Romane/Serien · Spannendes

Von:    Pia Dublin      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 9. April 2009
Bei Webstories eingestellt: 9. April 2009
Anzahl gesehen: 2750
Seiten: 36

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Nach mehreren Tagen, die für einen noch immer misstrauischen Tommy ruhig verliefen, meldete Douglas sich, fragte, ob er Lust auf eine kleine Sparringsrunde habe.

„Hast du getrunken?“

„Natürlich nicht.“

„Ich will dich nicht auf die Bretter schicken, wenn du zugedeckelt bist.“

Douglas trompetete empört, erwiderte großspurig, dass er Tommy ohne weiteres umhauen würde. Sie verabredeten sich für den frühen Abend. Tommy beendete das Telefonat mit einem guten Gefühl; wenn Douglas Dampf ablassen wollte, stellte er sich zur Verfügung, ebenso, wenn er nur reden wollte. Es mochte einen Ausweg aus der Misere geben, jedenfalls hoffte er das für seinen Freund und dachte schon darüber nach, ihn zu einem gemeinsamen Essen einzuladen – das würde er tun, wenn Douglas Laune sich verbessert hatte.

„Ich fahr heute ins Einkaufszentrum“, rief Lea, bereits halb aus der Tür, kam nur noch einmal zurück, um den fast vergessenen Einkaufszettel zu holen, „soll ich dir irgendwas Besonderes mitbringen?“

„Nein, ich hab alles.“

Die Shopping Mall im Süden von Lewiston war nicht mehr ganz neu und auch nicht wirklich schön, aber sie war einer der großen Anziehungspunkte vor der Stadt. Lea fuhr vielleicht einmal im Monat dort hin, um sich Klamotten anzusehen, Dekoration für das Café zu kaufen und dann vor dem Heimweg ein Stück Kuchen zu essen. Manchmal, wenn sie das Kino in dem Komplex besuchten, konnte sie Tommy dazu überreden, für sich ein paar T-Shirts oder ein neues Hemd zu kaufen. Ihrer Meinung nach war er damit noch immer zu sparsam. Seine Schuhe trug er, bis selbst der Schuhmacher, bei dem er ein guter Kunde war, ihm den Ratschlag gab, sich lieber die Investition eines neuen Paares zu leisten. Das einzige, bei dem er nicht aufs Geld schaute, waren seltsamerweise Bücher und original englischer Tee, außerdem waren da noch diverse Süßigkeiten, mit denen er sich für das Büro eindeckte. Ab und zu fand Lea einen Kassenbon des Supermarktes und wunderte sich nur noch. Hätte sie ihn nach seiner anfallartigen Schwäche für Fruchtgummi und Schokolade gefragt, hätte er es mit dem alten Zwang, um jeden Preis sein Kampfgewicht halten zu müssen erklärt. Vielleicht hätte er aber auch nur wieder irgendeine Ausrede gefunden und nichts verraten.
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In der oberen Etage der Shopping Mall, bei den Delikatessen-Ständen, kleinen Blumenläden und dem Friseur, bei dem Steph angestellt war, die ihr die Haare färbte, traf sie eine alte Schulkameradin, die für ein paar Tage nach Hause gekommen war.

„Heimaturlaub“, erklärte Deena, „aber ehrlich, ich wäre lieber an der Front geblieben.“

„Mir steht der übliche Besuch noch bevor“, sagte Lea und Deena erwiderte: „Thanksgiving.“

„Mir graut jetzt schon davor. Meine Mutter hat schon angekündigt, dass sie alles einladen wird, was sich noch auf dem Kontinent befindet. Selbst die, die von Rechts wegen schon unter der Erde liegen müssten.“

Sie setzten sich auf eine Cola zusammen, beide Weltmeisterinnen im großen Katzenjammern wegen der sich wiederholenden jährlichen Familienfeste, die eigentlich nur dazu da waren, um möglichst die gesamte Familie mal wieder an einen Tisch zu kriegen. Gäbe es solche Feste nicht, gäbe es vermutlich überhaupt keinen Zusammenhalt mehr. Tradition verpflichtete die Familienmitglieder, miteinander auszukommen.

„Ich bin kaum zur Tür rein, dann werde ich schon auf die Couch gefesselt und mit einer selbst gemachten Torte bombardiert und der Frage, wie lange ich bleiben werde.“ Sie verdrehte die Augen in Richtung des verbauten Himmels.

„Ich hasse es, in meinem furchtbaren Mädchenzimmer zu schlafen. Ich hab ihr so oft gesagt, dass sie ein Gästezimmer daraus machen soll, aber darauf sagt sie dann nur, dass ich mich doch in einem Gästezimmer nicht wohl fühlen würde. Und sie kann es sich einfach nicht merken, dass ich ein paar Dinge einfach nicht mehr essen möchte. Sie tischt alles auf und zwingt mich, die Reste in Tupperplastik mit nach Hause zu nehmen.“

„Aber es gibt schlimmeres“, sagte Lea, „wenn sie nämlich auf die Idee kommen würden, die Feiern bei uns zu Hause abzuhalten.“

„Gott bewahre“, rief Deena, „das wage ich mir nicht mal vorzustellen.“

Sie drehten eine gemeinsame Runde durch einige Boutiquen und Lea fand ein paar Teile, die sie ganz nett fand und von Deena ermutigt wurde, sie zu kaufen. Sie selbst fand sich für diese Fummel zu pummelig (was sie eindeutig nicht war, aber Okay) und kaufte statt dessen ein Paar Schuhe, obwohl sie gerne zwei bis drei Paar genommen hätte.
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Erst auf dem Parkplatz trennten sie sich wieder, wünschten sich gegenseitig Stärke und Durchhaltevermögen bis zur Zeit nach Silvester.

„Wir werden es schon überstehen“, rief Lea, klimperte mit den Autoschlüsseln und winkte, „so wie jedes Jahr.“

Im Cherokee schnallte sie sich an, legte die Einkaufstüte neben sich auf den Beifahrersitz. Mit einem starren Blick fixierte sie die Tüte, auf der der Name der Boutique gedruckt war und ärgerte sich plötzlich darüber, die Teile gekauft zu haben. Aber immerhin konnte sie die Couture Fehlgriff gegen Klamotten für Tommy eintauschen.

Als sie nach Hause kam, war Tommy bereits zum Boxen gefahren, aber er hatte eine Spur von Papierschnipsel von der Eingangstür bis zum Kühlschrank gestreut, nur unwesentlich von den Katzen verwirbelt. Lea legte die Taschen und ihre Jacke beiseite, folgte der Spur und öffnete an deren Ziel die Kühlschranktür. Tommy hatte einen grünen Salat und Nudeln mit einer scharfen Sauce gemacht, zwei Teller mit Cellophanpapier abgedeckt und einen Zettel darauf gelegt, auf dem „Fertig für Lea“ stand. Es war eine liebe Geste von ihm, obwohl sie nicht gern allein aß. Gewöhnlich machte sie sich dann nur eine Kleinigkeit zu essen, wenn überhaupt. Sie machte sich die Nudeln warm, setzte sich zum essen auf die Veranda, weil es das Wetter gerade noch erlaubte, wo ihr die Katzen Gesellschaft leisteten. Bis das Tageslicht verschwand, saß sie dort und las die letzten Kapitel des King-Romans. Alles war entspannt und ruhig, aber wären die Katzen Hunde gewesen, hätten sie den vorsichtigen Beobachter bemerkt und angeschlagen, der am Rande des Grundstücks neben seinem Wagen stand. Er war geduldig, kam durch das Unkraut und die Gebüsche näher, bis er das Haus und die Veranda mit dem bloßen Auge erkennen konnte. Dort stand er, beobachtete und trat erst den Rückzug an, als Lea zusammenpackte und ins Haus ging. Er verfolgte noch, wie sie die Katzen reinscheuchte, die Terrassentür schloss, ging zu seinem abgestellten Wagen und fuhr davon.



Das Sparring fiel nicht sehr schweißtreibend aus. Sie alberten etwas herum, Douglas versuchte Treffer zu landen, denen Tommy aber ausweichen konnte oder die er einfach so wegsteckte. Er selbst war mit seiner verletzten linken Hand noch immer etwas vorsichtig, zog sich in die Deckung zurück und ließ Douglas die Arbeit machen.
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Als er ganz nebenbei nach Sarah fragte, veränderte sich Douglas Gesichtsausdruck, plötzlich schien das alles nicht mehr nur Spaß zu sein, er hob die Fäuste und griff an, versuchte Tommys Gesicht zu treffen, was ihm allerdings nicht gelang. Tommy parierte, wartete, bis Douglas seinen Anfall überwand und die Boxhandschuhe sinken ließ.

„Was ist los?“ fragte er, „hab ich in ein Wespennest gestochen?“

„Sie ist ausgezogen.“ Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme einen quäkenden Unterton bekam. „Ich wär dir dankbar, wenn du ihren Namen nicht mehr aussprechen würdest. Vorgestern ist die Namenlose mit drei Koffern aus dem Haus gegangen, hat mir noch zugerufen, dass sie ihre restlichen Sachen abholen lassen wird, wenn ich alles in Kartons verpacke. Ich verpacke ihre Sachen und sie lässt sie abholen. Ich war total begeistert. Sie behandelt mich wie einen Fußabtreter.“ Douglas lehnte sich gegen die Seile, konzentrierte sich aufs Atmen. Tommy machte eine Geste, dass er ihm die Handschuhe lösen wolle und gehorsam hob Douglas die Hände.

„Du hättest dich bei mir melden können.“

„Ich war nicht in der Stimmung.“

„Was hast du jetzt vor? Brauchst du eine helfende Hand beim Entsorgen der Altlasten?“

Douglas überlegte, schnaufte mühsam durch die Nase. „Wenn, dann machen wir es gleich. Lebe ich noch ein paar Tage mit ihren Sachen im Haus, drehe ich durch und zerschlage noch alles.“

„Fahren wir“, sagte Tommy, „Umzugskartons haben wir genug hier im Stauraum. Die holen wir und fahren zu dir rüber.“

„Kann ich dich überhaupt in Anspruch nehmen?“

„Wieso denn nicht?“

In Dougs Haus teilten sie sich die Arbeit, er suchte Sarahs Sachen, legte sie auf einen Haufen und Tommy packte die Kartons, stellte sie an der Wand entlang im Hausflur auf.

„Stell sie vor die Garage“, rief Douglas. Mit den Kleidungsstücken und den Schuhen waren sie fertig. „Die Kartons können unter dem Vordach stehen, dann muss sie nicht noch mal ins Haus.“

Sie wird ins Haus wollen, dachte Tommy. Er trug die Kartons gottergeben nach draußen und hielt auch den Mund darüber, dass alles beim nächsten Regenguss durchweichen würde.
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„Sie kann die Küchengeräte behalten, dafür will ich den Fernseher und die Anlage. Glaubst du, das wäre Okay?“

„Wenn sie die Mikrowelle bekommt, ist es gerecht, denke ich.“ Tommy öffnete ein paar Küchenschränke, pfiff durch die Zähne. „Hab selten so viel unnützen elektrischen Küchenkram gesehen.“

„Das kommt dir nur so vor, weil du aus einem Land kommst, in dem die meisten Häuser keinen Strom haben.“

„Curse of Cromwell on ye”, murmelte Tommy.

Douglas wollte die Möbel behalten, wollte im Haus bleiben, weil schließlich Sarah das Weite gesucht und ihn verlassen hatte.

„Wo ist sie hin? Zu einer Freundin?“

„Zu ihrem Bruder.“

„Dann hat sie ja jemanden, der ihr die schweren Kartons trägt.“

„Von mir aus könnte sie sich auch ’nen Bruch heben.“

„Wenn sie anruft“, sagte Tommy, „wirst du nichts über die Aufteilung der Sachen im Haus sagen. Bring sie gar nicht erst auf den Gedanken. Ihr nehmt euch eine kurze Auszeit, das bedeutet noch keine Scheidung. Wenn die kommt, kommen die Streitereien um Fernseher und Mikrowelle und Durchlauferhitzer noch früh genug.“

„Okay“, sagte Douglas, machte deutlich ein Gesicht, als habe er sich über diese Dinge noch keine Gedanken gemacht. Vermutlich hätte er sämtliche Küchengeräte ebenfalls vor die Garage gestellt ohne Rücksicht darauf, dass am nächsten Tag davon nichts mehr da sein würde.

