Der Hüter des Drachen - Kapitel 9   387

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Robin van Lindenbergh      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 17. November 2009
Bei Webstories eingestellt: 17. November 2009
Anzahl gesehen: 2609
Seiten: 9

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Es würde Stunden, wenn nicht sogar Tage dauern bis Treban die Geheimnisse seines Vaters kannte und solange würden wir ihn nicht wissen lassen, dass wir beide frei waren. Ich muss zugeben, es gab keinen richtigen Plan. Ich wusste nur, dass ich den Kaiser lieber heute als morgen tot und meinen kleinen Bruder auf dem Thron sehen wollte.

Niemand beachtete mich im Palast. Die Wachen wussten, dass ich dem Kaiser treu ergeben war und wenn ich irgendwo hinging, dann nur auf Befehl meines Herrn. Fünf Jahre lang hatten sie teils schmerzhaft gelernt, dass ich niemanden zwischen mich und meinen Gehorsam kommen ließ und wenn nicht ich sie bestrafte, dann tat es der Kaiser.

So wunderte es mich nicht, denn niemand hielt mich auf, als ich zielstrebig in Trebans Gemächer ging. Eigentlich hatte ich ohne die Anwesenheit des Prinzen dort nichts zu suchen, aber in den Augen der Wachen hatte ich meine Gründe. Also ließen sie mich passieren.

Die Räume meines Bruders waren leer wie immer, denn der Kaiser ließ immer noch keine Diener zu ihm. Das würde sich erst ändern, wenn sein Vater ihn offiziell zu seinem Nachfolger ernannte. Eine Voraussetzung dafür, dass er ihn ablösen konnte. Der Kaiser wollte sich erst einmal sicher sein, dass er dem Volk einen Sohn präsentierte, der seinen Vorstellungen entsprach.

Aber Trebans Räume waren nicht mein Ziel, sondern nur ein ruhiger Ort, an dem ich nicht gesehen wurde, als ich mich mit einem Satz von Balkon in den Hof schwang. Die Zimmer lagen nach hinten heraus, sodass mich niemand bemerkte. Schnell und lautlos glitt ich durch den Palasthof, verbarg mich in den Schatten des späten Abends bis ich die Palastmauer erreichte. Es war so leicht sie zu überwinden und ich wunderte mich beinah, dass ich nie zuvor daran gedacht hatte. Mit einem kräftigen Sprung war ich auf der Mauer und ließ mich auf der anderen Seite nach unten gleiten.

Ich hatte den Palast verlassen, zum ersten Mal ganz alleine seit ich vor über fünf Jahren dieses Tor freiwillig durchschritten hatte, ein dummer Junge voller falschem Idealismus. An diesem Abend hatte ich mein Leben und meine Freiheit leichtfertig weggeworfen und nun stand ich einen Moment unsicher auf dem Straßenpflaster und atmete schwer die Luft der Freiheit ein. Sie brannte in meinen Lungen.

Aber ich durfte nicht zu lange herum stehen und genießen.
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Der Palast war umgeben vom Regierungsbezirk mit den Häusern der Minister und einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes. Die meisten Gebäude hier waren beinah kleine Kopien des Palastes und man sah ihnen den Wohlstand ihrer Bewohner an. Aufgrund der Bewohner gab es hier beinah genauso viele Wachen wie im Inneren des Palastes, die in regelmäßigen Patrouillen durch die Straßen zogen. Diesen durfte ich auf keinen Fall in die Hände fallen, sonst würde der Kaiser sofort Verdacht schöpfen.

Meine Drachensinne warnten mich jedes Mal, wenn sich die Männer näherten. Ihr Geruch und die Geräusche ihrer schweren Stiefel waren für mich laute Warnsignale. Immer wieder musste ich mit den Schatten verschmelzen.

Erleichtert atmete ich auf, als ich das Regierungsviertel verließ, denn in der Stadt konnte ich mich relativ frei bewegen. In einer einzigen Beziehung war der Kaiser freundlich zu mir gewesen, denn er hatte mich nie als seinen Sklaven kennzeichnen lassen. Im Gegensatz zu manch anderem Sklaven hatte ich kein Brandmal und trug auch keine Eisenringe um meine Handgelenke. Der Herrscher war sich meiner zu sicher gewesen und hatte mich zu oft im Geheimen agieren lassen, da wären die Merkmale zu auffällig gewesen. So fiel ich niemandem in der Stadt auf, denn ein herrenloser Sklave hätte viel zu viele Fragen beantworten müssen.

