Ein schmaler Grad Kapitel 20-21 (Historisch)   376

Romane/Serien · Romantisches

Von:    Lilly      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 13. August 2010
Bei Webstories eingestellt: 13. August 2010
Anzahl gesehen: 2914
Seiten: 24

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Kapitel 20



„Die schönsten Träume von Freiheit

werden im Kerker geträumt“

Friedrich Schiller



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Auf einer Anhöhe stand der Clan der MacNamaras und blickte auf Brownan Castle hinab. Es lag Still in der Winterlandschaft und es schien beinahe zu schlafen. Unruhig rutschte Laird MacNamara in seinem Sattel hin und her. Sein Herz schlug laut und aufgeregt in seiner Brust, denn Lea war nicht mehr weit von ihm entfernt.

„Was tun wir jetzt?“,fragte Kenneth besorgt.

Gemächlich und sanft begann Schnee erneut auf sie herab zu fallen.

„Wir probieren es erst einmal diplomatisch“, begann MacNamara bedrückt auf die Frage hin,“ Doch wenn sie Lea auch nur ein Haar gekrümmt haben, dann verspreche ich dir, bringe ich jeden einzelnen dieser Bastarde auf der Stelle um.“

Auf einmal raschelte etwas in den Hecken neben ihnen, sie wandten sich dem Geräusch langsam zu und alle spannten sich an. Sie waren bereit jeden Augenblick zu töten. Leise zog Kenneth sein Schwert und alle blickten auf die dichten, aber kahlen Zweige der Hecke.

„Gott“, brach Niall auf einmal fassungslos hervor, als ein Kind hervor stolperte. Erschrocken blieb das Mädchen stehen und blickte auf. Ihre Lippen waren bläulich verfärbt, aufgesprungen von der Kälte, ihr Gesicht unnatürlich gerötete und Eiszapfen hingen in ihren feuchten Haaren. Ihr Zittern schien unkontrolliert und bereitete ihr Schmerzen. Ihre Kleider waren nass, zerrissen, und sie versank fast im kalten Schnee.

Keiner wagte auch nur eine Bewegung zu machen, nicht die Krieger und schon gar nicht das Kind.

Plötzlich verdrehte das Mädchen die Augen, ihr Kopf fiel zurück und sie sank leblos nach hinten.

Sofort sprang MacNamara von seinem Hengst, stampfte durch den Schnee aufgeregt auf das Mädchen zu und nahm sie hoch, als wäre sie eine Feder. Geborgen lag sie in seinen warmen Armen und ausgiebig begutachtete er ihr Gesicht. Er spürte die unnatürliche Kälte ihres halb erfrorenen Körpers und drückte sie fest an sich. Leicht flackerten ihre Lider, bevor sie diese nur einen Spalt öffnete, ihn durch ihre verhangenen dunklen Wimpern ansah und flüsterte:“ Lea“, dann verlor sie wieder ihr Bewusstsein.
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Aufgebracht sah er über seine Schulter und sagte, es selbst kaum glaubend: “ Sibylle.“

„Diese Schweine“, fluchte Connor und zog eine Decke aus seiner Satteltasche.





„Vater, ich will sie nicht im Kerker, ich will sie in meinem Bett.“

Schnauzte Alek seinen Vater an und wirkte dabei wie ein kleines jähzorniges Kind. Doch der schien dies einfach zu ignorieren und erklärte ihm gelassen, während er seinen Kelch hob: „Soll sie sich erst einmal wieder beruhigen.“

„Ich kann ihr helfen ruhig zu werden.“ Alek setzte sich wütend neben seinen Vater an den Tisch und schmollte wie ein kleiner Junge.

„Das glaube ich dir gerne, doch nicht jetzt. Wer weiß was sie tun würde. Dort unten kann sie erst einmal gar nichts tun und wieder zur Vernunft kommen.“

Irgendetwas vor sich hin grummelnd hob Alek den Kelch, der vor ihm stand, an seine Lippen und nahm einen großen Schluck.

„Dafür, dass du am Anfang von Vaters Idee nicht sonderlich begeistert warst, bist du nun sehr erpicht darauf deinen ehelichen Pflichten nachzugehen.“ meinte sein jüngerer Bruder Steve spottend.

„Wer kann es ihm verdenken“, sagte Eddi, der jüngste und setzte sich nun auch an den Tisch:“ Sie ist eine wahre Augenweide. Wenn du sie nicht genommen hättest, hätte ich mich für die Sache geopfert. Da die, die für mich bestimmt war, ja kein Interesse an mir hatte.“

Stumm blickte Alek zur Seite auf seinen kleinen unverschämten Bruder, der sich ein Lächeln beileibe nicht verkneifen konnte.

„Hm, und wo verrottet sie nun“, wollte Alek ungehalten wissen, beantwortete seine Frage aber schnell selbst:“ Im Kerker, bei meinem Weib.“

Steve prustete lachend drauf los, doch Eddi, sowie sein älterer Bruder fanden dies nicht komisch.

„Sirr?“

Ein Soldat stand, etwas verstört wirkend, in der Halle und wartete darauf angehört zu werden.

„Was ist?“ wollte MacFhinn genervt wissen und nahm das große Stück Kalbsfleisch, das vor ihm lag, in seine Hände und nahm einen großen Bissen. Gelblich schimmerndes, fast schon erkaltetes Fett lief seine Hände schwerfällig herab, bevor es auf den Tisch tropfte.
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„Zwei Reiter, sie stehen inmitten des Feldes vor der Mauer und scheinen auf irgendetwas zu warten.“

Jetzt hielt Dougall MacFhinn inne, runzelte seine, sowieso schon viel zu faltige, Haut und spuckte das halbgekaute Stück Fleisch zurück auf seinen Teller. Seine Söhne sahen ihn fragend an.

„Welche Farben?“, wollte er kurz und knapp wissen, ohne den Soldaten anzusehen.

„Schwarz – rot.“

Wutentbrannt schob er den Stuhl hastig nach hinten und stützte sich mit seinen Händen auf der rauen Tischplatte ab.

„Dieses Miststück“, murmelte er vor sich her und Eddi fragte unwissend:“ Wer ist das?“

„MacNamara“, antwortete er knapp, erhob sich und rieb sich mit einem seiner schmutzigen Ärmel seines, einst einmal weißen, Hemdes den Mund sauber, während er durch die Halle und hinter sich rief:“ Alek, komm … sehen wir mal nach.“

Wie ein aufgescheuchter Hund folgte der sofort seinen dominanten Vater, während seine Brüder, etwas enttäuscht diesem Spektakel nicht beiwohnen zu dürfen, zurück blieben.





Langsam ging das schwere Tor auf und MacFhinn ritt mit seinem Sohn auf das schneebedeckte Feld. Nur gemächlich näherten sie sich MacNamara und dieser sah sofort wie sich Bogenschützen auf der Mauer postierten und sie ins Visier nahmen.

„Hm“, grummelte Kenneth, der dicht bei seinem Freund stand,“ Ich sehe keine Farben der MacBrownan, ich sehe nur diese Bastarde.“

MacNamara sah genauer hin und meinte dazu:“ Wahrscheinlich haben sie jeden Einzelnen abgeschlachtet, der sich weigerte ihre Farben zu tragen und ihnen die Treue zu schwören … es wäre ihnen zuzutrauen.“

„Hurensöhne“, schimpfte Kenneth leise vor sich hin und machte sich bereit für ein äußerst makabres Zusammentreffen.

MacFhinn ließ einen deutlichen Abstand zwischen sich und den beiden anderen und einen Moment starrten sie sich nur an. Er begutachtete MacNamaras Gesicht, suchte nach einer Schwäche, Angst, irgendetwas mit dem er hätte arbeiten können, doch fand er nur Wut und Hochmut in seiner Körperhaltung - und in seinen Augen zur Schau gestellte Arroganz.