„Aber sie wird nicht anrufen“, murmelte Douglas. Die Kartons bildeten eine hüfthohe wackelige Mauer, das Gewicht der oberen Kartons drückte die unteren bereits zusammen, aber Douglas meinte, das kümmere ihn nicht, es sei nicht sein Problem.

„Wenn sie nicht anruft“, sagte Tommy vorsichtig, immer darauf bedacht, den Namen Sarah nicht auszusprechen, „wirst du das tun, verstanden? Sag ihr einfach nur, sie kann ihre Sachen abholen und leg wieder auf.“

„Ja, Mutter.“

„Du willst sie doch zurück, oder?“

„Ich weiß nicht. Im Moment nicht.“

„Wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, komm einfach vorbei. Verspricht du mir das?“

„Versprochen.
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Im Dunklen tasteten die Scheinwerfer über die Fassade des Hauses, erfassten die Beine von Douglas und die gestapelten Kartons, als Tommy auf der Straße wendete und vor Douglas noch mal anhielt.

„Das nächste Mal hau ich dich auf die Bretter“, rief Douglas und hob die Hand zum Abschied, sah gefasst und stabil aus, aber das mochte nur Fassade sein. Tommy hielt die Hand aus dem geöffneten Fenster und fuhr nach Hause.

„Den Tag wirst du nicht erleben“, murmelte er, „ich lass dich höchstens aus Nettigkeit gewinnen.“

Er hatte für Lea Nudeln gekocht und Salat gemacht, eine scharfe Sauce aus den Resten des Vortages gezaubert und hoffte auf dem Heimweg, dass Lea ihm nicht böse war, dass sie nicht zusammen gegessen hatten.

„Wie geht’s Douglas?“ fragte Lea. Sie saß im Wohnzimmer, hatte sich eine DVD eingelegt, sah sich den Film aber nicht weiter an.

„Wir haben nur ein wenig rumgealbert“, sagte Tommy, „danach haben wir Sarahs Sachen in Kartons gepackt, damit sie sie abholen kann.“

„Das hört sich ernst an.“

„Besser so, als wenn sie sich endlos gegenseitig zerfleischen.“

„Danke für’s Essen. Ich hab dir nichts übrig gelassen.“

„Solltest du ja auch nicht. Ich lass das Tape runter heute.“ Er bewegte das Handgelenk. „Sieht so aus, als ob es endlich wieder in Ordnung wäre.“

Sie drückte sich an ihn, schaltete DVD und Fernseher aus, flüsterte, ob er mit ihr ein Bad nehmen wolle. Er musste nicht lange überlegen.



David hatte sich in das Studium gestürzt und einigen Aufwand betrieben, um Tommy aus dem Weg zu gehen. Sein Fernbleiben aus dem Café fiel seinen Mitstudenten auf, er wurde darauf angesprochen und er erklärte es damit, dass er seine Ausgaben einschränken müsse. Jeden Abend hörte er sich Abes Geschichten an, von seiner Familie und seiner kleinen Freundin, die sich an ihn klammerte und alles für ihn tun würde.

„Mein Dad hat eine Milchfarm“, sagte er und David hörte aus lauter Höflichkeit zu, „aber die will ich auf keinem Fall übernehmen. Er selbst hat sie von seinem Vater übernommen. Sein Bruder hat eine Spedition aufgebaut, er hat zwei Töchter, ein paar Jahre älter als ich.
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Das komische daran ist, dass die ältere der beiden mit ihrem Mann die Milchfarm übernehmen will, wenn es mal soweit ist. Wenigstens bleibt es in der Familie. Ich jobbe oft in der Spedition während der Semesterferien. Wäre einfacher für meinen Dad und seinen Bruder gewesen, wenn sie die Kinder getauscht hätten.“

Davids Telefon klingelte, er ging dran, sagte nur ein paar Worte und machte sich auf den Weg, das Wohnheim zu verlassen. Er antwortete ausweichend auf Abes Frage, wo er so spät noch hin wolle, blockte alle weiteren Fragen ab, indem er so schnell wie möglich das Zimmer verließ. Er traf sich mit dem Mann auf dem Parkplatz, der so schlecht beleuchtet war, dass sie in den Schatten nicht auffallen würden.

„Deine Aktion war nicht sehr erfolgreich, Darren. Wie willst du das wieder gut machen?“

„Ich hab mit Tommy gesprochen und ich hab die Karten auf den Tisch gelegt. Das war die einzige Lösung. Ich bin draußen, das weiß ich, aber das musste ja so kommen, nachdem ihr mich unter Druck gesetzt habt.“

„Wir sind nicht für dein Scheitern verantwortlich.“

„Von jetzt an macht ihr es allein?“

Der Mann zögerte. „Wir gehen die Sache jetzt anders an. Wir knacken ihn.“

David hörte aus der Stimme des Mannes, der Lea beobachtet hatte, dass ab jetzt alles anders angegangen werden würde. Er verstand es nicht wirklich. Wie konnten sie ihn zwingen wollen, für die IPLO zu arbeiten? Setzten sie ihn unter Druck, würde er verschwinden, vielleicht auch zum Gegenschlag ausholen. Sie mussten das wissen, wenn sie ihn durchleuchtet hatten, selbst wenn sie nicht die Informationen aus erster Hand gehabt hatte wie David durch seinen Vater. Irgendetwas stimmte da nicht.

„Das heißt, ihr braucht mich nicht mehr? Obwohl ich noch immer hinter euer Sache stehe?“

„Du bist nicht der richtige für unsere Aktionen. Du agierst zu eigenständig, machst dir zu viele Gedanken über Dinge, die dich nichts angehen.“

„Es geht mich alles etwas an“, widersprach David, sein Herz raste vor Empörung, „mein Dad ist durch eine Kugel gestorben. Ich will nicht nur als Beteiligter dabeisitzen und jammern, ich will etwas tun.“

Der Mann erwiderte darauf nichts und wieder dachte David, dass etwas nicht stimmte. Er war mit den Wegen und Zielen der Gruppe einverstanden gewesen, was ihn aber von Anfang an misstrauisch gemacht hatte, war, dass dieses Programm mit dem von der INLA identisch war.
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Wieso also hatten sie sich abgespaltet? Das machte keinen Sinn.

Sie haben mich benutzt, dachte David, und ich weiß noch nicht wirklich, wozu sie mich gebraucht haben.

„Tut mir leid, David, aber...“

„Darren“, korrigierte er ihn, „ich beende dieses Semester und werde danach verschwinden. Es wird ein verlorenes Jahr sein für mich, aber ich finde schon ein anderes College, auf dem ich unter meinem richtigen Namen neu anfangen kann. Wir sind fertig miteinander. Nur schade um die Informationen, die ich euch gegeben habe. Wenn es ginge, würde ich alles zurückfordern.“

David, dem es immer schwerer fiel, nicht mehr Darren Finnigan zu sein, war schlau genug, seine Trumpfkarte nicht auszuspielen. Die wirklich brisanten Informationen, die er hatte, die nicht nur seinen Vater und Tommy betrafen, hatte er bisher für sich behalten und jetzt war er froh darüber. Jetzt wusste er, dass diese Information Perlen vor die Säue gewesen wären, ein zu hoher Preis, um ihn nur zum Einstieg in eine Mini-Splittergruppe mit einem radikalen Hintergrund zu benutzen.

„Ihr solltet nach Nordirland zurückgehen“, sagte David, „Basisarbeit ist noch immer das beste, was man tun kann.“

Bei den Treffen, die alle vor seiner Ankunft in Lewiston stattgefunden hatten, hatte er nur zwei Männer der Irish People’s Liberation Army kennen gelernt, obwohl sie behauptet hatten, ein Dutzend Mitglieder zu haben. Sie hatten behauptet, aus Armagh und Tyrone zu sein, aber der Dialekt des einen, der immer wenig gesprochen hatte, war immer gestelzt und aufgesetzt gewesen. Als hätte er es nur einstudiert.

Und deshalb hat er auch nur so wenig gesprochen, dachte David, er wollte sich nicht verraten.

Es tat ihm nicht leid, diese Verbindung, an die er so geglaubt hatte, aufzugeben. Viel mehr machte er sich jetzt Gedanken darüber, was sie wirklich von Tommy wollten. Und ob er ihn warnen sollte.



Dekan Bennet Hollenack war in punkto Sicherheit auf dem Campus gerne auf dem Laufenden, erst recht, nachdem er von dem Hund im Studentenwohnheim erfahren hatte. Er zitierte nicht nur Larry Johnson sondern auch Tommy in sein Büro. Tommy erzählte die Geschichte von Joyce und vom guten Ausgang der Geschichte, ohne zunächst den Namen der Studentin zu nennen.
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Er wollte nicht, dass sie im Nachhinein deswegen noch Ärger bekam. Hollenack saß hinter seinem Schreibtisch, zwischen zwei Stapeln von Akten und einem peinlich überdimensionalen Foto seiner Familie inklusive Golden Retriever, der eines der heraus staffierten Kinder anhechelte. Alle Kinder trugen große Brillen auf dem Foto.

„Es war eine Notlage für sie“, sagte Tommy, „sie wusste, dass sie einen Fehler machte, aber sie konnte nicht anders. Sie hat niemanden damit geschadet.“ Er wechselte einen Seitenblick mit Larry, der gnädigerweise den Mund hielt und nichts von der nächtlichen Ruhestörung verriet. Hollenack suchte nach Unterlagen in den Stapeln, von seinem Platz vor dem Schreibtisch konnte Tommy die Abzüge der Fotos sehen, die Steve Garner von den Graffitis gemacht hatte. Die Schmierereien waren noch immer da, weil sie den Täter noch nicht überführt hatten. Gewöhnlich wurden die Bilder von derselben Hand entfernt, die sie auch produziert hatte.

„Die Planung für das Musik Festival steht mal wieder bevor“, sagte Hollenack, hatte endlich die Agenda des Festivals gefunden, „habt ihr irgendwelche Anmerkungen zum Ablauf?“

Larry sagte (wie jedes Jahr), sie könnten ein paar zusätzliche Sicherheitsleute gebrauchen, um die zu erwartenden Massen an den zwei Tagen unter Kontrolle zu halten. Er übertrieb etwas, denn die einzigen Probleme machten die wilden Parker auf dem Gelände. Jedes Jahr stand das Bates Musik Festival unter einem anderen Motto, dieses Mal war es irgendetwas lateinamerikanisches, was Tommy fürchten ließ, Larry könne stichpunktartige Drogentests am Publikum durchführen lassen. Bisher war allerdings noch nicht die Rede davon gewesen.

„Wir sollten das Budget etwas erhöhen“, sagte Larry, „letztes Jahr sind uns die Absperrbänder ausgegangen, wir hatten zu wenig von den...“

„Reich mir die Liste ein und der Ausschuss wird darüber beraten“, sagte Hollenack, „sonst noch Vorschläge?“

„Das Wasser aus dem Brunnen ablassen“, murmelte Tommy, sah auf und fuhr konzentrierter fort: „Sonst nutzen die Kids das Ding wieder als Badewanne.“

„Okay.“

Larry machte eine Geste, als sei er froh, dass Tommy überhaupt etwas gesagt hatte.
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„Wir stellen einen Dienstplan für das Festival auf und sehen, wo noch Lücken sind. Wir müssen nur rechtzeitig wissen, wie viel Leute wir anheuern können.“

„Nehmen wir nicht Studenten wie letztes Jahr?“

„Das war doch ein einziges Chaos.“

„Weil die Jungs nicht genügend informiert worden sind“, warf Tommy ein, kratzte sich nachdenklich den Schädel, „die wussten nicht mal, wo sie hin sollten und sie hatten keine Klamotten, die wie eine Uniform aussahen.“

„Dann übernimmst du die Planung für die Studenten“, sagte der Dekan energisch, um dieses Thema endlich von Tisch zu kriegen, „leg mir nächste Woche dein Konzept vor.“

Tommy konnte nicht anders reagieren als zuzusagen, Larry sagte, es sei eine gute Idee und er würde sich um den Rest kümmern. Sie verließen zufrieden das Büro des Dekans, gingen wieder an die Arbeit.

