurden die Fundamente des Hafens auf Stelzen hineingesetzt, und dann wurde der Hafen aus großen Eichenbalken darüber gebaut...“

„Das scheint mir nicht sehr vertrauenswürdig zu sein“, sagte Vanadis und hatte die Vorstellung von morschem Holz, das vor sich hinfaulte.

„Nichts dauert ewig, aber es hält schon seit ein paar Jahrzehnten, es muss natürlich immer wieder erneuert werden. Dieser Hafen ist sehr wichtig. Er sichert das Imperium nach Osten hin ab, zuerst zur Adria – dann zum östlichen Mittelmeer. Große Feldzüge gibt es im Moment nicht, auch finden kaum noch Aufstände statt, und so wirft sich die kaiserliche Flotte eben auf die Piraten, die hier ihr Unwesen treiben.“

„Du hast gesagt: Es wäre der Flottenstützpunkt Nummer zwei. Wo liegt dann der Flottenstützpunkt Nummer eins?“

„Das ist Misenum, der Ort ist in der Nähe von Neapel, also gar nicht weit weg von Rom. Er deckt das westliche Mittelmeer ab, also Gallien, Spanien, Afrika und neuerdings auch Britannien.“

Kurz darauf tauchten in der flachen Landschaft Befestigungswälle vor ihnen auf.

„Das sieht wirklich bedrohlich aus“, sagte Vanadis. Es stimmte, nie zuvor hatte sie so eine Anhäufung von Mauern, Baracken, Ställen und sonstigen Gebäuden gesehen.

„Vor der Stadt lagern diverse Truppenverbände, teilweise sogar Legionen. Ravenna ist zu klein, um alle zu beherbergen.
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In Ravenna selber wohnen nur Beamte, ferner Senatoren, deren Besucher – dann die Heerführer des Reiches und natürlich ihre Familien. Es ist eine Art Abbild von Rom. Aber das wirst du ja dann sehen.“

Vanadis seufzte auf: Eine Art Abbild von Rom... Vermutlich waren die Frauen der Beamten, der Senatoren, der adeligen Besucher und der Heerführer des Reiches genauso arrogant und verderbt wie ihre Vorbilder in Rom selber.

„Wo werden wir wohnen?“

„Ich hatte zuerst geplant, bei dem Livius Laventius, dem Kerkermeister des Thumelicus unterzukommen. Marcus kennt ihn aus dem Britannien-Feldzug. Er soll – nach Marcus’ Meinung – ein ziemlich unangenehmer Kerl sein. Und das bestätigt auch die Aussage meines Informanten.“

„Was ist das für ein Informant?“ Über Marcus wollte sie nichts hören, sondern von ihm ablenken.

„Er ist der Sekretär des Livius Laventius, und er heißt Thedos. Er meinte, es wäre just zu dieser Zeit nicht gut, dort zu nächtigen. Es könnte im nachhinein Verdacht erregen. Also haben wir uns anders entscheiden und werden an einem unverfänglicheren Ort unterkommen. Nämlich bei einem meiner Geschäftspartner. Das wäre auch ein guter Grund für meine Anwesenheit hier.“

„Ich weiß immer noch nicht, wie ihr das anstellen wollt. Und ist es nicht gefährlich?“

„Ja, es ist gefährlich, aber es kann auch gut enden. Wir müssen nur den richtigen Augenblick abwarten – und dann handeln.“

„Ich glaube, ich habe Angst...“

„Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn unser Plan scheitert, dann werde ich mich alleine als die Schuldige zu erkennen geben.“

„Das ist nicht sehr tröstlich für mich“, Vanadis streichelte sanft den Arm der Caenis, „ich will nicht, dass dir etwas Schlimmes geschieht.“

Die Caenis lächelte: „Es wird schon schiefgehen...“

Vanadis nahm all ihren Mut zusammen und fragte, wie sie hoffte in einem unverfänglichen Ton: „Und woher kennst du den Marcus?“ Oh, oh, was war los mit ihr? Eben wollte sie nichts über Marcus hören und jetzt doch?

„Aus Capua. Dort hat seine Familie einen Landsitz, – genauso wie der Claudius. Ich war oft mit meiner Herrin Antonia bei ihm zu Besuch.
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Vor ein paar Jahren, als Caligula noch an der Macht war, hielten die dort Ansässigen fest zusammen, und daher kenne ich den Marcus…“

Das wurde ja immer besser: Marcus kannte den Kaiser? Aber warum machte er mit bei dem Plan der Caenis? „Er hat bestimmt viel zu verlieren“, sagte sie und hielt sich schnell die Hand vor den Mund. Sie war zu neugierig, es ging sie doch gar nichts an.

