Mari und der Amokläufer im Roggen (Dialogroman - 1. Akt)   22

Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Jan N.      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 17. Juni 2008
Bei Webstories eingestellt: 17. Juni 2008
Anzahl gesehen: 2331
Seiten: 8

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


1.

In einer alten, maroden Küche. Samy schält gelangweilt Kartoffeln am Tisch. Er ist ein sechzehnjähriger Junge mit einer ausgeprägt androgynen Gestalt. Seine Brille rutscht ihm beim Schälen ständig von der Nase.

Sein Blick fällt auf die Schrotflinte in der Glasvitrine neben ihm. Davon abgelenkt, schneidet er sich mit dem Kartoffelmesser in den Finger.

“Eh“, er betrachtet die Schnittwunde und zieht sie langsam auseinander. Das Blut quellt heraus und tropft auf den Boden. „Was ist hier los?“, sagt plötzlich eine Stimme hinter ihm. Erschrocken schaut er auf. Samys Opa kommt mit strenger Miene auf ihn zugehumpelt. Samy verhüllt die Wunde schnell mit einem Papiertuch.

“Sind die Kartoffeln geschält? Ich habe Hunger“, fragt der alte Mann fordernd.

“Ja, gleich“, erwidert Samy monoton.

“Und nimm den Müll heute endlich mit raus. Bevor er mir noch die ganze Bude voll stinkt.“

“Hier stinkt’s doch sowieso“, flüstert Samy sich selbst zu.

“Was hast du gesagt?“, der Opa wird wütend.

“Nichts…“, erwidert Samy erschrocken. Im gleichen Moment bekommt er eine Backpfeife vom dem alten Mann verpasst.

“Setz’ die Dinger jetzt endlich auf!“

Samy verlässt mit seiner Schultasche und einer Mülltüte das heruntergekommene Hochhausgebäude. Er schmeißt die Tüte wütend in eine der nahe stehenden Mülltonnen, setzt die Kopfhörer seines Players auf und dreht die Musik voll auf.

Er erreicht eine Straßebahnhaltestelle. Beim Einsteigen in die Bahn stolpert er und verliert dabei die Kopfhörer. Zwei kleine Jungen, die bereits in der Bahn sitzen beobachten das und lachen ihn aus. Er setzt die Hörer wieder auf und sucht sich mutlos einen Platz außerhalb des Sichtfeldes der Jungs. Ein Sicherheitsbeamter läuft den Gang entlang. Samy wirft einen Blick auf die Waffe am Gürtel des Mannes.



Samys Mutter steht in ihrer Küche und bügelt eilig einen Arbeitskittel. Sie ist Ende dreißig und adrett gekleidet. Samy kommt in die Wohnung und stürmt direkt in sein Zimmer.

“Samy?“, ruft sie ihm nach.

Samy schmeißt die Schultasche in die Ecke und betrachtet seine Wange im Spiegel. Er erblickt die Konsole hinter sich und setzt sich davor.
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Er legt ein Ballerspiel ein und beginnt es mit laut aufgedrehtem Ton zu spielen.

Die Mutter kommt ins Zimmer und zieht den Arbeitskittel über.

“Warst du schon bei Opa?“, sie versucht vergebens gegen den Lärm anzuschreien. “Samuel?! Herr Gott!“, hastig schaltet sie die Konsole ab.

“Ey…!“, ruft Samy genervt.

“Ich habe dir dieses dumme Spiel doch verboten. Warst du bei Opa?“

“Ja.“

“Gut. Danke dir.“, sie rückt sich den Kragen zurecht. „Ich muss jetzt zur Arbeit. Mach deine Hausaufgaben. Ich kontrolliere sie dann später“, sie küsst ihn routinemäßig auf die Wange. “Mittagessen steht im Kühlschrank. Schlaf gut“, ruft sie ihm noch auf dem Weg zur Wohnungstür zu und verlässt schließlich eilig die Wohnung.

