"Ich find deine Stimme schön" - Apfelsaft a la carte   45

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten

Von:    Manfred ManfredJG      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. Juni 2004
Bei Webstories eingestellt: 19. Juni 2004
Anzahl gesehen: 2093
Seiten: 3

Apfelernte, Sommerzeit - der Rasenmäher kroch durch die Berge von Fallobst und hächselte alles klein, was ihm in den Weg kam. Natürlich waren die Aufgaben verteilt und eigentlich gehörte das Fallobst in den Korb, den ich für diesen Zweck gekauft hatte. Aber was in diesem Leben läuft schon so, wie man es sich vorstellt. "Ich-find-deine-Stimme-schön" hatte ihren Besuch angekündigt und das allein war Garantie für eine Apfelernte der besonderen Art. Der Entsafter aus dem Keller stand freitags abends auf dem Herd - gesäubert und bereit, die geschälten Rundlinge ihrer Bestimmung zuzuführen. Gesammeltes Leergut aus einem Jahr voller Ereignisse glänzte auf dem Küchentisch, als "Ich-find-deine-Stimme-schön" auf dem Hof hinter unserem Haus ihren Wagen zum Stillstand brachte. "Morgen werden wir Apfelsaft machen, Kuckuck", begrüßte sie mich fröhlich und ich kam nicht umhin, gewisse Befürchtungen zuzulassen, die sich aus der Vergangenheit in meinen Kopf schlichen. Der Tod meiner Waschmaschine war noch nicht vergessen und mein Blick suchte instinktiv den Entsafter, ein sehr robustes Gerät ohne Elektronik. An diesem Abend jedoch schliefen wir zunächst einmal ein, ohne an die Zukunft zu denken.



In aller Frühe stand "Ich-find-deine-Stimme-schön" in der Küche, Papier und Bleistift in der Hand, um den Tag zu planen. Ohne Plan lief bei ihr nichts. Wenn man ihr eines nicht nachsagen kann, dann ist das Planlosigkeit. Ich warf vorsorglich einen Blick auf die Liste, suchte das Wort "Entsafter" zu entdecken. Aber weder das Wort "Tod" noch das Wort "Entsafter" stand auf ihrem Plan und so lauschte ich etwas beruhigt den Anweisungen, die sie mir und den Kinder erteilte. "Zunächst werden wir die Äpfel einmal einsammeln", ließ sie sich bestimmt vernehmen. Das klang logisch, war den Kindern aber scheinbar nicht angenehm. Bedeutete es doch, eine Menge Arbeit. Wie gut hätte sich die Zeit im Schwimmbad nutzen lassen. Stattdessen landete ein Rundling nach dem anderen auf dem Tisch hinter unserem Haus. Gegen Mittag war kein Apfel mehr auf dem Rasen zu entdecken und auch die Bäume wirkten ein wenig kahl - die Kinder wirkten eher genervt.



Trotzdem kreuzte der Bleistift nur einen Punkt auf der Liste an. Immerhin, dieser Teil konnte als erledigt betrachtet werden und noch war der Entsafter funktionstüchtig.
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Sie schaute auf die Liste und verkündete voller Eifer: "Nun werden wir die Äpfel schälen. Und du, Kuckuck, führst sie dann dem Entsafter zu." Sie und die Kinder begannen zu schälen und, obwohl die Kinder ein wenig langsam arbeiteten, kam ich mit dem Entsaften nicht nach. Außerdem fiel mir auf, dass niemand für die Entsorgung der Schalen eingeteilt war, die sich auf dem Boden hinter unserem Haus zu türmen begannen. Die Fröhlichkeit von "Ich-find-deine-Stimme-schön" wurde jäh unterbrochen, als die Kinder ihre Messer auf den Tisch legten und ins Schwimmbad aufbrachen. Als Vater hätte ich nun reagieren müssen. "Du kannst dich nicht durchsetzen", ließ sie sich vernehmen. "Ich werde das Jugendamt alarmieren, damit deine Kinder gehorchen lernen." Mein Blick schweifte über den Hof, meine Ohren dem röchelnden Entsafter lauschend. "Heute hat das Jugendamt zu. Die sammeln alle Äpfel im Garten", schoss es aus meinem Mund. Im Stillen beneidete ich die Kinder, die sich aus dem Drama auf dem Hof hinter unserem Haus schleichen konnten. "Dann müssen wir eben alleine weitermachen". Sie machte sich eine kurze Notiz auf dem Stück Papier - Montag das Jugendamt anrufen - und fuhr fort, die Rundlinge ihrer Schale zu berauben. Langsam kam der Entsafter mit den angelieferten Äpfeln klar. Er holte auf, ja wurde sogar zeitweise arbeitslos.



Die Flaschen auf dem Küchentisch, die Schalen auf dem Hof - kreuzte "Ich-find-deine-Stimme-schön" die letzten Punkte auf der Liste ab. "Nun hast du Saft für den Winter, Kuckuck" - sie schaute mich liebevoll an. Es war Abend geworden und die Kinder betraten das Haus vorsichtig, um nicht auf den Schalen auszurutschen. Zugegeben, an diesem Abend hatte ich noch keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Alles, was sicher war, war: Sie wird Donnerstag wieder fahren. Bis dahin konnten die Apfelschalen nicht verrottet sein und der Apfelsaft nicht ausgetrunken. Die einzige Hoffnung bestand darin, dass die Kinder "planlos" am kommenden Freitag aufräumen würden. Aber sicher erst, wenn sie wieder gefahren war. Für "Ich-find-deine-Stimme-schön" war nun alles in Ordnung. Sie lächelte mich an: "Du verstehst mich so gut, Kuckuck.
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Und eigentlich sind deine Kinder ja sehr nett." Sie strich den Anruf beim Jugendamt und stellte Stühle unter den Apfelbaum, unter dem man nun wieder gefahrlos sitzen konnte. Ich hatte mir inzwischen eine Flasche Bier geholt, der Gährungsprozeß der Äpfel würde eh noch eine Zeit in Anspruch nehmen. Gemeinsam schauten wir in den Abendhimmel nach einem erfolgreichen Tag. "Weißt du, Kuckuck, manchmal ist das Leben sehr schön", flüsterte sie, lehnte ihren Kopf an meine Brust und gab mir das Gefühl, Mann zu sein. Immerhin, der Entsafter hatte überlebt und auch sonst schienen die Sterne sich nicht verändert zu haben an diesem Abend nach der Apfelernte im Garten auf dem Hof hinter unserem Haus.
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Kommentare zur Story:

  Wirklich toll wie du uns den Alltag humorvoll herüber zu bringen verstehst. Hat mir sehr gefallen deine kleine Geschichte.  
   doska  -  27.05.09 12:21

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  hilfe, hier erinnert mich jemand an eine leidige Pflicht, die auf mich zukommt.  
Traudel  -  04.07.04 15:08

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Homo Faber" zu "Der Zug"

Hallo, ein schöner text, du stellst deine gedanken gut dar, trifft genau meinen geschmack. lg Holger

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Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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