Spannendes · Kurzgeschichten

Von:    Christoph Schwarz      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 23. März 2005
Bei Webstories eingestellt: 23. März 2005
Anzahl gesehen: 1859
Seiten: 5

Langsam ließ sie ihren Blick über die glitzernde Meeresoberfläche wandern, während sie ihren Wagen achtsam über die kurvige Küstenstraße lenkte. Stolz schien der friedliche Ozean sein schönstes Blau zu präsentieren, all die Gefahren die er barg waren an diesem Tag wie weggespült. Beinahe verträumt wandte sie ihren Blick und blinzelte in die kräftige Mittagssonne, die die Landschaft in gleißendes Licht tauchte. Die karge Szenerie war geprägt von einigen palmenartigen Gewächsen, deren Blätter sanft in der leichten Meeresbrise wippten; anderes Leben ließ das heiße Klima hier kaum zu. Während sie all diese begeisternden Eindrücke auf sich einwirken ließ, blickte ihr Mann weiterhin angespannt auf die enge Fahrbahn. Er hasste es lange Strecken mit ihr zurücklegen zu müssen. Er hatte sie noch nie für eine gute Autofahrerin gehalten, ja weigerte sich früher sogar standhaft neben ihr auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Früher – denn seit seinem Unfall hatte sich so einiges in ihrem Leben geändert. Vor auf den Tag genau einem Jahr war es, da wurde für ihn sein schlimmster Albtraum Wirklichkeit. Die Ärzte hatten alles in ihrer Macht stehende versucht, doch ließ seine schwere Rückenmarksverletzung selbst die Spezialisten an ihre Grenzen stoßen. Ihre Diagnose traf ihn wie ein Hammerschlag: Er war vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt, ein Krüppel – wie er früher selbst gerne zu sagen gepflegt hatte. Ein Ausdruck, der ihm heute weit weniger zusagte, denn nicht selten war er nun schon in seine Richtung gemurmelt worden.

Das letzte Jahr war hart für ihn gewesen. So war es ihm dank der Zeit in der Rehabilitationsklinik nun durchaus möglich, das alltägliche Leben ohne ständige fremde Hilfe zu bewältigen, war aber trotzdem auf seine Frau angewiesen. Eine Tatsache, die auch ihre Beziehung schwer belastet hatte. Es waren große Umstellungen auf die beiden zugekommen – er hatte sich vom selbstbewussten, erfolgreichen Mann im Haus zum hilfsbedürftigen, unzufriedenen Hausmann gewandelt. Seine steten Depressionen sowie der damit einhergehende Verlust des Freundeskreises sowie die Aufgabe der bisher gemeinsam gepflegten Hobbys hätten sie beinahe in eine unlösbare Beziehungskrise gestürzt. Doch trotz alledem hatte seine Frau stets zu ihm gehalten, war stets für ihn da gewesen.
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Bei der Bewältigung all seiner Sorgen und Nöte hatte sie sich immer wieder als gute Zuhörerin und tatkräftige Unterstützung bewiesen. Und auch wenn er sie nur zögerlich um ihre Hilfe bat, erkannte er doch bald dass auf seine Frau durchaus Verlass war. Ihre Liebe zu ihm schien unbegrenzt – eine Liebe, der er wohl erst seit seinem Leben im Rollstuhl richtig zu schätzen wusste.



So waren sie nun unterwegs zu dem kleinen Ferienhaus, in dem sie vor seinem Unfall so manch schönen Sommer verlebt hatten. Es lag im Süden des Landes, direkt am wunderschönen Sandstrand mit Blick auf die endlos scheinenden Weiten des Meeres. Es war nicht besonders groß und keinesfalls komfortabel eingerichtet, doch war es perfekt für schöne Stunden zu zweit. Wie gerne erinnerte sie sich an die zahllosen abendlichen Spaziergänge durch den noch warmen Sand, der so zart ihre Zehen umspielte. Wie oft waren sie einfach nur dagesessen und hatten den malerischen Sonnenuntergang betrachtet, und jedes Mal waren sie wieder fasziniert wie die Sonne als brennender Feuerball im Meer versank. Unter Tags verbrachte sie ihre Stunden mit Vorliebe auf der kleinen Veranda, zurückgelehnt in ihrem Sonnenliege und einfach nur ihren Gedanken nachhängend. Ihr Mann war da anders. Nur kurz konnte er es sich mit einem guten Buch in der Sonne gemütlich machen – doch bald schon war er wieder im Meer verschwunden, um zu schwimmen, zu surfen oder beim Schnorcheln die schönsten Muscheln für sie heraufzutauchen. Er brauchte die sportliche Betätigung, für ihn war sie der perfekte Ausgleich zum stressigen Berufsleben. Auch war er handwerklich sehr begabt, kleine Reparaturen am Haus führte er mit großer Freude und viel Geschick am liebsten selbst durch – und genau diese Freude wurde ihm an jenem Tag vor einem Jahr zum Verhängnis.

