Die Zauberin von Vreen (5. Kapitel)   312

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Robin van Lindenbergh      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 30. Oktober 2007
Bei Webstories eingestellt: 30. Oktober 2007
Anzahl gesehen: 2329
Seiten: 11

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


5. Der Prinz von Vreen



Letztes Jahr zu Silvester hatte jemand zur Party einen süßlichen, billigen Sekt mitgebracht. Normalerweise vergriff sich Fiona nie an solchem Fusel, aber damals hatte es nichts anderes gegeben und am Ende des Abends hatte sie viel zu viel getrunken und am nächsten Morgen die Rechnung dafür kassiert. Egal, wo sie gesessen oder gelegen hatte, hatte sich alles um sie gedreht, ihr Kopf schien doppelt so schwer wie sonst gewesen zu sein und ihr war schrecklich übel geworden.

Seltsamerweise beschrieb dieser Kater sehr genau den Zustand, indem Fiona war, als sie auf einer Liege im Garten des Königspalastes von Vreen zu sich kam. Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, ihre Zunge schien riesig zu sein und schmeckte wie ein trockener Schwamm und der Garten um sie herum drehte sich unerbittlich.

Eilig schloss sie die Augen wieder, aber das Drehen blieb und wurde nur fast unmerklich langsamer. Trotzdem zwang sie sich, wieder hinzusehen und dieses Mal war Vreen schon deutlich weniger in Bewegung. Dafür bemerkte sie, dass Leonas in einigen Metern Entfernung unter einem Baum saß und sie beobachtete.

Als er bemerkte, dass sie zu sich gekommen war, eilte er sofort zu ihr und musterte sie besorgt.

„Wie geht es dir, Milady? Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“ stürmte er auf sie ein.

Seine Stimme hallte in ihrem Kopf wieder und wieder, aber sie bemerkte schon, dass es deutlich schneller als nach dem Genuss des billigen Sektes besser wurde. Eine Weile dachte sie über seine Frage nach. Ein Teil von ihr fühlte sich genau wie zuvor, Fiona und ihr Leben waren noch genau da, wo sie vorher gewesen waren. Aber da war noch etwas anderes, neu und doch vertraut. Es war, als hätte jemand in ihrem Kopf eine bisher verschlossene Tür zwar nicht aufgestoßen, aber zumindest einen Spalt breit geöffnet. Ein paar chaotische Bilder, auf die jemand ein paar Namen gekritzelt hatte, spukten durch ihren Kopf und bildeten eine undurchsichtige Masse.

„Ja,… nein… ein bisschen“, versuchte sie ihren Eindruck in Worte zu fassen. „Es ist alles ein ganz schönes Durcheinander.“

Er schien offensichtlich enttäuscht zu sein und wechselte bewusst das Thema. „Pelleas kommt bald, um dir zu helfen, dich an die Magie zu erinnern.“

Vorsichtig setzte sie sich auf und sah ihn an.
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Es ging erstaunlich gut.

Der bedrückte Ausdruck der letzten Tage war nicht weniger geworden, sondern eher mehr. Sie hatte ihn enttäuscht, denn sie war für ihn die große Hoffnung auf Rettung und konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wie man ein Kaninchen aus einem Zylinder zaubern konnte.

Sein besorgter Blick schürte ihre Liebe zu ihm noch mehr und auf einmal fiel ihr etwas auf. Noch einmal checkte sie den wilden Bilderhaufen in ihrem Kopf, aber sie hatte sich nicht geirrt.

„Soll ich dir was sagen“, meinte sie, „ich habe mich an vieles erinnert, an dich zum Beispiel, an die Magier, an den König und die Königin und sogar an Dwal, aber ich kann mich immer noch nicht an den Prinzen erinnern.“

„Das braucht wohl seine Zeit, aber ich werde ihn unverzüglich davon in Kenntnis setzten. Da kommt Pelleas, ich lasse euch allein.“

Sie hatte gehofft, dass er endlich einsehen würde, dass sie ihn liebte und nicht den Prinzen, aber seine Hingabe zu ihm und die Zuneigung zu seiner Freundin waren wohl größer als ihre Liebe.

