Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Julia AgentinStarling      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 4. März 2004
Bei Webstories eingestellt: 4. März 2004
Anzahl gesehen: 2957
Seiten: 2

Das sonntägliche Frühstück: Toast mit Butter, Orangenmarmelade, Tee und

weich gekochte Eier auf dem ovalen Holztisch, den er damals für unerschwinglich

hielt. Akkurat sind die Stühle angeordnet. Ein blühender Rosengarten hinter

penibel geputztem Fensterglas als morgendliche Aussicht. Strahlend weiße

Gardinen. Spitzenbesatz. Nichts ist dem Zufall überlassen. Das war es bei ihr nie.



Und es gibt Kommunikation in der verschlafenen Atmosphäre. Oh ja! Sie

murmelt: Das Wetter ist schön. Stumm nickt er. Das genügt. Nach so langer Zeit

versteht man sich. Fragen wie Reichst du mir bitte die Butter, Liebling? wird

vorgebeugt. Alles steht am rechten Platz. Er hat gelernt, in welcher Reihenfolge

sie nach Butter, Teekanne oder Marmeladenglas verlangt. Und das Wichtigste

ist der Salzstreuer. Direkt neben dem Eierbecher muss er stehen. Nicht davor,

auch nicht dahinter – genau rechts daneben. Zielsicher greift sie danach, wie

jeden Morgen.



Ihre Fingerspitze stößt dagegen – pastellrosa lackiert, makellos –, und

kristallene Körnchen des Salzes, das für das Ei bestimmt war, prallen vom

Platzdeckchen ab auf das ungeschützte Holz des Tisches, als ließe man eine handvoll

Kieselsteine auf den Asphalt der Straße rieseln. Eine trockene Lache weißer

Transparenz erstreckt sich bis nach vorn zur Teekanne. Das ist ein weiter Weg.







Der Tisch erzittert leicht, als sie hastig aufsteht und behänden Schrittes

in die Küche läuft. Er bleibt. Wer ist das, fragt er sich. Wer ist das, der da

gerade eilig und schlecht gelaunt los gesprungen ist, um einen Lappen oder

Putzmittel oder den Handfeger zu holen? Was macht es, ob das Salz nur fünf

Minuten die Ruhe auf der Tischplatte liegend genießt oder bis zum nächsten

Sonntag dort verstreut bleibt und darauf wartet, mit dem Ei verspeist zu werden?

Ihm tut das nicht weh. Ihr schon.



In der kurzen Zeit, in der sie weg ist und leise ihre weiblichen Flüche von

der Küche herüber schickt, denkt er an all das Salzige, das er seit langem

wahrnimmt.
Seite 1 von 3       
Da ist der salzig-bittere Geschmack, der an seinen Lippen haftet,

wenn sie ihn morgens zum Abschied küsst (Sie verschwinden alltäglich in ihren

eigenen Welten aus Schwimmkurs und Mechanikertreff, Sauna und Stadion,

Kaffeeklatsch und Stammkneipe.) und den er stumm erduldet, genau wie den Geruch, den

ihr Atem hat, wenn sie sich im Bett zu ihm dreht. Das ist es, was ihn zum

Aufstehen treibt, nicht der Lärm des Weckers – sieben, manchmal acht Minuten

danach. Und er weiß auch noch, wie es aussieht, wenn ihre Tränen – wütende,

missverstehende, hysterische Tränen eines Kindes – salzige Spuren auf den

verwelkten Wangen hinterlassen. Warum sie weint, kann er nicht sagen. Vielleicht

kann sie das selbst nicht einmal. Oft kommt sie nach hause – früh am Abend –

mit glühendem Gesicht. Damenkegelclub, denkt er dann und fühlt sich bestätigt,

wenn ihm mit der Abendluft eine Wolke süß-salzigen Schweißes entgegen weht,

die er wortlos erträgt. Denselben Geruch haben ihre Kleider, bevor sie sie

wäscht, hat die Bettwäsche, auch wenn sie nur eine Woche benutzt und dann

gewechselt wird, haben die Handtücher, mit denen sie sich abtrocknet. Fast meint

er, ihn gar nicht mehr wahrzunehmen, weil er mit dem Alltag verschmolzen ist.

Ganz schwach erinnert er sich jetzt an den herb-salzigen, muschelartigen

Geschmack ihres Schoßes, ihrer Erregung. Wie oft hatte er ihn wohl gekostet, so

lange sie zusammen waren? Nicht oft, das weiß er, ohne zu zählen. Und jetzt

schon seit einigen Jahren nicht mehr. Dieser besondere Geschmack spielt in ihrer

Beziehung keine Rolle mehr.







Wehmütig sieht er die verstreuten Salzkörner an. Gerade kehrt sie aus der

Küche zurück – bewaffnet mit Handfeger, Putzlappen und Scheuermilch (Es war nur

Salz, verdammt noch mal!) -, als er unvermittelt aufsteht, zu Jacke und

Autoschlüssel greift und im Begriff ist, die Haustür zu öffnen. Wohin willst du,

fragt sie.