Es überraschte ihn, dass David am Sicherheitsbüro wartete, kurz die Hand hob, als sie näher kamen und nicht wusste, ob er grinsen oder ernst bleiben sollte. Er glaubte eine Sekunde lang, seine Augen müssten ihm aus dem Kopf fallen, denn David trug ein fadenscheiniges verwaschenes T-Shirt mit der kaum noch leserlichen Aufschrift ‚I’M PISSED OFF, TOO’. Die Anspielung mochte hier niemand verstehen, aber es jagte einen kurzen prickelnden Moment seinen Blutdruck in den oberen Bereich.

„Ich komm gleich nach“, sagte Tommy und an David gewandt murmelte er: „Was kann ich für dich tun?“

„Es geht um diese Dinge, über die wir gesprochen haben.“

„Lass uns eine Runde drehen.“

Sie schlenderten durch den Park, David begann direkt mit der IPLO und fragte, ob Tommy mit denen etwas anfangen könne.

„Das sind Spinner“, sagte Tommy, wechselte ohne Nachzudenken wieder ins Gälische, „zum Glück gibt’s nicht viel von denen. Ich weiß, dass sie hinter mir her sind, aber damit werde ich schon fertig.“

„Du bist also informiert.“

„Ich hatte Kontakt, sagen wir’s mal so. Du passt nicht zu diesen Typen. Und was dein Daid davon gehalten hätte, brauch ich dir ja nicht zu sagen.“

„Ich wollte dich warnen. Sie haben was vor, aber sie haben darüber nicht die Wahrheit gesagt.
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Einer von ihnen, Terry aus Armagh, scheint Okay zu sein, aber der andere, dessen Namen ich nie erfahren habe, angeblich aus Tyrone, redete wie ein verdammte Brite, der versucht, wie einer aus Belfast zu klingen. Du weißt, was ich meine.“

„Eine kunstvoll konstruierte Falle.“

„Für dich?“ David blieb stehen, starrte ihn an und Tommy musste ihm einmal auf die Schulter klopfen, bis er weiterging.

„Ich wüsste nicht, weshalb sie es dabei so kompliziert anstellen sollten. Wenn die britische Regierung rausgefunden hat, dass ich noch lebe, und wo ich bin, könnte sie einen einzigen Mann über den Teich schicken, der mich mit einer Kugel auf die immergrüne Weide schickt. Das ist es, was sie wollen. Wenn’s die Regierung ist. Ich zerbreche mir jetzt nicht den Kopf darüber, was sie von mir wollen. Sie behaupten, sie seien die IPLO, aber sie haben sich einfach eine der Splittergruppen rausgesucht in der Hoffnung, es wäre glaubwürdig. Wenn dieser Terry...“ Er unterbrach sich und gab eine kurze Beschreibung des Mannes, der sich mit ihm in der Sporthalle getroffen hatte und David sagte, ja, das sei Terry. „... wieder auftaucht, wird er sich freuen, mir zu erzählen, was sie wirklich von mir wollen.“

„Ich bin auf deiner Seite“, sagte David, sah sich im Geiste in einen Krieg ziehen, der nicht die Ausmaße der troubles hatte, ihn aber mit seinem Dad gleichstellen würde. Das war es, was er wirklich wollte. Er wollte die englische Geschichte studieren, irische Geschichte leben, Zusammenhänge verstehen und den gleichen Kampf kämpfen wie Kieran Finnigan. Bisher hatte er den Weg eingeschlagen, den Kieran für ihn gesucht hatte – politisch, intellektuell, der Weg, der niemandem wirklich weh tat, aber er war schon lange bereit, auch den anderen zu gehen. Die angebliche IPLO wäre eine Möglichkeit gewesen. Es tat ihm nicht leid, dass es nicht dazu gekommen war, denn Terry war unsympathisch gewesen. Er konnte es nicht näher beschreiben, aber Terry war niemand, für den er irgendetwas tun würde, geschweige denn illegale Dinge.

„Ich war auf der Seite deines Dads“, sagte Tommy, „und dich werde ich nicht mit reinziehen. Auf keinen Fall.“

„Sie haben mich zum Teufel gejagt“, erklärte David fröhlich, „sie wollen meine Hilfe nicht mehr, obwohl sie wissen, welchen Hintergrund ich habe.
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Ich bin auf deiner Seite“, wiederholte er und dann flüsterte er Tommys Namen wie eine Beschwörungsformel, seinen richtigen Namen und die Welt erstarrte um Tommy herum.



Er kam nach Hause, Lea war am Telefon und quatschte munter mit Sondra, hatte die Knie angezogen und hockte auf dem Stuhl, was unmöglich gemütlich sein konnte. Sie hob den Kopf, Tommy gab ihr einen Kuss und sie unterbrach für einen Moment das endlose Geplauder, um ihm zuzuflüstern, dass im Wohnzimmer etwas für ihn liege. Er ging hinüber, schon innerlich darauf vorbereitet, ein sorgfältig eingeschlagenes Päckchen zu finden, auf dem in Blockbuchstaben sein Name stand und das, wenn er es öffnete und hineinsah, eine offensichtliche Bedrohung enthalten würde. Eine Kugel. Eine tote Ratte. Das Buch von Eamonn Collins. Er konnte die Erinnerung an die zerfetzte Hand, die sie ihm zugeworfen hatten, nicht zurückdrängen und dachte: Wenn es ein Packet ist, mach ich es nicht auf. Ich fahr rüber bis an den Androscoggin und werfe es dort am Lagerhaus rein. Dort, wo man unbeobachtet ist.

Aber es war kein Päckchen, es war eine Einkaufstüte aus starkem Papier, mit weißen Plastiktragegriffen. Auf der dunkelblauen Tüte stand in weißer Schrift AYDIN. Das Geschäft war, soviel er wusste, eine recht teure Boutique in der Shopping Mall. Mit der Tüte zwischen den Füßen setzte er sich in den Sessel, griff hinein und zog einen Pullover heraus, von dem er zunächst dachte, Lea hätte ihn für sich gekauft, aber als er ihn ausbreitete, sah er, dass es seine Größe war. Er starrte ihn an. Seine Gedanken hatten noch immer nicht abschließen können und es fuhr ihm durch den Kopf: Wird sie Sondra in Montreal besuchen, wenn ich ihr die Reise spendiere? Wird sie etwas ahnen, misstrauisch werden und trotzdem fahren, wenn sich sie darum bitte?

„Gefällt er dir?“ rief Lea. Ihr Telefonat war beendet, sie kam zu ihm, setzte sich auf die Armlehne.

„Ja, klasse, danke“, sagte er, fand auf die Schnelle keine anderen Worte, dachte nur: Darin würde ich mich nicht einmal beerdigen lassen.



Douglas rief Tommy im Büro an, am frühen Morgen des nächsten Tages, kaum dass er im Bates seinen Dienst angetreten hatte, und sagte, er habe eine halbe Stunde mit Sarah telefoniert und es sei ganz gut gelaufen.
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„Wird sie zurückkommen?“ war seine erste Frage, obwohl die Probleme sicher nicht gelöst waren, wenn sie das wirklich tat.

„Sie ist nach dem Gespräch vorbeigekommen und hat die Kartons abgeholt. Danach hab ich mich für die Nachtschicht eintragen lassen. Schlafen kann ich sowieso nicht. Über Scheidung haben wir nicht gesprochen, aber eigentlich haben wir über gar nichts gesprochen.“

Tommy sagte, das sei eine gute Lösung, erst einmal auf Abstand zu gehen, er drücke ihm beide Daumen. Steve Garner, mit Schreibkram an seinem Nebentisch beschäftigt, sah stirnrunzelnd auf, machte eine auffordernde Handbewegung. Tommy ignorierte ihn.

„Es wird sich wieder einrenken, glaub mir. Lass ihr Zeit, lass dir Zeit und ihr werdet wieder zusammenfinden. Okay. Ruf mich an. Ich hab Zeit am Wochenende, wenn es dir recht ist.“

Tommy legte auf, machte ein kleines triumphierendes Geräusch und Steve warf einen der Bleistifte nach ihm. Er flog über Tommys Tisch, rollte bis an die Kante, wo Tommy ihn mit der linken Hand abfing.

„Wer war das?“ fragte Steve.

„Ein Freund mit Beziehungsproblemen.“

Tommy lehnte sich zurück, widerstand der Versuchung, den Bleistift zurückzuwerfen. Es war nicht nötig, privaten Kram zu verbreiten.



Er bekam nur selten Post ins Büro, regelmäßig lagen in seinem Postfach nur die Gehaltsschecks, Hausmitteilungen und Werbeschrott, den sonst niemanden interessierte. An diesem Morgen lag ein Brief, dessen Adresse Schreibmaschinen geschrieben war, in seinem Postfach, in dem sonst die Mäuse tanzten. Er nahm ihn aus dem Fach, wedelte ihn gedankenverloren herum, bis er ihn an seinem Schreibtisch sitzend öffnete. Ein schlechtes Gefühl begann in seinem Magen, wanderte etwas höher und begann sein Herz heftig schlagen zu lassen – wer mochte ihm schreiben – und versuchte es zu überspielen, indem er sich harmlose Variationen einfallen ließ. Werbesendung eines Buchclubs. Der Antrag einer Kreditkarte. Die Einladung eines Autoverkäufers, sich unverbindlich die neuesten Modelle anzusehen.

Es war nichts von all dem. Auf dem linierten Blatt, das er in dem Umschlag fand, stand ein einziger Satz, ohne Anrede und Schluss.
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Er las diese Notiz zweimal, faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es in seine Hosentasche. Er hoffte, er war noch immer in der Lage, sich seine Verfassung nicht ansehen zu lassen. Larry lief über den Flur, stoppte an der Tür und rief: „Wo steckt Scott?“

„Keine Ahnung“, sagte Tommy. Er versuchte sich daran zu erinnern, wo Scott hingegangen sein könnte, es wollte ihm einfach nicht mehr einfallen.

„Okay“, Larry warf sich die Uniformjacke über die Schulter, „dann kommst du mit. Pinheiro hat einen Zaun gerammt.“

Tommy brauchte eine Sekunde länger als sonst, um die Nachricht dahin zu sortieren, wo er sie auch verarbeiten konnte, erhob sich von seinem Stuhl und fragte: „Hat er sich verletzt?“

„Hat mich eben angerufen, er klang durcheinander, aber in Ordnung. Er hatte Erde und Bäume geladen.“

Tommy ahnte, was geschehen war, sprach seine Vermutung aber nicht aus. Pinheiro, der alte Hausmeister, hatte ein Augenproblem. Vor einiger Zeit hatte er sich Tommy anvertraut, ihm beim Essen von seinen schlechter werdenden Augen erzählt, und dass es ihm einige Sorgen bereitete.

„Keine Brille hilft“, hatte er verraten, „das eine Auge wird trübe und in der Dämmerung kann ich überhaupt nichts mehr sehen.“ Er versuchte es vor der Familie und Kollegen geheim zu halten, weil er fürchtete, seinen Job zu verlieren.

„Du darfst damit nicht Autofahren“, hatte Tommy gesagt und Pinheiro hatte voller Überzeugung behauptet, er würde natürlich nicht mehr Autofahren. Trotzdem hatte Tommy ihn immer wieder mit dem alten kleinen Pick-up gesehen, mit dem er Dünger verteilte, Rasenstücke, ausrangierte Rasenmäher und Bauholz transportierte. Sein Vorteil war, dass er die Wege auf dem Campusgelände kannte und jeder, der ihn gemütlich durch die Anlage fahren sah, dachte nur, dass er sich in seinem Job wirklich nicht überarbeitete.

„Ach du Scheiße“, murmelte Larry, als sie in die Andrews Road einbogen und den rostigen Pick up sahen. Pinheiro, in seinem grauen Gärtneroverall, stand neben dem Wagen wie ein Cowboy neben seinem toten Pferd. Er hielt sich den Kopf. Der Pick-up steckte bis zu den Türscharnieren in dem weiß gestrichenen Lattenzaun, hatte sich dabei auf der Fahrerseite auf einen kleinen grasbewachsenen Hügel hinter dem Zaun hochgebockt und die Ladung war umgekippt und verrutscht.
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Einige Obstbäume lagen auf der anderen Seite des Zauns auf der Wiese.