„Na, hast du dich wieder erholt?“ fragte Pelleas freundlich, als er sie erreichte. Er sah jetzt viel weniger aus wie ein Zauberer, da er seinen langen grünen Zauberermantel wieder gegen Hose und Weste getauscht hatte und sogar barfuss lief.

„Ja, ja“, sagte sie ruppig, in Gedanken immer noch bei Leonas.

„Oh, wunderbar, du bist sauer, dass ist die beste Vorraussetzung um mit Magie anzufangen.“

„Was?“ Erst jetzt war sie bei ihm. „Entschuldige bitte, Pelleas, du warst nicht gemeint.“

„Nein, ist schon gut“, winkte er ab. „Das war mein Ernst. Magie hat sehr viel mit Emotionen zu tun. Manche Zauberer, wie zum Beispiel eine gewisse hochnäsige Elfe, meinen, man müsste sie deswegen streng kontrollieren, aber ich glaube, wenn man sie fließen lässt, dann fließt auch die Magie. Ich beweise es dir. Konzentrier deine ganze Wut auf diesen Stein dort.“

Im Gras halb verborgen lag ein runder, weißer Kieselstein, kaum größer als ein Apfel. Sie versuchte es und legte ihre ganze aufgestaute Wut in ihre Gedanken und ließ sie auf den Stein fließen. Der Kiesel schnellte empor und krachte mit einem lauten Klirren durch eine der Scheiben des Palastes.
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Fiora tat es augenblicklich leid, aber ihr Lehrer schien recht zufrieden mit ihr zu sein.

„Wundervoll“, freute er sich. „Die meisten Zauberer brauchen dafür Jahre. Wie kann Jasmina nur so schnell aufgeben, wenn Igraine das nächste Mal angreift, bewerfen wir sie mit Steinen.“ Er hatte sie aufheitern wollen, aber er hatte versagt. Um sie wenigstens ein bisschen fröhlicher zu stimmen, benutzte er seinen Zauberstab und die Fensterscheibe setzte sich selber wieder zusammen.

„Ich lerne das nie“, sagte sie.

„Ach natürlich. Zauberei ist wie schwimmen. Kann man es einmal, verlernt man es nie wieder.“

„Da gibt es nur ein Problem, Schwimmen kann ich auch nicht.“ Ganz unfreiwillig musste sie lachen. Seine unbeschwerte Gesellschaft steckte an.

„Entschuldige“, lachte er. „Schlechtes Beispiel. Ich vergesse manchmal, dass du auch Koboldblut hast und Wasser, Boote und Schwimmen nicht leiden kannst.“

Immer war sie sich wie ein Feigling vorgekommen, wenn sie mit ihren Freunden zum Schwimmen gegangen war und etwas tief in ihrem Inneren sie davon abgehalten hatte, das Wasser auch nur zu berühren. Aber jetzt erinnerte sie sich, dass das auch nur Teil ihres Erbes gewesen war.

Eigentlich wollte sie den Moment anders nutzen. „Pelleas, du kennst doch Leonas schon lange?“

„Fast mein ganzes Leben. Mein Paps hat schon manchmal gesagt, er müsse ihn adoptieren, weil wir sowieso alles teilen wie Brüder.“

„Blutsbrüder“, schlug sie vor, musste aber schnell feststellen, dass ihm dieser Begriff noch nie untergekommen war und er das Prinzip doch recht merkwürdig fand.

„Wieso fragst du eigentlich?“ erkundigte er sich, als sie das Thema ausführlich besprochen hatte und sie schließlich jeden Erklärungsversuch aufgab.

„Es ist nur… er ist so seltsam manchmal, dass ich gar nicht weiß, wie ich mit ihm umgehen soll.“

„Da ist doch was zwischen euch passiert“, vermutete er richtig.

Fiora wurde heiß und kalt und bereute es schon wieder, dass sie überhaupt davon angefangen hatte. Aber jetzt war es sowieso fast raus und außerdem machte Pelleas nicht den Eindruck, als ob ihn die Sache schockieren würde.

