Stille Nacht - Eine Weihnachtskurzgeschichte   209

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester

Von:    Andreas Tichy      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Januar 2005
Bei Webstories eingestellt: 12. Januar 2005
Anzahl gesehen: 11593
Seiten: 4

Die Menschenmassen schieben sich langsam durch die Gänge zwischen den Verkaufständen. Überall glänzen bunte Lichter und ertönt Weihnachtsmusik. Kleine Kinder essen Zuckerwatte und die Erwachsenen trinken Punsch. Der Jugendliche schwimmt unauffällig in der Menge mit. Er ist 25 Jahre, sagt er immer. Seine Kleidung ist abgerissen und verwahrlost. Seine Haare auch Die Menschen rund um ihn herum schenken ihm keine Beachtung. Er hat gelernt, unsichtbar zu sein. Der gut gekleidete Mann kommt ihm entgegen. Die beiden sehen einander nicht an. Im Vorbeigehen berühren sich ihre Arme und Hände für einige Sekunden. Dann verschwindet der Gutgekleidete wieder in der Menschenmasse. Der Jugendliche schert aus der Masse aus und schleicht zwischen den Hütten in den dunklen Park. Dabei stößt er einen alten Mann. Eine Frechheit, sagt der alte Mann.



Die Junkies stehen bei einigen Parkbänken. Sie begrüßen den Jugendlichen freudig, sogar mit Umarmungen. Auf einmal steht ein Mädchen vor ihm. Sie ist sechzehn. Sie ist hochschwanger. Ihr Gesicht ist blass und sie macht einen nervösen Eindruck. Er sieht sie fragend an. Das Mädchen nimmt ihn mit beiden Händen an den Armen und redet auf ihn ein. Er antwortet ihr emotionslos. Es interessiert ihn überhaupt nicht dass sie von ihm schwanger ist und dass sie halt besser aufpassen hätte müssen, sagt er und zuckt mit den Schultern. Sie schüttelt ihn an den Armen und fängt an zu Weinen. Er befreit sich aus ihrem Griff und stößt sie weg. Er sagt, Sie soll aufhören zu heulen. Sie schlägt ihm wortlos mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann läuft sie davon. Sein Gesicht nimmt aggressiv. Die Wut kocht in ihm hoch. Er brüllt ihr nach. Er nennt sie eine Hure und eine Schlampe. Er will ihr nachlaufen. Seine Freunde halten ihn zurück. Sie ist in der Dunkelheit verschwunden. Zwei Passanten gehen vorbei und schütteln den Kopf. Eine Frechheit sagt der eine Passant zu dem anderen.



Die Frau kommt gerade aus einer Toilettekabine. Beim Öffnen schlägt sie dem Mädchen von vorhin fast die Türe ins Gesicht. Noch bevor sie etwas sagen kann, hat das Mädchen sie zur Seite gestoßen und die Türe hinter sich versperrt. Die Frau schüttelt den Kopf, geht zur Waschmuschel und wäscht sich die Hände. Sie will gerade gehen, da hört sie ein Stöhnen aus der Kabine.
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Sie klopft an die Türe. Keine Antwort. Sie klopft noch einmal. Sie fragt ob alles in Ordnung ist. Hinter der Türe bleibt es still. Wieder klingt es so, als würde das Mädchen gerade erbrechen. Soll ich die Rettung holen, fragt die Frau. Keine Antwort. Die Frau zuckt mit den Schultern. Dann halt nicht, sagt sie. Weil, wer nicht will, der hat schon. Sie nimmt ihre Einkaufstasche. Die Kabinentüre geht auf. Das Mädchen kommt heraus. Ihre Kleidung ist voll mit Blut. Ohne die Frau anzusehen geht das Mädchen aus der Toilette. Eine Frechheit, sagt die Frau.