Er sagt: Ich muss Zucker kaufen.
Seite 2 von 3       
Und Pfeffer haben wir auch nicht mehr, und

geht.



Sie wischt das Salz auf, wischt den ganzen Vormittag das Salz auf, und

wartet vergeblich auf ihn.
Seite 3 von 3       
Punktestand der Geschichte:   21
Dir hat die Geschichte gefallen? Unterstütze diese Story auf Webstories:      Wozu?
  Weitere Optionen stehen dir hier als angemeldeter Benutzer zur Verfügung.
Ich möchte diese Geschichte auf anderen Netzwerken bekannt machen (Social Bookmark's):
      Was ist das alles?

Kommentare zur Story:

  mir hat sie auch gefallen  
   Dr. Ell  -  23.09.09 23:22

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Gott oder an wen oder was auch immer ihr glaubt, bewahre uns alle vor diesem traurigen Schicksal. Sehr gut erdacht oder beobachtet. Oder erlebt!!  
Stephan F Punkt  -  03.06.07 07:30

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Wirklich schön  
Jana  -  01.06.07 10:20

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Mir auch! Schöne Grüße  
der Gimpel  -  04.02.07 16:12

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  gefällt mir auch echt gut!  
darkangel  -  30.01.07 18:20

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Hallo, tolle Geschichte,gefällt mir sehr gut. lg Sabine  
Sabine Müller  -  02.04.06 13:17

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  Ich gib Dir einen TIP !
Schalte den Scheidungsanwalt ein, solange
es noch nicht zu spät ist.
Die Frau ist die Hölle!
Wie ist eigentlich die Schwiegermutter ?  
E.Hemann  -  26.06.05 12:41

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Dass du die Geschichte bis ins Detail beschreibst kommt gut! Was mir nicht so gut gefällt ist die Einseitigkeit der Sichtweise; zur Ehe gehören doch immer zwei, oder?  
traumfrau  -  04.02.05 16:40

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Salz, überall Salz. Da würd ich auch verrückt werden.
Setting gut und kurz beschrieben, Argumente sauber aufgebaut und schließlich noch eine schöne Pointe am Ende (Zucker, Pfeffer).
Doch warum gehen die Zeilen nicht bis ans Ende?

Auf jeden Fall sehr gut.  
Redfrettchen  -  21.03.04 09:25

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Weglaufen nutzt auch nichts.
Hast einen frustigen Ehealltag gut beschrieben.
3 Punkte  
NewWolz (NW)  -  13.03.04 06:36

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Ich find die Geschichte gut. 4 Punkte  
Unbekannt  -  12.03.04 20:34

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  That's life. Aber gut beschrieben und sehr angenehm aufbereitet. Allerdings würde mich der Charakter der männlichen Hauptperson noch ein bißl mehr interessieren, weil ja die Frau unmöglich alleine diese ganze Situation erzeugt haben kann. Aber das hängt eher mit meiner Art zu lesen usammen und ist sicher keine objektive Kritik. Immerhin ist diese Erzählung besser als die meinigen.  
Der Ernst  -  05.03.04 10:47

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Hi,

die Entwicklung der Geschichte ist echt gut.
Ich wäre dann wahrscheinlich auch "Zigaretten holen" gegangen ;o)

Ich hoffe, daß mich nie diese Monotonie des Alltags erwischt...

MfG  
Kalimera2002  -  04.03.04 14:00

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

Stories finden

   Hörbücher  

   Stichworte suchen:

Freunde Online

Leider noch in Arbeit.

Hier siehst du demnächst, wenn Freunde von dir Online sind.

Interessante Kommentare

Kommentar von "weltuntergang" zu "Abschied nehmen"

Schweres und schönes Gedicht. Gefällt mir sehr total. Ganz liebe Grüße

Zur Story  

Aktuell gelesen

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. Über ein Konzept zur sicheren und möglichst Bandbreite schonenden Speicherung von aktuell gelesenen Geschichten und Bewertungen, etc. machen die Entwickler sich zur Zeit noch Gedanken.

Tag Cloud

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. In der Tag Cloud wollen wir verschiedene Suchbegriffe, Kategorien und ähnliches vereinen, die euch dann direkt auf eine Geschichte Rubrik, etc. von Webstories weiterleiten.

Dein Webstories

Noch nicht registriert?

Jetzt Registrieren  

Webstories zu Gast

Du kannst unsere Profile bei Google+ und Facebook bewerten:

Letzte Kommentare

Kommentar von "Dieter Halle" zu "X Ray der nukleare Wahnsinn"

Wie immer höchst interessant.

Zur Story  

Letzte Forenbeiträge

Beitrag von "Redaktion" im Thread "Winterrubrik"

Rutsch ins Neue Jahr allen Lesern und Schreibern hier auf WebStories! Kommt gut rüber. Eure Redaktion

Zum Beitrag