„Ja“, gab sie zu, „aber das erzähle ich dir jetzt ganz im Vertrauen.
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Wir haben uns geküsst.“

„Geküsst?“ Pelleas brach in Lachen aus, versuchte aber es sich zu verkneifen, als er ihre Verzweiflung sah. „Entschuldige bitte.“ Er versuchte wirklich, es sich zu verkneifen. „Also, geküsst?“

„Zwei Mal. Aber, das ist nicht alles.“ Sie senkte ihre Stimme. „Ich… habe mich in ihn verliebt.“

„In Leonas?“ Ihn schien es tatsächlich nicht zu erschüttern.

„Ja, was wenn der Prinz das herausfindet oder Leonas’ Freundin.“

„Also, über Leonas’ Freundin würde ich mir keine Sorgen machen, die ist da ziemlich tolerant.“

Andere Länder, andere Sitten. „Aber, ich bin doch verheiratet.“

„Fiora, ich glaube, ich muss dir einiges erklären. Also, der Prinz…“ Plötzlich hielt Pelleas inne und lauschte in die Stille. „Spürst du das auch? Etwas Böses ist hier, hier in Vreen. Es tut mir leid, aber ich fürchte, wir müssen später weiterreden, üb doch in der Zwischenzeit einfach weiter.“

Nachdenklich eilte er davon und ließ sie alleine.

Wie konnte er so etwas fragen? Natürlich spürte sie nichts. Und was hatte er ihr erzählen wollen? Sie versuchte sich abzulenken und noch einmal wie er es ihr gezeigt hatte, ein paar Steine zu bewegen und nach einer Weile klappte es sogar ganz gut. Der Kiesel stieg senkrecht in die Luft und flog dann genau gegen den Baum, gegen den er hatte prallen sollen.

Sie war ganz vertieft in die Übungen, als sie plötzlich eine Windböe streifte und es über ihr rauschte wie von großen Flügeln. Fiora hatte gehofft, dass Leonas zurückkommen würde, aber der Vogel, der den Wind verursacht hatte, war nicht er. Direkt über ihr im Baum saß ein besonders edles Tier mit pechschwarzen Augen und seidigem, schwarzem Gefieder mit langen Schwanzfedern. Er hatte einen leicht gekrümmten Raubvogelschnabel, aber erinnerte Fiona an die Paradiesvögel, die sie letztes Jahr im Vogelpark bestaunt hatte.

Auch jetzt war sie fasziniert von dem wunderschönen Tier und näherte sich ganz vorsichtig, um ihn nicht zu verscheuchen. Aber leider war sie nicht behutsam genug gewesen, denn der Vogel erhob sich und verschwand mit ein paar kräftigen Flügelschlägen um den Palast.
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Fiora tat es richtig weh, dass er fort war, und hoffte, ihn wieder zu finden. Langsam schlich sie in die Richtung, in der er verschwunden war und tatsächlich saß er am Eingang des Gartens auf einem Baum. Er wartete auf sie.

Wieder ging sie näher und erneut wiederholte er das Spiel. Er flog in Richtung Stadt davon, stellte dabei aber immer sicher, dass sie ihm folgte.

Kurz überlegte sie, nicht zu gehen, aber sie war wie unter einem Bann und was sollte ihr an einem Ort voller Zauberer schon geschehen?



Wie sie schon von weitem gesehen hatte, war Vreen in drei großen Ringen aufgeteilt, von denen der oberste die Burg und den Palast beherbergte. Jeder Teil war durch eine breite Mauer mit verschließbaren Toren von dem anderen abgegrenzt.

Schnell hatte der Paradiesvogel Fiora aus dem oberen Kreis in den mittleren geführt, dann flog er die breite Hauptstraße entlang und schließlich über den Marktplatz. In Vreen war Markttag und so standen viele große und kleine Stände auf dem breiten, gepflasterten Platz. Ganz alltägliche Dinge wie Stoffe, Töpfe und Nahrungsmittel aller Art wurden dort genauso angeboten wie die Dienste von Hexen oder deren eher unappetitliche Zauberutensilien. Kurz glaubte Fiora im Gefühl von Verkäufern und Käufern den wunderschönen Vogel verloren zu haben, aber dann sah sie ihn am Rande des Platzes auf dem Balkon eines hohen Patrizierhauses sitzen, neben dem eine schmale Gasse vom Markt weg führte. Genau in dem Moment, als er sie bemerkte, erhob er sich und flog in die Gasse davon.