Ein starker Sturm hatte Teile des Daches abgedeckt und so ließ er es sich nicht nehmen die Behebung des Schadens Tags darauf in Angriff zu nehmen. Schon zeitig am Morgen stieg er aufs Dach um den Schaden zu begutachten und mit der Reparatur zu beginnen; er wollte sie noch Vormittags zu Ende bringen um der erbarmungslosen Mittagssonne zu entgehen. Die Arbeit schien gut voran zu gehen, so entschloss er sich am frühen Vormittag eine kleine Pause einzulegen und sich im durch das nächtliche Unwetter kühlen Meer zu erfrischen.
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Niemand konnte sagen wie es genau passiert war, wohl dürfte er mit seinen noch feuchten Sportschuhen auf den Sprossen der Holzleiter abgerutscht und mitsamt der Leiter nach hinten gekippt sein. Unglücklicherweise hielt sie sich zu diesem Zeitpunkt im Inneren des Hauses auf und nahm von seinem Sturz er Notiz als er, aus einer kurzen Ohnmacht erwacht, Minuten später um Hilfe rief. Zwar war die Rettung sofort alarmiert und schneller als erwartet bei dem abgelegenen Ferienhäuschen eingetroffen, doch konnten die Ärzte sie wenig später nur mehr von dieser fürchterlichen Diagnose in Kenntnis setzen.

Seit seinem Unfall hatten die beiden ihr Feriendomizil nie wieder betreten, die Angst vor all den Erinnerungen und damit verbundenen Gefühlen war einfach zu groß gewesen. Doch heute wollten sie einen Neuanfang versuchen. Lange hatte sie ihren Mann davon überzeugen müssen, sich an diesem Wochenende zu ihr ins Auto zu setzen und sich seiner Ängste zu stellen. Es würde nicht leicht werden, dessen war sie sich bewusst – und doch sah sie in diesem Wochenende die einzige Chance, ein wenig mit all den Erlebnissen des letzten Jahres abzuschließen und wieder etwas positiver in die Zukunft blicken zu können.

Lächelnd neigte sie sich zu ihrem Mann, wandte den Blick kurz von der Straße und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Verunsichert blickte er in ihre Augen, die innerliche Anspannung war ihm deutlich anzusehen. Noch nie war er ihr so hilfsbedürftig, ja so zerbrechlich erschienen wie in jenem Moment. Wortlos nahm sie ihre Hand vom Schaltknüppel und legte sie auf seine Schulter. Zärtlich begannen ihre Finger mit seinem blonden gelockten Haar zu spielen. Das Wochenende würde ihnen gut tun.



Schon wenig später saßen sie auf der kleinen Veranda und blickten verträumt auf die langsam im Meer versinkende Sonne. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihren Mann, auch er wirkte entspannt und zufrieden. Er hatte seit ihrer Ankunft noch nicht viel gesprochen, doch war sie sich sicher, dass auch er nach diesem Ausflug wieder ein anderer sein würde. Die Lebensfreude schien ein Stück weit in ihn zurückgekehrt zu sein, schon mehrmals war ihr heute wieder jener wundervolle Glanz in seinen Augen aufgefallen, in den sie sich vor Jahren verliebt hatte.
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Schweigend lächelte sie in sich hinein und verfolgte wie ein letzter roter Streifen vom Ozean verschlungen wurde und die Finsternis allmächtig wurde.