Der Schaffner geht durch den Zug und lässt sich von den Fahrgästen die Fahrkarten zeigen. Einige der Fahrgäste tragen rote Weihnachtsmannmützen, einige davon haben sogar Blinklichter. Am Ende des Waggons sitzt das Mädchen sie hat ihren Kopf an die Scheibe gelehnt und starrt gedankenverloren vor sich hin. Der Schaffner fragt sie nach ihrem Fahrschein. Sie scheint ihn nicht zu hören. Sie starrt weiter aus dem Fenster. Noch einmal fragt der Schaffner. Das Mädchen sagt wieder nichts. Sie schaut ihn nicht einmal an. Er sieht sie an. Ihre Kleidung ist abgerissen und schmutzig und voll mit Blut. Sie stinkt. Er verzieht angewidert das Gesicht. Der Zug fährt in eine Station ein. Er sagt ihr, dass sie mit ihm aussteigen soll. Sie reagiert nicht. Der Zug bleibt stehen und die Türen springen auf. Wir steigen aus, herrscht er sie an. Sie steht langsam auf und geht zur Türe. Er steht hinter ihr. Auf einmal fängt sie an u laufen. Sie ist nicht besonders schnell. Der Schaffner will ihr nachlaufen. Dann macht er eine verächtliche Handbewegung und lässt sie laufen. Eine Frechheit, sagt der Schaffner.



Die beiden Zivilfahnder halten mit ihrem Auto vor dem Haus, direkt unter einem Halteverbotsschild. Sie steigen aus und ziehen ihre Waffen. Der vordere drückt vorsichtig die Türe auf, der zweite folgt ihm. Das Stiegenhaus ist finster. Der erste Polizist drückt auf den Lichtschalter. Es bleibt finster. Die beiden gehen die Stiegen in den zweiten Stock hinauf. Sie gehen zu einer Türe und leuchten mit der Taschenlampe auf das Türschild. Der erste Polizist nickt mit dem Kopf. Dann drückt er gegen die Türe. Sie ist nur angelehnt. Sie gehen hinein. Die Beleuchtung ist spärlich. Sie stoßen die erste Zimmertüre auf.
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Nur zwei Jugendliche sind in dem Zimmer. Sie haben Sex. Sie bemerken die Polizisten nicht. Die gehen weiter. Sie stoßen die Türe zu Küche auf. Dort sitzen mehrere Jugendliche. Eine Kerze brennt auf dem Tisch. Auf einem Sessel sitzt das Mädchen. Sie ist gerade dabei sich eine Spritze anzusetzen, als die Polizisten hereinkommen. Der zweite Polizist schaltet das Licht ein. Das Mädchen lässt die Spritze fallen. Die Party ist aus, sagt der eine. Der andere hält seinen Ausweis in die Höhe. Plötzlich zieht einer der Burschen eine Pistole aus der Tasche und schießt auf die Polizisten. Er trifft einen Stapel Teller im offenen Küchenkasten. Die Polizisten schießen zurück. Der Bursch fällt zu Boden. Er ist tot. Das Mädchen hebt die Spritze aus. Während sich die Polizisten über den Toten beugen, schleicht sie aus der Wohnung. Die beiden Jugendlichen aus dem ersten Zimmer kommen, in Decken gehüllt herein. Warum da geschossen wird, fragt sie. Eine Frechheit, sagt er.



Das Liebespaar geht durch den dunklen Park. Sie halten sie eng umschlungen und küssen sich. Die Luft ist kalt. Der Atem dampft. Dem Liebespärchen macht das nichts. Sie setzen sich auf eine Bank. Durch die Bäume sieht man das Glitzern der Lichter von dem kleinen Adventmarkt unten am Teich. Die Musik klingt leise herauf. Das Liebespaar beginnt auf der Bank zu schmusen. Ein Stöhnen lässt sie aufschrecken. Das Mädchen liegt mit angewinkelten Beinen auf der Bank gegenüber und krümmt sich vor Schmerzen. Können wir ihnen helfen, fragt der junge Mann. Sie antwortet nicht. Hallo, wir reden mit ihnen, sagt die junge Frau. Die Wehen lassen nach und das Mädchen atmet durch. Dabei lässt sie die Spritze aus der Hand fallen. Diese Drogensüchtler sagt die, junge Frau. Wir müssen Hilfe holen, sagt der junge Mann. Die ist nur auf einem Trip, sagt die junge Frau. Sie steht auf und zieht ihn an der Hand. Lass uns weitergehen sagt sie. Die nächste Wehe kommt. Das Mädchen stöhnt auf. Und was machen wir mit ihr, fragt der junge Mann. Wir können ja später noch mal herkommen und wenn sie dann noch da ist, können wir ja die Rettung holen, sagt sie und küsst ihn. Dann gehen sie davon. Die junge Frau dreht sich noch einmal um. Die Wehe ist wieder vorbei. Das Mädchen liegt ruhig auf der Bank.
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Eine Frechheit, sagt die junge Frau.