Samy legt sich aufs Bett. Er nimmt ein Kartenspiel mit Manga-Motiven vom Nachttisch und betrachtet die Karten eine nach der anderen. Er stoppt bei einer, auf der eine Gothic Lolita abgebildet ist und streicht mit dem Finger über das Gesicht des Mädchens.





2.

Irgendwo in einem Wald. Zwei schmutzige Hände durchsuchen hastig einen Blätterhaufen.



“Es war einmal ein Junge, der suchte verzweifelt die Sache, die sein Wesen ausmachte.“



Die Hände suchen zwischen den Wurzeln eines Baumes, durchstöbern ein Beet von sauber aneinandergereihten Kleeblättern und drehen jeden Stein in einem Bach um.



„Die Shinigami – die Todesgeister – hatten es ihm aus Neid auf seine Lebendigkeit gestohlen und versteckt. Er suchte und suchte. Aber er fand sie einfach nicht.“



Die Hände durchsuchen eine kleine Höhle. Plötzlich springt ein Fuchs heraus und knurrt. Die Person, zu der die Hände gehören, fällt auf ihren Hintern.



„Kurz davor, sich dem aufgedrängten Schicksal zu ergeben, erinnerte er sich an die Fee, von der seine Oma ihm vor ihrem Tod erzählt hatte. Würde er nur fest genug an sie denken - so sagte sie ihm einst liebevoll - würde die Fee erscheinen.“



Die Melodie einer Spieluhr ertönt und ein Mädchen erscheint wie von Geisterhand im Kleeblattbeet. Sie ist zirka sechszehn Jahre alt und trägt die Kleidung einer traditionellen Gothic Lolita: ein mit weißen Spitzen verzirrtes schwarzes Kleid, schwarze Platoschuhe und weiße Kniestrümpfe, die am Saum ebenfalls mit Spitzen verzirrt sind.
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„Und tatsächlich! Dank seiner Vorstellungskraft schaffte der Junge es, die Fee erscheinen zu lassen.“



Das Mädchen greift nach den Händen und zieht sie mit sich.



„Die wunderschöne Fee führte den Jungen mit sich zu einem versteckten Schacht am Waldrand.“



Das Mädchen entriegelt die Türen des Schachts und öffnet ihn.



„Erzählst du ihm schon wieder diese schnöde Geschichte, Mama?“, sagt Samys Mutter und unterbricht damit das Märchen, das die Oma dem Samy gerade erzählt hatte.

“Schnöde? Als Kind hast du diese Geschichte geliebt.“, wendet die Oma fast beleidigt ein. Sie ist vierundfünfzig Jahre alt und ihre Kleidung lässt ihre Hippie-Vergangenheit unschwer erkennen.

“Ja, als Kind.“, erwidert die Mutter und deutet auf den fünfjährigen Samy, der auf dem Schoß seiner Oma sitzt. „Samy kommt aber bald in die Schule. Dort lernt er die harte Realität kennen. Und da kann er deine Geschichten dann wirklich nicht gebrauchen.“

“Ach, Kind. Du bist wie dein Vater.“

„Und du bist seine Frau.“

“Ja, ja. Schon gut.“, die Oma winkt verzweifelt ab.

„Ich muss jetzt zur Nachtschicht.“, die Mutter zieht ihren Arbeitskittel über. „Heute erfahre ich vielleicht, ob ich Abteilungsleiterin werde“, sie nimmt den kleinen Samy hoch. „Und du schlaf jetzt besser. Gute Nacht“, sie drückt ihn und legt ihn ins Bett.

“Nacht.“, erwidert der kleine Samy brav.

Die Mutter verlässt die Wohnung. Die Oma setzt sich zu Samy aufs Bett.

“Warum mag Mama deine Geschichten nicht mehr?“, fragt der Kleine.

„Sie mag mich nicht mehr.“

„Aber du bist doch voll lieb.“

„Nicht immer, weißt du. Ich habe deine Mutter oft alleine gelassen, als sie noch ein Kind war.“

„Warum?“

„Hm… ich war dumm. Ich musste unbedingt die Revoluzzerin spielen.“

„Hm… Erzählst du mir noch eine Geschichte?“

„Na klar, mein Schatz.
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3.