„Was wollt Ihr hier auf meinem Land?“, fragte Dougall MacFhinn mit lauter Stimme und beobachtete wie MacNamara ihn äußerst skeptisch ansah und dann eine Gegenfrage stellte:“ Euer Land?“

„Das sind nur noch Formalitäten … also, was wollt Ihr?“ Er wurde ungeduldig.
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„Die Frau!“,antwortete MacNamara kurz und knapp und erhoffte sich eine Regung, doch nichts dergleichen geschah. MacFhinn sah eher überrascht drein, fast schon fragend.„Welche Frau? Wir haben viele Weibsbilder um uns herum.“ ,fragte er nun übertrieben Scheinheilig klingend und MacNamara antwortete ihm geduldig, einmal kurz auf Kenneth schielend:“ Lady Leathendra Bradley.“

„Oooh“, sagte der alte Mann nun gedehnt und ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen. Er blickte auf seinen Sohn und wiederholte seltsam klingend:“ Leathendra … Bradley.“

Ah“, brachte Alek nun hervor, als hätte er einen Geistesblitz gehabt,"Ihr meint wohl mein Eheweib, Leathendra MacFhinn.“

In MacNamara fiel alles ab, er war zu spät. Er vergaß zu atmen, sein Herz war zum bersten angespannt und seine Hände schienen gleich die Zügel zu zerreisen. Besorgt blickte Kenneth ihn an und berührte sacht seinen Arm, denn er regte sich keinen Millimeter und das war schlimmer als alles andere.

„Was wollt Ihr von MEINER Frau, MacNamara?“, fragte Alek hochmütig und MacNamara brauchte einen Moment bis dessen Stimme durch sein Gedankenwirrwar drang. Aber nach einem kurzen Augenblick schluckte er schwer, als würde jemand ihm die Kehle zudrücken und sagte zu ihm, sich nur schwer im Zaum haltend:“ Dafür … werdet Ihr büßen.“

„Ach, Ihr und wer nochmal will mich denn büßen lassen? Diese erbärmliche Bande von, wie viele sind das … vielleicht hundert Mann?“ Alek zeigte zum Hügel, auf dem noch immer ein Teil von MacNamaras Männer standen und gehorsam warteten.

Jetzt beugte sich der wütende Krieger etwas über den Hals seines getreuen Hengstes und es war den beiden MacFhinns so, als würde ein triumphierendes Lächeln durch MacNamaras Augen blitzen. „Nicht ganz.“

sagte er schlicht und Kenneth verstand dies als Anweisung. Er pfiff laut durch seine Finger. Auf einmal bebte die Erde und es war, als käme dieses Beben ganz langsam auf sie zu. Verstummt blickten sich Vater und Sohn an und dann sahen sie sich um, denn rechts und links auf ihren Flanken traten Heerscharen an Soldaten über die Hügel heran und blieben im sicheren Abstand auf einmal abrupt stehen.
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Dougall MacFhinn wurde bleich und seinem Sohn stockte der Atem.

„Eure Schätzung liegt etwas unter dem tatsächlichen Wert, junger MacFhinn. Es sind fast sechshundert Mann, die alle bereit sind Euer Leben zu beenden.“

„Wie zum Teufel …“, begann der Alte, doch er sprach nicht zu Ende. MacNamara lehnte sich wieder etwas zurück und erklärte ihm genüsslich:

“ Unterschätzt mich niemals … Hier stehen die Clans der MacKneele, der O`Branàin und O`Cathail, und William Blair ist mit zweihundert Mann noch auf dem Weg, ich denke er wird in wenigen Stunden hier eintreffen.“

„Seid Ihr des Wahnsinns, dies alles nur für ein englisches Weib?“,

schrie ihn MacFhinn lauthals an, doch MacNamara ließ sich nicht beunruhigen. Er war nun wieder der Krieger, der mutig und unnachgiebig vor ihnen stand.

„Nein! Das alles geschieht nur wegen Eurer Dummheit, einem unsinnigen Mord, der gerecht werden will UND einer Frau mit dem Namen Bradley, einem Namen, dem wir alle in den Highlands viel zu verdanken haben.“

„Ihr Name … lautet MacFhinn“, fauchte Alek zurück, doch MacNamara belächelte seine Worte rachsüchtig und erklärte ihm gelassen:“ Nicht mehr lange, denn schon bald wird sie eine selige Witwe sein.“

Alek blickte zu seinem Vater, der noch immer die Lage inspizierte.

„Ich gebe Euch nun eine letzte Möglichkeit, Dougall MacFhinn, gebt die Lady frei und stellt Euch MacKneele zum Kampf. Seid nur einmal in Eurem erbärmlichen Leben ehrenwert.“

MacFhinn betrachtete ihn eine Weile argwöhnisch, bevor er überrascht laut loslachte und ihm sagte:“ Ehrenwert? Als wüsste auch nur ein Einziger von euch was dieses Wort wirklich bedeutet. Wenn Ihr dieses Weib haben wollt, MacNamara, dann müsst Ihr schon kommen und sie Euch holen. Ich habe noch nie aufgegeben und das werde ich auch jetzt nicht tun.“

„Selbst wenn Euer Plan nicht mehr aufgeht, wenn all Eure Söhne sterben werden und jeder von Eurer Tat erfährt?“, fragte MacNamara leicht fassungslos klingend und MacFhinn antwortete schnell:“ Selbst dann! Meine Söhne werden kämpfen, bis in den Tod hinein, so - und nicht anders wurden sie erzogen.
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Kenneth schüttelte verständnislos seinen Kopf und blickte zu seinem Laird, der MacFhinn starr anblickte, ohne den leicht irritierten Alek zu beachten.

„Ihr seid wirr im Kopf alter Mann, aber dennoch klingen Eure Worte aufrecht und ernst gemeint. So lass ich Euch Euren Willen und dem anscheinenden Wunsch dem Tod bald gegenüber zu treten. Ich hoffe nur für Euch, dass Eure Söhne und all die Männer die Ihr mit Euch nehmen werdet, den selben Wunsch besitzen … Denn sonst kann es in der Hölle sehr unangenehm für Euch werden.“

Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, wendete er seinen Hengst und preschte davon, Kenneth dicht hinter ihm, zurück zu seinen Getreuen Männern.





Leas Kopf schmerzte und ihr Arm brannte fürchterlich. Sie lag auf etwas hartem, weichem … nein, feuchtem und es stach ihr etwas unangenehm in die Rippen. Es stank fürchterlich nach Urin und anderem Unrat und die Luft war feucht und schwer. Es war ihr, als hörte sie leise Wasser plätschern und irgendetwas quiekte in der Nähe ihres Ohres aufgeregt. Nur dumpf spürte sie eine unangenehme Kälte ihren Körper hinaufkriechen und vernahm wie das Quieken dann an ihrem Kopf vorbei lief. Stöhnend griff sie sich an ihre Stirn und versuchte ihre Augen zu öffnen, doch gelang es ihr im ersten Moment nicht.

„Bleib liegen“, hörte sie eine sanfte weibliche Stimme neben sich:“ Man hat dich ziemlich hart geschlagen, lass dir Zeit.“

Doch gerade diese fürsorgliche Stimme brachte Lea dazu aufzuschrecken. Sie schnellte hoch und blickte erschrocken in das schmutzige Gesicht eines Mädchens, ungefähr in ihrem Alter. Ihre blonden, unwahrscheinlich langen Haare klebten fettig an ihrem Kopf, ihre Kleidung war an einigen Stellen zerrissen und sie wirkte auf den ersten Blick ausgehungert, doch ihre dunkelblauen Augen blickten Lea wachsam und besorgt an.

„Bitte, hab keine Angst“, flehend hob sie ihre schmutzigen Hände an:“ Ich wollte dich nicht erschrecken, es tut mir leid.“

Verwirrt sah sich Lea um und erfasste schnell wo sie sich befand und dass ihr linker Fuß mit einer schweren Kette an der Wand befestigt war. Vorsichtig hob sie diese kurz an und zog trotz des schmerzenden Armes einmal kraftvoll daran, doch natürlich geschah nichts.
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Tief ausatmend sackte sie zurück und lehnte sich an das kantige kalte und nasse Gestein des dunklen Kerkers. Sie schloss ihre Augen und dachte an Sibylle, was ihr augenblicklich ein weiteres Mal das Herz brach. Wie oft kann dieser Lebenskern nur brechen?

