Ich lächle die Krankenschwester freundlich an, doch die Stimmen sagen mir, dass sie ihre Kinder schlägt und vernachlässigt. Die Stimmen sagen mir so einiges. Manchmal will ich das gar nicht, weil sie über die Leute Böses tuscheln und flüstern, wie kleine Kinder, die sich auf dem Spielplatz Geheimnisse erzählen. Ich bin froh, dass ich nicht solche Stimmen höre, wie die anderen Patienten. Stimmen, die sagen: Zerschlage das Fenster, oder: Bring dich um. Meine Stimmen sind nicht so laut und aufdringlich. Sie sagen mir nur die Wahrheit. Auch wenn die Wahrheit oft Schatten birgt. Ich spiele nicht gerne mit den anderen Patienten. Meine Stimmen sagen, ich soll alleine sein, weil das besser für mich ist. Sie sagen, ich soll auch nicht reden und nur auf sie hören. Manchmal denke ich an Mutter und Vater und ihr neues Kind. Seit ich hier bin, haben sie mich nicht mehr besucht. Aber ich brauche sie nicht, sagen die Stimmen, sie lieben mich nicht und haben mich vergessen. Die Stimmen können mich nie verlassen, weil sie in meinem Kopf sind. Sie sind immer da, auch wenn ich schlafe. Sie bestimmen meine Träume. Ich darf nicht davon träumen, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich damals geschwiegen hätte. Das wollen sie nicht. Damals hab’ ich zu Papa gesagt, dass Mama eine Hure ist. Die Stimmen wollten es so. Papa war sehr, sehr sauer. Ich weiß noch, dass ich geweint habe. Ich habe nicht verstanden, wieso ich ein böses Kind war. Ich habe doch nur die Wahrheit gesagt. Mama hat auch geweint. Die Stimmen sagen, sie war an dem Abend schon wieder fort gewesen ... da wo Vergnügen Geld kostet. Doch meine Stimmen sind nicht böse, nein. Sie sagen, wann ich lieber schweigen oder wann ich ins Zimmer gehen soll. Sie beschützen mich. An dem Abend hatten sich Mama und Papa sehr laut gestritten. Mama war richtig hübsch, aber ihr war sicher kalt. Die Stimmen sagten mir, ich solle ins Zimmer gehen. Aber Papa kam trotzdem und hat mich geschüttelt und so laut mit mir geredet. Ich sagte ihm, dass Mama ihn seit Jahren nicht mehr liebt. Ich weiß nicht, wieso die Stimmen so sicher waren. Mama hat wieder geheiratet und Papa kam ins Gefängnis.
Ich bin jetzt älter und die Stimmen sind leiser geworden. Das sind die Medikamente, die ich nehmen muss. Die Ärzte sagen, sie sind dafür, dass ich nichts Böses tue oder so werde, wie die anderen Patienten.
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Die schleichen nachts immer durch die Klinik und rütteln an den Türen. Das macht mir Angst. Die Stimmen würden jetzt sagen, dass ich ein Feigling bin. Sie würden höhnen und spotten und mich auslachen. Aber die Pfleger sind immer schnell da und geben den Patienten eine Spritze. Dann sind sie ganz ruhig und ihre Augen glasig. Oft kommt ein alter Arzt zu mir und sagt, dass ich nicht auf die Stimmen hören soll. Beim ersten Mal war ich sehr entsetzt und hatte Angst, dass die Stimmen das gehört haben. Das hören sie nicht gerne ... der Arzt hat gelächelt und gesagt, ich würde sie mir nur einbilden. Einbilden? Ich weiß noch, dass die Stimmen das gehört und laut aufgeschrieen haben. Der Arzt hat mich ins Bett gedrückt, weil ich geschrieen und mit den Armen um mich geschlagen habe. Zum Glück hat er mir dann eine Spritze gegeben und ich wurde ganz müde. Ich weiß, wie wütend die Stimmen waren und dass sie mich laut und aufdringlich gequält hätten, wenn ich meine Medikamente nicht bekommen hätte.
Ich bin jetzt noch älter und kann die Stimmen schon ignorieren, wenn ich mich ganz arg anstrenge. Die Krankenschwester sagen, ich mache gute Fortschritte. Mama war immer noch nicht hier, aber ich weiß, dass ihr neues Kind schon über 13 Jahre alt sein muss. Ich würde es gerne sehen. Die Stimmen hätten es mir verboten. Die Krankenschwester, von der ich weiß, dass sie ihre Kinder schlägt, stellt das weiße Wägelchen ab und holt meine Medikamente hervor. Ich weiß, wenn ich sie nicht nehme, dann kommen die Stimmen zurück. Einige der anderen Patienten haben sich umgebracht, weil die Stimmen es ihnen gesagt haben. Ich weiß noch, als die Polizei in der Klinik war. Das blaue Licht ihrer Autos hat in mein Zimmer geleuchtet. Ein paar Wochen später hat sich ein anderer Patient, mit dem ich zwei Jahre lang ein Zimmer geteilt habe, vom Dach der Klinik gestürzt. Sie sagen, er sei Schlafgewandelt und über das Geländer gekippt. Aber ich weiß es besser ... es war lediglich ein Befehl seiner Stimmen gewesen. Er lag ganz verrenkt auf dem Boden und überall war Blut gewesen. Heute steht ein kleines Holzkreuz an der Stelle. Der andere Patient bekam kein Holzkreuz, weil er eine Insulinspritze gestohlen und sich zu viel injiziert hatte. Er war kein Diabetiker gewesen.
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Ich bin jetzt wirklich alt, beinahe über 30 Jahre. Heute werde ich entlassen. Alle schauen mich komisch an. In meiner rechten Hand habe ich meine Medikamente. Die muss ich immer noch nehmen. Mein Leben lang. Die Krankenschwestern glauben nicht, dass es gut ist, mich zu entlassen.
Als ich draußen bin, höre ich nichts anderes als den Wind und die Vögel. Ich habe das Lexikon dreimal gelesen. Die meisten Vögel in diesem Park sind Amseln, aber auch ein paar Spatzen. Ich sehe eine Bank und stelle meine Medikamente dort ab. Dann drehe ich mich um und gehe lächeln einen Waldweg entlang. Vielleicht war es doch nicht richtig, mich zu entlassen.
Das sagen zumindest die Stimmen ....
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