Trauriges · Kurzgeschichten

Von:    Sebastian Fulland      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Juni 2004
Bei Webstories eingestellt: 12. Juni 2004
Anzahl gesehen: 2357
Seiten: 3

" Natürlich ginge es auch so!" fuhr sie Tom an. "Alles geht irgendwie! Doch irgendwie ist nichts, ein Dreck!"

Tom ließ den Kopf hängen, sie war wieder einmal richtig in Fahrt, gefiel sich in ihrer Rolle und, dass war für Tom das Schlimmste, ihr gefiel die Rolle, in die sie Tom wieder gedrängt hatte.

"Denkst du, ich mach das alles hier zu meinem Vergnügen? Ich könnte mir auch etwas erfüllenderes vorstellen, als meine Zeit mit deiner renitenten Art zu vergeuden."

Tom hasste sie, wenn sie so war. Natürlich hätter er es nie gewagt, ihr das direkt ins Gesicht zu sagen; sie war doch noch immer seine Schwester und, auch wenn sie vier Jahre jünger war als er, Tom respektierte und achtete sie, wie er es auch von ihr erwartete.

Seine Erwartungen waren schon oftmals zu hoch gewesen, wenigstens das hatte er im Laufe der Jahre begriffen.

Mitten im nicht enden wollenden Redefluss seiner Schwester erhob sich Tom und schlurfte langsam zur Tür.

"Tut mir Leid", unterbrach er sie, "ich muss los."

Seine Schwester stockte. "Du musst los? Du musst los?! Du alter Versager, wo willst du denn schon hin? Dich besaufen? In den nächsten Puff?!"

"Ich hab dich lieb, vergiss das nicht, ja? Mach´s gut."

"Leck mich!"

Tom schlenderte die Strasse Richtung Park hinunter, grüsste freundlich einige Menschen, die ihm auf seinem Weg entgegen kamen und meist nur einen missgünstigen Blick oder pure Ignoranz für ihn übrig hatten. Tom erwiderte diese Ablehnung und Diffamation mit einem Lächeln.

Als er im Park angekommen war und eine leere Bank gefunden hatte, die weit genug von den anderen Menschen im Park entfernt war, schloss er die Augen und ließ sich völlig in das Geräuschgemisch aus Vogelgezwitscher, Entengeschnatter und pfeifendem Frühlingswind fallen. Die Sonne wärmte die Haut von Gesicht und Armen und Tom hatte beinahe das Gefühl, glücklich zu sein.

Lautes Kindergebrüll riss ihn jedoch jäh in die Realität zurück. Er beobachtete zwei Jungen, die augenscheinlich einen Schmetterling gefangen hatten. Der eine riss langsam und gemächlich die Flügel des Tieres heraus, während der andere damit beschäftigt war, den Korpus mit einem Feuerzeug in Brand zu setzen.
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Beide hatten eine unbändige Freude, dass Tier zu quälen und stritten sich nun, welcher von beiden die grausamere Foltermethode praktizierte. Die Eltern der Jungen standen nicht unweit neben der Szenerie und hielten sich den Bauch vor Lachen bis letztlich auch der Vater in das Spiel einstieg, um zu beweisen was für ein Kerl in ihm steckte. Er warf große Steine nach den Fischen im nahe gelegenen See; so lange, bis er einen getroffen hatte, der wenige Sekunden später tot an der Oberfläche des Sees trieb. Danach packten sie ihre Sachen und schritten erfreut von dannen, das Gefühl, etwas geleistet zu haben.

Tom ging zum See, erblickte den an der Wasseroberfläche treibenden Fisch, der ihn mit einem vorwurfsvollen Blick anzustarren schien, und drückte leise eine Träne aus seinem linken Augenwinkel. Er musste hier weg. Auf dem Weg zum Metallgatter trat er noch den noch immer glühenden Körper des Schmetterlings aus und schob die Überreste mit seiner Schuhinnenseite vom Gehweg ins Gras.

Bevor Tom aber wieder nach Hause ging, wollte er wenigstens noch einen kleinen Schlenker machen und in aller Ruhe einen Kaffee in nahe gelegenen Bistro trinken, die Hoffnung im Hinterkopf, vielleicht neue Kontakte knüpfen zu können.

Tom machte sich gerne etwas vor und daher musste er bei diesem Gedanken auch selbst ein breites Grinsen aufsetzen, Kaffee trinken! Er!