Das übliche Klassenzimmer eines Gymnasiums, kurz vor Unterrichtsbeginn. Die meisten Schüler sind schon anwesend. Hassan, Johan und Jens checken die Mädchen ab.

“Boah, Alter!“, Johan deutet auf ein Mädchen. „Lara ist echt scharf geworden!“

“Ne, immer noch viel zu fett!“, erwidert Jens mit verzogenen Gesicht.

“Aber 'nen geiler Arsch, ey!“, wendet Hassan ein.

Julia und Sybille - zwei modische Durchschnittsschönheiten – sitzen auf ihren Plätzen und tratschen.

“Julia, was geht mit Nils?“, ruft Johan ihnen zu.

“Kommt später“, sie hält ihr Handy hoch. „Hat er mir eben geschrieben.“

“Scheiße, bin ich müde.“, sagt Sybille zu Julia und gähnt. „Hast’ eigentlich gestern Superstars gesehen?“

“Nur nebenbei“, antwortet Julia.

Samy betritt das Klassenzimmer und steuert auf seinen Platz zu. Sofort gerät er ins Visier der Jungs.

“Jo, Schwuli!“, ruft Johan ihm zu.

“Na, Fotze?! Heut’ schon gefickt worden?“, ergänzt Hassan und lacht gehässig.

Samy ignoriert sie. Er setzt sich auf seinen Platz und holt Bücher aus seiner Schultasche.

“Hast’ diesen einen Trottel gesehen?“, fragt Sybille Julia.

“Du meinst den mit der Brille? Der wie so’n kleiner Junge gesungen hat?“

“Ja, genau den!“, die beiden Mädchen kichern boshaft. “Der sah doch voll aus wie Samy, ne?“

“Ey, stimmt! Aber voll!“, Sybille steht auf und zieht Julia mit zu Samy herüber.

“Hey, Samy! Willst’ nicht bei Superstars mitmachen?“

Samy antwortet nicht.

“Hey, sag’ doch mal!“, drängt Sybille.

“Nein, will ich nicht“, erwidert Samy genervt.

“Aber du wärst bestimmt voll gut!“

“Ja, bestimmt!“, bestätigt Julia und kann sich ihr fieses Grinsen nicht verkneifen.

Samy vergräbt sich hinter seinem Buch. Ein junger Lehrer betritt den Klassenraum. „Setzen bitte!“

Die beiden Mädchen stürmen zu ihren Plätzen zurück.

„Okay.“, der Lehrer wartet bis Ruhe im Klassenzimmer eingekehrt ist.
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„Heute möchte ich den Stoff der letzten Wochen noch einmal durchgehen.“

Er schreibt Fragen an die Tafel, ruft abwechselnd Schüler auf und lässt sie die Antworten darunter schreiben. Samy meldet sich bei jeder Frage und wird mehrmals vom Lehrer aufgerufen. Jedes Mal wenn Samy nach vorne an die Tafel geht, wird er von Johan, Hassan und Jens mit Papierkügelchen beworfen.

“So.“, sagt der Lehrer als alle Fragen beantwortet sind. „Ich brauche dann jemanden, der alles ordentlich von der Tafel abschreibt und für jeden bis morgen eine Kopie davon macht. Die nächste Klausur ist schon in einer Woche fällig, wie ihr wisst.“, stöhnen geht durch den Raum. Ja, ich weiß… Also, wer macht es freiwillig?“, er schaut in die Runde. Samy meldet sich als einziger. “Samuel? In Ordnung.“

“War ja klar!“, ruft Johan laut in den Raum. “Unsere Streberschwuchtel wieder“

Plötzlich beginnen er, Hassan und Jens lauthals im Chor zu grölen:

Streberschwuchtel!

Streberschwuchtel!

Streberschwuchtel!