Fiora beschloss, dass es ihr letzter Versuch sein würde, ihn einzuholen und schob sich durch die Menge in die Gasse hinein. Schlagartig wurde es still um sie herum, denn die Geräusche des Marktes schienen nicht in die schmale Straße zu reichen. Sie war allein, bis auf einen einsamen Marktkarren, auf dem verschiedene Kräuter, Pulver und Gewürze angeboten wurden. Die Verkäuferin war eine sehr alte, runzlige, aber freundlich aussehende Menschenfrau. Sie trug ein dunkles Alltagskleid und ein Kopftuch unter dem einige pechschwarze Haare hervorschauten. Von dem Vogel gab es keine Spur mehr.

Die Marktfrau taxierte Fiora von oben bis unten, dann wurde ihr Lächeln noch breiter. „Oh, Ihr seid doch die Lady Fiora von Avalon, nicht wahr? Was für eine Ehre, dass Ihr meinen armseligen Stand besucht.
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Fiora wurde rot, ihr war es peinlich, dass so viele Leute ein solches Aufheben um sie machten. Noch vor wenigen Tagen hatte niemand sich überhaupt für sie interessiert.

„Wie geht es unserer liebreizenden Prinzessin und ihrem Gemahl dem Prinzen Leoniases denn heute?“ fragte die Marktfrau weiter und zog dabei ihre Augenbraue hoch.

„Mir geht es gut, aber der Prinz ist im Moment nicht in der Stadt“, antwortete Fiora ausweichend.

„Nicht in der Stadt?“ hakte die Marktfrau nach. „Seltsam, mir war, als hätte ich ihn heute morgen noch gesehen. Er war auf dem Markt und sah nach dem Rechten. Aber da muss ich mich wohl getäuscht haben.“

Der Prinz war hier? Aber Leonas hatte doch behauptet, er hätte die Stadt ihretwegen verlassen. Wieso hatte er ihr nicht die Wahrheit gesagt?

Plötzlich änderte sich der Gesichtsausdruck der Alten, das Lächeln wurde zu einer hohlen Maske. „Ihr fürchtet, dass man Euch getäuscht hat, Milady. Wenn Ihr wollt, ich habe hier ein Pulver, das Euch die Wahrheit erkennen lässt. Kommt näher.“

Fiora erkannte die Änderung im Verhalten der Marktfrau, sie konnte spüren, dass etwas nicht stimmte, aber trotzdem bewegten sich ihre Füße auf sie zu. Sie konnte nicht anders, als der Alten zu gehorchen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass es vorhin bei dem Vogel ganz genauso gewesen war. Nicht sie war ihm gefolgt, sondern er hatte sie gelockt.

Immer näher ging sie auf den Karren zu und konnte sich nicht wehren. Die Alte begann zu lachen und es war ein gehässiges, kaltes Lachen, ein Lachen, dass Fiora bis in ihre Träume verfolgte und sie fast jede Nacht schweißüberströmt aufwachen ließ.

„Ich dachte nicht, dass es so einfach werden würde, Fiora“, sagte sie siegesbewusst.

Dabei begann die Frau sich zu verändern. Ihr Körper leuchtete in einem feurigen Rot und dabei wurden ihre Züge jünger, ihre Haut glatt und makellos. Das Gesicht einer klassischen, kalten Schönheit mit sprühendem Hass und Boshaftigkeit in den Augen.

„Igraine!“ Das war die Frau aus ihren Träumen. Fiora konnte sich plötzlich genau an das Gesicht ihrer Feindin erinnern.

„Schön, dann weißt du wenigstens, wer dich getötet hat.
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“ Igraine sah sie mit hasserfülltem Gesicht an. Sie war bereit Fiora auszulöschen – endlich!