Gedankenverloren fasste sie sich mit zitternder Hand an ihre Brust und versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sie wie eine Welle überrollen wollten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schloss sie ihre müden Lider und kämpfte gegen einen Schwall der Trauer an, in dem sie ihren Atem zu kontrollieren versuchte. Sie hatte ihre Schwester verloren, sie war tot und niemand konnte dies mehr ändern. Sie konnte sie einfach nicht beschützen. Eine Träne entfloh ihrem rechten Auge und lief gemächlich herab. Wie ein Mahnmal blieb der Tropfen an ihrem Kinn einen Moment lang hängen, bevor er auf das faulige Stroh fiel.

„Ich bin Leonor … Leonor MacBrownan.“

Müde sah Lea auf, in das abgewandte Gesicht des Mädchens.

„Ich bin Lea“, gab sie mit allzu dünner Stimme zurück und schluckte schwer, bevor sie zu Ende sprach:“ Leathendra … oh Gott im Himmel … bis vor kurzem noch Bradley, jetzt… MacFhinn.“

Sie sagte diesen Namen mit soviel Abscheu, dass sie glaubte Leonor müsste darauf reagieren, doch das tat sie nicht. Sie nickte nur und meinte knapp:“ Ich verstehe!“

Lea sah sich nun etwas genauer um und fragte nach einer Weile müde klingend:“ Seit wann bin ich hier … und warum bist du hier? Was geschieht hier nur?“

„Man brachte dich vor einigen Stunden und mich vor ...“, sie unterbrach sich kurz selbst und schien nachzudenken, dann meinte sie etwas verwirrt wirkend:“ Ich habe keine Ahnung wie lange ich nun schon hier unten bin, ich weiß es wirklich nicht und das ist sehr … sehr beängstigend.“

Müde rieb sie sich durch ihr schmutziges und hager aussehendes Gesicht, anscheinend selbst erschüttert von dieser Erkenntnis, bevor sie weitersprach:“ Meiner Familie gehörte einst diese Burg und jetzt …“, auf einmal zögerte sie wieder und blickte wirr durch den Raum.

Lea konnte sehen wie sie mit ihrer Fassung rang und meinte bekümmert:“ Jetzt verstehe ich, es ist schon gut, du musst nichts weiter sagen.“

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie dann doch weitersprach und bis dahin war es seltsam still zwischen den Beiden.
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„Ich werde diesen Kerker nicht mehr lebend verlassen!“, flüsterte Leonor und blickte hinauf zu einem winzigen, fast unscheinbaren Fenster unterhalb der hoch gelegenen Decke. Dicke Gitterstäbe verschlossen dieses und ab und zu wehte etwas Schnee hinein.

„Sie haben mein ganzes Leben zerstört, nur weil sie glauben das Recht dazu zu besitzen.“

Lea schwieg noch immer, kannte sie doch dieses Gefühl nur all zu gut. Sie zog ihre Knie ganz dicht an ihren Körper und umschlang diese mit ihren Armen. Nun ruhte ihr Kinn darauf und man konnte den bläulichen Schatten auf ihrer Wange erkennen, der sich bis zu ihrem Augen hinzog und eine kleine Risswunde, unterhalb ihrer zarten Wangenknochen.

„Der jüngste, Eddi MacFhinn, kam eines Tage zu uns und hielt um meine Hand an …“, wieder stockte sie kurz, bevor sie in einem seltsamen Tonfall weitersprach, so als würde sie jemanden imitieren:“ In unserer Familie ist es seit Jahrhunderten Tradition, die erstgeborene Tochter, mit dem letztgeborenen der MacFhinn zu verheiraten.“

Lea sah sie überrascht an, ihre Stirn kraus gelegt.

„Es war ein Abkommen, zwischen unseren Familien, das noch niemals … NIEMALS gebrochen wurde … bis jetzt.“

Wieder schwieg sie und betrachtete ihre schmutzigen Finger, die sittsam auf ihrem Schoß lagen. Lea sah, dass ihre Wimpern wild flatterten und glaubte zu wissen, dass sich Tränen in ihren Augen befanden.

„Mein Vater weigerte sich, er erinnerte sich an seine Schwester und welch schreckliche Pein sie in dieser Familie ertragen musste. Trotz der Wut seines Onkels und dessen Worte, die ich gerade zitierte, wiedersetzte er sich dem und schlug Eddi MacFhinns Werben rigoros aus. Ich war so erleichtert, so froh, nicht mit ihm gehen zu müssen, dass ich mir über die Konsequenzen keine Gedanken machte … Doch“, ihre Stimme brach ab. Lea hörte den Schmerz in ihren Worten und sacht berührte ihre Hand Leonors Rücken, der leicht vor und zurück wippte und der gebeugt war, wie der einer alten Frau, deren Last des Lebens sie fast erdrückte:“ Doch wenn ich nur andeutungsweise gewusst hätte, was sie uns antun würden, dann wäre ich mit ihm gegangen. Wirklich, ich hätte mich ihm nicht wiedersetzt, es wäre schon nicht so schlimm geworden … Bei Gott, wir waren so dumm zu glauben, dass sie keine Macht mehr besitzen!“

„Du kannst nichts dafür, es ist doch nicht deine Schuld!“ Jetzt hatte Lea ihre Stimme wieder, auch wenn sie seltsam klang, als sie versuchte sie zu trösten, denn sie kannte diesen Schmerz und vielleicht sagte sie es auch mehr zu sich selbst, als zu ihr.
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Denn in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass SIE nichts dafür konnte. Marc, er war an allem Schuld und die MacFhinns, deren Raffgier zu weit ging sogar über Leichen.

„Es war eine sehr mutige Entscheidung deines Vaters, sich ihnen zu wiedersetzen. Ihm war sicherlich bewusst gewesen, dass er wahrscheinlich alles aufgegeben muss, um dich vor ihnen zu beschützen. Er tat es einfach, weil er dich liebte und ich bin mir sicher, dass er es keine Sekunde bereute … Das Leben läuft nun mal nicht immer in geregelten Bahnen, Leonor, es hat tiefe dunkle Täler, die durchquert werden müssen. Wilde Flüsse, deren Gewässer einem bis zum Hals reichen und es gibt immer abscheuliche Wesen, die sich einem in den Weg stellen.“

Leonor starrte Lea an und fragte auf einmal schockiert, als wäre ihr jetzt gerade erst bewusst geworden, das jemand bei ihr in der Zelle war:“ Wer bist du?“

Lea verstand nicht, hatte sie ihr doch gesagt wer sie ist.

„Ich meine“, erklärte Leonor etwas stockend als sie Leas fragenden Blick sah:“ Was wollen sie von dir? Warum bist du hier, hier auf der Burg, hier unten bei mir? Du bist nicht schottisch, das höre ich an deinem Akzent … Wer also bist du und woher kommst du?“

Leas Kopf ruhte nun wieder auf ihren Knien und sie hatte ihre Augen geschlossen. Ein tiefer, geräuschvoller Seufzer durchzog ihren ganzen Körper, bevor sie ihr mit leiser Stimme erklärte wer sie war:“ Ich bin Leathendra Bradley, Theodor Bradleys Tochter. Ich komme aus England und sie wollen meinen Namen um ihren wieder reinzuwaschen.“

„Theodor Bradley?“

Wiederholte Leonor nachdenklich den Namen ihres Vater und sagte ihr, nach einer kurzen Weile:“ Ich habe diesen Namen schon einmal gehört. Ja … ich hörte ihn als mein Vater sich mit Dougall MacFhinn stritt, doch verstand ich nicht viel, nur diesen Namen und es ging um eine Heirat und um Alek … Oh …“

Entrann es erschrocken ihrer Kehle, als sie plötzlich verstand.
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„Dann bist du die Engländerin die sie wollten?“

Lea nickte schwerfällig.