„Reiß ihm nicht gleich die Ohren ab“, murmelte Tommy, bevor Larry ausstieg, „vielleicht ist er nur einem Eichhörnchen ausgewichen.“

Larry stieg aus, setzte sich mit Pinheiro auf der anderen Straßenseite auf eine Parkbank. Er redete beruhigend auf ihn ein, tätschelte ihm väterlich das Knie, obwohl Pinheiro einige Jahre älter war als er.

„Du bist mit dem Wagen hier eingebogen“, sagte Larry, sah Pinheiro geduldig an, „und was ist dann passiert?“

Die Andrews Road lag auf dem Collegegelände, daher war es nicht nötig, die Polizei einzuschalten, Pinheiro wusste das, trotzdem war der Unfall für ihn heikel genug. Er hatte eine rote Beule an der Stirn, die er immer wieder mit den Fingerspitzen betastete, machte kleine ängstliche Gesten, während er erzählte.

Tommy kniete sich neben die Vorderräder und sah unter das Chassis, überprüfte, ob der Unterboden beschädigt war, kletterte dann auf die Ladefläche, griff sich den ersten Sack Erde, ließ ihn an der Seite des Wagens auf den Boden rutschen, sah immer wieder zu Larry und Pinheiro hinüber.

Komm schon, dachte er, sag ihm, dass du einer Katze ausgewichen bist. Oder dass du für eine Sekunde eingeschlafen bist. Den Rest, dieses verflixte Augenproblem, gehen wir danach an, das drehen wir schon irgendwie hin.

Nur einer der Plastiksäcke war aufgeplatzt und ein kleiner Haufen brauner trockener Erde hatte sich auf der Ladefläche verteilt. Zwei der jungen Apfelbäume hatten ein paar Äste verloren, den Crash aber sonst gut überstanden. Der Zaun sah weniger gut aus, auf einer Länge von mehreren Metern war er niedergewalzt und zerbrochen, fast alle Latten hatten sich zwischen den Vorderrädern verkantet und steckten dort noch immer, wo der Wagen zum stehen gekommen war.

„Wie sieht’s aus?“ fragte Larry Johnson. Er stand mit in die Hüften gestemmten Händen zwischen den Wagen, blinzelte zu Tommy hoch.

„Den Zaun können wir neu ziehen. Was hat er gesagt, wie’s passiert ist?“

Pinheiro stieg vor sich hin murmelnd in den Wagen, mit dem Tommy und Larry gekommen waren, setzte sich auf die Rückbank und ließ mit einer langsamen Bewegung den Kopf in die Handflächen sinken.
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Er sah furchtbar verzweifelt aus.

„Er sagte, da war irgendwas vor ihm auf der Straße, was er aber nicht richtig sehen konnte.“ (Allmächtiger, dachte Tommy). „Er dachte, es könnte ein Hund oder ein anderes Haustier gewesen sein und deshalb hat er einen Schlenker gemacht. Dann ist er im Zaun gelandet, auf die Bremse getreten und hat sich an der Scheibe den Kopf gestoßen. Ich fahr ihn nach Hause und komm dann wieder. Kriegst du den Wagen allein wieder flott?“

Tommy nickte, machte eine Kopfbewegung zu Pinheiro hinüber.

„Das ist alles halb so wild. Sagst du ihm das?“ Er senkte etwas die Stimme. „Er sieht aus, als würde er gleich die Fassung verlieren.“

„Du machst dir schon wieder Sorgen um alles und jedes“, erwiderte Larry fast genervt. Einen Moment lang sahen sie sich an, Tommy war auf der Ladefläche, die so schräg war wie eine Halfpipe für Kinder, in die Hocke gegangen.

Genau das ist der Grund, weshalb dich jeder Tommy nennt, nicht wahr? dachte Larry, du kümmerst dich. Immer scheinst du zuerst an die anderen zu denken, dann erst an dich. Ist das deine Masche oder ist das dein wahres Ich?

Larry grinste, vergaß den letzten Gedanken wieder, denn er wusste, dass Tommy ein netter Kerl war. Es konnte gar nicht anders sein. Weil er eine ehrliche Haut war, immer Vertrauen erweckte, vertrauten sich die Leute ihm an, erzählten ihm von Dingen, die sie anderen nicht erzählten.

„Ich sag’s ihm auch gern noch mal, dass dieser kleine Unfall keine Auswirkungen auf seinen Job hat“, sagte Larry, „so was kann eben passieren. Ich bin auch schon vom Gaspedal gerutscht.“

Larry legte die rechte Hand auf die Ladeklappe des Pick-ups. Er hatte einen Heidenrespekt vor Tommy, vor seinem gradlinigen Charakter, bedauerte es wieder einmal für ihn, dass er nicht zwanzig Jahre früher ans Bates gekommen war. Es hätte sehr schnell dort gesessen, wo Larry heute war. Wie hätte er wissen sollen, welche Karriere Tommy damals aufgegeben, was er getan hatte. Er hatte Soldaten den Rat gegeben, besser aus der Gegend zu verschwinden und nach Hause zu gehen, wo Menschen waren, denen sie etwas bedeuteten, ansonsten würde er sie nach Hause schicken und zwar tot. Es war nie Drohung sondern immer Ankündigung gewesen.
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„Ich bring das hier schon in Ordnung. Und wenn am Wagen doch was dran sein sollte, was ich aber nicht glaube, mach ich das auch. Sag ihm, er soll im Bett bleiben, wenn er sich morgen nicht gut fühlt. Die Hundepinkelpfähle laufen ihm nicht weg.“

Pinheiro hatte den Kopf aus dem Fenster gesteckt, das Gespräch verfolgt und bekreuzigte sich dreimal. Er dankte Gott dafür, dass er so gute Freunde hatte und rief zu Tommy hinüber, hielt dabei die Hand auf der Beule an seiner Stirn: „Wenn du die Bäume in den Schatten stellst, und Wasser über die Ballen gießt, halten sie das durch, bis ich sie einpflanze.“

Er brachte den Pick-up aus seiner misslichen Lage auf die Straße zurück, räumte die zerbrochenen Teile des Zauns beiseite. Ein paar Studenten schlenderten an ihm vorbei, blieben stehen und fragten, ob sie helfen könnten. Spike war bei ihnen, ihm baumelte ein handtellergroßes Peace-Zeichen aus Metall vor der Brust und er hatte wie immer seine Kamera dabei.

„Sieht schlimmer aus als es ist“, sagte Tommy, „Pinheiro hat nur den Bäumen das Fliegen beibringen wollen.“

„Darf ich davon ein paar Fotos schießen?“ fragte Spike, „das ist was für mein Studenten Fotoalbum.“

Tommy trat auf die Straße zurück, ließ Spike fotographieren und vergewisserte sich, dass nirgends Öl oder Benzin ausgelaufen war, bevor er sich eine schnelle Zigarette ansteckte. Er steckte die Hand in die Hosentasche, fühlte dort, ob der Brief noch da war. Das Papier klebte an seinen feuchten Fingern.

Lass mich geduldig sein, dachte er, verfolgte, wie Spike ein Foto nach dem anderen schoss, wenn ich sie loszuwerden versuche, werden sie misstrauisch. Pinheiro, hoffentlich gehst du jetzt endlich zum Augenarzt.

„Komm schon, Spike“, rief das Mädchen, „sonst kriegen wir nichts mehr.“

Zwei Fotos machte er noch, drehte dann den Verschluss wieder auf das Objektiv, hängte sich die Kamera über die Schulter.

„Grüße an Lea“, sagte er an Tommy gewandt, worauf seine weibliche Begleitung sofort ansprang und von ihm wissen wollte, wer Lea sei. Schon im Gehen begann er herumzualbern und Tommy war erleichtert, dass sie endlich verschwanden.

Auf der Straße hockend verbrannte er den Brief, zündete ihn mit dem Feuerzeug an, beobachtete die Flammen, die das Papier schnell verzehrten und verteilte die Asche mit der Schuhsohle, bis nichts mehr übrig war.
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Die letzten grauen Ascheflocken wurden vom Wind verteilt, wehten davon und selbst auf der Straße blieb nur ein kleiner schwarzer Fleck im Asphalt, wo die Hitze sich in den Straßenbelag gebrannt hatte. Tommy rauchte, während er auf Larry wartete (er hatte keine Lust, den ganzen Weg über das Gelände zu Fuß zu gehen), und dieser Satz, den er verbrannt hatte, damit ihm niemand Fragen deswegen stellen konnte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Du wirst sehen, was passiert, wenn du nicht mitziehst.

Das war der Satz, das war die Drohung. Und als er den Zettel auseinanderfaltete, sah er, wie sie es umsetzen würden. Es war ein Foto von Lea, wie sie das Café aufschloss, in einem Arm ihre Handtasche, über das Foto war ein Fadenkreuz gemalt. Ihre Stirn lag genau im Zentrum.



David saß in der Bibliothek an einem der einzeln stehenden Tische, hatte einige alte Bücher vor sich liegen, las, machte sich Notizen, hing seinen Gedanken nach. Die Textpassagen, die er suchte und fand, hätte er auch kopieren können, aber sie abzuschreiben ermöglichte ihm, die Informationen zu verarbeiten und zu speichern. Erst schrieb er die Passagen ab, dann machte er sich Notizen dazu. Nach den Vorträgen und Gruppenstunden setzte er sich gerne in die Bibliothek und lernte für sich allein; dort riss ihn niemand mit dummen Fragen aus der Konzentration. Heute allerdings blieb er nicht allein – jemand zog sich einen Stuhl heran, setzte sich ihm gegenüber und als David von seiner Fußnote aufsah, machte Tommy eine kleine lächelnde Grimasse zur Begrüßung.

„Ich wär lieber allein“, sagte David. Auch schon ohne Tommy hatte er Probleme gehabt, sich in den Stoff hineinzufinden.

„Das wär ich auch lieber, aber wir können es uns nicht aussuchen. Kannst du mit Terry in Kontakt treten?“

David legte ein leeres Blatt in das Buch, klappte es zu und schob es an den Rand des Tisches. Jemand hatte mit Kugelschreiber einen Smiley auf den Umschlag gemalt.

„Ist irgendwas passiert?“ erwiderte er. Tommy machte einen normalen Eindruck, aber das mochte täuschen. Er wusste schließlich aus eigener Erfahrung, dass auch sein Vater ein Weltmeister im Verstellen gewesen war.
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Nachts war er für die Army unterwegs gewesen, hatte auch einige schlimme Dinge getan, die er niemandem erzählen konnte und war nach diesen Aktionen im Morgengrauen nach Hause gekommen und hatte so getan, als sei alles in Ordnung.

„Ich muss etwas unternehmen“, sagte Tommy. In der Bibliothek, in die jederzeit jemand hereinkommen konnte, unterhielten sie sich nur flüsternd und wagten es nicht, gälisch zu sprechen.

„Also, kriegst du das hin?“

„Ich hab noch die Nummer seines Pagers“, sagte David, „darüber kann ich es versuchen. Willst du dich mit ihm treffen? Erzähl mir bitte nicht, dass du es dir überlegt hast.“

„Ich muss etwas mit denen abklären, das ist alles. Ich lasse mir nicht auf der Nase rumtanzen.“

Das weiß ich, dachte David.

„Ich page ihn sofort an, wenn du willst. Was soll ich ihm sagen, wenn er sich meldet?“

„Ich will, dass du ihm Panik vorspielst, weil ich dich fertig mache. Du willst dich mit ihm treffen, er soll herkommen. Mach die Welle, sag ihm, dass ich dich ordentlich in die Mangel nehme, weil sie mich nicht in Ruhe lassen.“

„Was soll ich ihm sagen, wenn er hier ist?“

„Spiel den Verzweifelten und dass sie mich in Ruhe lassen sollen. Er soll das seinen Leuten sagen. Und wenn sie mich sprechen wollen, sollen sie direkt auf mich zukommen.“

„Was hast du vor?“

„Tu einfach nur das, was ich dir sage. Um den Rest brauchst du dich nicht zu kümmern.“

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, sich allein mit ihnen anzulegen.“

„Was glaubst du, was würde passieren, wenn ich mit ihnen arbeite? Kann das weniger gefährlich sein? Ich weiß schon, was ich zu tun habe.“

Daran gab es wohl keinen Zweifel, aber David fühlte sich unwohl dabei, ihm bei dieser Sache zu helfen ohne zu wissen, was er vor hatte.