Mit dem Trubel der Stadt ließ ich mich durch die Straßen treiben und genoss es in der Menge zu verschwinden. Für jeden Beobachter musste ich den Eindruck eines interessierten Besuchers machen, der ziellos durch die Stadt schlenderte. Dabei war mein Ziel ganz klar.

Nach kaum einer halben Stunde erreichte ich den Händlerbezirk. Wie auch in Balrob war die Straße der Tuchhändler eine der reichsten im ganzen Viertel. Auch hier waren es prächtige Gebäude mit prunkvollen Eingängen zu den Läden, wo die wertvollen Stoffe ausgestellt lagen. Obwohl es fünf Jahre her war, hatte ich den bekannten Geruch sofort wieder in der Nase. Schmerzhaft wurde mir die verlorene Zeit bewusst. Fünf Jahre!

Obwohl es mittlerweile schon später Abend war, waren hier noch einige Leute auf der Straße unterwegs. Die meisten von ihnen trugen feine Garderobe, so als wären sie für ein Fest gekleidet. Alle strebten auf eins der Häuser zu und ich beschloss, dass es am unauffälligsten war, wenn ich mich einfach vom Strom mitreißen ließ.
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Meine schwarze Robe war zwar nicht fein, aber auch keine Sklaventunika.

Das Ziel der Menschen war ein Anwesen am Ende der Straße, das bei weitem das prächtigste in der ganzen Straße war. Säulen schmückten die Fassade und man konnte sehen, dass das Warenlager voll der feinsten Stoffe war. Wir durchquerten das Vorderhaus und gelangten in einen geschmückten Garten. Ein Dreimannorchester spielte und es gab ein Buffet mit den prächtigsten Speisen, wie es sie auch am Hof immer gab.

Plötzlich verstummten die Gespräche und ein leises Klingeln ertönte, wie ein Löffel es an einem Kristallglas erzeugte. Alle sahen nach oben, denn auf einem der Balkone stand ein Mann in einer feinen, blauen Robe. Eine breite Kette zierte seinen Hals.

Lächelnd sah er auf seine Gäste hinab. Fünf Jahre, und dieses Lächeln hatte sich nicht verändert. Orin war immer noch so gut gelaunt und offen wie er es immer gewesen war.

„Liebe Freunde, werte Gäste“, sagte er und nickte dabei dem einen oder anderen freundlich zu. Ich blieb in den Schatten verborgen, denn schließlich wollte ich ihn nicht erschrecken. Ich wusste ja noch nicht einmal, ob und wie er mich begrüßen würde.

Während Orin seine Begrüßungsrede hielt, erklomm ich unauffällig einen der Bäume am Rande des Hofes und stemmte mich von da auf einen der Balkone. Er war gerade fertig als ich den Raum hinter dem Balkon erreichte, wo er gesprochen hatte.

„Du hast ein Talent zum Reden“, sagte ich und sah ihn zusammenfahren.

Bleich sank mein Freund auf einen der Stühle im Raum und starrte mich an. „Bist du es wirklich oder ist es der Sklave des Kaisers?“

„Derzeit noch beides, aber wieder ganz ich.“

„Dann hast du wieder einen Namen?“

„Für dich Okuon, für alle anderen ist alles noch beim Alten.“

„Aber es ist Nacht und du bist ein Mensch.“

Ich beschloss ihm kurz zu erklären, was geschehen war. Schweigend hörte er zu.

„Du bist wahrscheinlich noch verwirrt von dem Trank“, erklärte er als ich fertig war. „Du vertraust der Brut dieses Teufels? Komm, ich kann dir ein Schiff besorgen, dass dich noch heute von hier wegbringt.
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„Treban ist nun wie ich und ich vertraue meinem Bruder. Wenn ich jetzt gehe, lasse ich ihn und die Drachen im Stich. Wollest du nicht einmal alles tun, um sie zu befreien?“

„Das ist lange her, bevor ich in den Kerkern des Kaisers gelandet bin um dort zum Tode verurteilt zu werden.“

„Kannst du mir eigentlich sagen, wie ihr damals entkommen seid?“

„Das weißt du nicht? Du hast uns befreit. Du bist nachts in die Kerker gekommen, hast wie der Blitz die Wachen überwältigt, die Gitter abgerissen und dann bist du einfach verschwunden.“

Dann war es kein Traum gewesen. Ich hatte es geschafft mich gegen den Kaiser durchzusetzen. Schon damals und unter Einfluss des Trankes. Irgendwie war ich stolz drauf, dass der Kaiser meinen Geist anscheinend nie ganz gebrochen hatte.