„Wir beide“, begann Leonor bedächtig:“ Eine Engländerin und eine Schottin mit dem selben Schicksal. Makaber nicht?“

Wieder nickte Lea, doch ohne eine Regung in ihrem Gesicht.

„Wen haben sie getötet?“, fragte Leonor auf einmal gedämpft und erschreckte Lea sichtlich damit. Bleich blickte sie auf und betrachtete ihre Leidensgefährtin einen Augenblick lang, bevor sie mit schwimmenden Augen und belegter Stimme antwortete:“ Jason MacKneele, er war ein … ein Freund, ihm schlugen sie den Kopf ab und … meine kleine Schwester, sie schickten sie vor Stunden hinaus in den Schnee.“

Leonors Hand umgriff Leas und sie widerholte ihre Worte:“ Es ist nicht deine Schuld!“

„Ich weiß“, murmelte Lea weinend:“ Oh Gott, ich weiß!“





Leonor sah sich Leas Verletzungen an. Inspizierte ihren blutverschmierten Arm, ihr verfärbtes und mit wenigen Blutkrusten verklebtes Gesicht und erklärte ihr fachmännisch klingend:“ Es ist nicht so schlimm. Am Arm behältst du wohl eine Narbe, aber das in deinem Gesicht müsste gut verheilen, auch wenn deine Wange noch anfangen wird zu schmerzen, aber sei froh, dass dein Auge verschont blieb.“

Lea tastete ihre leicht geschwollene Gesichtshälfte ab und meinte:“ Ja, ich denke, dass der mit der Narbe wusste, wohin er zu schlagen hatte, um mich nicht all zu sehr zu verletzen.“

„Ein fürchterlicher Mensch, nicht wahr?“

Lea nickte.

Auf einmal sprang die Zellentür auf, sie schien gar nicht verschlossen zu sein. Wozu auch, sie waren ja beide an Ketten gefesselt. Alek betrat wutschnaufend den kleinen Kerker. Er wirkte so wütend, so voller Hass, dass Lea sich erschrocken erhob und gegen die Wand drückte. Mit schnellen Schritten stand er vor ihr und umpackte fest ihre Kehle. Leonor zog erschrocken ihren Atem ein und erstarrte. Lea fiel es schwer Luft zu holen, doch sie wagte es nicht, ihn auch nur irgendwie zu berühren, um seine Hände von ihrem Hals zu lösen … Wollte er sie töten? Dann sollte er es tun, sie war bereit zu sterben!

Schweigend blickten sich beide in die Augen und nach einem Augenblick fauchte er sie an:„Warum hast du keine Angst?“

„Würde das denn etwas ändern?“,presste sie schwerfällig hervor und er ließ abrupt von ihr ab.
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Nervös durchkämmte er mit seinen Händen sein leicht fettiges Haar und lief auf und ab, während Lea ihren Hals rieb und hustete. Irgendetwas stimmte nicht, etwas lief ganz und gar nicht nach ihrem Plan, das bemerkte auch Leonor.

Doch noch bevor Lea ihre Gedanken weiter spinnen konnte, war er wieder vor ihr und presste sie unsanft zurück gegen die kantige Wand. Sie spürte wie ihre Kleider langsam durchnässten und dass sie begann zu zittern.

„Eines noch“, zischte er wütend hervor:“ Du bist mir noch etwas schuldig.“

„Ich schulde Euch rein gar nichts.“ , schrie Lea ihn an und versuchte sich zu wehren, doch kam sie nicht im Geringsten gegen ihn an.

„Oh doch meine Liebe“, hauchte er gegen ihren Hals und küsste diesen unangenehm feucht. „Den Vollzug unserer Ehe!“

„Wagt es ja nicht.“

Lea kämpfte verzweifelt gegen seine Hände an, doch schien es, als besäße er hundert davon. Sein Knie presste sich unsanft zwischen ihre Beine und seine Lippen bezwangen hart ihren schmutzigen Hals.

„Nein … nicht“, rief sie verzweifelt aus. Das durfte nicht geschehen, das war nicht rechtens.

Abrupt ließ er sie auf einmal los und taumelte einen Schritt von ihr fort. Lea krallte sich an der Wand fest, sie glaubte den Boden unter ihren Füßen zu verlieren.

Mit schmerzverzehrtem Gesicht, fasste er sich an seinen Hinterkopf und blickte ganz langsam auf Leonor, die noch immer mit ihrer Wasserschale in der Hand dastand. Sie selbst schien äußerst erschrocken darüber zu sein, was sie da gerade getan hatte und trat etwas von ihm fort. Doch wo sollte sie hin? Die Kette um ihren Fuß war kurz und schon bald war deren Kapazität vollkommen ausgelastet.

„Miststück“, murmelte Alek, holte aus und schlug sie mit der Rückseite seiner Hand. Leonor viel taumelnd gegen die Wand und hielt sich nur mühsam aufrecht. Tränen standen in ihren Augen und ihre Haut im Gesicht brannte wie Feuer.

„Lasst sie in Ruhe!“, warnte ihn Lea wütend und er sah wieder hinter sich. Mit einem fürchterlichen Lächeln wandte er sich ihr zu und stellte fest:“ Habt euch wohl verbündet, was?“

Beide Frauen schwiegen tapfer.
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„Doch auch das wird dich nicht vor dem bewahren, was gleich geschehen wird.“

Wieder hatte er sie gepackt, wieder umklammerte er fest ihre Kehle und drückte zu. Lea griff jetzt, Atem ringend, nach seiner Hand, doch er warf sie unsanft und mit Leichtigkeit zu Boden. Für eine Sekunde blieb ihr komplett die Luft weg, als sie aufschlug. Doch schnell wieder bei Sinnen, schlug Lea auf ihn ein. Alek schien davon jedoch kaum beeindruckt, setzte sich auf sie und drückte ihre Hände über ihren Kopf kraftvoll nieder. Noch einmal sah er zu Leonor und drohte ihr:“ Wenn du mir noch einmal zu nahe kommst, dann werde ich dir die Kehle durchschneiden.“

Lea hielt erschrocken inne, denn sie glaubte seinen Worten. Ihr Blick fiel auf Leonor, die verloren wie ein kleines Kind dastand und nicht wusste, was sie tun sollte. Sie wollte näher kommen, doch Lea schüttelte energisch ihren Kopf und brachte sie somit zum stehen.

Alek blickte ihr ins Gesicht und versprach überzeugt von seinen Worten:“ Keine Angst, es wird dir gefallen.“

„Das bezweifle ich stark, du elender Bastard.“, gab sie kühn zurück und brachte ihn damit zum Lachen.

„Du gefällst mir“, gestand er atemlos und begann wieder ihren Hals zu küssen:“ Auch wenn ich dich sauber und in meinem Bett bevorzugen würde.“

Grob schob er ihre Beine auseinander und legte sich über sie drüber. Wütend schrie sie auf, ihre Kräfte schwanden und Tränen verschleierten ihr die Sicht.

„Nein!“ , rief sie verzweifelt und atemlos aus. Hoffnungslos wandte Lea sich unter seinem schweren Körper, er ließ ihr kaum die Möglichkeit zu Atmen. Er stank so dominant nach altem Essen, verbranntem Torf, Wein und Schweiß, dass ihr unweigerlich übel wurde.

Gekonnt, als wäre dies nicht das erste Mal, schob er ihre Röcke nach oben. Jetzt dachte Lea unweigerlich an Seamas, wie er sie bei MacKneele vor dem aufdringlichen Soldaten rettete, wie er sie beschützte. Nur diesmal würde er nicht kommen, ihn wegzerren und sie dann in seine Arme schließen, um ihr den Schrecken zu nehmen. Diesmal würde es unweigerlich passieren und sie konnte rein gar nichts dagegen tun.
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Irgendetwas vor sich hin murmelnd nestelte er an seinem Kilt herum, er zog ihn etwas hoch, als auf einmal eine Glocke zu läuten begann und er vollkommen erstarrt inne hielt. Leonor sah erschrocken hinauf zu dem kleinen Fenster und hielt ihren Atem an. Das kann einfach nicht sein, das ist unmöglich, dachte sie sofort.

