Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Manfred ManfredJG      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. April 2005
Bei Webstories eingestellt: 19. April 2005
Anzahl gesehen: 2192
Seiten: 4

Sein Leben war von ein paar Dingen geprägt. Dinge, die scheinbar keinen Sinn machten im normalen Ablauf der Lebenserfahrungen. Da war dieser Wille seine Vorstellungen zu bewahren. Eine Vorstellung war, das sein Glaube eine Art Beschilderungssystem für seinen Lebensweg sei. Nein, das bedeutet nicht, dass er die Welt verbessern wollte. So meinten viele im Laufe der Zeit. Es bedeutet für ihn, dass sein Lebensweg in Gottes barmherzigen Händen ruht - nicht mehr und nicht weniger. Eine andere Vorstellung war jene von der Partnerschaft zwischen zwei Menschen, von dem sich austauschen können, sich respektieren können. Auch diese Vorstellung war kein Ziel, dass er sich gesetzt hatte, sondern eine Art Spiegel, in den er hin und wieder schaute. Und wenn er sich darin erkennen konnte, das wusste er, dann hatte er sie gefunden. Sie, die aus einer seiner Rippen gemacht worden war. Eigentlich waren beide Vorstellungen eng miteinander verbunden, denn der, der seinen Weg bewachte, hatte gleichzeitig auch seine Weggefährtin erschaffen. Und alles, was er tun konnte war, hin und wieder auf Schilder zu achten und vorsichtig in jenen Spiegel zu sehen. Irrtümer waren inbegriffen und manches Schild übersah er mit der Zeit. Trotzdem kehrte er immer wieder in seine Vorstellungen zurück - und Gott verzieh ihm seine Umwege.



Zurückblickend betrachtet, lassen sich viele Dinge beschreiben, besser, als man zukünftige Dinge oder Vorstellungen beschreiben kann. Mancher Blick in den Spiegel hatte Umrisse preisgegeben, die er für das ganze Spiegelbild hielt. Ungeduld kann man das heute nennen, was ihn damals trieb. Mehrfach hatte er auf seinem Weg gedacht - nun ist sie da. Die ersten Täuschungen erlebte er aufgrund von Äußerlichkeiten. Sie sah hübsch aus, schien begehrenswert zu sein. Sie brachte Licht in seinen Alltag. Aber was war mit alledem, was auch noch zu einer Beziehung gehört? Den kleinen Gemeinsamkeiten, die im Alltag so viel bedeuten, wenn es still wird? Er suchte sie vergebens in den Zärtlichkeiten, begann erneut in den Spiegel zu schauen und bemerkte, dass etwas fehlte - etwas war einfach nicht da, was er vorher nicht bedacht hatte. So schaute er genauer hin und sah seine Einsamkeit aus dem Spiegel blicken. Die Äußerlichkeiten gewannen an Kontur und ließen die hübschen Locken verblassen. Eine sichere Partnerschaft erschien ihm als die Lösung, Gefühle waren da nicht so wichtig.
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Alles schien plötzlich vollkommener zu sein - für eine lange Weile. Dann kam die Langeweile. Es fehlte immer noch etwas, das spürte er und der nächste Blick in den Spiegel offenbarte ihm etwas, was er nicht verstand. Da war ein Strahlen, eine Ruhe, eine Sicherheit, die das Spiegelbild verschwommen erscheinen ließ. Jegliche Äußerlichkeit verschwand und zurück blieb Verwirrung. Das war das erste Mal, dass er sich von jenem Spiegel abwandte - für eine Weile seine eigenen Weg ging.



Das war eine schlimme Zeit. Er bekam alles - die Äußerlichkeit, die gemeinsamen Erfahrungen und Talente, die Gefühle. Alles schien perfekt zu sein - perfekt steril. Hätte er in den Spiegel geschaut, er hätte das fehlende Strahlen gesehen. So aber stolperte er durch eine Lebenszeit die einsamer und anstrengender nicht hätte sein können. Die Gemeinsamkeiten machten ihn zum Begleiter - nicht aber zum Gefährten. Still wandelte sich alles ins Gegenteil. Er ging seinen eigenen Erfolgen nach und sie baute sich ein Leben ohne ihn auf. Zärtlichkeiten wichen kleinen Auseinandersetzungen und große Auseinandersetzungen folgten der fehlenden Zärtlichkeit. Gemeinsam hätten sie ein Haus erbauen können - tatsächlich lebten sie aber zur Miete. Nur nichts aufbauen, was verbindet, schien für beide klar zu sein. Und dann ereignete sich unweigerlich das, was der einzige Ausweg für die beiden war. Sie erkrankte und er begleitete sie, hatte immer noch die Vorstellung im Kopf, dass alles gut werden würde. Für einen Blick in den Spiegel hatte er keine Zeit - jetzt trug er Verantwortung, da kann man nicht irgendwelchen Wünschen und Illusionen nachhängen. Nicht einmal die Einsamkeit ließ er an sich heran. Die Schönheit seiner Frau wandelte sich mit fortschreitender Krankheit in die Schönheit einer verwelkende Rose - Vergänglichkeit fügte sich in seine Vorstellung vom Gefährten. Das Strahlen im Spiegelbild war nicht mehr zu erkennen, als er endlich wieder hineinschaute. Eigentlich sah er gar nichts mehr, nur sich selbst, um Jahre gealtert.