„Schluss jetzt!“, schreit der Lehrer ihnen entgegen. „Hassan! Johan! Jens! Nicht solche Ausrücke hier, bitte!“

Die Jungs verstummen.

“Im Übrigen ist Homosexualität etwas ganz normales.“, fährt der Lehrer fort. „Es gibt nichts wofür sich Samuel schämen müsste.“

Die Jungs verkneifen sich mit aller Kraft das Lachen.

“Ich bin aber nicht schwul, verdammt…!“, sagt Samy leise zu sich.

Plötzlich platzt Nils abgehetzt in die Stunde. Er ist ein gut aussehender Junge mit charismatischem Auftreten. Sofort beginnen die Jungs erneut zu grölen:

Nils!

Nils!

Nils!

Nils macht daraufhin eine Siegerpose.

„Hey!“, schreit der Lehrer den Jungs erneut entgegen und wendet sich dann Nils zu: „Wieder mal zu spät, Nils?“

“Wie Sie sehen.“, erwidert dieser selbstbewusst.

“Setz’ dich schon auf deinen Platz“, befiehlt der Lehrer verzweifelt und fährt mit dem Unterricht fort. Nils tauscht mit den drei Jungs Handschläge aus, setzt sich auf den Platz neben Julia und begrüßt sie mit einem Zungenkuss.



Nach der Stunde strömen die Schüler aus dem Klassenraum.
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Samy bleibt auf seinem Platz und schreibt weiter von der Tafel ab. Nils bleibt mit Hassan, Jens und Johan an der Tür stehen.

“Wo warst'e eben, Alter?“, fragt Johan Nils.

“Ach“, Nils winkt ab. „Meine Mutter, die Fotze… die ist wieder voll ausgetickt.

“Ey, lasst uns runter gehen“, unterbricht Jens ihn.“

“Ich komme gleich nach“, sagt Nils und geht zu Samy an den Platz, nachdem seine Freunde den Raum verlassen haben.

“Hey, Samy.“, er zwinkert ihm zu. „Kannst du mir deine Notizen von heute leihen?“

“Es soll morgen jeder eine Kopie davon bekommen, hat Herr Schmidt gesagt“, erklärt Samy misstrauisch.

“Ah, dann ist ja gut“, erwidert Nils lächelnd und sagt zärtlich: „Danke dir trotzdem, Sammyboy!“

Plötzlich sagt hinter ihm jemand: „Kommst du, Alter?“

Nils erschrickt und dreht sich um. Johan steht an der Tür.

“Ja… okay“, erwidert er und geht mit Johan raus.

“Was redest du mit der Schwuchtel?“

“Ach, die Fotze sollte mir nur ihre Notizen geben.“



Samy packt seine Schultasche und geht hinunter zum Musikraum. Dort übt ein Chor gerade ein Lied. Er wartet bis sie fertig mit dem Singen sind.

“Na, das klang doch schon sehr ordentlich“, sagt der Lehrer fröhlich zu den Sänger und Sängerinnen. „Bis zum Schulfestival habt ihr es sicherlich perfekt drauf. Wir sehen uns Morgen wieder!“

Die Chormitglieder strömen aus dem Musikraum heraus.

„Tamara, warte mal.“, der Lehrer wendet sich eine der Sängerinnen zu. „ Hast du inzwischen genügend Bands für das Festival engagieren können?“

“Ich warte noch auf eine Zusage“, erwidert das Mädchen. „Dann habe ich genügend zusammen für ein zweistündiges Programm.“

“Super, dann kann ja nichts mehr schief gehen.“

“Ja, ich hoffe es.“, Tamara bemerkt Samy an der Tür stehen. „Oh“, sie holt eine Mappe aus ihrer Schultasche und geht damit zu Samy herüber. „Hey.“

„Hi“, begrüßt Samy sie knapp.