Fiora wusste, dass dieser Kampf zwischen ihr und Igraine eigentlich schon Jahrhunderte dauerte. Er hatte beim Merlin und Morgain LeFey begonnen jetzt… jetzt würde er vermutlich enden. Igraine wollte, genau wie ihre Vorfahren Vreens Zauberkraft an sich reißen und damit den Schlüssel zur magischen Insel Avalon. Nur so hatte sie genug Macht alle Welten zu unterwerfen. Mit Fioras Tod war dieser Weg endgültig frei. Sie lebte für dieses Ziel, für das so viele ihrer Vorfahren gestorben waren.

Sie richtete ihre Hände auf Fiora und rot glühende Blitze schossen daraus hervor. Endlich, stand in ihrem Gesicht geschrieben.

Wie in Zeitlupe schossen die todbringenden Strahlen auf Fiora zu, aber ihre Todesangst genügte, um Igraines Bann abzuschütteln und in der letzten Sekunde warf sie sich zu Boden. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen fuhren die Strahlen in die gegenüberliegende Hauswand und ließen nur wenig davon übrig. Zerbrochene Steine, Mörtel und Putz lag überall auf der Straße und auf einmal musste Fiora an Pelleas’ Worte denken. Sie benutzte ihre Magie und ließ eine handvoll Steine auf Igraine zurasen, die nicht auf eine Gegenattacke gefasst gewesen war. Die Wucht von Fioras Angriff ließ sie zurücktaumeln und hart gegen den Marktkarren prallen, der dabei umkippte. Die Waren und die Kasse fielen mit einem lauten Klirren auf das Pflaster.

Schnell rappelte sich Igraine wieder auf, bereit Fiora mit einem zweiten Angriff zu töten und diese wusste nicht, ob sie einer weiteren Attacke standhalten konnte.

Aber plötzlich bemerkte sie, dass die Geräusche des Marktes wieder da waren, so als hätte jemand den Ton beim Fernsehen wieder eingeschaltet. Sie hörte aufgeregte Stimmen und erkannte zwischen ihnen auch eine sehr bekannte: Pelleas.

Igraine sah von Fiora zu ihm und zurück zu ihr und dabei fiel ihr auf, dass die Zauberin erschöpft wirkte. Ihre Haut wirkte auf einmal fahl und eingefallen, ihre Augen funkelten müde. Hatte sie etwa ihre Kraft schon verbraucht? Leonas hatte doch gesagt, sie wäre noch dabei sich von dem mächtigen Zauber gegen Fiora zu erholen.

Um gegen sie und Pelleas zu bestehen, waren ihre Mächte anscheinend noch nicht stark genug, besonders nach dem gewaltigen Angriff an diesem Morgen.
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Ein letztes Mal bohrten sich ihre kalten, schwarzen Augen in Fiora.

„Wir sehen uns wieder, Fiora“, fluchte sie und verschwand in rotem, magischem Licht.



„Fiora, geht es dir gut“, fragte Pelleas sie sofort, als er es an den Schaulustigen vorbei geschafft hatte. „Du hättest den Palast nicht alleine verlassen dürfen.“

Sie nickte, sank dann aber zu Boden. Auch sie war noch geschwächt.

Dabei spürte sie etwas Kleines, Hartes unter ihren Knien und angelte danach. In ihrer Hand lag eine silberne Münze, die zu denen gehören musste, die von Igraines Karren gefallen waren. Auf der einen Seite war mit feinen Linien der silberne, fauchende Drachen des Königshauses eingraviert und auf der anderen Seite war das Gesicht eines Mannes abgebildet. Fiona las die Inschrift: „Kronprinz Leoniases III. von Vreen.“ Endlich würde sie sehen, wie ihr Mann aussah. Es war ein wenig schwierig, die bereits abgegriffene Gravur richtig zu erkennen, aber dann erschrak sie. Die Abbildung zeigte niemand anderen als Leonas!

Von all dem bemerkte Pelleas nichts. Er war viel zu erregt und damit beschäftigt, die Schaulustigen wegzuscheuchen, die Fiora bedrängten. Dann ließ sie sich ohne Widerstand von ihm in den Palast zurückführen, wo er sie schnell allein ließ, um sich mit den anderen Magiern zu beraten.

