Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Sebastian Fulland      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Februar 2004
Bei Webstories eingestellt: 12. Februar 2004
Anzahl gesehen: 3041
Seiten: 2

Heute war der Tag gekommen, heute sollte er endgültig unsterblich werden, der ganzen Welt beweisen, dass mehr in ihm steckte als ein kleiner Versicherungsangestellter. Alles war perfekt organisiert, die Schuhe geputzt, das Hemd frisch gebügelt, die Manschettenknöpfe poliert. Es musste einfach klappen, es wäre sonst alles umsonst gewesen. Immer wieder ging er die Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Notwendigkeiten durch, die diesen Tag bestimmten, lief unruhig in seinem kleinen Zimmer auf und ab, stoppte, stockte und setzte seinen Weg fort.

Schweissperlen bildeten sich am kaum noch vorhandenen Haaransatz seiner Stirn und gerade heute hatte er kein frisches Stofftaschentuch im Haus, heute, wo er es am dringensten gebraucht hätte. Er machte sich Vorwürfe, hoffte, dass es daran nicht scheitern würde, scheitern dürfte! Unruhig setzte er sich auf den blau lackierten Küchenstuhl und sah zum zehnten Mal auf die Uhr. Fünf Minuten hatte er noch, fünf elendig lange Minuten des Wartens, die einfach nicht vergehen wollten. Zum Zeitvertreib zog er das Fotoalbum zu sich rüber, das schon seit geraumer Zeit auf dem Tisch lag und er immer wieder vergessen hatte wegzuräumen.

Erste Seite, Thilo ist geboren. Fotos von ihm als Säugling, große blaue Augen, voller Hoffnung, voller Träume, voller Unwissenheit. Und jetzt? Jetzt saß er hier wie ein verweichlichter, neurotischer Trottel, der Hoffnung war Angst, den Träumen nackte Realität gewichen. Doch heute war der Tag des Umbruchs gekommen, heute sollte Thilo seine Hoffnungen und Träume wiederbekommen.

Er schlug das Fotoalbum zu und ging mit behäbigem Schritt zur Wohnungstür. Bereits vor einer Stunde hatte er verzweifelt seinen Wohnungsschlüssel gesucht, doch er war unauffindbar und auch jetzt, wo es endlich losging, war er noch immer wie vom Erdboden verschluckt. Aber spielte das jetzt noch eine Rolle?

Er entschloss sich ohne den Schlüssel aufzubrechen, es war bereits eine Minute später als geplant. Hätte er doch das verdammte Album, Album sein lassen! Dann wäre er noch im Zeitplan! Doch wie immer konnte er es nicht mehr ändern, nur das Beste aus der Situation machen und sich beeilen. Und das, obwohl sein Mantel so viel schwerer war als sonst.

Draussen angekommen bemerkte Thilo, dass es ein überaus sonniger Tag war, der Himmel war azurblau, jedoch mit einem leichten Rotstich versehen, völlig klar und rein, er musste einfach als gutes Vorzeichen gedeutet werden; heute war Thilos Tag.
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Auf dem Weg zur Firma kam Thilo eine Grundschulklasse entgegen, etwa 25 Kinder vermutete er, die alle ihre prall gefüllten Schultüten fest in ihren kleinen Händen hielten. Jeder von ihnen strahlte, lachte und genoss augenscheinlich diesen perfekten Tag, der für sie den Anfang des wahren Lebens einläuten sollte. Er wusste es besser, doch hatte auch er an diesem heutigen Tag die Chance, das wahre Leben erneut einzuläuten. Noch ein paar hundert Meter, dann musste er den ersten Schritt in dieses neue Leben tun, zeigen, was wirklich in ihm steckte und, obwohl er für diesen Schritt bereit war, wurde sein eigener Gang immer langsamer. Hatte er etwa Angst? Wollte er einen Rückzieher machen? Wollte er wieder in sein altes Schema zurückfallen?

Selbst wenn er es wollte, nun war es zu spät, er war angekommen, umkehren konnte er nun nicht mehr. Ein letzter Blick in den azurblauen Himmel, der einen leichten Rotstich aufwies, ein letzter tiefer Atemzug der klar-modrigen Sommerluft und dann schritt Thilo durch den Firmeneingang, öffnete seinen Mantel und zündete die Bombe.
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Kommentare zur Story:

  Okay, da hier noch keine Kommentare stehen, will wenigstens ich meine Meinung sagen.
Also, das mit der Bombe war mir sofort klar, als du erwähntest, daß der Mantel schwerer war als sonst (vielleicht habe ich zu viel King gelesen).
Aber du gibst einem keinen Ansatz der Erklärung. Warum zündet Thilo die Bombe? Bloß weil er ein Verlierer ist?
Und zum Titel: er passt nicht! "Mein Tag"- erste Person (oder bist du der Verlierer?), und der Text ist in der dritten Person geschrieben.
Aber ich werde mal einen Blick auf deine anderen Geschichten werfen.  
Chris Stone  -  17.02.05 13:49

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Kommentar von "SCvLzH" zu "Am Meer"

... melancholisch aber schön ...

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