“Also…“, fährt Tamara verunsichert fort und deutet auf die Mappe. „Ich habe mir deine Songs angesehen… und einige Melodien sind echt toll!“

“Ja?“, fragt Samy hoffnungsvoll.
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“Ja. Nur… wie soll ich sagen?“, sie überlegt. „Die Texte sind alle so… seltsam irgendwie. Kein bisschen… na ja… fröhlich halt… und einfach nicht mein Fall, verstehst du?“

“Oh“, Samy ist sichtlich enttäuscht.

“Ja…“, sie schaut ihn mitleidig an und reicht ihm die Mappe.. „Deshalb solltest du dir besser eine andere Sängerin suchen.“

“Okay…“, Samy nimmt die Mappe und geht ohne sich zu verabschieden davon.

“Tut mir echt leid“, ruft Tamara ihm verunsichert zu.



Samy kehrt nach Schulschluss in sein Zimmer zurück. Er holt ein Keyboard aus dem Wandschrank und stellt es auf den Schreibtisch. Er spielt die Melodie von einen der Songs aus der Mappe an und verspielt sich dabei mehrmals. Wütend knallt er die Mappe in die Ecke und ruft sich die Demütigungen des Tages ins Gedächtnis:



Na, Fotze?



Streberschwuchtel!

Streberschwuchtel!

Streberschwuchtel!



Die Texte sind alle so… seltsam irgendwie.



Sybille und Julia lachen gehässig.



Homosexualität ist etwas ganz normales.



Streberschwuchtel!

Streberschwuchtel!

Streberschwuchtel!



Der Opa verpasst Samy eine Ohrfeige.





Samy nimmt eine Rasierklinge und ritzt sich die Arme damit auf. Die Mutter kommt zur gleichen Zeit nach Hause.

„Samuel?“, sie kommt zu Samy ins Zimmer und erschrickt, als sie seine blutenden Arme erblickt. „Oh, nicht doch! Nicht schon wieder.“ Sie richtet ihren Sohn auf und tupft die Wunden mit Taschentüchern ab.“ Warum machst du nur so was?“

Samy zuckt mit den Schultern.

„Wurdest du in der Schule wieder geärgert?“

Samy bleibt stumm.

„Du musst das einfach an dir abprallen lassen. Das sind alles Verlierer. Wenn du später erfolgreich im Leben stehst, werden die immer noch Verlierer sein“, sie streichelt seine Hand. „Hm?“

Samy zuckt erneut mit den Schultern.

„Ich hole Verbandszeug.“



Samy und seine Mutter haben eine psychotherapeutische Praxis aufgesucht und sitzen einer Therapeutin gegenüber.
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Samy starrt auf seine bandagierten Arme.

Die Therapeutin nickt verständnisvoll. „Nun“, sagt sie zu der Mutter. „Nachdem was Sie mir gerade erzählt haben, würde ich von einer Einweisung erst einmal absehen“, sie wendet sich Samy zu: „Außer natürlich du möchtest das, Samuel.“

Samy schüttelt den Kopf.

„Und was ist mit Medikamenten?“, fragt die Mutter. „Man hat bei ihm mal Hyperaktivität festgestellt. Das war kurz nachdem Tod meiner Mutter – also seiner Oma. Und das haben wir mit Retalin ganz gut in den Griff bekommen.“

„Hm hm“, erwidert die Therapeutin professionell interessiert. „Ich würde vorschlagen, Samy kommt vorerst zwei Mal die Woche zu mir zum Gespräch. Dann kann ich mir auch ein genaueres Bild machen. Und dann können wir gemeinsam entscheiden, ob eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein könnte oder nicht.“

„Wenn Sie meinen“, die Mutter ist sichtlich enttäuscht.

Die Therapeutin schaut in ihren Terminkalender.

Nach dem Arzttermin verlassen Samy und seine Mutter Praxis und gehen zum Auto.

„Komm, ich fahr dich schnell nach Hause“, sagt die Mutter nachdem sie auf die Uhr geschaut hat. Ich komme sowieso nicht mehr pünktlich zur Arbeit.“

„Nein, schon gut“, Samy geht schnell über die Strasse. „Ich nehme die Bahn.“

„Bist du sicher?“, ruft sie ihm verunsichert nach.