Fiora war das nur recht, denn sie wollte sich Gewissheit verschaffen. Immerhin war es nur eine Münzprägung. Sie hatte Leonas nie gefragt, ob er mit dem Prinzen verwandt war. Vielleicht war es nur eine starke Familienähnlichkeit. Hatte Charis sie nicht am Abend zuvor an einer großen Bibliothek vorbeigeführt? Dort würde sie sicher die Antworten finden, die sie suchte.

Zu ihrer Erleichterung fand sie den großen Raum schnell wieder und es war niemand sonst dort. An den Wänden zogen sich über zwei Etagen hölzerne Bücherregale, gefüllt mit wunderschönen, alten und kostbaren Büchern und Folianten. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis sie die Familienchronik des Königshauses gefunden hatte. Aufgeregt blätterte sie durch die Seiten, fand aber nichts. In den Familienstammbäumen, die auf das penibelste geführt waren und bis zu einem Kestor von Gerrin zurückgingen, gab es keinen Leonas von Vreen.
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Dafür entdeckte sie eine sehr naturalistische Federzeichnung ihres Mannes und nun war sie ganz sicher, Leonas war niemand anderer als Leoniases III., Kronprinz von Vreen und ihr Ehemann!

Sie war hin und her gerissen zwischen Wut, Ärger und sogar Hass. Sie hatte sich die schlimmsten Vorwürfe gemacht, weil sie ihn, anstatt ihres eigenen Mannes liebte und er hatte sie die ganze Zeit belogen. Warum? Wieso hatte er sie so gequält?

Wie aufs Stichwort betrat er genau in diesem Moment ganz aufgeregt die Bibliothek. Natürlich hatte Pelleas ihm sofort von den Ereignissen in der Stadt berichtet und nun kam er zu ihr. Warum? Um sie weiter hinters Licht zu führen.

„Milady, ist alles in Ordnung. Pelleas hat mir erzählt...“ Weiter ließ sie ihn nicht kommen.

„Hör bloß auf mit diesem Milady-Quatsch“, fuhr sie ihn an. Durch ihre Wut entfesselte sich ihre Magie und einige der Bücher flogen aus den Regalen um sie herum.

„Fiora, was hast du?”

„Ich habe dir vertraut und du hast mich von Anfang an belogen.“ Sie war den Tränen nah, aber sie wollte nicht, dass er sie jetzt weinen sah. Wutentbrannt warf sie ihm die Münze vor die Füße und stürmte aus der Bibliothek, während ihre magischen Kräfte ihm die Tür direkt vor der Nase zuknallten.

Verwirrt hob er das Geldstück auf und verstand sofort. Er musste mit ihr reden, ihr alles erklären, ihr sagen, wie sehr er sie liebte. Mit Hilfe seines Stabes öffnete er die Tür – wäre sie bei vollen Kräften gewesen, hätte er das nie geschafft – und wollte ihr nachlaufen, aber Charis trat ihm in den Weg.

„Wenn du nicht als Spriggan enden willst“, sagte sie, „würde ich da jetzt nicht hinaufgehen, mein Sohn. Einer wütenden Zauberin kommt man besser nicht zu nah. Lass mich besser mit ihr reden.“

Er kannte Fiora schon zu lange, um zu wissen, dass seine Mutter Recht hatte. Wahrscheinlich war er im Moment sowieso der letzte, dem sie zuhören würde.



Charis klopfte vorsichtig an Fioras Zimmertür. „Darf ich eintreten?“

Fiora lief hastig durch den Raum und warf unordentlich ein paar Kleidungsstücke in eine Tasche.
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„Nein“, fauchte sie böse.

Charis ignorierte die Unhöflichkeit, betrat das Zimmer und betrachtete eine Weile neugierig das Treiben.

„Verrätst du mir, was du da machst?“ fragte sie.

„Von hier verschwinden. Ich werde die Magier bitten, mich nach Hause zu schicken. Wenn ich mich nicht sehr irre, dann ist das Portal heute Nacht offen.“

„Aber Kind, du bist doch zu Hause“, erinnerte sie Charis.