„Hör mal“, sagte er, „ich muss dir was sagen, was ich getan habe. Ich habe Terry ein Video gegeben, mit Aufnahmen von dir. Er wollte es als Beweis haben, dass du es auch wirklich bist. Terry meinte, er würde es nach Belfast schicken, aber keine Ahnung, ob er es getan hat und wozu.“

Sie wollen damit angeben, dachte er, sie haben es nach Belfast geschickt, um zu beweisen, dass sie es geschafft haben.
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Es ist eine Trophäe, nichtsweiter als eine kleine Trophäe. Sie haben mich längst ausgegraben, also spielt es keine Rolle.

Es interessierte ihn nicht, welche Bilder in die Heimat geschickt worden waren, er hätte nur gern gewusst, an wen sie gegangen waren. Mit etwas Glück würde er es rauskriegen.

„Page ihn an“, sagte er, „bestell ihn auf den Campus, heul ihm meinetwegen etwas vor, wenn es hilft, aber bring ihn her.“

„Okay“, sagte David, „wäre es hilfreich, wenn du mir die Faust gibst?“



Tommy nahm sich den Rest des Tages frei. Larry Johnson konnte dagegen nichts sagen; er nahm selten mehr als eine Woche Urlaub an einem Stück, häufig verlängerte er einfach nur die Wochenenden und war zufrieden damit. Er füllte den Urlaubsschein aus, zog sich zu Hause um und fuhr mit den Nissan zurück, setzte sich für einen Kaffee ins Café. Lea fragte, wieso er in Zivil herumliefe und er sagte, er habe frei, um ein paar Erledigungen zu machen.

„Sag mir nicht, du willst mich heute Abend mit irgendetwas überraschen.“

„Wenn ich es ankündige, ist es keine Überraschung mehr, oder?“

Er trank den Kaffee, eine halbe Stunde später ging sein Mobile und er verabschiedete sich, fuhr den Nissan zum Campus, stellte ihn dort an der Straße ab. Dort wartete er.



Tommy kam nach Hause, sah sich Zigarette rauchend im Garten um, versuchte die unsichtbaren Katzen anzulocken, die irgendwo sein mussten, sich aber nicht blicken ließen. Im Beet, das um das Katzenklo herumlag, fand er Stiefelabdrücke, die nicht von ihm und nicht von Lea sein konnten. Wegen der Katzenkacke mieden sie diesen Teil des Gartens. Er war kein Fährtenleser, konnte nicht abschätzen, wie alt die Spuren waren, aber vor drei Tagen hatte es das letzte Mal heftig geregnet. Das hieß wohl, dass die Spuren nicht älter sein konnten. Er stand dort, sah auf die Abdrücke, und sein Gesichtsausdruck hätte einige Leute erschreckt, Lea inbegriffen.

Sie könnten auch schon im Haus gewesen sein, dachte er, das Haustürschloss ist ein Scherz vor dem Herrn und wie oft vergisst Lea, die Terrassentür abzuschließen.



Terry war auf Davids Anruf hin auf dem Campus gekommen, hatte sich mit ihm auf dem Parkplatz getroffen.
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David schaffte es, ihn eine viertel Stunde festzuhalten, redete auf ihn ein, bis Terry, reichlich genervt, wieder in seinen Wagen stieg und davon fuhr. Er fuhr auf der Main Street Richtung Auburn davon, Tommy folgte ihm im Nissan. Terry hielt an der Tankstelle, fuhr dann nach Mechanic Falls weiter, wo er den Wagen an einem mehrstöckigen Haus abstellte, das neben einer Autowerkstatt lag. Von der anderen Straßenseite aus beobachtete Tommy das Haus, prägte sich die Gesichter der Hausbewohner ein, die kamen und gingen. Das alles sah nicht wirklich nach einem Treffpunkt einer Splittergruppe aus. Selbst, wenn sie sich nach außen hin den Anschein des Normalen geben wollten, machte nichts wirklich den Eindruck eines Unterschlupfes.

Ich werde mehr über euch raus finden, dachte er, ging hinüber in die Werkstatt, wo er sich mit dem Mechaniker über seinen Wagen unterhielt, der nur Probleme machte, er sich aber eine teure Reparatur nicht leisten könne. Sein Dialekt war ausgeprägter als sonst, auf dem Kopf trug er eine schwarze Wollmütze, die sein kurzes Haar bedeckte und nach einer Weile ließ er durchblicken, dass er sich das Leben hier besser vorgestellt habe. Der Mechaniker, einst selbst eingewandert aus Mexiko, begann freundlich von seinen Nachbarn zu erzählen, die ebenfalls von der Insel waren, denen es aber richtig gut ging.

„Auch aus Irland?“ fragte Tommy und der Mann schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, sie sind aus England, sagten sie.“

Tommy kitzelte die Namen aus ihm heraus, war nach einer weiteren halben Stunde in der Lage, diese Namen den Gesichtern zuzuordnen. Mit diesen Informationen fuhr er zu Douglas ins Revier, der ihm selbst erzählt hatte, dass er die Nachtschicht hatte. Er musste Douglas nicht lange überreden, in den Computer zu sehen, es war etwas, was ihm die Langeweile vertrieb. Erfolgreich war die Suche nicht; im Strafregister gab es keinen Eintrag, zumindest nicht unter den Namen, die Tommy hatte, aber Douglas versprach, sie am Morgen durch den Computer der Zulassungsstelle laufen zu lassen. Terry fuhr definitiv einen Wagen, aber Tommy hatte das Gefühl, dass diese Suche ebenso wenig erfolgreich sein würde.

Kommen aus England, darüber dachte er nach, wenn sie in dieser Beziehung nicht gelogen haben, kann das nur heißen, dass sie aus einem ganz anderen Grund hier sind.
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Sie wollen mich nicht für ihre Organisation, das ist das letzte, was sie wollen.

Zu Hause machte Tommy den Katzen zwei Dosen auf, füllte die Näpfe auf und hörte nebenbei, dass Lea endlich nach Hause kam.

Ihr würde das Herz brechen, wenn euch was passiert, dachte er, aber wie soll ich ihr beibringen, euch in nächster Zeit im Haus zu halten? Und euch würde das auch nicht gefallen.

„Bist du da?“ rief Lea aus dem Flur. Was für eine Frage, wo sein Nissan im Garten stand.

„In der Küche“, rief er zurück. Er konnte es ihr nicht sagen.



Er konnte nicht einschlafen, Lea hatte sich an seine Seite gedrückt, sich so klein zusammengerollt, dass sie kaum mehr Platz wegnahm als die Katzen. Er lag wach, blinzelte umher, horchte auf jedes Geräusch im Haus und hoffte fast darauf, dass Terry hereinkam und er ihn sich packen konnte. Dann hätte er einen Grund, in die Offensive zu gehen, ihn so lange zu bearbeiten, bis er ihm sagte, was sie wirklich von ihm wollten. Lea seufzte im Schlaf, drehte sich ein wenig. Ein Scharren kam aus der Küche und Tommy hielt die Luft an, aber es waren nur die Katzen, die durch das nächtliche Haus schlichen und denen einfiel, dass man auch im Dunklen spielen konnte, bevor man sich wieder schlafen legte. Es waren die üblichen Geräusche des Hauses, der Kühlschrank sprang an, die Uhr tickte, das Gebälk knackte und seufzte. Als er endlich einschlief, träumte er von Davids, nein, von Darrens Vater und den anderen Jungs, sie waren auf einer Landpartie und hatten echten Spaß, sie saßen hinter einer löchrigen Steinmauer, ließen eine Flasche Poteen herumgehen und redeten über Mädchen, Fußball und Belfast, alles, was noch damit zu tun hatte. Es war ein schöner Tag, der Sommer war noch nicht ganz auf der Höhe, es war warm und trocken, auf der Weide grasten die Schafe und etwas weiter weg stand ein großer Esel unter einem Baum, schlief mit hängenden Ohren.

Ich kann ihn schnarchen hören, sagte Tommy zu den anderen, aber niemand reagierte darauf.

Er fühlte die Steinmauer in seinem Rücken, das Gras kitzelte an seinen Knöcheln, es roch nach Schafen, nach Kräutern und über allem lag der scharfe Geruch des Poteen.
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Sie waren eine weite Strecke zu Fuß gelaufen, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben, und nur, weil eine der Jungs jammerte, er habe sich bereits eine Blase gelaufen, hatten sie an dem Feld Halt gemacht, hatten die Straße hinter sich gelassen und die Flasche angebrochen.

Ausgerechnet Kieran begann von Aidan zu sprechen, aus heiterem Himmel heraus und Tommy hatte das Gefühl, neben ihm eingeschlafen zu sein, denn er konnte ihn nicht daran hindern. Er wollte nichts von seinem Bruder hören; die Poteenflasche lag in seinem Arm, er konnte sich weder bewegen noch konnte er Kieran anfahren, er solle den Mund halten. Er war gelähmt und nur sein Gehör funktionierte noch. Die Wiese und die Steinmauer waren verschwunden. Und als er sich endlich wieder bewegen konnte, er die Augen aufschlug, war er allein. Er lag in einem Bett und sein Bein schmerzte so höllisch, dass er dachte, es müsse total zertrümmert sein. Obwohl er allein war, hörte er noch immer Kierans Stimme, er sagte Dinge, die er nicht hören wollte, die ihm weh taten, obwohl er wusste, dass es ein Traum war. In Wirklichkeit hatte Kieran niemals über Aidan gesprochen, denn er wusste, was geschehen war und dass man in Tommy Gegenwart darüber besser kein Wort verlor.

„Sie standen mit dem Wagen an der Straßenkontrolle“, sagte Kierans Phantomstimme, „vor ihnen haben sie den Vauxhall einfach durchgewunken, aber als sie bis vor die Schranke fuhren, hoben die Soldaten kurz die Gewehre und machten das Zeichen. Jeder kennt das Zeichen. Motor aus und aussteigen aus dem Wagen. Sie waren weder hektisch noch nervös, mussten sie ja auch nicht sein, sie waren ja nur auf dem Weg nach Hause, hatten den ganzen Tag in der Fabrik gearbeitet, für einen wahren Hungerlohn, aber man musste ja dankbar sein, überhaupt Arbeit zu haben. Niemand wusste, weshalb die Soldaten so ausflippten – aber mit einmal schrieen alle herum, die beiden wurden vom Wagen wegdirigiert, Tommys Dad versuchte etwas zu sagen und hob die Hände, drehte sich halb zu Aidan herum, der wie erstarrt dastand. Der Soldat vor ihnen, das entsicherte Gewehr im Anschlag, ein junger Kerl mit roten Flecken im Gesicht und einem hellen Oberlippenbart, schrie sie an, sie sollen sich nicht bewegen. Hatten sie sich trotzdem bewegt? Hatte Aidan die Schultern gehoben? Wollte er seinen Ausweis aus der Hosentasche ziehen? Er sah Tommy ein wenig ähnlich, sehr viel jünger, aber sie ähnelten sich wirklich in der Statur und von den Gesichtszügen.
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War es das? Eine Verwechslung? Absicht?“

Es war nicht mehr Kierans Stimme, die er hörte, es war Lea, die ihn endlich aus dem Traum riss. Noch immer hatte er den Geschmack des Poteens auf der Zunge. Sein Bein tat weh. Lea legte ihm die Hände auf das Gesicht, sagte immer wieder, er solle aufwachen, es sei nur ein Traum.

„Okay“, murmelte er mit heiserer Stimme, stützte sich auf die Ellebogen und konzentrierte sich auf ihre Stimme. Seinem Gesicht war selbst im Halbdunklen des Raumes die Verunsicherung anzusehen. Lea fühlte, wie er zitterte und sie bekam es mit der Angst zu tun. Selbst, wenn er wirklich krank gewesen war, hatte er nicht so gezittert. Er war wach, der Traum war von ihm abgefallen, aber er hatte sich noch nicht wieder gefangen. Was konnte er nur schreckliches geträumt haben.