„Ja, das hat er, aber er ist ein treuer Freund. Seine Familie steckte damals in großen Schwierigkeiten, ich wollte ihm helfen, aber ich konnte es nicht, es waren damals schlimme Zeiten, Caligula… Nun, Marcus bekam dann von…“ Die Caenis brach ab und schüttelte den Kopf. Anscheinend wollte sie nicht darüber reden.

Mist aber auch! Fast hätte sie mehr über diesen undurchschaubaren Mann erfahren.



Mittlerweile fuhren sie immer noch durch Kasernen und Lagerhallen, und es nahm kein Ende. Wie viele Truppenverbände hatten ihr Lager hier aufgeschlagen? Jedenfalls sah es aus, als wären es sehr sehr viele…

„Schaut mal, da sind ja schöne Frauen“, ertönte eine Männerstimme, und andere fielen ein: „Werte Damen, warum steigt ihr nicht aus und beglückt uns mit eurer Gegenwart?“

„Ihr seid wirklich schön!“

„Wir haben schon lange keine schönen Frauen mehr gesehen!“

„Was ist, ihr Schönen, wollt ihr uns nicht das Vergnügen geben?“

Vanadis und Caenis schauten belustigt und abweisend zugleich hinaus aus der Kutsche. Insgeheim fanden sie es beide aber recht angenehm, von diesen gestandenen Kriegsveteranen bewundert zu werden.

Marcus – der aus dem Nirgendwo aufgetaucht war – setzte dem Treiben ein Ende. „Es ist gut, Leute“, er sagte das zwar nicht laut, aber sehr eindrucksvoll. „Diese Damen sind nichts für euch. Also hütet eure Zungen!“

Seltsamerweise fühlte sich Vanadis durch diese Aussage, ja wie fühlte sie sich? Geschmeichelt? Sie wusste es nicht, und dieses Gefühl war absurd, Marcus hatte bestimmt nicht sie gemeint, sondern die Caenis. Sie selber war ja nur eine Sklavin, ein Ding, das man sich jederzeit zu Willen machen konnte. Doch bei ihr war dies nie geschehen. Ging es vielleicht dabei um den Plan der Caenis, den Thumelicus zu retten? Wollten sie eine Frau, die unberührt war von all den entsetzlichen Lastern Roms? Dennoch war sie nicht mehr unschuldig, sie hatte soviel Abscheuliches gehört und auch gesehen, von dem sie sich beschmutzt fühlte.
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Einzig und allein nur dadurch, dass sie es wusste.

Aber was würde mit ihr geschehen? Was würde man von ihr verlangen? Ein gemauerter Bogen tauchte vor ihnen auf, er war bei weitem nicht so eindrucksvoll wie der Augustus-Bogen vor Arinimum. Es handelte sich wohl um ein Stadttor, denn sie hielten an.

Die Stadt war anscheinend streng abgeriegelt gegen Fremde und somit gegen mögliche Feinde. Sogar das Aquädukt wurde bewacht, vielleicht weil schon Spione über den Wasserweg in die Stadt gelangt waren. Bevor man hineingelassen wurde, mussten erst Codewörter getauscht und Berechtigungen vorgezeigt werden. Alles wurde penibel kontrolliert, denn man befand sich jetzt fast schon im Flottenstützpunkt Nummer zwei des Römischen Imperiums.

Ein höherer Offizier ließ alle aus der Kutsche steigen. Der Sklave stieg so leichtfüßig aus, als wäre er mittlerweile gesundet. Vanadis traute ihren Augen kaum.

„Namen und Rang angeben!“, schnauzte der höhere Offizier.

„Marcus Colonius, Stabsoffizier der Legio II Augusta, auch Führer der I. Kohorte“, schnauzte Marcus zurück und übergab dem Schreihals ein Schreiben. Sein Tonfall, und vor allem das Schreiben schien den Offizier stark zu beeindrucken, denn er knickte merklich zusammen.

„Deine Begleiter, was sind das für Leute?“, schnauzte er jetzt weniger laut. „Bitte genau spezifizieren!“

„Die Freigelassene Antonia Caenis, einst Sklavin der Antonia Minor, ferner die Sklavin Vanadis und der Sklave Imaginus, beide im Besitz der Antonia Caenis“, schnauzte Marcus wesentlich lauter zurück.