Unten auf dem Hof hörte man nun immer lauter die Geräusche des Festes.

„Bist du zum Feiern hier, Okuon?“

Ich schaute mich in dem Raum um, in dem wir saßen. Alle Möbel und die ganze Ausstattung zeugten vom Geschmack und Reichtum und auch Orins Garderobe wies ihn als wohlhabend aus. „Du scheinst die Jahre gut genutzt zu haben. Was gibt es zu feiern?“

„Die Geburt meines Sohnes. Es ist mein erster.“

„Gratuliere.“ Wäre alles anders verlaufen, ich könnte auch bereits eine Familie haben, Kinder, eine Frau. Ich konnte es nicht mehr verhindern. Ich musste die Frage stellen, die mich beschäftigte seit ich wieder bei Verstand war. „Weißt du etwas von Jianne? Wo ist sie, Orin?“

Er sah weg, sah mich nicht an, sondern starrte kurz an die Wand. „Okuon, sie ist hier. Sie hat…“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, aber ich verstand. Sie war seine Frau geworden und hatte sein Kind geboren. Wieso hatte ich geglaubt, dass sie auf mich warten würde? Ich sollte mich freuen, dass sie ihr Glück gefunden hatte mit einem freundlichen Menschen wie Orin.

„Geht es ihr gut, ist sie glücklich?“

„Sie ist zufrieden, jetzt endlich.“

„Ich habe ihr damals versprochen, dass ich zu ihr zurückkehre, aber nun…“

„Ich denke, dass sie dich sehen will, aber ich glaube, es wäre besser, wenn du erst erledigst, was du tun musst. Sie würde es nicht ertragen dich wieder zu verlieren.
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Ich nickte, erst jetzt wurde mir bewusst, dass nicht nur mir der Kaiser die fünf Jahre gestohlen hatte. Mein Versprechen zu ihr zurückzukehren hatte anscheinend auch Jianne für Jahre gebunden und sie unglücklich gemacht. Wieder einmal hatte Orin sich als guter Freund und Retter gezeigt und dieses Mal sie statt meiner gerettet. Ich hoffte, dass sie gemeinsam glücklich werden würden.

„Ich verspreche es, ich kehre erst zurück, wenn ich ganz und gar frei bin.“ Als Mensch konnte ich lügen und so tat ich es. Ich würde nicht zu ihr zurückkehren und die alten Wunden aufreißen. Es war besser für sie, wenn sie mich vergaß. „Ich muss zurück, mein Prinz braucht mich.“

„Versprich mir nur, dass es nicht fünf Jahre dauert, bis ich dich wieder sehe.“

„Ich verspreche es.“



Auf dem Weg zurück in den Palast war ich mit meinen Gedanken nur bei Orin und Jianne. Ich wusste, dass ich mich für sie freuen sollte, das gebot mir mein logischer Verstand, aber immerhin war ich auch ein Mensch und der Kaiser hatte mich um noch etwas in meinem Leben gebracht – die Frau, die ich liebte.

Ich sah sie vor mir, wie sie lächelte, wie sie geweint hatte als ihr Vater sie verheiraten wollte. Ihre großen, staunenden Augen als sie mich das erste Mal gesehen und als sie mich auf dem Schiff erkannt hatte. Was wäre wohl geschehen, wenn ich vor fünf Jahren auf sie gehört hätte?

„Komm mit mir, Okuon. Wir verlassen dieses Stadt und dieses Land und gehen dahin, wo die Menschen und die Drachen frei sind.“

„Ich werde dafür sogen, dass auch hier Menschen und Drachen frei sind.“ Was war ich überheblich gewesen.