Das Mädchen geht durch den Park. Ihr ist schlecht. Sie friert. Die Drogen haben ihre Sinne vernebelt. Sie geht auf die bunten Lichter zu. Die sehen so freundlich aus. Sie geht schneller. Wenigstens muss sie jetzt nicht mehr so schwer tragen. Sie ist bei den bunten Lichtern. Viele Menschen sind um sie herum. Sie reden auf sie ein. Ihr wird schwindlig. Vor ihren Augen wird es schwarz. Sie fällt zu Boden. Betrunken, sagt ein Mann. Eine Frechheit, sagt seine Frau.



Es ist sehr dunkel. Man sieht nichts. Nur das Blaulicht sieht man. Sie hat viel Blut verloren, sagt der Notarzt im Dunklen. Niemand wollte ihr helfen, antwortet der Sanitäter. Das ist, sagt er, eigentlich eine Frechheit.



...und nun noch zu einer aktuellen Meldung: Im Wiener Türkenschanzpark ist heute eine junge Frau reglos zusammengebrochen. Über die Gründe dafür herrscht noch Unklarheit. Wie der leitende Ermittler mitteilte, hat die junge Frau kurz vor ihrem Zusammenbruch ein Kind entbunden. Über den Verbleib des Kindes hat die Polizei keine Angaben gemacht. Ob ein Zusammenhang mit der heute Nachmittag in einer Wiener Wohnung durchgeführten Drogenrazzia besteht, muss erst geklärt werden. Und nun zum Wetter...
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Kommentare zur Story:

  diese geschichte könnte gut mit der realität übereinstimmen,..denn ist es heute nicht genauso?
menschen die drogen nehmen, wollen sich nicht helfenlassen, doch dies ist natürlich
aber was nicht normal ist, dass menschen, die gutverdienen und ein wenig verstand besitzen den drogenabhängigen nicht helfen wollen
und selbst wenn werden sie davon abgehalten
so etwas ist sehr schade, denn jeder, egal wer
hat ein recht auf ein gutes leben und hilfe
diese geschichte hat mich sehr gefesselt und mir ein weiteres mal bestätigt, dass die welt nicht nur aus gutem besteht, was wir uns doch alle so sehr wünschen, sondern, dass es auch dinge gibt, worauf man mehr oder weniger nicht achtet und versucht es bei seite zu schieben
aber so etwas existiert und man sollte es nie vergessen  
anonym  -  19.11.08 12:21

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  Ja , so ist es in unserer Welt.
Leider - lesen vielzuwenige solche Geschichten.
und was noch schlimmer ist; Denken mal darüber nach.
Mach weiter - du wirst noch besser werden.  
Edel Schneimann  -  03.12.06 11:55

   Zustimmungen: 4     Zustimmen

  Danke für dein Feedback!

Der abgehackte Stil ist in diesem Fall Absicht. Ürsprünglich war das ganze ein Treatment zu einem Kurzfilm. Dabei hatte ich erst die Idee, eine Kurzgeschichte im Telegrammstil daraus zu machen.  
Andreas Tichy  -  16.01.05 17:54

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  Sorry, das vorher war eigentlich ein Kommentar zu einer anderen Geschichte.
Nun der richtige: Ich nehme an, der abgehackte Stil ist Absicht. du schreibst so, als wäre jeder Satz ein eigenes Ereignis. Keine Handlung. Das ist schade. Du gibst deinem Leser keinen Grund, bis zum Ende durchzuhalten.  
Chris Stone  -  16.01.05 16:04

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  Eine interessante Erzählung, aber an deinen Formulierungen solltest du noch etwas feilen; werde lesefreundlicher.  
Chris Stone  -  16.01.05 15:57

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Hallo, sehr schöne, wahre Gedankengänge! 5 Punkte von mir. lg Sabine

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