Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele

Von:    Jingizu      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 20. März 2012
Bei Webstories eingestellt: 20. März 2012
Anzahl gesehen: 2553
Seiten: 9

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Fünfundfünfzigstes Kapitel: Die Geschichte vom Rittersporn



Ahrok blickte sich erneut hilflos um. Da die dicken Vorhänge im Zimmer noch immer zugezogen waren, war es zu dunkel hier drin, um auch nur irgendetwas zu erkennen. Die Nacht hatte sich so lang angefühlt. Sicher war der nächste Tag bereits angebrochen. In den letzten Stunden hatte er kein Auge zugetan, obwohl er nichts anderes tun konnte, als im Bett zu liegen.

Das wiederum lag nicht an seinen Verletzungen oder daran, dass ihm seine Arme und Beine nicht gehorchen wollten. Nein. Man hatte ihn festgebunden.

Wie einen Schwerverbrecher hatte man ihn an das Bett gefesselt. Erinnerungen an die Nacht nach dem Winterball kamen wieder hoch.

Rosalinde hatte ihnen gesagt, dass man sie damit nur davon abhalten wollte, die Wunden aufzukratzen und herumzuwandern. Es wäre nur zu ihrem eigenen Besten. Was für eine beschissene Ausrede.

Weder Herbert noch Ariane hatten ihm einen Besuch abgestattet, nachdem er ihnen das Leben gerettet hatte, nachdem er sich gegen seinen eigenen Bruder gestellt hatte und jetzt band man ihn fest wie ein Tier!

Diese undankbaren Edelleute waren wirklich alle vom gleichen Schlag.

So sah es nämlich aus. Er hatte nicht schlafen können, weil er die ganze Nacht lang so wütend und aufgebracht gewesen war.

„Schläfst du immer noch, Ragnar?“

Diese Frage wiederholte er in immer kürzeren Abständen, aber bislang kam keine Antwort. Wie konnte der Zwerg schlafen, während man sie hier wie Vieh behandelte. Er konnte es jedenfalls nicht. Hunger hatte er obendrein nun auch schon eine ganze Weile.

„Ragnar, schläfst du noch?“

Natürlich blieb auch jetzt die Antwort aus. Dieser Kerl war echt unglaublich. Warum schlief der nur, während er so gerne reden würde? Was war an dem Abend passiert? Wohin war Sebastian verschwunden? Was war seitdem alles geschehen? Wann gab es Frühstück? All diese Fragen und noch mehr brannten ihm auf der Zunge.

Ein kleines Jucken hatte sich heimlich zwischen seinen Schulterblättern eingenistet und er konnte sich natürlich nicht einmal selber kratzen. Es war, als wollten die Leute ihn hier absichtlich foltern.

„Ragnar, bist du wach?“

„Ja…“, murmelte es träge im Bett ihm gegenüber.
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„Na, das wurde aber auch endlich mal Zeit.“

„Ich hab nicht sieben Tage am Stück gepennt. Ich darf schlafen.“

„Sag mal, erinnerst du dich noch an den Kampf?“

„Größtenteils schon“, der Zwerg gähnte.

„Da war doch noch so ein junger Kerl. Dunkelhaarig, groß, ganz in schwarz.“

„Ah ja, ich erinnere mich dunkel. So einer war auch da. Seltsamer Bursche.“

„Was ist mit ihm passiert?“

„Was schon? Der ist hin wie all die anderen auch.“

Ahrok schloss die Augen und fühlte diesen kleinen Stich.

„Hab ich ihn umgebracht?“, fragte er mit unsicherer Stimme.

„Nein. Du lagst schon am Boden.“

„Also warst du es“, etwas Erleichterung paarte sich mit Wut auf den Zwerg.

„Nee, der geht auch nich auf meine Kappe. Er hat sich mit einer der Elfen angelegt und ein Messer zwischen die Rippen bekommen. Keine Ahnung was da ablief. Bin erst recht spät zu euch gestoßen.“

„Er hat also gegen die Elfen gekämpft…“

„Tja, so sah es zumindest aus. Vielleicht haben sie sich um die Beute gestritten oder was weiß ich. Man kann ja keinen mehr fragen.“

„Mhm… weißt du wo sie seine Leiche hingebracht haben?“

„Nein, keine Ahnung. Du stellst heute aber komische Fragen. Kanntest du ihn?“

„Nein… nicht so gut wie ich dachte…“

„Du bist echt seltsam drauf heute.“

„Ja…“, Ahrok wollte sich mit der Hand über die Stirn fahren, aber stattdessen ruckte er nur kurz an seinen Fesseln. „Ich fühl mich auch nicht so gut gerade.“

Beide schwiegen wieder eine Weile. Hinter dem Vorhang konnte Ahrok die ersten Sonnenstrahlen wandern sehen.