„Ja.“

„Mach aber nicht wieder so einen Mist, hörst du?

„Ja.“, erwidert Samy genervt und verschwindet.



Auf dem Weg zur U-Bahnstation erreicht Samy einen See. Er starrt verzweifelt aufs Wasser raus und beginnt zu weinen. Die Melodie der Spieluhr ertönt.



Bei der Station angekommen, steigt er in eine Bahn ein und stellt sich in den Gang. Plötzlich sagt hinter ihm jemand:

„Hallo, Samy.“

Er dreht sich um und erschrickt. Hinter ihm sitzt eine Gothic Lolita und lächelt ihn an. Sie sieht genau so aus wie er sich die Fee aus dem Märchen seiner Oma immer vorgestellt hatte. Sprachlos starrt er sie an.

Währenddessen hält die Bahn an der nächsten Station.

„Ich muss hier umsteigen“, sagt das Mädchen und drängt sich mit ihrer Einkaufstüte an ihm vorbei.
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“Mach’s gut“, sagt sie lieb und steigt aus. Zwei junge Modepüppchen kommen ihr entgegen und mustern sie argwöhnisch.

“Wie läuft die denn rum?“, fragt die eine die andere und kichert. Samy kommt derweil wieder zur Besinnung.

„Warte!“, ruft er dem sonderbaren Mädchen nach und kann sich gerade noch durch die sich schließende Tür drängen. Er folgt dem Mädchen Mari zum gegenüberliegenden Bahnsteig, wo sie sich eine Weile anschweigen.

„Woher kennst du meinen Namen?“, fragt Samy schließlich bricht damit das Schweigen.

„Weiß nicht“, das Mädchen zuckt mit den Schultern. „Ich kannte ihn einfach. Ich bin Mari. Hi.“

„Hi.“

Sie schweigen sich erneut an.

„Wo… fährst du jetzt hin?“, fragt Samy.

„Nach Hause“, sie deutet auf ihre Einkaufstüte. „Hab Saiten für meine Gitarre besorgt. Ich bin inner Band.“

„Cool“, erwidert Samy und bemüht sich interessiert zu wirken.

„Wir proben morgen. Kommst du hin?“

„Hm, o-okay“, antwortet Samy überrascht.

„Wirklich?“

„Ja.“

“Super“, Mari lächelt zufrieden. Eine Bahn fährt ein. Sie deutet auf sie. „Dann fahr morgen mit dieser Linie zur Endstation. Ich warte da auf dich“. Sie steigt in die Bahn ein und während sich die Türen schließen, ruft sie: „Und bring dein Keyboard mit… und deine Songs.“

„Woher…?“, ruft Samy ihr überrascht nach, doch die Bahn hat sich bereits in Gang gesetzt.
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Punktestand der Geschichte:   22
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Kommentare zur Story:

  Tolle spannende Geschichte. Konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Werde mich gleich mal dem nächsten Kapitel zuwenden.  
   doska  -  17.10.09 16:38

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Danke an euch beide für die aufmunternden Kommentare! Die letzten beiden Akte sind inzwischen fertig und bereits gepostet.

LG
Jan N  
   Jan N.  -  12.12.08 17:45

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Gehts auch irgendwann weiter oder ist die Luft raus? Gute Schreibe, Story ist es würdig, weitergelesen zu werden.
Lass kommen.
LG Dublin  
anonym  -  22.08.08 08:27

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  gut und flüssig geschrieben. auch die zeitsprünge sind klar erkennbar und geben viele informationen, ohne dass es aufgesetzt wirkt.
und wie bin ich froh, dass ich nicht mehr zur schule gehen muss, wo sie auf jedem herumhacken, der anders ist...
jetzt fragt sich nur, was in seiner traumwelt passiert. oder ist es gar keine traumwelt. ich weiß es noch nicht...
lieben gruß  
   Ingrid Alias I  -  20.07.08 09:21

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

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