Fiora hielt inne und starrte die Königin böse an. „Wie kann ich an einem Ort zuhause sein, an dem mich alle belogen haben – sogar du.“

„Ich habe nicht gelogen und mein Sohn auch nicht. Zum Lügen habe ich euch nicht erzogen. Wir haben beide nur zu deinem Besten gewisse Dinge unerwähnt gelassen.“

Da hätte Fiora ihr aber das Gegenteil beweisen können, wenn sie an ihren Aufenthalt in Cres dachte. Aber das war im Moment egal. In ihr stiegen die Tränen wieder auf und sie ließ sich auf die seidenen Laken des Bettes fallen, Charis nahm sie in den Arm.

„Wie kann er behaupten, dass er mich liebt und mir dann so etwas antun?“ schluchzte sie.

„Er hat es getan, weil er dich liebt. Du hast es doch selber gesagt, du konntest dich weder an ihn, noch an eure Liebe erinnern und er wollte dich nicht drängen.“

„Aber ich habe ihm doch gesagt, dass ich ihn liebe.“

„Ja und das war besonders schmerzhaft für ihn“, erzählte die Königin. „Er war in der Nacht bevor sie Reigam verhafteten hier gewesen und hatte sich Rat bei den Magiern geholt. Sie verboten ihm, es dir zu sagen, bevor du dich nicht selber daran erinnern konntest. Die Zauberer befürchtete, dass etwas so Emotionales den Heilungsprozess verlangsamen könnte.“

Charis wartete einen Moment bis Fioras Tränen versiegten. „Willst du uns immer noch verlassen?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Fiora wahrheitsgemäß.

„Sprich mit ihm, lass ihn dir alles erklären und entscheide dann“, schlug die Königin vor. Da sie keinen Widerspruch hörte, stand sie auf und verließ den Raum.



Kurze Zeit später klopfte es leise an Fioras Tür und Leonas trat vorsichtig ein.

„Können wir reden oder machst du gleich einen Spriggan aus mir?“ fragte er.
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Sie sah ihn schweigend an, ihre Augen funkelten böse.

„Okay, du bist wütend und ich verstehe das“, fuhr er fort. „Aber ich konnte doch schlecht sagen: ‚Hallo, du kennst mich zwar nicht, aber ich bin dein Mann.’ Du wusstest doch nicht einmal, wer ich bin.“

„Ich weiß auch jetzt nicht, wer du bist. Ich habe dich in der Gestalt von Vögeln, als Tark, als Bauer aus Kleth und als meinen Beschützer kennen gelernt. Prinz Leoniases kenne ich gar nicht. Woher soll ich wissen, wer oder was du wirklich bist?“

Er ging zu ihr und sah ihr direkt in die Augen. „Ich bin der Mann, der dich über alles liebt.“ Einen Moment wollte sie stehen bleiben und ihm alles vergeben, aber dann drehte sie sich ruckartig weg, sah ihn nicht mehr an. „Wie kannst du behaupten, dass du mich liebst und verrätst mir nicht einmal deinen richtigen Namen?“

„Das ist nicht wahr. Ich habe dir den Namen genannt, an den ich wollte, dass du dich erinnerst. Wir sind doch praktisch zusammen aufgewachsen und du hattest als kleines Mädchen immer Probleme damit Leoniases auszusprechen. Also hast du es irgendwann abgekürzt und nach einer Weile haben mich alle nur noch Leonas genannt, sogar meine Eltern. Weißt du nicht mehr?“

„Und die Sache mit deiner Freundin?“

„Ich habe gesagt, es gibt eine Frau in meinem Leben, die alles für mich bedeutet und die ich schon ewig kenne, und das bist du.“

„Gib mir ein bisschen Zeit, über alles nachzudenken“, bat sie ihn.

„Dann gehst du nicht weg?“ fragte er hoffnungsvoll.

„Nein, vorerst nicht.“

Langsam ging sie zum Fenster und blickte auf die See, in der sich die untergehende Sonne spiegelte. Charis hatte Recht, sie war zuhause. Sie konnte nicht zurück.
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Punktestand der Geschichte:   312
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Kommentare zur Story:

  Schönes Kapitel. Doch leider viel zu kurz.  
UweB  -  31.10.07 12:33

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Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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