„Alek“, rief auf einmal eine Stimme an der Tür und er blickte von seinem Opfer auf. Es war die Narbe, Lea erkannte ihn schon an seiner markanten Stimme.

„Was willst du?“, fragte der junge MacFhinn überaus gereizt und die Narbe antwortete gelassen, gar nicht beachtend, was er da gerade tat:“ Euer Vater sucht Euch, Ihr sollt sofort zu ihm kommen.“

„Ich komme gleich.“, maulte er und wollte da weiter machen, wo er gerade unterbrochen wurde. Lea spürte wie er ihre Beine noch etwas mehr auseinander drückte und sie spürte seine harte Männlichkeit an ihrem mittlerweile entblößten Unterleib und sie fühlte wie er versuchte ungeschickt etwas zu vollbringen, was ihm in seiner Ungeduld einfach nicht gelang. Die Narbe ließ nicht locker, betrat die Zelle und meinte eindringlich klingend:“ Er sagte SOFORT, Alek, und wir alle wissen was dieses Wort für ihn bedeutet.“

„Verdammt“, schrie der junge MacFhinn direkt in Leas Gesicht und sie spürte seinen warmen stinkenden Speichel auf ihrer Haut. Nur wiederwillig ließ er von ihr ab und erhob sich. Lea rührte sich nicht, sie traute sich nicht ihre Nacktheit zu bedecken, geschweige denn auch nur einmal mit ihren Wimpern zu zucken, während er seinen Kilt zurecht rückte und seinen Plaid ordnete.

„Ich komme wieder, meine Schönheit“, drohte er, bevor er den Kerker verließ. Hastig stürmte Leonor auf Lea zu, schob ihre Röcke zurück und half ihr sich wieder hinzusetzen. Mit ihrem schmutzigen Ärmel wischte sie ihr fürsorglich über das Gesicht und verteilte den Dreck mehr, als das sie ihn entfernte.

„Geht es dir gut?“

Welche eine unsinnige Frage, dachte sie noch, während sie diese aussprach, doch Lea nickte und umschlang sie fest mit ihren Armen, denn sie begann unkontrolliert zu zittern.

„Ich friere“, stotterte Lea und Leonor erklärte ihr:“ Das ist nur der Schrecken. Das vergeht, hier … nimm auch noch meine Decke.
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Schnell gab sie ihr beide Decken und half ihr beim Einhüllen.

„Was … was ist geschehen … was glaubst du, warum er so schnell fort musste?“ ,wollte Lea zitternd wissen und ihre Leidensgenossin erklärte ihr, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt:“ Die Glocken haben geläutet. Was ich nicht ganz begreifen kann.“

„Die Glocken … ich verstehe nicht?“

„Nun, schon mein Urgroßvater ließ einen Turm an der Wehrmauer errichten. Dort hing er eine große Glocke auf und wenn jemand diese Burg angriff, konnten damit alle alarmiert werden. Aber das ist unmöglich, wer sollte die Burg schon angreifen. Keiner weiß was hier vor sich geht, keinen interessiert es, wir sind zu abgelegen, zu unbedeutend.“

Leonor beobachtete beunruhigt wie Leas Gesicht die Fassung verlor, wie ihre Augen größer wurden und ihr Mund offen stand.

„Er hat mich gefunden“, gab sie leise von sich und schälte sich aus den stinkenden und klammen Decken. Mühevoll erhob sie sich auf ihre wackeligen Beine und blickte hinauf zu dem kleinen Fenster.

„Er ist hier.“

Weinend vergrub sie ihr Gesicht in ihre schmutzigen Händen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Hastig sprang Leonor auf und legte besorgt einen Arm um ihre bebenden Schultern.

„Lea, was ist los? Was redest du da?“

„Es ist vorbei“, hauchte sie ihr entgegen und umarmte sie überschwänglich für einen Augenblick,“ Es wird alles wieder gut.“

„Was …“ ,begann Leonor verständnislos, doch unterbrach sie ihre Frage selbst, als sie auf einmal lautes Getöse von draußen hereindringen hörte. Nun blickte auch sie hinauf zu dem kleinen Fenster, das mit einem Mal all ihre Hoffnung wiederspiegelte. Eine Hoffnung die so schwach war, wie das Licht, das durch die Gitter fiel und doch so stetig wie der Schnee, der andauernd hinein rieselte.

„Was geschieht da draußen?“, wollte Leonor nun wissen.

„MacNamara.“, antwortete Lea spärlich und sackte zurück auf den harten Boden.

„Seamas MacNamara?“, wollte Leonor schockiert wissen. Kannte sie doch die fürchterlichsten Geschichten über diesen Mann, den alle fürchteten und doch so begehrten, sei es als Krieger oder Mann.
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„Ja, er rettet uns.“

Leonor starrte sie ungläubig an und keine der beiden Frauen sagte mehr ein Wort.







Kapitel 21

„Der Tag ist nur der weiße Schatten der Nacht“

Heinrich Heine



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Sie hörten schon seit Stunden Schreie, lautes Getöse und ab und an verzweifeltes Wimmern. Hörten knisternde Flammen und in der Ferne die sich ständig wiederholenden Rufe:

„Angriff“, oder:“ Bogenschützen“, und immer wieder:“ Schützt das Tor.“

Sie saßen beide dicht nebeneinander, hielten sich an den Händen und starrten unaufhörlich auf das kleine Fenster. Ständig änderte sich draußen die Stimmung, mal hörten sie lautes Jubeln, dann mal wieder eine fast unerträgliche Stille und immer wieder diese verzweifelten Schreie.

„Es sterben so viele.“, flüsterte Leonor und legte ihren Kopf auf Leas Schulter. Doch sie schwieg, schloss nur einmal ihre Augen und war überrascht wie schnell man sich doch an den Tod gewöhnen konnte. Stumpfte sie etwa ab? War ihr Herz so gebrochen, dass sie den Schmerz der Anderen nicht mehr wahrnahm? Wie sollte sie ihrer Mutter beichten, dass ihre Schwester tot war und die Schuld zum Teil wohl doch bei ihr lag? Wie sollte sie MacNamara gegenübertreten, nachdem, was sie gesehen hatte? Könnte sie überhaupt jemals wieder ins normale Leben zurück finden?

Ein tiefer Seufzer durchzog ihre Lunge und sie schloss müde ihre Augen. Sie wußte gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal richtig geschlafen hatte und schon gar nicht, wann sie etwas gegessen hatte. Doch das war nicht wichtig! Denn wenn es nicht ihr Schicksal, war gerettet zu werden, dann würde sie so oder so das Essen verweigern und all denen, die wegen ihr gestorben waren und denen, die es in dieser Nacht noch taten, unweigerlich folgen.

Auf einmal hörten sie, wie hartes Metall in der Nähe ihrer Zelle auf einander schlug und erschrocken blickten sie über ihre Schultern zur Tür. Einen Augenblicklang sahen sich die beiden Frauen ängstlich an und da hörte Lea auf einmal ihren Namen. Es war Seamas, er schrie ihn außer sich vor Wut durch die hallenden Katakomben.
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Mühevoll, mit zitternden Knien erhob sich Lea, auf Leonors Schulter gestützt.

„Ich bin hier“ Ihre Stimme versagte erbärmlich und sie fasste sich an ihren Hals, der sich langsam bläulich verfärbte und zu schmerzen begann. Schwer schluckte sie, holte Atem und auf einmal schrie sie schon fast hysterisch klingend:“ Seamas.“

Keine Sekunde später sprang auch schon die Tür auf und er stand mit gezogenem Schwert und überaus wütendem Blick vor ihr. Lea sah ihn reglos an, nur ihr Atem raste und ihr Herz schien sich fast zu überschlagen. Starr betrachteten sie sich, keiner bewegte sich, als würde nur der kleinste Schritt, alles was sie hatten, wegwischen.