Sebastian… sein Bruder hatte ihm also das Leben gerettet und sein eigenes dafür geopfert. Er war sich nicht sicher, ob er dasselbe für ihn getan hätte.

„Ragnar?“

„Ja?“

„Kannst du mir mal bitte den Rücken kratzen? Es juckt mich da echt fürchterlich.“

„Und wie soll ich das machen?“, dem Geräusch nach zu urteilen rackelte der Zwerg gerade an seinen eigenen Fesseln.

Ahrok rollte mit den Augen: „Nu tu doch nicht so. Reiß dich einfach los!“

„Keine Lust“, beharrte der Zwerg.
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„Wenn Rosi hier reinkommt und sieht, dass ich mich losgerissen habe, dann gibt es Ärger.“

„Rosi? Du hast Angst vor Arianes Küchenmagd?“

„Scheiße ja. Die erinnert mich ein bisschen an meine Mutter und mit der hat man sich auch nicht angelegt.“

„Ach, komm schon. Hab dich nicht so.“

„Ich komm ganz sicher nicht.“

„Na dann bleib eben liegen und warte auf deine, Rosi.“

„Ja, das mach ich auch.“



„Guten Morgen, Fräulein. Ist das etwa der Brei, den sie meinen beiden Patienten bringen wollen?“

Vincent Kruger hatte die Küche des Anwesens betreten und schnupperte an den köstlich dampfenden Schüsseln.

„Ach, guten Morgen, Herr Doktor. Ich hab sie gar nicht kommen hören.“

Er stimmte ein fröhliches Lachen an: „Ja, das höre ich öfter. Ich bin leise wie eine Raubkatze. Also, ist das nun der besagte Brei für die Kranken?“

„Ja, Herr Doktor. Ich wollte ihn gerade hinaufbringen.“

„Ersparen Sie sich die Mühe. Ich übernehme das für Sie.“

„Wie nett von Ihnen.“

Die Magd ließ die Schüsseln stehen und wandte sich anderen Arbeiten zu. Unschlüssig stand Vincent Kruger hinter der Frau, aber sie dachte wohl nicht daran, die Küche zu verlassen.

„Wenn Sie mich nun bitte allein lassen würden.“

„Wie meinen, Herr Doktor?“

„Ich muss der Nahrung meiner Patienten noch ein paar Heilkräuter hinzufügen und wenn jeder die Geheimnisse meiner Heilkunst kennt, wer braucht dann noch den guten Doktor Kruger?“

„Natürlich, Herr Doktor. Wie dumm von mir.“

„Es dauert auch nur fünf Minuten.“

„Nehmen Sie sich alle Zeit die Sie brauchen.“

„Mörser und Stößel?“

„Finden Sie in dem Regal dort.“

„Danke. Das war dann alles. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich fertig bin.“

Die Magd machte einen Knicks und schob sich an ihm vorbei in den Hausflur.

Erst als er sich sicher war, nicht mehr beobachtet zu werden, zog er sich einen Handschuh über und griff in den mitgebrachten Beutel.

Mit einem Seufzer betrachtete er die kleine, rübenartige Wurzel in seiner Hand.
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Hier zwischen seinen Fingern hielt er eine der giftigsten Pflanzen, die ihm bekannt waren. Wolfskraut nannten es die Jäger. Ziegentod schimpften es die Bauern. Als Blauen Eisenhut und Mönchskappe bezeichneten es die unwissenden Wanderer.

Seine Blütezeit war seit Monaten vorbei, aber dafür war das Gift in der Wurzel um diese Jahreszeit umso stärker. Er hatte es in winzigen Dosen oft benutzt, um plagende Kopfschmerzen zu behandeln oder es auch als Beruhigungsmittel eingesetzt.

Aber nicht heute.

Er zerkleinerte die Wurzel mit dem Stößel und mischte sie dann unter den Brei in den beiden Schalen.

Dieser Verstoß gegen seine Prinzipien brach ihm das Herz. Es war ein Jammer, dass es soweit kommen musste, aber ihm blieb keine andere Wahl. Von allen Seiten brach das Unheil über ihn herein, aber diese kleine Wurzel würde alles wieder richten.

