Drachensteigen - ein Spaß für die ganze Familie   359

Kurzgeschichten · Herbst/Halloween · Erinnerungen

Von:    ThiloS      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 11. Oktober 2004
Bei Webstories eingestellt: 11. Oktober 2004
Anzahl gesehen: 3288
Seiten: 3

Wie andere Väter auch habe ich einen 9-jährigen Sohn. Und natürlich soll ich ja an den Wochenenden was mit den Kindern unternehmen, damit ich vor dem Rechner nicht fett werde und die Kinder mal später eine schöne Erinnerung an die Kindheit haben und außerdem ist Herbst und da bin ich selbst früher zum Drachensteigen und das wär doch mal eine schöne Erinnerung, später, wenn sich mein Sproß daran erinnert, wie er "immer" mit seinem Vater zum Drachensteigen gegangen ist.



Also Sohn, Tochter, Frau und zwei Drachen (ein Geschenk seiner Tante und noch einen von der Raiffeisenbank) geschnappt, auf die nahe gelegene Bergkuppe gewandert und schon kann der Spaß losgehen.



Erste Überraschung: mehrere Väter, die vor dem Rechner nicht fett werden und ihren Kindern eine schöne Erinnerung an die Kindheit geben wollen, hatten die gleiche Idee. Ein gutes halbes Dutzend steht frierend und hustend mit seinen rotznasigen Lendenfrüchtchen auf der großen Bergkuppenwiese, die, zweite Überraschung, ein wahrlich überdimensionales Hundeklo der natürlich sonst wirklich rücksichtsvollen Hundehalter ist. Aber wenigstens läuft sichs schön weich auf der getrockneten Scheisse.



Ich packe am Wiesenrand die beiden Drachen aus und, tolltolltoll, beides sind Lenkdrachen. Sowas wollte ich als Kind auch immer nicht haben. Ich hatte so harmlose Drachen, drei Holzstöckchen, die wurden in die Plastikhüllen am Ende von Batmans Arm oder die Enden des Plastikadlers gesteckt, eine Schnur war auch noch dran und dann einmal über die Wiese gerannt und das Ding flog so hoch, daß es eine Gefährdung für den internationalen Flugverkehr wurde.



Lenkdrachen sind da, wie ich an diesem Nachmittag werde erfahren dürfen, ein ganz anderes Kaliber. Da brauchts Profis. Aber weil ich vor meinem Sohn nicht wie ein Idiot dastehen will (er soll sich später nicht an seinen Vater als einen Idioten erinnern, der nicht mal einen verdammten Drachen in die Luft brachte), stöpsle ich das Stahl!Gestänge ein, befehle meinem Sohn, den Drachen festzuhalten, nehme beide Lenkschnüre, stelle mich in den Wind wie weilandt Käptn Bligh auf der Brücke der Bounty und befehle dann meinem Erstgeborenen, den Drachen in die Luft zu werfen.



Das klappt auch ganz gut, der Drachen schiesst in die Luft, dreht sich zwanzig mal um die eigene Achse, bevor er mit einem satten "Kracks" wie eine abgeschossene Stuka in die Erde rammt.
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Lektion Nummer 1: Wenn sich ein Lenkdrachen zwanzigmal um die eigene Achse dreht, dann heisst das, daß sich die Lenkschnüre zwanzigmal umeinander winden.



Ich weise meinen Sproß an, den Drachen aus der Erde und der Hundescheisse zu buddeln, festzuhalten und zwanzigmal zu drehen, um die Verwindung zu lösen.



Lektion Nummer 2: 9-Jährige können durchaus Anweisungen befolgen, ohne deren Sinn zu begreifen - und so dreht mein Sohn unter meiner Aufsicht zusätzlich zehn neue Windungen in die Schnur, bevor ich seine Handlung bemerke. Also hält er nur den Drachen fest und ich verbringe 15 Minuten damit, die linke und die rechte Schnur zu entwirren. Der Vater des Nachbarskinders, der einen dieser schnöden Billigdrachen in Form einer Weihe für drei Euro mit nur einer Schnur sein eigen nennt, schaut mir dabei mitleidig und ein wenig hämisch zu, während SEIN Drachen 50 Meter über unseren Köpfen lustig im Wind tanzt und er von SEINEM und auch MEINEM Sohn hemmungs und schamlos bewundert wird.