„Bitte … bitte, helft uns?“Es war Leonor, die diese seltsame Stille flehend unterbrach und ihn wieder in die harte und kalte Realität zurück holte. Denn er glaubte nicht, was er vor sich sah. Denn dort stand seine wunderschöne Leathendra, verletzt, schmutzig und emotionslos. Langsam, als würde ein böser Bann ihm den Eintritt verwehren, betrat er ihre Zelle und ging zögernd auf die beiden Frauen zu. An seinem Schwert, das er nun zögerlich herab senkte, klebte Blut, genau wie an ihm. Er wirkte müde, erschöpft und seine Muskeln waren vom langen Kämpfen angespannt.

Ihre Augen veränderten sich nicht, als er immer näher kam und so blieb er auf einmal abrupt stehen, etwas entfernt, und fragte sie mit kühler Stimme:“ Geht es dir gut?“

Sein Blick schien wütend und seine Mimik war hart und so nickte Lea schlicht, ohne einen Ton von sich zu geben. Er wollte sie so gerne in seine Arme nehmen, an sich drücken und ihr sagen wie viel Angst er um sie gehabt hatte. Doch ihre unterkühlte Art, ihre ablehnende Haltung ihm gegenüber, hielt ihn schweren Herzens zurück.

Was hatte er ihr nur angetan, wie konnte er nur so dumm sein?

Kenneth stürmte auf einmal herein und schien sichtlich erleichtert zu sein, dass die Lady wohlauf zu sein schien. Schwer Atmend steckte er sein Schwert zurück in die Scheide und rieb sich durch sein dunkelblondes Haar.

„Mach sie los Kenneth und bring sie nach oben.“

MacNamara sah ihr die ganze Zeit in die Augen, während er seinem Freund Befehle erteilte, dann wandte er sich abrupt ab und verschwand.
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Erst jetzt konnte Lea wieder klar denken und wäre beinahe zusammengebrochen, wäre Kenneth nicht zu ihr gestürmt, hätte sie nicht an ihrem Ellenbogen gepackt und gestützt.

„Setzt Euch Lea, ich löse die Ketten.“

Sie gehorchte seinen besorgt gesprochen Worten und nahm ganz langsam Platz, Leonor drückte sich dicht hinter sie.

„Es ist schön Euch zu sehen, Kenneth.“, brachte sie endlich mit rauer und weinerlich klingender Stimme hervor und ein warmes lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, während er sagte:“ Es ist auch schön Euch zu sehen und es tut uns wirklich leid, dass es so lange gedauert hat.“

Auf diese ehrlich gesprochenen Worte hin, musste Lea sogar etwas schmunzeln und meinte überaus dankbar:“ Ihr habt mich gefunden, seid gekommen und nur das alleine zählt.“

Endlich war sie vom Eisen befreit und Lea meinte, ihren Knöchel reibend:“ Kenneth …“ Er blickte ihr direkt in die gerötete Augen. Weinte sie etwa tatsächlich? Er hatte sie während der ganzen Zeit noch nicht einmal weinen gesehen, doch hier und jetzt, das machte sie nur noch menschlicher und sie wirkte auf ihn auf gar keinen Fall schwach.

„Das ist Leonor MacBrownan, sie ist die letzte Überlebende dieses Clans, bitte befreie auch sie von ihren schweren Ketten.“

In seiner Aufregung war ihm die andere Frau hinter ihr gar nicht aufgefallen, doch als er nun um Lea herumschaute, sah er eine wunderschöne, völlig verschmutzte und ausgehungerte junge Frau, mit Augen so blau wie der Himmel an einem heißen Sommertag.

„Leonor, das ist Kenneth, ein treuer und loyaler Krieger des MacNamara Clans.“

Sie nickte ihm scheu zu und legte etwas zögerlich ihren Knöchel frei. Gekonnt, sie krampfhaft nicht anstarrend, brach er das Schloss auf und sah ihre Wunden darunter. Fragend sah er sie wieder an. Wie lange war sie schon hier unten gefangen, was hatte man ihr bloß alles angetan?

Lea erhob sich etwas schwerfällig und strich sich über den schmutzigen Stoff ihres Kleides, als würde es etwas bringen wenn sie das tat. Kenneth wollte voraus gehen, doch als sie die Schwelle ihres Kerkers übertreten wollten, hielt Leonor inne und schwankte bedenklich. Sofort packte er sie und nahm sie auf seine Arme. Sie dachte gar nicht darüber nach, als sie ihre Arme um seinen Hals schlang, ihren Kopf auf seine Schulter legte und müde sagte:“ Ich danke Euch.
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Freundlich lächelte er ihr zu, sagte aber nichts. Jetzt ging Lea voran, die steilen Stufen nach oben und sie bemerkte wie die schwere Luft sich langsam verbesserte und nach und nach aus ihren Lungen wich. Vor einer wuchtigen Holztür mit dicken Eisenverschlägen hielt sie inne und sah Kenneth bleich an.

„Was erwartet uns dort draußen?“

Kenneth blickte an ihr vorbei zur Tür, gab ihre aber keine Antwort, denn er wusste nicht, wie er den Tod erklären konnte, ohne sie zu schocken. Das war es nämlich, was sie dort draußen überall erwartete, der Tot. Lea verstand es trotzdem, nickte und schob mit ihrer Schulter die schwere Tür auf. Ein lautes Scharren und schon stand sie offen.

Es war dunkelste Nacht, Fackeln brannten und überall lagen Leichen herum. Scharf zog Lea ihren Atem ein und versuchte ruhig zu bleiben. Leonor hingegen versteckte ihr Gesicht an Kenneth Hals. Doch auf einmal wurde ihr bewusst wie unangenehm sie roch, sie bemerkte es erst jetzt, da sie dem Gestank des Kerkers entkommen war und sie schämte sich so sehr.

„Bitte, lasst mich herunter, es geht mir besser.“

Verwundert sah er sie an, ließ sie aber herab und stellte sie sacht auf ihre Füße. Ohne ihn noch einmal anzusehen, oder etwas zu sagen, stürmte sie vor, zu Lea und ergriff fast panisch ihre Hand. Erschrocken blickte diese zu Leonor, als sie ihre kalten Finger spürte und erklärte ihr eindringlich:“ Sieh nicht hin, schau mich an, nur mich.“

Stumm nickte ihre neu gewonnene Freundin und sah ihr starr ins Gesicht. Kenneth trat nun vor sie und meinte:“ Folgt mir.“

Dann ging er voraus. Während Leonor Leas Worten gehorchte, sah sie sich schweigend um. Der sandige und steinige Boden war getränkt von Blut. Es roch nach Rauch, verbranntem Fleisch und ab und zu vernahm sie ein schmerzvolles Stöhnen. Auf einmal erkannte sie die Farben des MacKneele Clans und da stand Malcolm, ungläubig blickte er sie an. Mit einem Mal zeichnete sich ein Lächeln auf seinen schmutzigen Wangen ab und er verbeugte sich tief vor ihr, wie die Krieger, die dicht bei ihm standen. Nur Wilbert konnte sie nirgends sehen und eine schmerzliche Besorgnis machte sich in ihr breit.
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Beschämt senkte sie ihren Blick und sah auf den erhobenen Saum ihres Kleides und somit auf ihre Füße, die den blutigen Hof durchschritten. Nach einem kurzen Marsch betraten sie endlich die Burg und durchquerten eine große Eingangshalle, in der auch tote Männer lagen. Lea spürte, wie sich Leonors Hand in der ihren versteifte und dass sie ganz leise weinte. So zog Lea sie noch etwas dichter an sich heran und streichelte mit ihrer anderen Hand ihr einmal kurz über die verfilzten Haare. Sie kannten sich erst wenige Stunden, doch schienen sie mit einander verbunden zu sein. Mit einem Schicksal, das so hart um sie geschlungen lag wie eine schwere eiserne Kette, von der man nicht so leicht zu befreien war.