Wenn morgen die Sonne das nächste Mal aufging, dann war er wieder frei. Keine Kinder mehr. Damit war er durch. Das Geschäft würde er an einen seiner Assistenten abtreten und vielleicht nur hier und da noch alte Freunde behandeln. Eine Reise in den Süden nur zum Spaß - das klang nach einer guten Idee.

Morgen würde er frei sein.



Ahrok schloss die Augen und versuchte, sich auf seine Füße zu konzentrieren. Sich auf Hände oder Bauch zu fokussieren, hatte ihn bisher nicht von dem Jucken im Rücken abgelenkt, aber vielleicht waren die Füße ja weit genug weg.

Gerade, als er das Gefühl hatte, kurz davor zu sein, den Juckreiz endlich überlistet zu haben, öffnete sich die Tür zu ihrem Zimmer. Die freudige Erwartung eines Frühstücks ließ ihn sogleich alles um sich herum vergessen.

Doch anstatt der erwarteten Zwergin, betrat der alte Doktor ihr Zimmer.

„Guten Morgen, meine Patienten“, flötete er heute wenig überzeugend fröhlich.

„Doktor“, nickte Ragnar.

„Guten Morgen, Doktor.“

Verdammt da war das Jucken im Rücken auch schon wieder da. Ahrok schüttelte sich, als sich dieser Juckreiz plötzlich ein Stück nach oben zum Nacken hin verlegte.

„Wie geht es Ihnen heute?“

„Gut“, antworteten beide wie aus einem Munde.
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„Fein. Das ist schön.“

Der alte Mann stellte ein Tablett mit zwei Schüsseln auf dem kleinen Tisch neben Ahroks Bett ab, dann ging er hinüber zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite.

„So, jetzt lassen wir etwas Sonne in den Tag. Ich hoffe, Sie haben Hunger, denn heute bringe ich Ihnen das Frühstück ans Bett.“

„Japp! Her damit, her damit“, drängelte der Zwerg, noch bevor Ahrok seinen eigenen Bedarf anmelden konnte.

„Hey, ich hab hier auch Hunger.“

Der Doktor lächelte ihn an: „Ich komm gleich zu Ihnen. Gedulden Sie sich bitte nur noch einen kleinen Moment.“

Vorsichtig balancierte der Doktor die randvolle Schüssel hinüber zu Ragnar und nahm an dessen Seite Platz.

„So, guter Mann, jetzt bitte einmal den Mund öffnen.“

„Also wenn Sie mich losbinden, dann kann ich auch alleine essen. Meine Arme funktionieren prächtig.“

„Das bezweifle ich nicht, aber es hat schon seinen Grund, warum Sie in dieser Position angebunden sind. Es ist nur zu Ihrem Besten.“

„Ach ja?“

Die Skepsis in Ragnars Stimme war nicht zu überhören.

„Ja. Spüre ich da etwa Misstrauen gegenüber dem Mann, der Ihnen das Leben gerettet hat? Mein guter Mann… Medizin ist eine komplizierte Wissenschaft. Ich kann mir nicht jedes Mal die Zeit nehmen, meinen Patienten zu erklären, warum ich tue was ich tue, denn wenn ich das täte, käme ich nicht mehr dazu, zu tun, was wirklich zu tun ist – und sie würden sterben. Also vertrauen Sie mir doch bitte einfach.“

Der Zwerg sah ihm kurz in die Augen und nickte dann.

„Sehr schön. Wenn Sie dann jetzt also bitte den Mund öffnen würden.“

Vincent Kruger schaufelte einen gehäuften Löffel zwischen Ragnars Lippen.

„Bei Rangos ranzigem... Ist das widerlich. Musst du uns so etwas Bitteres vorsetzen? Man kann das doch sicher mit etwas Bier verdünnen, oder?“

Ragnar war kurz davor seinen Mundinhalt wieder auszuspucken.

„Aber, aber, mein liebes, bettlägeriges Volk. Arznei soll nicht gut riechen oder gut schmecken sonder bei Ihrer Genesung helfen, also schön alles drin behalten und aufessen.
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Ragnar schluckte den Brei herunter.