„Tommy?“ flüsterte Lea, die rechte Hand noch immer an seinem Gesicht, die linke tastete nach seinem Arm. Seine Kaumuskeln arbeiteten, sein Atem ging schnaufend.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Was hast du? Du bist wach, Tommy, es war nur ein Traum.“

„Ich weiß“, sagte er endlich, atmete ein letztes Mal zitternd ein, „ich wollte aufwachen, aber ich konnte nicht. Mein Bein tut weh.“

„Ich hol dir Wasser und eine von den Killern.“

„Nein“, sagte er, „dann bin ich morgen früh zu groggy zum aufstehen. Es geht von allein weg.“

Die Erinnerung verblasste langsam, die Freunde, die um ihn herum gewesen waren, verschwanden wieder in die toten Schatten, die Schuld, die ihn ewig belastete, konnte er wieder beiseite schieben.

„Bist du sicher?“

„Ja“, sagte er, legte sich wieder zurück, stopfte sich das Kissen unter den Nacken, „komm her zu mir, dann kann ich wieder einschlafen.“

Lea legte sich neben ihn, den Kopf an seiner gesunden Schulter.

„Was war es?“ flüsterte sie, „ein Monstertraum oder etwas reales? Ich träume manchmal, das Haus würde brennen und ich komme nicht raus. Und dann schreien die Katzen wie kleine Kinder. War es so was?“

„So ähnlich“, antwortete er, „ich war zu Hause, aber alles war fremd.“

„Möchtest du manchmal wieder nach Irland?“

„Ich möchte schon, aber es geht nicht.
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Sie erschießen mich, wenn ich zurückgehe.“

„Ist das dein Ernst?“ flüsterte sie, er brummte, drehte sich etwas und erklärte: „So läuft das bei uns, ich bin einigen Leuten auf die Füße getreten, aber ich hab gewusst, dass es so sein würde, wenn ich einmal das Land verlassen habe.“

„Das ist traurig. Du kannst nicht mehr zurück.“

Endlich schlief er ein, ruhig und müde, hielt Lea im Arm und träumte auch nicht mehr. Ein sehnsuchtsvoller Traum von seiner alten Heimat wäre fast noch schlimmer gewesen als der Horrortraum.



Er wurde wach, als eine Katze an seinen Füßen zu lecken begann, drehte sich aus der Bauchlage auf die Seite und vermutete, er habe wieder verschlafen, da auch Lea nicht neben ihm lag. Er warf einen Blick auf den Wecker, legte sich seufzend zurück. Bis der klingelte, konnte er noch für eine viertel Stunde liegen bleiben, wenn die Katzen ihn denn ließen. Feo war bereits mit Lea in die Küche marschiert, aber Emelda war bei ihm im Bett geblieben, knetete geduldig an seinen Füßen herum und legte es darauf an, ihn zu ärgern. Tommy warf mit Leas Kopfkissen nach ihr (was er nicht zu häufig tun durfte, sonst rächte sie sich an ihm) und sie sauste wie der Blitz aus dem Zimmer.

Beim Frühstück sagte Lea: „Der Fernseher ist hinüber.“

„Was hast du damit gemacht?“

Sie sah ihn kritisch an. Diesen Blick kannte er, den setzte sie auf, wenn sie seine Kommentare noch als Scherz verstand, es aber Sekunden später ins Gegenteil kippen konnte.

„Ich hab ihn nur angemacht und es kommt kein Bild. Nur schwarz und es flackert ab und zu.“

„Du hast ihn kaputt gemacht.“ Tommy legte den Kopf schief.

„Wenn, dann haben die Katzen wieder in die Bildröhre gepinkelt.“

Feo hatte das wohl mal fertig gebracht, hatte den Fernseher damit gekillt. Lea hatte auch erzählt, dass er eines Morgens mit einem großen Fisch nach Hause gekommen war. Den hatte er nicht etwa aus der Mülltonne eines Nachbarn geholt, sondern musste ihn aus irgendeinem Teich geangelt haben. Einen Koi. Lea hatte ihn schuldbewusst im Garten vergraben und nie gefragt, wer von den Nachbarn einen teuren japanischen Zuchtkarpfen vermisste.
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Tommy ging mit der Kaffeetasse in der linken Hand zum Fernseher, probierte ihn einzuschalten, betrachtete das schwarze Bild und begann, den Fernseher von der Wand wegzurücken.

Im Vorbeigehen sagte Lea: „Komm ja nicht auf die Idee, den selber reparieren zu wollen. Und wenn, zieh vorher wenigstens den Stecker raus.“

Er versuchte es nicht selber; wenn es sein Gerät gewesen wäre, hätte er es versucht, aber er wollte sich von Lea nicht anhören müssen, er hätte das Ding total kaputt gemacht. Er hatte auch keine Zeit, er musste sich noch rasieren und anziehen, kam sonst zu spät zur Arbeit. Lieber rief er einen Techniker an, der vorbeikam und den Fernseher mitnahm.

„Soll ich mich drum kümmern?“ fragte er, trank seinen Kaffee aus, streckte die Hand nach ihr aus, als sie sich im Flur zwischen dem Wohnzimmer und der Küche trafen.

„Wenn du Zeit hast, in Ordnung.“



Drei Tage lang löcherte Tommy den alten Hausmeister, bis er sich geschlagen gab und sich einen Termin beim Augenarzt in Auburn geben ließ. Er kam von dem Besuch zurück, erzählte Tommy bei einer Zigarette, dass er eine Augenkrankheit habe, die eine Operation verlangte, es aber mittlerweile ein Routineeingriff sei und der Arzt habe ihm gesagt, er müsse sich keine Sorgen deswegen machen.

„Erst das Rechte und dann das Linke Auge“, sagte er, „damit ich auf dem einen dann noch was sehen kann. Ich geh nachher zu Hollenack und sage ihm bescheid.“

Er hatte die Bäume, die den Unfall überstanden hatten, eingepflanzt und ging sie täglich besuchen, kontrollierte die Äste und Blätter, prüfte den pH-Wert des Bodens.

„Ich hab Alice Johnson am Campus vorbeifahren gesehen“, sagte er, „ich wusste nicht, dass sie wieder in Lewiston ist. Hat Larry was erzählt?“

„Zu mir hat er nichts gesagt. War sie sehr schnell unterwegs?“

„Eher langsam. Sie hat leere Flaschen aus dem Straßengraben gesammelt.“

Alice Johnson, Larrys ältere Schwester, war in Lewiston, Auburn und in der näheren Umgebung als die Frau mit dem Dreirad bekannt. Sie hatte keinen Führerschein und kein Auto, war für ein normales Fahrrad zu wackelig und deshalb fuhr sie ein Spezialrad, zwischen dessen zwei Hinterrädern ein großer Metallkorb angebracht war.
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Sie fuhr damit nicht nur zum Einkaufen in den Wal-Mart, sondern auch nur so zum Spaß durch die Gegend, machte Rast an ihren Lieblingsplätzen, sammelte den Müll ein, den andere Autofahrer wegwarfen und war so manchmal den ganzen Tag unterwegs. Sie hielt sich fit damit, kam immer wieder mit fernen Nachbarn und Reisenden ins Gespräch und nur Larry behauptete von ihr, sie habe eine Schraube locker. Offiziell sagte er das allerdings nicht; seine Schwester war eine lokale Berühmtheit, es erschienen regelmäßig Artikel in der Zeitung über sie, und deshalb war es keine gute Idee, schlecht über sie zu sprechen. Den Sommer hatte sie in Florida verbracht. Dass sie jetzt zurück war, war ein sicheres Zeichen, dass der Herbst unmittelbar vor der Tür stand.

„Ich hab jedes Mal Angst um sie, wenn sie die Landstraße benutzt, von weitem sieht sie aus wie ein Kind, das sich verfahren hat.“



Auch Spike hatte vom Fenster der Gärtnerei aus Alice Johnson entdeckt, seine Videokamera laufen lassen und sie auf ihrem bedächtigen Weg verfolgt. Er sammelte alles, was auf und um den Campus herum passierte, setzte es zu einem Filmtagebuch zusammen. Es kostete ihn viele Nachtstunden vor dem PC, die Bilder und Ereignisse in Beziehung zueinander zu setzen, dass sie eine eigene Spannung und Dynamik aufbauten. Er hatte viele seiner Kollegen, Teile der Lehrer und auch die Sicherheitsleute gefilmt, hatte die Musikfeste und Abschlussfeten dokumentiert, aber bisher hatte noch niemand dieses Tagebuch gesehen. Er unterlegte sie mit Musik, seine Kommentare kamen nur durch eingeblendete Schriftzüge zu ihrem Recht. Manchmal ließ er die Tonspur laufen, manchmal nicht. Es gab ein kompliziertes Ordnungssystem, über dem er Ereignisse und Daten wieder fand, denn er ging nicht nach dem Kalender. Es war sein großes Geheimnis. Selbst, wenn er es hätte jemandem zeigen wollen, müsste er es sich ganz genau überlegen, wem, denn er hatte einige Dinge gefilmt, von denen niemand etwas wissen durfte. Vor den Sommerferien hatte es im Rand House eine Party gegeben, die in einer Orgie geendet war, von der nur niemand etwas wusste, weil die anwesenden Jungs die beteiligten Mädchen unter Druck gesetzt hatten. Eines der Mädchen hatte gedroht, zur Polizei zu gehen, sagte, sie habe den Sex nicht gewollt und ihr habe jemand Drogen gegeben, aber auch sie war verstummt und hatte es vorgezogen, nach den Semesterferien nicht mehr wiederzukommen.
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Spike wusste, wie einige andere auch, wer die Drogen und den Alkohol angeschleppt hatte, wer für die Katastrophe verantwortlich gewesen war, er hielt still wie alle anderen auch; aber er hatte alles auf Video. Ohne, dass die anderen Jungs es bemerkt hatten, hatte er alles aufgenommen, hatte den Beweis, dass man den Mädchen Drogen in die Drinks geschüttet hatte, damit sie sich nicht wehren konnten. Er hatte es nicht gelöscht, er hatte es in sein Tagebuch aufgenommen, aber er sah es sich nicht an. Es gehörte zu den geheimen Dingen. Ebenso wie die Bilder, die er von Tommy gemacht hatte, obwohl er wusste, dass er ein Problem damit hatte. Spike sagte sich, dass es sein Eigentum war, es niemand sehen würde und deshalb filmte er weiter. Erst vor Tagen hatte er Tommy auf dem Weg zur Sporthalle verfolgt, und auch den Mann, der nach ihm recht verstohlen in der Halle verschwunden war.



Tommy fuhr ins College, dachte daran, mit einem der Jungs aus dem Video-Club zu sprechen, da die doch den ganzen Tag (wenn sie nicht gerade studierten) mit Fernsehern und diesem Kram zu tun hatten, denn der Techniker hatte sie mal wieder vertröstet. Er vertröstete stündlich oder auch täglich, je nach dem, wie oft man anrief, versprach, ganz sicher vorbeizukommen. Tommy hatte dann aber so viel zu tun, dass er es vergaß. Irgendein Komiker hatte einige der Notruftelefone abgerissen und er wurde von Larry dazu verdonnert, sich darum zu kümmern, ob noch etwas zu retten war oder ob neue bestellt werden mussten.

Außerdem regnete es den ganzen Vormittag, den er auf dem Campus, im Park und zwischen den Häusern, Verwaltungsgebäuden und Wohnheimen unterwegs war; er fuhr mit dem Rad, trug über seiner Uniform nur seine blaue Windjacke mit dem SECURITY auf dem Rücken, um sich vor dem Regen zu schützen.

Über Funk bekam er die Nachricht, dass er ins Büro zurückkommen solle, als er in der Nähe der Musikhalle war, einen vollkommen zertrümmerten Notrufapparat fand, den er nur noch abreißen konnte. Er antwortete, er wäre bereits unterwegs, hatte die Stimmen des Chores im Ohr, der in dem Gebäude probte. Er konnte nicht erkennen, welches Lied es war, aber es hörte sich ergreifend an; erinnerte ihn an das erste Mal, als er einen Gospelchor gehört hatte, in einer Kirche in Boston.
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Die erste Kirche seit etwa hundert Jahren, die er betreten hatte.

Er kam zurück, ließ seine nasse Jacke im Flur hängen und warf im Vorbeigehen einen Blick in seinen Postkorb. Keine Nachrichten. An seinem Schreibtisch wartete David auf ihn, stand von dem Drehstuhl auf, als Tommy hereinkam. Sie waren nicht allein. Scott saß an seinem Schreibtisch, telefonierte und hatte die Füße auf seinen Hängeordnerkorb gestellt. Er nahm scheinbar keine Notiz von David, aber eine Unterhaltung würde er sich nicht entgehen lassen.

