Kurzgeschichten · Erinnerungen

Von:    Schmid      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 24. März 2012
Bei Webstories eingestellt: 24. März 2012
Anzahl gesehen: 1951
Seiten: 2

Es begab sich im Jahr des Pferdes, 61 Tage vor dem ersten Frühlingsvollmond in einer Nacht am Fluss Amudarja, als Nam Jung Pai dem Oberst während der Abendverpflegung ins Gesicht sah. „Nam ... Nam Jung", schallte es im Zelt des Oberst, „...trag das Geschirr ab".

Er sah, während er plötzlich wieder unter ihnen war, die müden und trüben Augen des Oberst und einer Handvoll besoffener Männer, die ihn wie gewohnt zu dieser Stunde leer und verbraucht ansahen. Nam Jung bewegte sich, hinkend, langsam mit den leeren Tellern in der Hand nach draußen in die Nacht. Seine Schwester saß mit dem Kind noch am Tisch, als Nam Jung sich wie üblich über den Abwasch machte. Plötzlich verstummte es im Zelt und Nam hörte, wie die russischen Soldaten sich gegenseitig anbrüllend Ruhe verschafften, um gespannt einer Stimme aus dem Hintergrund zu lauschen.

Nam Jung hatte, wie manche sagen, das Glück, als Straßenkind unter Menschen gekommen zu sein, welche sich um ihn kümmerten und ihm neben der kyrillischen Schrift auch das Lesen und Rechnen beigebracht hatten. Doch was die Stimme mitteilte, verstand er nicht.

Verdächtige Ruhe wob sich um die schallende Stimme in der Steppe um Kaldar. Der Himmel lag klar und voller Sterne, als die metallene Stimme der Ansage in der Steppe verhallte und die letzten Lampen der Stellung nach und nacherloschen.

Nam wachte schweißgebadet auf, fühlte in der Ruhe sein rechtes Bein schmerzen und stand auf. Der Morgenschimmer mit seinem Licht tauchte den Himmel und die Erde und alles dazwischen in eine sanfte, dämmernde Helligkeit. In Gedanken versunken ritt Nam Jung Paik gen Süden, er spürte, wie die ersten Sonnenstrahlen auf seine Schultern strahlten und genoss dabei die Wärme. Sein Pferd Aes und er waren auf dem Weg in die Berge. Nam Jungs Weg führte dorthin, sein Herz rief ihn. „Komm", hörte er es in sich schlagen, „komm."

Die Sonne stand noch weit vor ihrem Zenit, in der Ferne stand Nam, bei ihm, auf ihm, Peter Kellner, so nannte er ihn. So nannte er das Tier, das ihn und seine Geschichte am Leben erhielt. Weißlich brach sich das Licht der Sonne auf den Rücken- und Flügelfedern. Hart und klar war der Stand des Vogels auf Nams Arm. Oft verharrte Nam in dieser Position. Der Adler auf Nams rechtem Arm, Nam mit beiden Füßen, mit festem Stand am nördlichen Kamm des Aktau-Passes stehend.
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So verharrte er, Nam Jung Pai, und ließ seinen Blick ins Leere wandern. Bevor des Adlers Aufschwung ihn zurück zu sich selbst holte. Das Tier strebte mit seinen Flügelschlägen nach oben. Kräftig, farbig, besonders. Nam sah einzelne bunte Federn an den Flanken des Tieres aufblitzen, ihm kam so etwas wie ein Lächeln ins Gesicht. Sein Herz sprach zu Nam, und Nam war bereit, ihm zu folgen.

Fahl stand der Sonnenkörper über Aes und seinem Reiter, während sie Kaldar näher kamen. Nam sah zu Boden, nichts war wie vorher, nichts war so wie vor seinem Ausritt heute Morgen. Die Soldaten waren verschwunden. Seine Schwester Miriam sah Nam auf Aes herankommen und deutete, als sich ihre Blicke trafen, in die Ferne, als am helllichten Tage, über der Steppe, am Fluss Amudarja, die Adler wieder fliegen durften.
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Punktestand der Geschichte:   29
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Kommentare zur Story:

  Am Ausruck musst du bei der kleinen Einführung zwar noch etwas feilen, aber die Atmosphäre, die du erschaffst hat einen gewissen Reiz - auch dass du die Handlung nach Kasachstan verlegst ist eine erfrischende Abwechslung und mach Lust auf mehr.  
   Jingizu  -  25.03.12 17:54

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Interessante Kommentare

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