„Versprich mir, dass du zu mir zurück kommst.“

„Das verspreche ich. Bald bin ich wieder bei dir, Geliebte.“

Hätte ich gewusst, dass unser Kuss in dem Laderaum der Drachenherz damals der letzte gewesen war, ich würde sie noch heute küssen.

„Was treibt dich denn her?“

Ich war unaufmerksam gewesen. Ohne darauf richtig zu achten hatte ich bereits das Regierungsviertel erreicht und war prompt einer Patrouille direkt in die Arme gelaufen. Ich war plötzlich umringt von sechs Männern in kaiserlicher Uniform.
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Wie alle Soldaten waren sie mit langen Pieken bewaffnet, die nun drei von ihnen auf mich richteten. Der Anführer musterte mich im Licht einer einfachen Sturmlaterne, die er mit der Rechten über mich hielt.

„Nun, nun, wen haben wir denn da?“ fragte er. Sein Gesicht war so nah vor meinem, dass ich ohne Probleme sagen konnte, was er zum Abendessen gehabt hatte.

Ich spannte meine Muskeln an. Es wäre eine schöne, abendliche Trainingsrunde gewesen, die mir geholfen hätte, meinen Frust loszuwerden, aber glücklicherweise stoppte mich mein logischer Verstand. Wenn ich diesen Kampf begann, musste ich ihn bis zum Ende führen. Die Wächter nur außer Gefecht zu setzen hätte Fragen nach sich gezogen. Der Kaiser hätte sofort gewusst, welcher einzelne Mann in der Lage war eine komplette Patrouille mit bloßen Händen zu besiegen. Aber verhaften lassen durfte ich mich auch nicht.

Ich hatte auf die Fragen des Wächters noch nicht geantwortet.

„Sprich endlich, Bursche. Wer bist du? Zeig mal deinen Sonderpassierschein.“

„Meinen Passierschein? Oh, den habe ich leider verloren. Ich sollte gehen und ihn suchen.“

„Sehr witzig, Freundchen.“ Er rückte noch etwas näher an mich heran, sodass sich unsere Nasenspitzen beinah berührt hätten. „Na, dann komm mal mit und wir suchen wohl besser mal gemeinsam nach deinem Passierschein.“

Sein Mundgeruch überdeckte beinah einen anderen, immer stärker werdenden Geruch, der mir plötzlich in die Nase stieg. Ganz in der Nähe brannte etwas. Eine der Schicksalsgöttinnen musste doch noch etwas für mich übrig haben. Die Wache war für die Sicherheit verantwortlich und damit lagen auch Brände in ihrem Aufgabenbereich. Die halbe Stadt war aus Holzhäusern errichtet und auch ein kleines Feuer konnte große Zerstörung bedeuten, weshalb die Bewohner der Stadt schon winzige Funken regelrecht nervös machten.

„Sagt mal, riecht ihr das auch, Jungs?“ fragte ich und schnüffelte in der Luft um die Männer auf die Spur zu bringen. Es war meine Chance unentdeckt im allgemeinen Chaos zu verschwinden.

Zwei der Männer taten es mir nach, aber natürlich hatten sie nicht meinen feinen Geruchssinn. Beinah fürchtete ich, sie würden es noch gar nicht wahrnehmen.
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Aber dann steckte auch der Hauptmann seine Nase in die Luft und plötzlich rochen sie es auch.

„Das riecht ja nach Rauch. Woher kommt das?“

Suchend sahen sich die Männer um und glücklicherweise bemerkte ein Soldat in diesem Moment einen flackernden Schein zwischen den Häusern. Kaum zwei Straßen weiter brannte es in hellen, knisternden Flammen.

Die Soldaten stürmten bereits los zum Löschen, aber leider blieb der Hauptmann bei mir und hielt meinen Arm fest.

„Du glaubst wohl, dass ich dich einfach durch meine Finger schlüpfen lasse, Klugscheißer. Ist doch sehr praktisch, dass es gerade jetzt zu brennen beginnt, wo wir uns so nett unterhalten haben. Haben wir hier etwa einen kleinen Brandstifter?“

„Ich verspreche dir, dass ich damit nichts zu tun habe.“

„Na, wenn das so ist, kann ich dich ja laufen lassen“, sagte er sarkastisch und verstärkte den Griff um meinen Arm noch einmal.