Vor der großen Tür, die in den Saal führte, hielten sie inne und Kenneth öffnete diese mit einem starken Stoß. Kraftvoll flog sie auf und alle wandten sich ihnen erschrocken zu. Lea fühlte sich so schmutzig, so erniedrigt, am liebsten wäre sie davon gerannt und hätte sich irgendwo versteckt. Nervös zupfte sie einmal an ihrem zerrissenen Ärmel, der herab hing und die schmutzige Wunde an ihrem Arm freilegte.

Was versuche ich da nur unmögliches, schoss es ihr auf einmal durch den Kopf. Es war nicht ihr Naturell, dachte sie, sie hatte sich noch nie um die Gedanken der anderen geschert, was sie und ihr Auftreten betraf und sie war noch niemals vor etwas davon gelaufen. So sah sie Kenneth nach, wie er durch die Menge von Soldaten lief, die langsam eine Gasse bildeten, Lea immer noch anstarrend. Da hob sie ihr Haupt an, straffte ihre Schultern und folgte ihm, kerzengerade wie eine Königin, Leonor hinter sich herziehend. Sofort sah sie MacNamara, er stand breitbeinig, den Rücken ihr zugewandt am anderen Ende der Halle und vor ihm knieten Alek und Eddi MacFhinn. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt und sie starten stumm zu Boden. Sie bluteten und schienen atemlos vom Kampf. Aleks Gesicht blickte auf einmal starr zu MacNamara auf, während Eddi vor Angst fast zu sterben schien. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er tatsächlich gerade erst dem Kindesalter entsprungen war. Sie waren anscheinend die letzten Überlebenden ihrer Familie.

Lea sah wieder auf seinen breiten Rücken und bewegte sich langsam auf ihn zu. Er rührte sich nicht, er schien noch nicht einmal zu atmen.
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„Welchen Tod wünscht Ihr Euch?“, fragte er die beiden Brüder brüllend und während Eddi fast zu Tode erschrak, antwortete Alek ihm unmissverständlich:“ Den Euren … und den dieser englischen Hure.“

Mit diesen Worten blickte er an MacNamara vorbei und Lea, die gerade neben ihm stehen blieb, direkt ins Gesicht. Sofort zog MacNamara sein Schwert und wollte ihn für diese Worte richten, doch Lea berührte sacht seinen Arm und er hielt augenblicklich in seiner Bewegung inne. Starr sah er auf ihre zarten schmutzigen Finger, die seine mit Blut und Dreck verkrusteter Haut berührten, als wäre es nichts. Für eine Sekunde war es, als gäbe es nur sie und ihn, doch leider war der Moment zu kurz und ihre Hand schnell wieder verschwunden. Ein warmes, dankbares, wenn auch sehr zurückhaltendes Lächeln lag endlich in ihren Augen als sie ihn ansah und er senkte seine Waffe langsam wieder. Es überraschte ihn nicht mehr, wie sehr sie ihn doch besaß, wie sehr er unter ihrer Kontrolle stand und wie sehr er sich ihre Liebe und ihre Vergebung wünschte.

„Ihr hört auf dieses Weib? Ihr seid mehr ein Hund als ein Krieger! Ihr seid erbärmlich!“

MacNamara sah, wie sich ihr Blick wieder veränderte, traurig und müde wurde und er nahm einen tiefen, tonloser Seufzer wahr, der ihren erschöpften Körper durchzog. Erst jetzt spürte er auch, wie entkräftet er sich fühlte und am liebsten hätte er sich irgendwo verkrochen.

Aber er sah ihr zu, wie sie samt Leonor auf Alek zu trat und dicht vor ihm stehen blieb. Ungerührt blickte sie auf ihn herab und erklärte ihm mit ruhiger, fast schon sanfter Stimme: „Nein, nicht erbärmlich, nur treu einem Versprechen gegenüber, Worte die Euch anscheinend fremd sind.“

„Die englische Hure und Ihr getreuer schottischer Köter!“, spuckte Alek angewidert hervor, weil er nichts dagegen sagen konnte und da vergaß sich Lea auf einmal. Zum aller ersten Mal in ihrem Leben behielt sie nicht die Ruhe, um somit zu trotzen. Sie dachte nur noch an ihre zerstörte Familie, an ihre Schwester, an Jason, an diese stetige Angst in jeder Sekunde, an ihre beinahe Vergewaltigungen, an all die toten Menschen draußen vor der Tür. So ballte sie ihre Faust und schlug ihn mit einem kräftigen Schlag so hart, dass er zur Seite kippte und Blut aus seinem Mund floss.
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Ein lauter jubel folgte ihrer Tat, doch Lea schämte sich für diese liderliche Schwäche.

Mit schmerzverzehrtem Gesicht schüttelte sie ihre pochende Hand aus und rieb dann fest über ihre Knöchel. Sie spürte wie jemand ihre Schultern sanft umschlang und sie umdrehte, es war der Laird. Er beugte sich zu ihr herab und hob ihr Kinn mit seinem Zeigefinger etwas an, jetzt blickte sie ihm direkt in seine Augen. Sofort wollte er sie küssen, die verkrustete Wunde an ihrer Wange streicheln und ihren bläulich verfärbten Hals liebkosen, sie an sich drücken und wieder und wieder Küssen. Doch erkannte er Schmerz in ihrem Blick, einen Schmerz, den er verursacht hatte und so flüsterte nur:“ Ich habe eine Überraschung für dich.“

Lea runzelte ihre Stirn. Eine Überraschung? Hier und jetzt? Langsam trat er zur Seite und zeigte in eine Richtung. Sofort folgte sie seiner Hand und glaubte den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihre Knie wurden weich und sie schüttelte ungläubig, nicht fähig zu atmen, ihren Kopf.

„Wir fanden sie in den Wäldern.“, hauchte er ihr entgegen und da riss Lea sich von Leonor los und rannte so schnell sie ihre Beine trugen. Sie fiel hart auf ihre Knie und umschlang Sibylle fest mit ihren Armen. Sofort viel die dicke Decke von den kleinen Schultern herab und ihr Kopf ruhte schluchzend am Hals ihrer großen Schwester.

„Oh mein Gott… ich dachte du wärst verloren … oh mein Gott … Danke, Himmel, danke Seamas“, weinte Lea und drückte sie noch etwas fester an sich. Sibylle wäre in sie hinein gekrochen, wäre dies nur möglich gewesen. Durch die unglaublich stille Halle hörte man ihr leises, kindliches Jammern und Leas erleichtertes Weinen.

Auf einmal sah sie den Priester der sie getraut hatte, wie er unsanft in die Halle geführt wurde. Er hatte sichtlich Angst zu sterben und dies wurde nicht besser, als er diesen riesigen Laird vor sich sah, dessen Geschichten über ihn selbst der Kirche Angst einjagte.

Da sah Lea Niall, der ihn an der Schulter festhielt und wütend zu sein schien. Doch als er sie bei ihrer Schwester entdeckte, funkelten seine Augen freundlich und erleichtert zu ihr herab.

„Mylady“, hörte sie ihn beruhigt, fast schon erleichtert sagen.
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Doch schnell war dieser Moment wieder vorüber und er zog den Priester aufgebracht mit sich. Vor den MacFhinns Brüdern warf er ihn unsanft auf seine Knie. Sein dicker Bauch konnte sich gar nicht schnell genug heben und senken, so sehr raste sein Atem. Schweiß rann über sein Gesicht und er war unsagbar bleich. Mit gefalteten Händen setzte er sich auf die Knie und nur allein sein Blick flehte um sein Leben.

„Der Dicke will uns etwas beichten.“, meinte Gordy, der mit MacNamara nach vorne trat und es ihm mit seinen verschränkten Armen gleichtat. Alle Augen waren nun auf den Priester gerichtet, doch in seiner unbeschreiblichen Angst, brachte der keinen Ton heraus. Stumm bebten seine wurstartigen Lippen auf und nieder, wie ein Fisch, der am ersticken war.

„Wo ist die Urkunde?“, wollte MacNamara umgehend wissen, er konnte seine Stimme kaum kontrollieren, wurde sie doch überschwemmt von seiner Wut. Mit erkämpfter Geduld er sah zu, wie der Priester einen gefalteten Brief unter seiner schlichten Robe hervorzog und ihm zitternd reichte.