Tom schüttelte den Kopf und kassierte zum Lohn seines lächerlichen Gedankenspiels abwertende Blicke von zwei anderen Passanten. Seine Mimik versteifte sich daraufhin wieder und er eilte so schnell er konnte, den Blicken der Anderen ausweichend, zurück nach Hause, in sein Zimmer, dort, wo er Ruhe zu finden hoffte.

Tom war so naiv.

Zu Hause angekommen empfing ihn völlige Stille, keiner schien zu Hause zu sein. Er konnte das erste mal heute wieder frei durchatmen, seinem Selbst freien Lauf lassen. Er tanzte durch den Hausflur, begann zu singen, zu hüpfen. Seine Augen glänzten, glänzten vor Freude, glänzten vor Trauer.

Tom sackte auf den Boden und begann zu weinen; er bekam kaum noch Luft, so sehr ließ er seinen Tränen freien Lauf. So lange, bis er das wohl bekannte Schnappen des Türschlosses vernahm. Seine Mutter war nach Hause gekommen, rief nach ihm.
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Blitzschnell unterdrückte Tom wieder die Tränen, eilte in sein Zimmer, schloss die Tür und presste ein möglichst neutrales "Hallo" in Richtung seiner durch das Haus eilenden Mutter. Diese riss die Zimmrtür auf und betrachtete den auf der Bettkante sitzenden Tom.

"Hier bist du! Kannst du mir mal sagen, was du den ganzen Tag gemacht hast? Mir geht es beschissen, ich hatte einen grausamen Tag und dann finde ich so eine Bude vor! Hast du heute noch was vor?"

Tom schüttelte den Kopf.

"Junge! So kann das doch nicht weiter gehen, du musst mal raus. Die Leute reden schon über dich! Pervers sollst du sein, schwul, auf kleine Kinder stehen! Du machst es dir aber auch unnötig schwer. Bist doch nicht hässlich! Was rede ich mir eigentlich den Mund fusselig...hat doch eh keinen Sinn. Also, wenn du was Essen willst, weisst ja wo alles steht, ich muss gleich zu einem Geburtstag."

Tom nickte, seine Mutter seufzte.

"Warum bist du so anders, so schwierig?Tom..."

Seine Mutter musterte ihn von oben bis unten und verließ dann ohne ein weiteres Wort den Raum. Tom sank auf sein Bett und betrachtete den Sonnenuntergang durch sein Fenster, krallte sich dabei immer fester in sein Kopfkissen, roch die Tränen vergangener Tage, vergangener Jahre. Aus seiner Trauer wurde urplötzlich ein hysterisches Lachen. Er sprang auf, stürmte zum Fenster, öffnete es und lachte die Welt lauthals an. Keiner hörte sein Gelächter, keiner beachtete ihn.

Tom legte sich wieder auf das Bett und starrte an die Decke, starrte so lange bis er irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen war, die Gewissheit in Gedanken, anders zu sein. Es gab keinen Zweifel, alle sagten es, alle missachteten ihn, es musste stimmen. Es musste einfach.
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Kommentare zur Story:

  Die Grundidee finde ich sehr schön (hab schon ganz ähnliches selber geschrieben). Und du hast eine gute Sprache gefunden. Dennoch stören mich einige Sachen. Zum Beispiel die Szene mit der sadistischen Familie fand ich unnötig übertrieben. Das war etwas zuviel.
Was mir auch noch fehlte war eine genauere Beschreibung der Figuren. Wie ist die Beziehung zwischen Tom und seiner Mutter und seiner Schwester? Wie alt ist Tom? Wie alt ist seine Mutter? Ist er ein Säufer?
Klar ist es schön, wenn eine Geschichte dem Leser die Möglichkeit bietet, selber seine Vorstellung walten zu lassen, aber du lässt meiner Meinung nach zu viel offen.
Mit etwas mehr Tiefe und mehr Details hättest du meiner Meinung nach mehr rausholen können.
gruss der möchtegern  
Kleiner Möchtegernpoet  -  06.04.06 14:20

   Zustimmungen: 3     Zustimmen

  Toms Verhalten ist nachvollziehbar, aber warum stört es ihn so, anders zu sein? Wer ist denn nicht anders?  
Chris Stone  -  18.02.05 10:52

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Kommentar von "darkangel" zu "Stein in der Mauer"

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