„Worum geht’s?“ fragte Tommy, „was wichtiges? Ich hab ’ne Menge draußen zu tun.“

„Ich wollte nur kurz nachfragen, ob...“

„Können wir das draußen bereden? Ich brauch ein paar Werkzeuge aus dem Lager. Du kannst mitkommen und wir reden darüber.“

David machte einen geknickten Eindruck, blinzelte nervös, als er an Scotts Schreibtisch vorbeiging und Scott hatte sofort die Vermutung, dass es sich bei David McCann um den Freund mit der Beziehungskiste handeln könnte. Er sah den beiden nach, brummte nur noch in den Telefonhörer, abgelenkt durch seine Überlegungen.

Als wenn er nichts anderes zu tun hätte, als dummen Studenten aus der Patsche zu helfen, dachte er.

Er konnte nicht sehen, dass diese Maske von David abfiel, als er in den Flur bog.

„Schieß los“, sagte Tommy. Er stand vor dem Werkzeugschrank, David war ein Schritt hinter ihm. Er hatte ihm einen Karton in die Hand gedrückt, in die er die nötigen Werkzeuge fallen ließ.

„Terry hat mich angerufen. Mann, war der auf der Palme. Er sagte, die Polizei sei bei ihm gewesen. Sie haben seine Wohnung und seinen Wagen durchsucht, weil ihn jemand angeschwärzt hat. Er soll synthetische Drogen bei sich versteckt haben. So wütend hab ich ihn noch nicht erlebt. Er hat mich beschuldigt, was damit zu tun zu haben, weil sie mich aus der Organisation rausgeschmissen haben.“

„Was hast du geantwortet?“

„Hätte ich etwas zugeben sollen, was ich nicht gewesen bin? Ich hatte davon keine Ahnung.“

„Wer da wohl angerufen hat“, murmelte Tommy gedehnt, reagierte nur mit einem unbestimmten Brummen, als David fragte, ob er denjenigen vielleicht kannte.
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Tommy hatte von Douglas erfahren, dass Terry Osbourne den Führerschein seit einem viertel Jahr besaß, die Adresse, unter der Tommy ihn gefunden hatte, war mit der auf dem Dokument identisch. Es war in Ordnung, dass sie sich über die kleine Durchsuchung aufgeregt hatten. Tommy hatte einen anonymen Anruf gemacht, Namen der Hausbewohner genannt und deutlich gesagt, dass er E-Pillen und noch mehr dort wusste; er behauptete, diese Leute (Engländer) könnten für die meisten Drogen verantwortlich sein, die in Lewiston und Auburn auf der Straße im Umlauf waren. Es war gut zu hören, dass man seinen Anruf ernst genommen hatte.

„Mach dir keine Gedanken deswegen“, sagte Tommy, „wenn du ihm gesagt hast, dass du damit nichts zu tun hattest, werden sie dir das glauben. Brech den Kontakt ab. Ich kümmere mich um diese Sache.“

David begleitete Tommy zum defekten Notruf, hockte neben ihm auf der Rasenbegrenzung, während Tommy das Telefon abbaute.

„Ich hab mit Pol telefoniert, meinem Onkel“, sagte er nebenbei, „am liebsten hätte ich ihm von dem Mist hier erzählt, aber ich hab’s gelassen. Meine Mutter hätte sofort Wind davon bekommen und dann hätte sie sich ins nächste Flugzeug gesetzt und wäre hergekommen. Pol hat ohne Ende von zu Hause erzählt. War ganz gut, dass er mich nicht zu Wort kommen lassen hat. Du kennst ihn auch noch von früher, oder?“

„Das ist so lange her, dass ich mich kaum noch dran erinnern kann.“

Das war gelogen. Pettigoe, Kierans Heimat, war ihm ebenso gut im Gedächtnis wie Belfast und alles andere, aber er brauchte diese Notlüge, um aus dem Thema rauszukommen. Er musste verhindern, dass er mit David (Darren...) ins Plaudern geriet.

„Versprich mir nur, dass du dich von Terry fern hältst. Ich hab zwar noch nichts konkretes, aber eins ist sicher. Sie sind keine INLA Splittergruppe, egal, wie sie sich nennen.“

„Wer sind sie dann?“

„Es gibt zwei Möglichkeiten. Wenn ich Glück habe, sind es Prods, die sich vor irgendwem profilieren wollen, aber wenn ich Pech habe, sind es Briten.“

„Fuck“. David sprach es „Feck“ aus.

„Und mit denen hab ich mich eingelassen.“

„Mach dir keinen Vorwurf deswegen, woher hättest du es wissen sollen.
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„Ich hab ihnen viel zu viel von meinem Vater erzählt, Jesus im Himmel, und Terry hat so getan, als sei er interessiert und stünde auf meiner Seite. Dieses Arschloch. Wenn mein Dad das wüsste, würde er mich noch in vierhundert Jahren dafür verfluchen.“

„Nein“, sagte Tommy, klemmte sich einen Schraubenzieher zwischen die Zähne, „ich glaube, so nachtragend wäre er nicht. Nach dreihundertfünfzig Jahren hätte er dir bestimmt vergeben. Er war schließlich einer, der alle Wege genommen hat, um an sein Ziel zu kommen. Genauso würde er das sehen.“

„Ich weiß, welche Wege er gegangen ist. Aber mal ehrlich – wenn Terry mir noch mal begegnet, werde ich mich nicht mehr raushalten.“

Er hielt den zerstörten Telefonapparat, während Tommy die bloß liegenden Anschlüsse versiegelte, etwas vor sich hinmurmelte, was sich wie „Ich hab dich gewarnt“ anhörte.

David begleitete ihn bis zur Werkstatt, von wo aus er zurück ins Wohnheim ging. Tommy räumte auf, zog die nasse Jacke aus und hängte sie an die Innenseite der Tür. Es tat nicht gut, dass er zu David ein enges Verhältnis ansteuerte und das nicht nur, weil es Ärger mit Lea geben würde, wenn sie Wind davon bekam, sondern hauptsächlich, weil er seine Identität gefährdete. Aber je weiter er sich in dieser Sache vorwagte, anstatt wie sonst einfach die Zelte abzubrechen und zu verschwinden, um so überzeugter war er, dass er ab einem bestimmten Punkt Unterstützung brauchte, er es nicht allein schaffen konnte.

Reichlich verspätet tauchte er bei Lea auf, war noch so in Gedanken, dass er sich einen Fliegenfriedhof bestellte, obwohl er diesen Ausdruck noch nie benutzt hatte. Lea sah ihn erstaunt an, wartete darauf, dass er etwas zur Erklärung sagte, den Witz auflöste, aber er starrte aus dem Fenster und reagierte erst, als Lea eine Serviette zu einer Kugel zusammenknüllte und nach ihm warf.

„Was?“ fragte er, nahm einen Schluck Kaffee und setzte die Tasse sofort wieder ab, als Lea sagte: „Was meinst du mit Fliegenfriedhof?“

„Einen Brombeermuffin“. Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Muffins hinter der Glasscheibe der Theke. „Oder gib mir direkt ein paar mehr mit für die gierigen Kollegen.“

Aus der Brusttasche zog er eine Fünf-Dollarnote, üblicherweise bezahlte er das Gebäck für die Kollegen mit reichlich Trinkgeld, um die kostenlosen Kaffees wieder auszugleichen.
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„Okay“, sagte Lea, „ich seh jetzt den Zusammenhang, aber warn mich das nächste Mal vor, wenn du in die Tiefen der Jugendsprache abtauchst.“

„Es war ein kurzes Abtauchen in die Untiefen meiner Jugend“, flüsterte er zurück, brachte Lea zum lächeln und setzte hinzu: „Entschuldige.“

„Bei dem Trinkgeld darf das wohl öfters passieren“, sagte sie.

Das Feeling zwischen ihnen war gut, hätte gar nicht besser sein können und es gab keinen Grund, ihr von David und Terry zu erzählen. Besser, er verdrängte es noch eine Weile, immer in der Hoffnung, er könne Lea ganz raushalten.

Ich schaffe es schon, diesen Typen beizubringen, dass sie mich besser in Ruhe lassen, dachte er, obwohl die Frage, was sie eigentlich von ihm wollten, sich immer wieder in den Vordergrund drängte.

Der Fernseher stand noch immer unrepariert zu Hause, aber sie vermissten ihn nicht wirklich. Die Nachrichten sahen sie sich Online an oder kauften eine Zeitung mehr. Am Abend saß Lea vor dem PC, Tommy war noch im Bad.

„Sieh mal“, rief sie, „da ist wieder einer von deiner Insel in Washington zu Besuch.“

Tommy biss sich auf die Zunge, um nicht zu erwidern, dass dieser Mann im grauen Anzug und dem starren Lächeln im Gesicht nicht von seiner Insel kam, nur, weil er in den 80ern Nordirlandminister gewesen war. Die Tatsache, dass die Chinesen in Tibet einmarschiert waren, machte auch den chinesischen Staatschef nicht zu einem Tibetaner (ebenso wenig wie einen Tibetaner zu einem Chinesen). Einer der Provos, der ebenfalls den Weg in die USA gefunden hatte, um dort unterzutauchen (allerdings hatte er dort auch lange im Knast gesessen), war während einer seiner zahllosen Verhaftungen von einem britischen Offizier bewacht worden, um ins nächste Gefängnis gebracht zu werden und dieser Offizier hatte ihm mit ehrlichem Bedauern mitgeteilt, dass er mit seinem Aktivitäten gegen die Krone sich endgültig die Chance verspielt hatte, jemals in die britische Army aufgenommen zu werden. Vermutlich hatte er wirklich damit gerechnet, dass dieser katholische Ire aus Belfast auf die Knie fallen und um Verzeihung flehen würde. Einer der Männer, der der britischen Army nur nahe gekommen war, um ihre Kasernen und Panzerwagen in die Luft zu jagen.
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Dieser Minister, der jetzt für ein paar Tage in Washington war, hatte in Zwischenzeit einige Sprossen auf der Karriereleiter erklommen, war ein wenig grauer und fetter geworden, aber an seinem Ton und an seinen Überzeugungen hatte sich nichts geändert. Ein Interview vor dem weißen Haus nutzte er dazu, einen Hieb in Richtung des Sinn Fein Präsidenten auszuteilen, den er als Terroristen bezeichnete und von ihm als eine Person sprach, mit der man keinerlei politischen Kontakt pflegen, geschweige denn Verhandlungen über die Zukunft Nordirlands führen sollte. Was für ein Tritt ins Fettnäpfchen, da sein eigener Premier dieser persona non grata schließlich schon vor laufender Kameras die Hand geschüttelt hatte. Tommy grinste; er erinnerte sich daran, wie die beiden Politiker vor den Kameras gestanden hatten, vor Downing Street No. 10, dem Gebäude, das nur wenige Jahre zuvor Ziel eines Anschlags der IRA gewesen war. Die Tür hatte sich durch die Wucht der Explosion einmal nach außen gewölbt; die Granate war im Garten gelandet, hatte nur Schaden an der Rückseite des Gebäudes angerichtet.

„Politiker“, sagte Tommy abfällig, „die sind zu nichts wirklich zu gebrauchen.“

„Du scherst jetzt aber alle über einen Kamm.“

„Nur die von der Insel.“



Lea dachte schon länger darüber nach, etwas im Cafe zu verändern, die Wände zu streichen oder eine neue Markise für die Außenfassade zu kaufen. Da sie im Café von Anfang an alles allein gemacht hatte, kam auch jetzt kein Innenarchitekt in Frage, jemand, der ihr seine Ideen überstülpen würde. Sie überschlug während der ruhigen frühen Stunden ihre Finanzen, spielte auch schon mit dem Gedanken, ein größeres Lokal anzumieten, in dem sie Stühle und Tische auch draußen vor den Eingang stellen konnte. Zumindest in den Sommermonaten konnte das den Umsatz nur steigern. Das allerdings würde bedeuten, dass sie jemanden einstellen müsste; ein größeres Cafe war mehr Arbeit und das konnte sie dann nicht mehr allein schaffen. Sie aß gedankenverloren einen der Donuts vom Vortag, trank Kaffee dazu.