So machte er sich auf, anderen etwas zu geben. Partnerschaft ist nur möglich, wenn man selbst alles gibt, ungeachtet dessen, was man zurückbekommt. Er wanderte als Fels durch immer wieder neue Beziehungen, in denen man seine Wärme liebte.
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Ihn selbst liebte man nicht. Jedenfalls nicht so, das im Spiegelbild etwas anderes erschienen wäre als sein Abbild. Er schaute nun wieder häufiger hinein in der Hoffnung, etwas entdecken zu können. Und er entdeckte tatsächlich etwas. Sein eigenes Bild begann zu verschwimmen - ja, es schien sich aufzulösen mit jeder neuen Beziehung, in die er seine Wärme steckte. Das konnte so nicht weitergehen, dachte er bei sich und trat den Rückzug an. Die Suche nach jener Gefährtin, die in seinen Vorstellungen existieren musste, gab er in der Realität auf. Die Vorstellung selbst blieb, aber er wollte keine Umwege mehr, wollte sich nicht selbst verlieren. Sein Spiegelbild erstrahlte in vollem Glanz und lächelte ihn an. Eine Zeit der Selbstzufriedenheit folgte all den gescheiterten Versuchen, sein Gegenstück zu finden. Ruhig betrachtete er im Spiegelbild seine Schönheit. Er hatte gelernt zu geben, zu hoffen, zu lieben, zärtlich zu sein, zu begleiten ... All das konnte er jetzt deutlich sehen. Eigentlich war er ein optimaler Partner für jene Gefährtin, die Gott lange zuvor aus seiner Rippe geformt hatte. Die Umwege waren nicht vergebens gewesen - sie hatten ihn zwar nicht zu ihr, dafür aber zu sich selbst geführt.



Es ging auf Weihnachten zu, als er das erste Mal wieder eine Veränderung im Spiegel feststellte. Sein Gesicht schien zu lächeln, anders als vorher. Es war nicht der Stolz, sondern eine andere Freude, die darüber strich. Er hatte begonnen, mit jemandem zu singen, begann in eine andere Person einzutauchen und sich wohl zu fühlen. Erkennen konnte er das nur an seinem Gesicht, die andere Person sah er nicht. Tage vergingen und wurden zu Wochen, in denen ihm eine Silhouette aus dem Spiegel entgegenstrahlte. Unbemerkt wurde plötzlich vieles zur Selbstverständlichkeit, was vorher unerreichbar erschien. Gedanken flogen hin und her und schienen sich auf eine merkwürdige Weise zu ergänzen. Ja, er hatte das Gefühl, verstanden zu werden und das war nach all den Jahren nicht nur ein Gefühl. Er kannte jeden Trick, leichtfertiges Verständnis zu entlarven. Aber hier war deutlich zu spüren, dass die andere Seite ihn verstand. Und mit jedem neuen Tag wurde das Bild im Spiegel deutlicher, das sein eigenes nun langsam zu überstrahlen begann. Noch konnte er es nicht richtig fassen und dafür würde er auch noch eine Weile brauchen.
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Aber es blieb ja Zeit, Lebenszeit übrig. Und er würde genau hinschauen, das war sicher. Er würde jede kleine Veränderung wahrnehmen, die ihm der Spiegel zeigen würde. Solange, bis er die Rippe sähe, die er lange zuvor geopfert hatte. Und Hoffnung begleitete seine Tage, Geborgenheit und Glück. Soviel Glück, wie er es zum Leben brauchte nach all den Jahren der Einsamkeit. Gott ist gut zu uns, dachte er und widmete sich wieder den Beschilderungen auf seinem Weg. Eines der Schilder sagte deutlich - dein Leben muss sich ändern.
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