„Bäh… Muss das wirklich sein?“

„Ja. Die Diskussion hatten wir doch bereits und ich will sie jetzt nicht noch einmal mit Ihnen führen. Also Mund auf hier kommt der zweite Löffel.“

Ahrok lehnte sich etwas nach links zum Tisch hin und schnupperte an der zweiten Schüssel auf dem Tablett. Er kannte den Zwerg nun schon eine Weile und wusste, dass dieser weder wählerisch war, was Nahrung anging, noch dass seine Geschmacksnerven sonderlich anspruchsvoll waren.

Der Geruch, welcher ihm von der dampfenden Schüssel aus in die Nase stieg, war weit weniger abstoßend, als er es nach Ragnars Worten erwartet hatte. Seltsamerweise kam er ihm sogar bekannt vor, aber woher nur?

Ohne zu wissen, warum, beschäftigte es Ahrok.

Er hatte diesen Geruch schon einmal in der Nase gehabt. Wenn er nur wüsste, wann das gewesen sein sollte…



Auf der anderen Seite des Zimmers betrachtete Vincent Kruger sein Werk mit einer seltsamen Mischung aus Schuldgefühlen und Faszination. Der Zwerg hatte sich seinem Schicksal ergeben und futterte widerstandslos den hochtoxischen Wurzelbrei in sich hinein. Um sicher zu gehen, schob er ihm auch gleich noch zwei weitere, randvolle Löffel in den Rachen.

Die Symptome würden rasch einsetzen. Es war das Beste, sich dem Jungen zu widmen, solange dieser ebenfalls keinen Widerstand leistete.

Ob er danach noch vor Ort blieb, um ihren Todeskampf mitzuerleben, hatte er noch nicht entschieden.

„Wo hast du bloß Kochen gelernt, Doktor. Das ist die widerlichste Mahlzeit meines Lebens… und ich habe schon ´ne Woche lang von Torf leben müssen.“

Ein wenig verunsichert beobachtete Vincent Kruger den Zwerg vor sich. Etwas stimmte hier nicht. Die Stimme des Kleinen war laut und deutlich und ließ keine Rückschlüsse auf eine Lähmung des Mundraums oder der Atemmuskulatur zu.

Diese Wendung kam unerwartet. Jetzt war er es, der zu schwitzen begann. Die Wirkung des Eisenhuts auf Zwerge war bislang nicht dokumentiert, da sich die kleinen Bastarde lieber mit irgendwelchen Pilzen vergifteten, die bei ihnen zu Hause in den dreckigen Höhlen wuchsen.

Was nun?

„Boah, brennt das im Hals. Hast du da Glassplitter mit reingemischt?“

Die Worte des Zwerges rissen ihn aus seinen Gedanken.
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Offenbar trat die Wirkung des Giftes bei Zwergen nur etwas verzögert ein. Er hätte es erahnen können. Schließlich hatte der zwergische Metabolismus auch eine größere Menge an Schierling benötigt, um bei Operationen ruhiggestellt zu werden.

Vincent Kruger lächelte milde und schob einen weiteren Löffel in den Mund des Zwerges.



Ahrok schloss die Augen. Die Frage nach der Herkunft dieses Duftes ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Vor seinem geistigen Auge glitten die verschiedensten Örtlichkeiten vorbei. Sein Zimmer in der „Pinkelnden Sau“, Mias Hütte, das Studierzimmer seines Vaters… Ahrok hatte das Gefühl, dass er der Antwort ganz nahe war.

Der Geruch wurde plötzlich ganz deutlich, ganz klar.

Er sah wieder genau vor sich, wie sein Vater mit einem seltsamen Gerät eine Flüssigkeit aus einem Bündel Pflanzen presste.

´Was machst du da, Papa?´

´Gar nichts, Ahrok. Geh spielen´, war damals die Antwort gewesen.

Der kleine Ahrok trat näher heran und wollte seinen Finger in das Schälchen stecken.

´Finger weg!´, rief sein Vater aufgebracht. ´Das ist giftig!´

Giftig!

Ahrok riss die Augen auf.

„Ragnar! Spuck es aus! Sofort alles ausspucken! Das ist Gift!“, schrie er und zerrte an seinen Fesseln.

Erschrocken hielt Doktor Kruger mitten in seiner Bewegung inne.

„Drrrktrrr…“, gurgelte der Zwerg, dem noch immer der Löffel im Rachen steckte.

Was war hier gerade passiert? Hatte er etwas nicht mitbekommen oder wie konnte sich dieser Junge mit Alchemie und Giften auskennen?

„Löffl…“, röchelte es, aber er hörte es gar nicht.

Was sollte er nur tun? Sein Plan drohte zu scheitern. Dem Jungen konnte er nun keinen Brei mehr einflößen.