„Grund der Reise?“ Der Offizier schien beeindruckt zu sein. Es geschah bestimmt nicht jeden Tag, dass eine Freigelassene der Antonia Minor hier zu Besuch kam. Bei der Antonia Minor handelte es sich immerhin um eine Tochter des edlen Marcus Antonius und der Oktavia, die wiederum die Schwester des legendären Kaisers Augustus war – und außerdem um die Mutter des jetzigen Kaisers.

„Steht im Schreiben!“ Marcus wirkte unglaublich autoritär bei diesen Worten, und Vanadis fragte sich, was wohl auf dieser Papyrusrolle stand. War es womöglich gefälscht? Schade, dass sie es nicht sehen konnte, sie liebte es zu schreiben und vor allem Schriften von anderen besseren Schreibern nachzuahmen.
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Der Wachposten hegte wohl keinerlei Zweifel an der Echtheit des Dokuments, verlegen kritzelte er etwas auf seine Wachstafel und winkte sie dann durch das Tor in die Stadt hinein.

Es war eine sehr ordentliche Stadt, wie es Vanadis vorkam, sie hatte mit Rom überhaupt nichts zu tun. Es wirkte alles ländlich und ruhig, die Gebäude waren nicht sehr hoch, und sie machten den Eindruck, als handele es sich um Verwaltungszentren. Dort wohnte niemand.

Durch die breiten wenig belebten Straßen ging es dahin, bis immer mehr Peristylhäuser auftauchten, sie waren stattlich anzusehen, und man konnte den Luxus darin förmlich erahnen. Hier war genug Platz, um riesige Villen zu errichten, im Gegensatz zu Rom, das immer beengter wurde. Man sprach mittlerweile von über einer Million Einwohnern.

Dann auf einmal erschien vor ihnen eine lange Mauer – die Mauer verlief nicht gerade, sondern leicht gebogen. Sie wurde unterbrochen durch filigrane Torbogen und umschloss vermutlich eine riesige, fast runde Fläche. Als sie daran vorbeifuhren, erkannte Vanadis, dass es sich bei einigen dieser Torbogen um Eingänge handelte, durch die man ins Innerste des Areals gelangen konnte.

„Das ist das Amphitheater“, die Stimme der Caenis klang leiser als sonst.

Vanadis schaute sie erstaunt an. Hatte sie Angst, dass jemand sie hören konnte?

„Dort lebt er im Augenblick. Er wurde zum Gladiator ausgebildet.“

Damit meinte sie natürlich den Thumelicus. Vanadis packte die Neugier, was für ein Mann war das wohl? Seit Jahrzehnten befand er sich in Gefangenschaft, ohne die Hoffnung, jemals daraus befreit zu werden. Eigentlich war er eine Geisel des Römischen Reiches, die nicht mehr gebraucht wurde. Trotzdem hielt man ihn hier am Leben. Warum wohl? Es gab nur einen Grund: Die Römer waren grausam, und was sie einmal in ihren Klauen hatten, das gaben sie nicht mehr her.

„Vorher wurde er hier erzogen, mit allen Klassikern und Legenden...“

„Das verstehe ich nicht. Warum wurde er denn überhaupt erzogen? Er ist doch eine Geisel.“

„Vermutlich um ihm die Größe und Kultur Roms zu zeigen“, sagte die Caenis spöttisch.
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Dieser Mann musste außergewöhnlich sein, in welchem Sinne auch immer, er war gebildet und trotzdem ein Gladiator, Vanadis wurde noch neugieriger. Trotzdem hatte sie Vorbehalte, die sie auch kundtat: „Ich muss aber nicht das Bett mit ihm teilen, oder?“

„Seltsam“, lachte die Caenis, „das hat Marcus auch erwähnt. Aber nein, natürlich nicht. Ich dachte nur, dass du gut für ihn wärst, eine junge Frau aus der verlorenen Heimat, die er nie gesehen hat. Gut, er stammt von den Cheruskern ab, und du hast bei den Chatten geliebt, aber diese beiden Stämme waren enge Verbündete.“

Ja, Verbündete waren sie einst gewesen, aber nach dem Mord am Segifryd alias Arminius hatte sich das Verhältnis zwischen den beiden Stämmen merklich abgekühlt. Und was ging es Marcus an, was mit ihr geschah? Wenn sie schon seinen Namen hörte, fühlte sie sich aufgebracht. Der sollte sich lieber um seine eigenen Sachen kümmern, um seine Schlampe Sidonia zum Beispiel und nicht um das, was unbedeutende Sklavinnen machen oder nicht machen sollten. Möglicherweise war der Thumelicus ja ein wunderbarer Mann, die Liebe ihres Lebens. Könnte ja geschehen…

„Und wie wollt ihr ihn hier herausholen?“, fragte sie, während sie sich zum Fenster drehte, um ihr Lächeln zu verbergen.

