Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten

Von:    Gabi Mast      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 25. Februar 2004
Bei Webstories eingestellt: 25. Februar 2004
Anzahl gesehen: 2651
Seiten: 2

Drei Merkmale unterscheiden den Samstagabend bei Hilde und Paul von den Abenden unter der Woche.

Eine Flasche Weine steht auf dem Tisch, im Fernsehen läuft die Show , und Hilde und Paul unterhalten sich während des Programms.

Das hat sich in den 27 Jahren ihrer Ehe so ergeben, und die beiden freuen sich auf ihren Samstagabend.

Seit die Kinder aus dem Haus sind, sind die Themen allerdings rarer geworden. Es wird geklatscht. So auch an diesem Samstag.

„Na“, eröffnet Hilde das Gespräch, „was gibt’s Neues?“

Paul überlegt. „Das mit dem Maier, das weißt Du ja schon, nicht wahr?“

„Nö, was ist denn mit dem?“

„Sag bloß, Du hast es noch nicht gehört? Stell‘ Dir vor, der hat ein Verhältnis mit der Frau vom Archtiekten Schulze.“

„So.“ Hildes Kommentar klingt keineswegs interessiert. Sie scheint sich darüber nicht sonderlich zu wundern.

„Dabei ist die gut zehn Jahre älter als der Maier, und eine besondere Schönheit ist die auch nicht“, erzählt Paul dennoch weiter.

„Offenbar hat sie andere Qualitäten“, entgegnete Hilde immer noch ohne eine Spur von Entrüstung.

Paul wundert sich; es paßt einfach nicht zu Hilde. Moral und eheliche Treue haben bei ihr einen enorm hohen Stellenwert. Sie kann doch nicht einfach so tun, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, daß der Maier ein Verhältnis hat.

„Also, hör‘ mal“, bohrt er deshalb weiter, „Du mußt doch zugeben, daß der spinnt. Hat so eine hübsche, junge Frau zuhause und zwei kleine Kinder. Was meinst Du, was passiert, wenn Sie dahinterkommt? Ich möchte bloß wissen, was der sich dabei denkt.“

„Was hast Du Dir denn dabei gedacht?“ Langsam schien Hilde Gefallen an der Unterhaltung zu finden.

„Ich sag‘ ja, ich hab‘ gedacht, der ist vollkommen übergeschnappt, als ich das gehört habe“, antwortete Paul ahnungslos.

„Nein, nein, ich meine damals, vor zwanzig Jahren. Die Kinder waren noch klein , und Du hattest auch eine junge Frau.“

Paul wurde plötzlich kreidebleich. Beinahe wäre er erstickt an dem Schluck Wein, den er grade genommen hatte.

„Du...“, stammelte er nach einer Weile, den Blick krampfhaft auf den Fußboden gerichtet, „Du hast es gewußt?“

„Natürlich habe ich es gewußt.
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„Wer hat es Dir gesagt?“

„Das braucht mir niemand zu sagen. Ich hab’s gemerkt.“

„Woran?“

„An vielem. Daran, daß Du jeden Tag eine halbe Stunde im Bad gebraucht hast, und daran, daß Du mich immer gefragt hast , ob die Krawatte auch zum Hemd passt, oder daran, daß Du keine gestopften Socken mehr angezogen hast und an noch so ein paar Kleinigkeiten.“

Paul denkt eine Weile nach.

„Und...Du hast nichts gesagt? Warum hast Du mich nicht zur Rede gestellt, mir keine Szene gemacht?“

Hilde zuckt mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Ich glaube, es hätte nichts genutzt. Du warst so verändert. Wir hätten nicht miteinander reden können.“

„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß Du etwas gemerkt hast.“

Paul trinkt einen Schluck Wein. Nach einer längeren Verlegenheitspause fährt er fort: „Hast Du... ich meine, hat es sehr weh getan?“ Zum erstenmal schaut er dabei wieder in Hildes Gesicht.

Jetzt wendet sie den Blick ab. „Natürlich hat es weh getan. Es..., es ist nicht nur das Betrogen werden, was schmerzt. Noch schlimmer ist das Mitleid der anderen. Wenn Du merkst, daß sie hinter Deinem Rücken tuscheln. Wenn das Gespräch verstummt, sobald du in Hörweite bist. Wenn plötzlich alle so scheißfreundlich zu Dir sind. Und du möchtest ihnen ins Gesicht schreien, daß du genauso viel weißt wie sie,- aber du kannst es nicht. Einmal...“, Hilde lachte bitter. „einmal hat mich die Frau Krause sogar im Supermarkt an der Kasse vorgelassen. Weißt du, was es für ein Gefühl ist, wenn man sich für etwas schämt, was man gar nicht getan hat?“

Paul ist auf seinem Sessel zusammengesunken wie ein Häufchen Elend.

„Oh, mein Gott...,“ ist jetzt das einzige, was er noch zu sagen imstande ist.

Dann bricht die Unterhaltung der beiden ab. Jeder verfolgt stumm den Rest der Fernsehshow und trinkt dabei seinen Wein aus.

Es ist eine seltsame Stimmung. Obwohl Hilde und Paul nicht mehr miteinander sprechen, scheinen sie sich in Gedanken so nahe zu sein wie nie zuvor in den letzten zwanzig Jahren.
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Zum ersten Mal, seit sie verheiratet sind, steht Paul auf und trägt die schmutzigen Gläser in die Küche.

© Gabi Mast www.vonGabi.de
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NewWolz  -  27.02.04 14:16

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Kommentar von "Nathanahel Compte de Lampeé" zu "Manchesmal"

... welch ein wunderschöner text ! lg nathan

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