„Sie ist nicht gültig.“, brachte er auf einmal hervor und war erleichtert, dass er endlich wieder sprechen konnte. Da schrie ihn Alek MacFhinn lauthals an:“ Was sagst du da, du elender Wurm?“

Doch der Priester blickte nur auf MacNamara und dieser nahm ihm die Urkunde aus den verkrampften dicken Fingern. Langsam erhob sich Lea und trat zögernd wieder nach vorne, Sibylle umklammerte fest ihre Röcke.

„Wiederhole deine Worte.“, befahl MacNamara barsch mit zusammen gebissenen Zähnen und der Priester kniete sich vor ihn, faltete seine Hände erneut in der Luft, wie zum Gebet, bevor er erklärte:“ Es fehlt meine Unterschrift und das Siegel der Kirche, ich habe es noch nicht beglaubigt. Ich hatte ein ungutes Gefühl … ich konnte einfach nicht …“

„Du elender Bastard“, unterbrach ihn Alek und gab ihm einen festen Tritt gegen seinen Rücken, sodass er nach vorne kippte und auf den harten Steinboden aufschlug. Lea ging neben ihm auf die Knie und half ihm unbeholfen wieder etwas auf. Er sah sie an und tätschelte ihre fürsorgliche Hand, dann meinte er auf einmal zu ihr:“ Ihr seid eine Bradley, Ihr seid doch seine Tochter … ich konnte das nicht tun.“

Lea atmete erleichtert aus, Tränen standen in ihren Augen, dann umarmte sie ihn, denn sie wusste, dass er damit sein Leben aufs Spiel setzte und das ohne zu wissen, was noch geschehen würde.
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Deshalb flüsterte sie ihm zu:“ Ich danke Euch … Bei Gott, danke.“

Niall lachte und nachdem Lea sich wieder erhoben hatte, klopfte er dem Geistlichen hart auf die Schulter, was ihn wieder beachtlich zum Wanken brachte.

„Was hast du nur für ein Glück, alter Haudegen.“, meinte Gordy und verschränkte seine Arme vor der Brust. Innerlich war er über die Maßen erleichtert, denn es lag ihm fern einen Mann der Kirche zu töten, auch wenn sein Glaube ein anderer war, brachte dies immer Ärger mich sich. Aber er hätte es getan, wenn es dem Wohl ihres Schützlings entsprach-

„Du Scheißkerl.“, fauchte Alek und kämpfte sich auf seine Beine. Doch schon spürte er das kalte Metall von MacNamaras Schwert an seiner Kehle. Hochnäsig schielte er darauf und bewegte sich keinen Millimeter.

„Was sollen wir mit ihnen machen, Lady Bradley.“

Er betonte ihren Familiennamen ausdrücklich, damit alle es verstanden, sie war nicht verheiratet mit diesem Bastard.

Müde blickte sie auf MacNamara der ihr diese Frage gestellt hatte und dann auf Leonor, die etwas verloren in ihrer Nähe stand.

„Fragt das nicht mich, Laird MacNamara, mein Schaden hält sich Gott sei Dank in Grenzen. Fragt Leonor MacBrownan, denn ihr Schmerz und ihr Verlust wiegt um einiges schwerer als der meine.“

Sein Herz wurde schwer bei ihrer plötzlich förmlichen Anrede. Alle Augen richteten sich nun auf die junge Frau, die nun wieder dicht an Leas Seite stand und die beiden letzten der MacFhinn ansah.

„Wollt Ihr, dass wir sie töten und Eure Familie rächen, Frau?“, fragte MacNamara mit dunkler Stimme und sah sie dabei hart an. Leonor spürte seine Augen und die Augen aller Anwesenden auf sich gerichtet und schloss die ihren für einen Augenblick. Leise sprach sie nach einem kleinen Moment:“ Dann bin ich nicht besser als sie es sind.“

Aleks Atem ging schwer, er schwitzte und zitterte vor Wut. Eddi hingegen blieb die ganze Zeit stumm und starrte auf die kalten Steine. Er war noch jung, vielleicht nur ein Jahr älter als sie es waren und es schien, als wär es seine erste und wahrscheinlich letzte verlorene Schlacht.
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Jetzt sah sie den Laird an, doch hielt sie seinen kalten grauen Augen nicht stand, als sie ihm erklärte:“ Ich will, dass man sie einsperrt, verurteilt und dass sie nie wieder das Tageslicht erblicken. Ich will, dass sie über ihre Taten nachdenken müssen und ich will, dass sie einsam sind, bis ihr Verstand durchdreht.“

Stumm nickte MacNamara und befahl seinen Männern laut:“ So soll es sein! Sperrt sie ein, wir bringen sie nach Dun-Eideann (Edinburgh) sobald das Wetter besser ist, soll der König entscheiden ob er ihren Kopf will oder nicht.“

Sofort gehorchten seine Männer und brachten die Gefangenen aus der Halle. Während Eddy schwieg, schrie Alek aus tiefster Seele:“ Niemand wird mich Köpfen, geschweige den einsperren. Ich bin ein MacFhinn, wir haben Geschichte geschrieben und viele Verbündete säumen die rechte und linke Seite des Königs. Ich werde wieder frei kommen und euch alle abschlachten, wenn ihr nicht mehr an mich denkt und diese englische Schlampe wird mein Bett …“

Er konnte nicht zu Ende Sprechen, denn Gordy schlug ihn mit einem Schlag zu Boden und er war verstummt.

„Gott, ging der mir auf die Nerven.“, meinte dieser, lud ihn mit Leichtigkeit auf seine Schulter und trug ihn fort.

Leonors Hand drückte Leas einmal fest und sie flüsterte ihr zu:“ Danke.“

Lea schmunzelte nur, nahm ihre Schwester an der Hand und sie verließen diesen viel zu vollen Ort. Sehnsüchtig sah er ihr nach, doch wagte er es nicht ihr direkt zu folgen, sie brauchte Zeit, bevor er noch einmal versuchte mit ihr zu reden. Wusste er ja auch nicht, was in der Zeit, in der sie hier war, mit ihr geschehen war. Und das wiederum machte ihn so wütend, dass er den beiden Brüdern am liebsten eigenhändig die Köpfe abgeschlagen hätte. Doch dann drang der Gedanke in sein Bewusstsein, dass er sie vielleicht dazu getrieben hatte, zu gehen ohne Hilfe erbeten zu haben. Mit dem was er ihr angetan hatte, hatte er wahrscheinlich ihre Unbeschwertheit zerstört, auch wenn er keinen Finger dazu gerührt hatte. Dies wiederum wusch die Wut davon und machte ihn einfach nur unglaublich traurig.

„Mylady“, es war Kenneth der Leonor ansprach und sie blickte sich erschrocken zu ihm um.

„Wollt Ihr nicht hinaufgehen, Euch etwas ausruhen. Ich lasse Euch etwas zu Essen bringen.
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„Essen …“, flüsterte sie fast unhörbar und Dankbarkeit ließ ihr Herz beinahe platzen, als sie mit Tränen in den Augen nickte und Lea folgte.

Lea gab Sibylle in die vertrauenswürdigen Hände von Adair, der sie und Leonor in ein Zimmer nach oben brachte, während sie unbedingt frische Luft brauchte. Sie trat nach draußen und blieb auf der obersten Stufe stehen. Die Nacht war Sternenklar und der Mond erhellte mit seiner vollen Erscheinung die Dunkelheit. Tief sog sie die kalte und frische Luft ein und hielt sie für einen Moment in ihren Lungen gefangen, während sie vollkommen erschöpft ihre Augen schloss.
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Kommentare zur Story:

  Gewaltige Kämpfe toben um Brownan Castle. Wird MacNamara siegen? Hat sich sehr echt gelesen und ich war sogar ein wenig gerührt. Romantischer schöner Abenteuerliebesroman.  
   Petra  -  16.08.10 15:25

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