„Der Augenblick ist günstig“, sagte die Caenis. „Sein Kerkermeister Livius Laventius liegt seit längerer Zeit krank danieder, er hat nicht mehr die Kraft, sich um den Thumelicus zu kümmern“, bei dem Wort „kümmern“ hörte sich ihr Tonfall ironisch an, und sie biss sich dabei auf die Lippen. „Und deswegen lebt dieser jetzt im Amphitheater wie die anderen Gladiatoren.“

Oh nein, nicht das! Vanadis hatte einiges mitbekommen von den Vorlieben der römischen Oberschicht. Viele Männer liebten schöne Jünglinge, liebten es auch, ihnen Gewalt anzutun. Der Kaiser Tiberius bevorzugte ganz junge Mädchen, die fast noch Kinder waren. Und die Frauen? Die mochten alles an absonderlichen Spielchen, die Frau von Marcus war das beste Beispiel dafür. Wieder war sie froh, davon verschont geblieben zu sein. Dann kam ihr der Gedanke: Hatte die Caenis sie nur beschützt, um sie jetzt auf dem Altar ihrer Wünsche zu opfern? Aber was sollten diese Gedanken, sie war eben eine Sklavin, und es gab bestimmt Schlimmeres für Sklaven.
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Sie musste an die Bergwerksarbeiter denken, die auf der Via Flaminia wie Vieh vorwärts getrieben wurden. Sie wirkten unterernährt und stumpf, bluteten aus unzähligen Wunden und taumelten aneinandergekettet vor sich hin, die armen Geschöpfe. Sie mussten in den Bleiminen arbeiten, über Tage in der Schmelze, während Blei und Silber unter fortwährender unerträglicher Hitze und giftigen Dämpfen extrahiert wurden. Unter Tage festgeschnallt in Tretmühlen unter den unwürdigsten Bedingungen. Sie pumpten mit ihren Füßen das Wasser aus den Gruben, die Arbeit hörte nie auf, denn die Räder mussten sich immer drehen. Nur ab und zu wurden sie befreit. So gesehen, waren Haussklaven wie sie selber glücklich zu schätzen.

„Der Austausch soll also in diesem Theater stattfinden“, sagte sie schließlich – und hoffte ihre Stimme würde gelassen klingen.

„Ja“, die Caenis nickte. „Es wird schwierig werden, aber das ist unsere einzige Chance. Ich habe immer Kontakt zu dem Sekretär des Livius Laventius gehabt, Thedos ist Sklave wie ich einst Sklavin war. Er weiß alles über den Ablauf im Amphitheater, und er hat mir vor kurzer Zeit ein Bildnis des Thumelicus gesandt, ich weiß nun, welche Haartracht dieser trägt und wie er spricht. Unser Sklave Imaginus mag zwar nicht ganz so aussehen wie er, aber seine Krankheit, die man natürlich dem Thumelicus zuschreiben würde, wäre ein gutes Erklärungsmittel dafür…“

„Was hat er denn für eine Krankheit, der arme Kerl?“

Die Caenis schüttelte betrübt den Kopf. „Eine sehr seltene Krankheit ist es, innerhalb von ein paar Tagen siecht der Körper dahin, er wird von Würmern zerfressen. Ich kenne nur einen anderen Menschen, der auch diese schreckliche Krankheit hatte, nämlich den Herodes Agrippa, den König von Judäa. Es geschah vor ein paar Jahren, als er den Aufstand gegen Rom probte. Nun, er wurde krank und starb sechs Tage später, und der Aufstand fand nicht statt. Nicht auszudenken, wenn der Herodes sich mit den anderen Königen des Ostens zusammengetan hätte… Vielleicht ist der Imaginus ja ein Sohn von ihm, denn wie ich hörte, verhielt sich der Herodes in seiner Jugend sehr locker in Rom, wo er erzogen wurde.“

Vanadis hatte zerstreut zugehört.
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„Ich frage mich“, meinte sie nachdenklich, „wieso der Imaginus auf einmal so gesund erscheint.“ Sie warf dem Sklaven einen Blick zu, und der Sklave erwiderte ihn lächelnd. Er machte einen vollkommen munteren Eindruck, wie konnte das geschehen?