Als wir die Verwindung gelöst haben, stelle ich mich wieder wie ein Mann in den Wind und weise meinen Sproß an, den Drachen in die Luft zu werfen.



Diesmal klappt es besser, das Ding steigt, ich lenke kräftig und glitsche auf etwas frischerer Hundescheisse nach hinten aus, worauf der Drache sich wie ein Tiefflieger auf meine Tochter stürzt, die sich nur durch einen beherzten Sprung in einen Regenablaufgraben vor einem Eintrag in die Statistik durch Lenkdrachen ermordeter Kinder bewahren kann.



Lektion Nummer 3: nasse 6-Jährige Mädchen tendieren zum Heulen, wenn sie in Regenablaufgräbe gezwungen werden.



Soll sich meine Frau drum kümmern, ich habe hier meine Ehre zu wahren. Der verdammte Drachen liegt 10 Meter neben meiner Tochter auf der Wiese und grinst. Der Nachbarsvater grinst auch. Dessen Sohn auch. Mein Sohn auch. Ich habe Hundescheisse am Schuh.



Wir wechseln die Seiten. ICH halte den Drachen und mein Junior will mal lenken. Ca. 20 mal steigt der Drachen kurz, dreht sich, knallt auf die Erde und ich hechle wie einer der kackenden Hunde von Absturzort zu Absturzort, apportiere den Drachen, stecke das Gestänge neu, entwirre die Lenkkabel, halte ihn in den Wind, rufe meinem Sohn zu, wie er lenken muß und überhaupt haben alle Spaß ausser mir.
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Nach ca einer Stunde Drachen aus der Scheisse heben, es dämmert leicht, schmeisst mein Sohn die Schnurhalter hin und verkündet, daß er keine Lust hat, weil "das nicht geht, der Drachen ist einfach nur Scheisse".



Ach ja? Ein Versuch noch. Er hält den Drachen, ich die Lenkschnüre, eine Bö kommt auf und reißt mir den Drachen derart aus den Händem, daß sich die Schnur brennend in meine Handballen gräbt. Aber es klappt. Er fliegt.



Und zwar auf den verdammten Adler des Nachbarpapis zu und bringt diesen mit einem gezielten Kopfübermanöver zu einer harten Kollission und zum ungebremsten Absturz in einen Apfelbaum. Mein Sohn kreischt vor Freude, Nachbarpapi vor Zorn, mein Drachen macht eine Ausfallbewegung und rammt einmal mehr wie ein Pfeil auf das in der Nähe abgestellte KFZ des Nachbarpapis, wo er eine unschöne, weil sichtbare Delle auf der Kühlerhaube hinterlässt.



Bevor es zu Austausch von Handgreiflichkeiten kommen kann, kommt es zum Austausch von Adressen und Haftpflichtversicherungsnummern, ich wickle die Lenkschnüre auf, packe den Höllendrachen, Frau und Kinder zusammen und verlasse den Ort meiner Demütigung.



Zu Hause sieht mich mein Sohn bewundernd an: "der Drache konnte zwar nicht so gut fliegen, aber wie Du den auf das Auto hast donnern lassen, das war cool."



Ja, mein Sohn hat nun für die späteren Jahre eine schöne Erinnerung, die er später mal seinen Enkeln erzählen kann: "Als ich noch klein war, da gab es noch Autos. Da bin ich immer mit meinem Papa zum Drachensteigen gegangen und da ist Folgendes passiert..."
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Punktestand der Geschichte:   359
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Kommentare zur Story:

  Du solltest Comedien werden :P  
topf  -  17.07.05 19:18

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  hihihi...Gott sei Dank kann ich im schlimmsten Fall bloß Mami werden und sowas gleich meinem Mann überlassen! Echt lustig!  
Eden  -  11.10.04 22:01

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Interessante Kommentare

Kommentar von "weltuntergang" zu "Abschied nehmen"

Schweres und schönes Gedicht. Gefällt mir sehr total. Ganz liebe Grüße

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