Verwirrt öffnete sie ihre Augen, ein lautes Geräusch hatte sie geweckt. Verschlafen tastete sie mit der Hand nach ihrem Ehemann, doch das Bett zu ihrer Linken war leer. Auch war es nicht warm und die Bettdecke schien unbenützt zu sein. Unsicher hob sie ihren Kopf und blickte im dunklen Raum umher. Weder eine Spur von ihrem Mann noch von seinem Rollstuhl, denn sie sonst so sorgfältig neben seinem Bett parkten. Schlagartig machte sich Angst in ihr breit. Hastig entstieg sie dem Bett und tastete sich durch die Dunkelheit zur Schlafzimmertüre. Sie stand einen Spalt breit offen, und das obwohl sie sich sicher war, diese vor dem Zubettgehen geschlossen zu haben. Gerne hätte sie nun nach ihrem Mann gerufen, doch schien ihre Kehle wie zugeschnürt. So sehr sie sich auch abmühte, sie brachte keinen Ton heraus. Panikartig durchquerte sie den Wohnraum, stieß dabei an unzählige Gegenstände die sie auf Grund der Finsternis nicht ausmachen hatte können und öffnete die Verandatüre. Kräftiger Wind umspielte ihre Beine als sie ins Freie trat.

Eine eiskalte Hand legte sich um ihren Hals. Mit festem Druck wurde ihr schlagartig der Atem genommen, verzweifelt rang sie nach Luft. In Todesangst begann sie um sich zu schlagen, doch veranlasste ihn das nur, seinen Griff noch enger zu ziehen. Plötzlich ließ der Unbekannte von ihr ab und stieß sie brutal gegen die Hausmauer. Kraftlos fiel sie in sich zusammen und schlug ungebremst auf dem harten Bretterboden auf. Ihr Peiniger beugte sich zu ihr hinab, griff sie an den Haaren und zerrte sie daran in die Höhe. Mit letzter Kraft versuchte sie sich von ihm abzuwenden und sich seinem Griff zu entreißen. Doch war er viel stärker als sie und zwang sie nun, ihm genau in seine Augen zu schauen. Was sie erblickte ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Vor ihr stand ihr Mann, dessen eiskalte Augen sie durchbohrten. Er schien stark betrunken zu sein. Sein hasserfüllter Blick drang tief in sie ein, ehe er zum letzten Schlag ausholte.



Schweißgebadet schreckte sie hoch. Dunkelheit umgab sie. Alles war nur ein fürchterlicher Albtraum gewesen -dessen wurde sie sich rasch bewusst, als sie ihren Mann friedlich schlafend neben sich erblickte.
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Einer jener immer wiederkehrenden Albträume, die sie seit dem Unfall ihres Mannes plagten. Verdrängte Erinnerungen an die Zeit vor seinem Unfall. Denn die war nicht immer so friedvoll gewesen. Darüber konnten auch schöne Erinnerungen an die gemeinsamen Urlaube nicht hinwegtäuschen. Oft war er betrunken nach Hause gekommen, wieso hatte sie nie zu fragen gewagt. Und wenn er getrunken hatte, ließ er sie seine Macht spüren. Wie oft hatte sie im Büro und vor Freunden lebhaft von einem Sturz über die Stiege oder anderen unglaubwürdigen Missgeschicken erzählen müssen. Ob man ihr jemals geglaubt hatte, bezweifelte sie bis heute. Und doch war sie nicht fähig gewesen, jemandem die Wahrheit anzuvertrauen – wohl aus Scham und Furcht zugleich. Irgendwann hatte sie aufgehört all die angsterfüllten Stunden zu zählen, die sie einsam weinend zu Hause verbracht hatte. Und doch war ihre Erlösung eines Tages genaht.



Sanft küsste sie seine Stirn, bevor sie sich zufrieden an ihn schmiegte. „Nun ist alles besser“, dachte sie noch bevor sie ihre Augen wieder schloss, „wie leicht die alte Holzleiter doch zu präparieren war…“
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Punktestand der Geschichte:   24
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Kommentar von "Nathanahel Compte de Lampeé" zu "Manchesmal"

... welch ein wunderschöner text ! lg nathan

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