Ich sollte ihn nicht verprügeln, aber ich muss zugeben, ich wollte es. Gerade wollte ich ihm meinen Arm entziehen und ihn direkt ins Reich der Träume schicken, als sich ein Schatten vom Dach des Gebäudes hinter uns löste und mit einem sehr eleganten Sprung beinah lautlos hinter dem Wächter landete. Sein Schlag war gezielt und so blitzschnell, dass der Hauptmann gar nicht wusste, wie ihm geschah, als er auf der Straße zusammensank. In den nächsten Stunden würde er sich nicht rühren und dann mit schrecklichen Kopfschmerzen zu sich kommen.

„Ich hoffe, ich habe dir nicht deinen Spaß vorenthalten, Bruder“, sagte Treban.

„Wie lange bist du uns schon gefolgt?“

„Lange genug, um enttäuscht von dir zu sein. So einfach in die hinein zu rennen, ich hätte mehr von dir erwartet.“

„Ich war in Gedanken. Ist das da dein Feuer.“ Ich wies in die Richtung, in die die Soldaten gerannt waren, wo bereits dunkler Qualm in den Nachthimmel aufstieg.

„Nur eine kleine Ablenkung. Ein Schuppen, ein wenig Drachenfeuer. Keine Angst, es wird niemand zu Schaden kommen.“



Immer wieder verschob der Kaiser den Termin, zu dem Treban offiziell als sein Nachfolger eingesetzt werden sollte. Obwohl ich jeden Tag vier, manchmal bis zu sechs Stunden mit ihm seine körperlichen Fähigkeiten trainierte, schien der Kaiser noch unzufrieden zu sein mit seinem Sohn.
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Treban hatte die Vereinigung gut getan, in den wenigen Tagen war sein Körper gereift. Wo vorher schlaksige, knabenhafte Züge gewesen waren, erkannte man nun deutlich einen rasch heranreifenden Mann. Seine Kraft, sein Geschick und seine Körperbeherrschung waren genauso übermenschlich wie meine. Auch sein Charakter hatte sich verändert. Für seinen Vater war er herrisch, egoistisch und machtgierig geworden, wie er es nach dessen Wünschen auch hatte werden sollen. Nur mir zeigte mein junger Freund sein wahres Ich. Treban war früher ein zu ernsthafter Mensch für einen Jungen gewesen, nun hatte der Drache ihm zwar Logik, Wissen und einen scharfen Verstand gegeben, aber auch eine gewisse kindliche Ungezwungenheit. Mir gegenüber war er verspielt und hatte zum ersten Mal seit wir uns kannten, sogar Spaß am Leben. Es tat mir weh, wenn er diese Seite verleugnen musste, sobald wir nicht mehr allein waren. Er sollte es ausleben, mit ausgebreiteten Schwingen durch die Nacht segeln können, er sollte glücklich sein.

Sobald der Kaiser ihn offiziell zu seinem Nachfolger erklärt hatte, konnten wir uns daran machen ihn zu stürzen. Ich zweifelte keine Sekunde, dass Treban ein besserer Herrscher werden würde als es sein Vater je hätte sein können. Immer wieder fragte ich mich ob seine Mutter Schuld an seinem guten Charakter war, aber der Kaiser hatte seine Konkubine samt Hebamme töten lassen, sobald sie seinen Sohn geboren hatte. Auch sie hätte verraten können, dass ihr Sohn ohne die göttlichen Mächte zur Welt gekommen war.

Die Frage blieb nur, was aus mir werden würde, wenn Treban erst einmal auf dem Thron saß. Bisher hatte ich es verhindern können über meine Zukunft nachzudenken. Einmal noch hatte ich Orins Haus aufgesucht, ihn aber nicht mehr gesprochen. Von einem sicheren Punkt aus, hatte ich einen langen Blick auf das Haus geworfen und sie tatsächlich gesehen. Jianne hatte so glücklich ausgesehen und so viel schöner als in meinen Erinnerungen. Sie hatte ein Baby im Arm gehabt und mit einem kleinen Mädchen lachend im Garten gespielt. So hätte meine Familie aussehen sollen.

Der Gedanke schürte meinen Hass auf den Kaiser, sodass ich einen kurzen Moment abgelenkt war.
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Trebans Fausthieb traf mich unvorbereitet und schickte mich zu Boden, wo ich einen Moment benommen liegen blieb.