Der Zwerg in seinem Bett begann zu Husten und zu würgen. Jetzt erst fiel dem Arzt auf, dass er noch immer den Löffel in der Kehle des kleinen Mannes stecken hatte. Noch bevor er wusste wie ihm geschah, erbrach sich der Zwerg in einer kleinen Fontäne über seine Hand hinweg auf die Bettdecke.

Vollkommen überrumpelt stand er zwischen den beiden Betten und starrte sprachlos auf die beiden Männer.
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Der eine zerrte aufgebracht wie ein wildes Tier an seinen Fesseln und schrie noch das ganze Haus zusammen, während der andere gerade kraftlos in die vollgekotzten Kissen sank, auf denen er den so sorgsam vergifteten Mageninhalt verteilt hatte.

„Aber, aber, mein junger Herr, wie kommen Sie denn zu der wahnwitzigen Annahme, dass ich Sie vergiften wollte.“

Mit einem lauten Krachen riss der Pfosten, an welchen der rechte Arm des Zwerges gebunden war aus dem Bettgestell und eine schweißnasse Pranke umschloss sein Handgelenk.

„Boah, Scheiße, war das eklig.“ Ragnar richtete sich auf und spuckte seinen sauren Mundinhalt auf den Fußboden. „Bist du dir da ganz sicher mit dem Gift?“

„Ja, verdammt! Ganz sicher!“, brüllte Ahrok.

„Meine Herren…“

Mit einen Schnappen riss die zweite Armfessel des Valr.

Doktor Kruger verstand die Welt nicht mehr.

„Ja, was machen wir nun mit ihm?“ Ragnar riss den alten Mann zu sich herunter. „Wolltest du uns wirklich vergiften, Doktorchen?“

„Werte Herren, mitnichten! Ihr irrt euch da gewaltig! Das muss der posttraumatische Stress sein, der dem Jungen da einen großen Streich spielt. Solcherlei Halluzinationen sind nicht ungewöhnlich. Ich bin hier, um Ihnen das Leben zu retten.“

„Na ja, ich könnte ihm den dürren Hals umdrehen, aber das was er sagt klingt auch nicht ohne. Was wenn du dich irrst?“

„Hm…“, Ahrok war sich plötzlich nicht mehr so sicher. „Ich weiß es. Wir geben ihm auch was von dem Brei zu essen. Wenn er es überlebt, dann hab ich mich eben geirrt.“

„Sehr schlau von dir“, nickte der Zwerg und griff nach seiner Schüssel.

„Aber, aber…“, der alte Mann brachte kein weiteres Wort heraus und starrte nur mit weit aufgerissenen Augen auf den Zwerg, welcher ihm gewaltsam die Kiefer auseinander drückte und den Brei in die Kehle gleiten ließ.

„Schön schlucken, Doktorchen. Nur keine Mätzchen sonst wird’s ungemütlich“, mahnte der Zwerg und massierte die Kehle des Medicus.

Wie war es nur so weit gekommen? Sein Herz raste. Nein, nein, nein, das war alles nicht richtig. Tränen traten ihm in die Augen, doch er konnte den Mundinhalt nicht ausspucken.
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Der grobschlächtige Zwerg verschloss ihm die Lippen und zwang ihn zum Schlucken.

Erst war es nur ein leichtes Kribbeln, doch dann brannte sein ganzer Mund wie Feuer und er spürte, wie das Gift sich von seinem Magen aus ausbreitete und von dort aus tödlich kalt durch seine Adern gepresst wurde. Seine Sinne schienen plötzlich so viel schärfer. So fühlte es sich also an vergiftet zu werden.

Nein, das konnte alles nicht wahr sein!

„Und? Wie geht’s ihm?“, fragte Ahrok. „Ich kann nichts seh´n!“

„Bis jetzt sieht´s noch ganz gut für ihn aus. War wohl doch falscher Alarm.“

Schon zeigte sich das charakteristische Kribbeln auch in seinen Fingern. Es fühlte sich an, als hätte man ihm Hände und Füße in einen Ameisenhaufen gesteckt. Er wollte etwas sagen, aber seine Zunge lag taub und reglos zwischen seinen Zähnen, also lallte er nur ein paar unverständliche Worte.