„Wir haben ihm Drogen gegeben, einen Trank aus Schlafmohn. Bisher wollte er sie nicht nehmen. Aber nun doch, und er wird genug davon erhalten, um seine Schmerzen – und diese sind unausweichlich – erträglich zu machen.“

Vanadis war erschüttert. Der arme Kerl hatte nicht mehr lange zu leben, und diese Drogen waren das einzige, das ihm den Rest seines Seins erträglich machen würde.

Die Kutsche hielt in diesem Moment vor einem vornehmen Haus. Sie stiegen aus, allen voran natürlich die Caenis, danach Vanadis und zum Schluss der Imaginus. Sie wurden von einem Sklaven erwartet und von ihm ins Haus geführt.

Der Sklave führte sie in das Bad. Es war viel größer als der Baderaum der Sidonia. „Während ihr badet, werden wir eure Kleider reinigen, trocknen und bügeln“, der Sklave machte eine Verbeugung und ließ sie allein.

Vanadis und Caenis legten ihre Kleider ab und stiegen in das warme Wasser. Der Sklave tat es ihnen nach, und Vanadis bewunderte für einen Augenblick seinen nackten Körper. Er war schlank, gleichzeitig muskulös – und sehr wohlgestaltet. Wenn er in seinem Aussehen dem Thumelicus glich, dann musste es sich bei diesem um einen wirklich schönen Mann handeln. Das fand Vanadis verheißungsvoll, gleichzeitig aber auch beunruhigend. Wieder kamen die Fragen in ihr auf: Was würde mit ihr geschehen? Würde sie sich in diesen seltsamen Mann verlieben? Das war unwahrscheinlich, wie alles im Leben.

Auf einmal kam ihr zu Bewusstsein: Imaginus würde dann tot sein, gestorben an einer furchtbaren Krankheit.

Doch dann hörte sie auf, darüber nachzudenken, sie stand einfach nur still und genoss das warme Nass. An ihrer Seite sah sie die Caenis, welche die Augen geschlossen hatte und entspannt bis zum Hals in die wohltuende Wärme eingetaucht war.

Vanadis ließ sich bis über den Kopf unter das Wasser gleiten, sie hörte gurgelnde Geräusche, sie spürte, wie ihre Haare sich im Wasser ausbreiteten. Auch ihre Haare hatte sie behalten dürfen, im Gegensatz zu anderen germanischen Sklavinnen.
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Mit deren Haaren schmückten sich die Herrinnen gerne...

Nachdem sie sich gereinigt hatten, betraten sie den nächsten Baderaum, der deutlich kälter war. Nach einigem Geschnatter und Geziere ging es dann in den Anziehraum. Dort lagen ihre Kleidungsstücke – wie es sich in vornehmen Häusern gehörte, waren sie gebügelt und angewärmt worden, der Luxus Roms fühlte sich einfach gut an.

Der Imaginus wurde fortgeführt. Sie auch, man brachte sie in ein kleines Zimmer. Sie musste also nicht bei dem Gastmahl dabei sein. Gut, dann musste sie den Marcus auch nicht sehen. Hoffentlich war dieser Thedos zuverlässig, denn von ihm hing alles ab.

Kurz darauf brachte eine Sklavin das Abendessen, es bestand aus kalter Gemüsesuppe mit Brot und Oliven, und es schmeckte herrlich. Sie streckte sich auf dem Bett aus. Was würde wohl bei dieser Gesellschaft beredet werden, und war der Informant Thedos von Anfang an dabei? Und der Gastgeber, hatten sie ihn eingeweiht? Sie war viel zu müde, um sich darüber Gedanken zu machen, und keinen Augenblick später schlief sie ein.
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Kommentare zur Story:

  danke schön, doska.
ich hatte bei diesem kapitel enorme probleme, denke aber, er ist nicht allzu schlimm geraten... ;-)
einen lieben gruß an dich!  
   Ingrid Alias I  -  10.11.14 16:32

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  Fortlaufend spannend und die Beschreibungen der Umgebung sind auch sehr schön plastisch. Es gelingt dir immer wieder, bei jedem neuen Kapitel, tief in diese Zeit einzutauchen. Man fühlt sich als wäre man dort und kann sich sehr gut mit den Personen indentifizieren. Immer noch bin ich sehr gespannt was für eine Rolle Vanadis bei diesem Plan haben wird.  
   doska  -  06.11.14 18:43

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