„Oh, das tut mir leid. Das wollte ich nicht“, entschuldigte er sich betreten.

„Das war nicht deine Schuld, ich war abgelenkt.“ Ich rappelte mich hoch und spürte, dass ein einzelner Blutstropfen aus meiner Nase hervorkam, während die Verletzung allerdings schon wieder zu heilen begann.

„Du erfüllst meine Hoffnungen, mein Sohn.“ Keiner von uns hatte den Kaiser bemerkt, wie er lautlos in den Raum getreten war.

Mein Herz stand beinah still, musste ich doch befürchten, er hätte die Entschuldigung seines Sohnes gehört.

„Wenn du es schaffst meinen besten Krieger bluten zu lassen, dann bist du wohl doch bald reif.“

„Ich bin schon längst reif für die Ernennung. Wieso lässt du mich warten?“ fragte Treban scheinbar aufgebracht und wieder in der Rolle, die er für seinen Vater stets spielte.

„Es ist wichtig, dass du perfekt und stark bist, wenn ich dich deinem Volk zeige.“

„Perfekt und stark“, wiederholte der Prinz und ging nachdenklich um seinen Vater herum. Weder der Kaiser noch ich konnten reagieren, so schnell handelte Treban. Kaum war er hinter seinen Vater getreten, schnellte sein Fuß vor und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Der Kaiser taumelte, fiel zu Boden und schon war Treban über ihm und hielt seine Hand wie eine Kralle direkt über seine Kehle.

Zu gerne hätte ich den Platz mit ihm getauscht und meine Krallen über seinen dürren, alten Hals gezogen bis der letzte Tropfen Leben aus ihm herauslief. Aber es durfte noch nicht sein.

„Mein Prinz“, warnte ich.

Treban hatte den Blick nicht von seinem Vater genommen. „Siehst du nun, wie perfekt und stark ich bin?“ fragte er mit harter Stimme.

Ein stolzes Lächeln fiel über die Züge des Kaisers. „Ja, du bist bereit, mein Sohn. In einer Woche präsentiere ich dich deinem Volk.“

Eilig erhob er sich und schlug seinem Sohn anerkennend auf die Schulter bevor er uns allein ließ.

„Das war riskant, Bruder“, ermahnte ich Treban, der sich nicht mehr gerührt hatte, seit er seinen Vater freigegeben hatte.

Nur sehr langsam drehte er sich um und konnte ein Grinsen nun nicht mehr verbergen.
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„Ich habe es geschafft. Er ist stolz auf mich.“

Ich begann zu verstehen. Trotz allem war der Kaiser Trebans Vater und wie jedes Kind hatte sich auch der Prinz gewünscht, dass sein Vater ihn eines Tages für das loben würde, was er war.

„Ich bin auch stolz auf dich“, erinnerte ich ihn. „Das war ich schon immer.“

„Warte damit bis wir ihn gestürzt haben. Warte noch eine Woche.“
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Punktestand der Geschichte:   387
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Kommentare zur Story:

  Die Frage nach den Welten finde ich immer schwierig. Wenn man sich zu sehr festlegt, schränkt man sich immer so ein. Ich glaube, Okuons Welt ist eine mitteralterlich-asiatisch-fantastische Welt. Wenn ich mehr davon kenne, sage ich Bescheid ;-)
Ich bedanke mich auf jeden Fall für die vielen netten Kommentare und verspreche, das Ende lässt nicht all zu lange auf sich warten.  
   Robin van Lindenbergh  -  21.11.09 11:44

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  Treban scheint ja ein pfiffiger Bursche zu sein. Aber ob er es mit seinem boshaften Vater aufnehmen kann, das ist noch die Frage. Schade, dass Jianne nicht auf Okuon hatte warten können. War wieder spannend und sehr gefühlvoll geschrieben. Übrigens: Irgendwie stelle ich mir zu deiner Geschichte eine japanische Welt vor. Hattest du dir das auch so gedacht?  
   Jochen  -  20.11.09 22:23

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  Der arme Okuon hat nun seine große Liebe verloren. Klar, dass er dadurch nur umso zorniger auf den Kaiser ist. Ich bin gespannt, wann die richtige Stunde für Treban gekommen ist und wie die Drachen auf ihre Befreiung reagieren werden.  
   Petra  -  18.11.09 22:29

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