„Was sagt er? Ich versteh ihn nicht, Ragnar?“

Die Finger wurden taub. Er brauchte Luft. Frische Luft! Er musste nach draußen! Zittrig gaben seine Beine nach und er fiel zwischen die Betten. Jede Bewegung fiel ihm schwer, selbst den Sturz hatte er schon nicht mehr für voll genommen. Ihm fehlte jedes Gefühl in den Extremitäten.

„Ähm... ich berichtige meine vorherige Aussage. Es sieht doch nich so gut für ihn, aus fürchte ich“, meinte Ragnar sachlich.

Sein Atem, seine Lunge. Ruhig, Vincent, ruhig. Er musste nur ruhig weiteratmen. Doch die Lungen versagten mit jedem weiteren Atemzug ihren Dienst. Er würde es nicht schaffen. Das was sich in ihm ausbreitete, war weit mehr als die letale Dosis. Dafür hatte er selber gesorgt. Oh, dieser verdammte Bernhard Schreiber! Wozu hatte ihn dieser Mann nur gebracht?

Langsam bekam er es mit der Angst zu tun.

Der Tod war nicht kein schönes Entschlafen, wie es die Priester propagierten. Keiner wusste das so gut wie ein Doktor. Der Tod war ein dreckiger Halunke ohne Respekt und die Götter nichts weiter als missgünstige Hurenböcke, welche sich einen Dreck um die Sterblichen kümmerten. Das was jetzt kam, würde nicht schön werden.

Leicht öffnete sich noch einmal der Mund des alten Mannes, aber er brachte auch dieses Mal nur ein Röcheln heraus.
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Seine Zunge und Lippen versagten ihm den Dienst.

Der verdammte Zwerg stierte ihn dabei an wie ein verendendes Stück Vieh. Mit aufgerissenen Augen lag er auf dem Boden zwischen den Betten, die Schmerzen wurden unerträglich, doch er konnte nicht einmal mehr einen Muskel rühren, um zu schreien. Es war so verdammt kalt. Sein flacher Atem wurde immer langsamer. Er wollte atmen, aber die Lungen gehorchten ihm nicht mehr. Kurze Zeit später lag der alte Mann erschlafft und mit weit aufgesperrten Augen regungslos auf dem Boden des Krankenzimmers.

„Tja“, Ragnar starrte auf den leblosen Körper, „Scheiße noch eins, wer hätte das gedacht… Warte ich mach dich los.“

„Wie geht’s dir, Ragnar?“, Ahrok betrachtete den Valr. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Na ja… ich weiß nich so recht…“, murmelte der Zwerg.

„Fein. Dann kratz mir doch bitte endlich den Rücken. Ich halt´s nicht mehr aus.“
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Kommentare zur Story:

  Das hat er verdient, dieser Doktor. Obwohl, auf der anderen Seite wollte er die beiden ja gar nicht umbringen. Er wurde dazu gezwungen. Und Berhard Schreiber geht wieder ohne Strafe aus. Toll geschrieben, sehr spannend und irgendwo auch witzig. Einfach klasse.  
   Petra  -  23.03.12 22:08

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Tja Jochen, das hab ich dir zu verdanken, da du damals den Stein ins Rollen gebracht hast. Es hat sich tatsächlich als bedeutende Verbesserung herausgestellt sich nicht mehr so stark an der eigentlichen Geschichte zu orientieren, sondern diese nur noch als Richtlinie zu verwenden.
Ich danke dir für deine Hilfe und die netten Kommentare zu jedem meiner Kapitel.  
   Jingizu  -  21.03.12 17:49

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Wahnsinnig spannend, obwohl man ja eigentlich weiß, dass die beiden Helden überleben müssen. Ich kannte ja schon den alten Text, aber der hier ist viel besser. Alle alten Kapitel sind eigentlich wesentlich besser geworden. Deine Mühe hat sich also gelohnt.  
   Jochen  -  20.03.12 21:51

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  Ich finde es geradezu wunderbar, dass man das Schicksal eines Kinderschänders und Giftmörders durchaus immer noch betrauern kann, wenn man es nur aus der richtigen Perspektive betrachtet.  
   Jingizu  -  20.03.12 19:21

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  natürlich ist es traurig, den tod von jemanden mitzuerleben, aber trotzdem fand ich dieses kapitel unterschwellig lustig. hab’ bestimmt ’ne perverse ader und ist ja auch ‚nur’ ein roman... ;-)
jedenfalls schön, dass ahrok auf den genialen gedanken kam, den vergifteten brei dem arzt selber zum verkosten zu geben. ;-)  
   Ingrid Alias I  -  20.03.12 18:03

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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