Das Cafe füllte sich langsam, sie legte die Renovierungsunterlagen unter die Theke und verschaffte sich einen Überblick über die heutige Zusammensetzung der Gäste.
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Die Mehrzahl waren Stammkunden, von denen sie wusste, was sie üblicherweise tranken. Butch sah herein, noch in seiner Supermarkt-Uniform. Zwei Jungs stritten sich wegen eines ebenfalls anwesenden Mädchens, aber niemand griff ein deswegen. Lea behielt sie einen Moment im Auge, als sie sich aber lachend High Five gaben, beruhigte sie sich wieder.

Ridley, der Schulbusfahrer, ein junger Mann mit langem schwarzen Haar, bestellte sich einen großen Kaffee und sagte, er würde ihn im Pappbecher für unterwegs mitnehmen. Lea hatte diese Becher mit Deckel griffbereit unter der Theke, wenn sie sie auch nur selten benutzte. Die meisten nahmen sich die Zeit, den Kaffee im Café zu trinken.

„Ich bin auf dem Weg ins Büro, um mir einen Anschiss abzuholen“, sagte er grinsend, als habe er keine Ahnung, was er ausgefressen haben könnte, „und wenn ich dabei einschlafe, bin ich den Job mit Sicherheit los.“



Im Sicherheitsbüro kam Larry Johnson zum dritten Mal in das Büro der Mitarbeiter, sah demonstrativ auf die Uhr und fragte in die Runde: „Ist Tommy noch immer nicht da?“

John Derocher sah sich um, starrte zu Tommys leeren Schreibtisch hinüber und sagte: „Ich glaube nicht.“

„Sobald er auftaucht, schick ihn zu mir.“

John zog ihm ein langes Gesicht, nachdem er sich wieder abgedreht hatte und in sein Büro verschwunden war.

Obwohl Tommy sich beeilte, kam er reichlich zu spät zur Arbeit. Er ahnte, was auf ihn zukommen würde und verzichtete darauf, sich erst einen Tee zu holen. John machte eine Kopfbewegung in seine Richtung, als er zu seinem Schreibtisch schlurfte, die Jacke über der Schulter, noch mit den Autoschlüsseln hantierend, sagte: „Tanz beim Chef an, Tommy.“

Im Büro bekam er direkt zu hören: „Was ist los mit dir? Setz dich hin.“

Larry marschierte an Tommys Stuhl vorbei, schloss seine Bürotür, den Kopf darüber schüttelnd, weil er es nicht verstand.

„Wenn irgendetwas los ist, solltest du mit mir darüber reden. Du kommst zu spät, du verschwindest vom Campus. Die Kollegen glauben, du könntest Ärger haben. Weshalb kommst du nicht zu mir und wir versuchen eine Lösung zu finden?“

„Ich verschwinde nicht öfter vom Campus als sonst auch“, erwiderte Tommy, „und ich habe auch keinen Ärger.
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Ich habe einfach nur verschlafen, Lea will das Café renovieren und wir haben uns lange über die Pläne unterhalten. Ich kümmere mich ständig um alles auf der Anlage, oder? Oder gibt es an meiner Arbeit auch etwas auszusetzen?“

Larry musste ihm recht geben, dass es an seiner Arbeitsleistung nichts auszusetzen gab.

„Brauchst du ein paar Tage Urlaub?“

Tommy verließ das Büro seines Chefs, steckte den Urlaubsschein in seine Hosentasche. Am liebsten wäre er direkt nach Hause gefahren, aber er musste zuvor noch ein paar Dinge erledigen. Das ganze nahm ihn mehr in Anspruch, als er es zugegeben hätte. Als er in den Nissan stieg, vollkommen in Gedanken, setzte er sich in das Polster und fragte sich vollkommen perplex, wo das Lenkrad geblieben war, bis er bemerkte, dass er auf der rechten Seite eingestiegen war. Er schwang sich wieder vom Beifahrersitz, konnte sich nicht daran erinnern, dass ihm so was schon mal passiert war. Als er den Nissan umrundete, auf der richtigen Seite einstieg und den Schlüssel ins Zündschloss steckte, zitterten seine Hände und er wünschte sich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit, er könnte in die nächste Bar gehen und sich eine Flasche kaufen.



Terry hatte die Arschkarte gezogen, denn er war es, der sich mit dem Sekretär (oder Berater, wie auch immer sich dieser Schleimbeutel nannte) des Ministers treffen musste. Dazu flog er nach Boston, um sich mit dem Mann in einem Hotel-Konferenzraum treffen, als sei er zu einer privaten Papstaudienz gebeten worden. In dem Gebäude waren mehr Sicherheitsleute anwesend, als der Sache gut tat, aber Terry hatte in dieser Beziehung nichts zu melden. Er war ein kleiner Agent, er war es gewöhnt, dass man ihn wie eine Figur hin- und herschob. Aber wurde die Presse auf dieses Aufgebot an Bodyguards aufmerksam und machte sich jemand Gedanken darüber, weshalb ein britischer Minister so um seine Sicherheit bangte, könnten dumme Fragen gestellt werden.

Jahrelang war Terry als Soldat in Nordirland stationiert gewesen, bis sie ihm vom Geheimdienst ein Angebot gemacht hatten, das ihm ermöglichte, ein größeres Haus und einen Zweitwagen zu kaufen, seine Töchter auf eine bessere Schule zu schicken.
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Er fand, dass sich der Job nur unwesentlich verändert hatte – er trug nur keine Uniform mehr. Die beiden Arschgeigen, mit denen er in dieser Sache zusammenarbeiten musste, hatten noch nicht einen Fuß auf nordirischen Boden gesetzt, taten aber so, als wüssten, sie, worum es ging. Terry brauchte ihnen nicht zu erzählen, dass es etwas anderes war, es jahrelang selbst mitgemacht zu haben. Als er es versuchte, warfen sie ihm sofort vor, Sympathie für diese irischen Bombenleger zu hegen und die eigene Sache zu verraten. Seitdem hielt er den Mund. Er hatte den jungen Finnigan geködert, er hatte alles eingefädelt und deshalb musste er jetzt auch beim Berater Newberry antanzen. Er saß dort in dem Bostoner Nobelhotel, weggesperrt in dem kleinen Konferenzraum mit einem Bodyguard vor der Tür, der einen Knopf im Ohr trug und sicherlich gut bewaffnet war. Als Newberry endlich zu ihm kam, stand Terry kurz auf, die Männer reichten sich die Hände und er fragte: „Ist der Minister auch hier im Hotel?“

„Das hat sie nicht zu interessieren, Osbourne“, bekam er zur Antwort, „sagen sie mir lieber, weshalb sich die ganze Aktion so verzögert.“

„Welche Version wollen sie hören? Die kurze angenehme oder die andere?“

„Wie wär’s mit der Wahrheit?“

„Wir haben die falsche Taktik angewandt. Es war in Ordnung, Finnigan auf ihn anzusetzen, nachdem wir wussten, wo er war, aber wir hätten ihm nicht die Arbeit überlassen dürfen, für die wir ausgebildet worden sind. Zwar kennt er ihn aus den Erzählungen seines Vaters, aber er war immer darauf angewiesen, dass wir ihm sagen mussten, was er als nächstes tun soll. Nach meiner Meinung lässt sich die ganze Sache nur retten, indem wir ihn festsetzen und ihn davon überzeugen, dass er uns das Versteck verraten muss.“

„Sie, Osbourne, haben uns aber vor fünf Monaten davon überzeugt, dass das bei ihm nicht funktionieren würde.“

„Die andere Taktik funktioniert aber auch nicht, Sir. Wenn wir noch mehr von diesen kleinen Drohungen und Einschüchterungsversuche unternehmen, wird er entweder untertauchen oder blutig zurückschlagen.“

„Ich habe dem Minister gegenüber noch nicht erwähnt, dass sie durch eine Drogenrazzia fast aufgeflogen wären“, sagte Newberry und Terry dachte gallig: Na und? Soll ich dir deshalb dankbar sein? „Diese Sache hatten wir gut im Griff.
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„Was schlagen wir also vor? Ihn in einen Bunker setzen und so lange dort festhalten, bis er redet?“

„Sie haben zwei Möglichkeiten“, sagte Terry, „in Anbetracht der Tatsache, dass dem Minister die Zeit bis zu seiner Befragung vor dem Untersuchungsausschuss davonrennt, würde ich ihnen die erste vorschlagen. Geben sie mir den Befehl, ihn abzuservieren und vertrauen wir auf die Annahme, dass er nie jemandem etwas von Lough Fad erzählt hat. Er nimmt das Geheimnis mit ins Grab, wenn er überhaupt etwas davon ahnt.“

„Damit wird sich der Minister nicht einlassen. Er will die Sache aufklären. Wir können uns nicht drauf verlassen, dass er es nicht jemandem gesagt hat. Wir müssen das Versteck finden und die Beweise vernichten. Erst dann kann er mit einer weißen Weste vor den Ausschuss treten.“

Er hat aber keine weiße Weste, dachte Terry, ich kann damit leben, einem Mann eine Kugel zu verpassen, aus welchem Grund auch immer, selbst wenn er nur die falsche Religion hat, aber mir stellt sich das Fell auf, wenn ich einen Politiker sehe, der seine Fehler aus der Vergangenheit mit aller Macht zu vertuschen versucht. Er hat schon damals gelogen und tut es auch heute noch.

„Dann werden sie sich schon mal einen Bunker suchen müssen, Sir“, sagte Terry, „und sich auf eine verdammt lange Zeit einstellen. Er war Experte auf seinem Gebiet. Selbst, wenn sie ihn foltern, werden sie es nicht einfach so aus ihm herauskriegen. Sie werden ihn danach exekutieren lassen müssen, und das weiß er auch, denn sie können ihn nicht laufen lassen. Bringen sie ihn nach Irland zurück, treten sie damit eine Lawine los, die sie mit in die Tiefe reißen wird.“

„Es ist mir egal, welche Methoden sie anwenden“, sagte der Berater, „aber wir brauchen die Information.“

„Wir sind schon an seiner Freundin dran“, sagte Terry, konnte nicht verhindern, dass sich seine Stimme anhörte, dass ihm diese spezielle Aktion missfiel, „und wir haben es ihn wissen lassen. Agent Eubank ist an ihm dran und beobachtet ihn. Wenn wir glauben, dass er reif ist, werden wir ihn einkassieren. Dann entscheiden sie, was als nächstes passiert.“

„Wenn sie den Bogen überspannen und er ihnen durch die Lappen geht, können sie damit rechnen, ihrer Karriere Lebewohl zu sagen.
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Damit hab ich schon gerechnet, als man mir diesen hirnverbrannten Auftrag gegeben hat, dachte Terry.

Sollte der Minister wirklich im Hotel sein, war er froh, dass er ihm nicht persönlich begegnete. Er hätte ihm vermutlich gesagt, dass die Dinge, die während seiner Zeit als Nordirlandminister passiert waren, niemand außer ein paar Iren wirklich interessierte. Sollte er doch Bedauern heucheln und es seinen damaligen Untergebenen Militärs in die Schuhe schieben. Selbst für den Mist, der am 30. Januar passiert war, interessierte sich nicht wirklich jemand, oder welche Geheimdienststelle irgendeinen Mord in Auftrag, ausgeführt oder auch nur gebilligt hatte. Die Wellen mochten in Irland selber noch hoch schlagen, aber bis nach London mochten sie nicht reichen.

Vor dem Hotel zog Terry sich die Krawatte locker, drehte sich um und sah an der Fassade hoch. Newberry versucht den Arsch seines Chefs zu retten, und nur zu gerne hätte er ihn damit scheitern sehen, aber er wusste aus Erfahrung, dass er es irgendwie schaffen würde, selbst wenn sie den Iren ausknipsten, ohne an die Informationen zu kommen. Mit dem Taxi fuhr er zum Flughafen, erwischte ausgerechnet eines, in dem auf der gesamten Strecke die Dubliners spielten.
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Kommentare zur Story:

  Nun bekommt deine Story immer stärkere kriminalistische Züge. Sehr spannend das Ganze.  
   Petra  -  12.04.09 22:08

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Kommentar von "darkangel" zu "Stein in der Mauer"

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