Kurzgeschichten · Aktuelles und Alltägliches · Experimentelles

Von:    Goren Albahari      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 12. Dezember 2003
Bei Webstories eingestellt: 12. Dezember 2003
Anzahl gesehen: 4092
Seiten: 3

Gestern bat mich meine Frau Erna in den Supermarkt zu gehen und ein Pfund Brot sowie eine Tüte Milch zu holen. Der Supermarkt liegt gleich um die Ecke und ich erreichte ihn binnen kürzester Zeit. Es war fünf Uhr am späten Nachmittag, als ich den großen Laden betrat. Ich grüßte die Kassiererin mit einem freundlichen Kopfnicken und begab mich ohne Umschweife zum Brotregal. Ein junger Mann, den ich noch niemals vorher in unserem Supermarkt gesehen hatte stand breitbeinig und scheinbar unschlüssig vor meinem Brotregal. Nicht, dass mich das weiter gestört hätte. Nein, nein, es war vielmehr die Art und Weise in der er vor dem Regal stand. Seine Körperhaltung hatte etwas gewalttätiges und provozierendes an sich. Wie hypnotisiert stand er vor den Brottüten. Ab und zu streckte er seine rechte Hand aus, holte ein Brot aus dem Regal, nur um es gleich wieder zurückzulegen. Da ich von Natur aus ein geduldiger Mensch war, wartete ich höflich zehn Sekunden.

„Sie brauchen die Brotscheiben nicht zu zählen junger Mann, es genügt wenn sie das Gewicht, das auf der Tüte aufgedruckt ist, prüfen.“ Das saß. Er zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Dann knurrte er irgend etwas, was sich wie „Scheren sie sich um ihre eigenen Sachen“ anhörte, und vertiefte sich erneut in die Brotlektüre. So war das also. Er suchte Streit. Na, den sollte er haben. Das wäre ja noch schöner gewesen. Zuerst in mein Territorium eindringen und dann noch beleidigend werden? So etwas konnte und durfte ich in meinem Supermarkt nicht dulden.

Endlich hatte er gefunden was er suchte. Er nahm die letzen dreißig Tüten Brot, sowie alle einhundert Brötchen und verfrachtete sie in seinen Einkaufswagen. Ungläubig starrte ich auf das jetzt leere Regalfach. Er hatte mir nicht einmal einen Brotkrümel übriggelassen.

Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber ohne Erfolg. Panik erfaßte mich. Was wenn er den gleichen hinterhältigen Trick mit der Milch versuchte? Ich drehte mich auf dem Absatz um und sprintete zum Kühlfach. Meine Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Jetzt packte der Kerl die Milchtüten in seinen Einkaufswagen. Ich hätte mir in den Hintern beißen können vor Wut. Das wars, das schlug dem Faß den sooft zitierten Boden aus. Dieser miese Typ hatte mir den Krieg erklärt. Somit mußte er auch die Konsquenzen tragen. Ich rannte zum Eingang zurück und holte mir einen Einkaufswagen. Dann lief ich im Laufschritt zur Getränkeabteilung.
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Während der Feind noch immer mit den wehrlosen Milchprodukten beschäftigt war, leerte ich rasch das komplette Getränkeregal. Dann wandte ich mich der Schokolade und den Waffeln zu. Ich mußte schnell handeln, wenn ich den Kerl besiegen wollte. Ich nahm mir nicht die Mühe, die Produkte einzeln in den Wagen zu legen. Nein, ich benutzte eine eigens für diesen Notfall von mir erfundene Taktik. Ich stellte den Einkaufswagen direkt unter das betreffende Regal und schob die Ware mit ausgestrecktem Arm in den Wagen. Auf diese Art und Weise hinterließ ich nichts dem Feind. Apropo Feind. Ich schielte zu meinem Todfeind hinüber.

Er hatte jetzt zwei volle Einkaufswagen neben sich stehen. Aha, er begann jetzt also schwere Geschütze aufzufahren. Was der kann, kann ich schon lange. Ich entriß einer älteren Dame ihren noch leeren Einkaufswagen. „Der Wagen ist konfisziert, holen sie sich einen anderen!“, schrie ich sie an. Ich sah wie sie erschreckt zusammenzuckte. Doch ich konnte keine Rücksicht auf sie nehmen. Hier ging es um mehr als nur um eine alte Dame. Hier ging es um den ganzen Supermarkt, ach was sage ich da, hier ging es um

die ganze Nachbarschaft. Denn so wie ich diesen rücksichtslosen Kerl einschätzte, würde er nach der gewalttätigen Übernahme des Supermarktes nicht Halt machen, sondern versuchen sich an unserer Nachbarschaft zu vergreifen. Ich mußte ihm hier und heute die Grenzen aufzeigen. Die Zeit wurde knapp. Es war kurz vor Ladenschluß. Im Eiltempo und ohne anzuhalten, beförderte ich hunderte von Dosen, Päckchen, Rollen, Tüten, Würstchen, und was mir sonst noch alles in die Hände kam, in den beschlagnahmten Einkaufswagen. Plötzlich sah ich wie der Feind seine beiden Einkaufswagen seelenruhig in Richtung Kasse schob. Dieser plötzlichen Truppenbewegung mußte ich zuvorkommen. Ich hievte den letzten 50 Kg-Kartoffelsack in den Wagen und sprintete was das Zeug hielt mit meinen vier Einkaufswagen auf die Kasse zu. Geschafft. Ich war noch vor ihm an der Kasse. Das Blatt hatte sich verdientermaßen zu meinem Gunsten gewendet. Doch hoppla, was war das? Mein militärisch geschulter Blick fiel auf die Waren neben dem Kassenband. Mit einem überraschenden Angriff konnte ich noch fünfzig Videokasetten, einhundert Batterien, zwanzig Rasiermesser sowie zweihundert Zigarettenschachteln sicherstellen.

Ich hörte wie der Feind hinter mir resignierend die Luft durch die Nase einsog. Ich hatte gewonnen.
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Der Krieg war vorbei. Mit seinen zwei mickrigen Einkaufswagen hatte er gegen mich keine Chance gehabt. Überglücklich stellte ich einen Scheck über

5255 Euro und siebzig Cent aus. Der Schaden war verhältnißmäßig klein im Vergleich zu der Gefahr, die dem Supermarkt und der gesamten Nachbarschaft gedroht hatte. Ich fühlte mich als Held, als Retter. Mit stolzer Brust und schadenfreudigem Lächeln steckte ich das Scheckheft wieder ein, als sich die Kassiererin an mich wandte:

„Herr Meyer, darf ich ihnen unseren neuen Mitarbeiter vorstellen. Das ist der Herr Schulze.“ Der Feind nickte mir ungeniert zu und streckte mir sogar unverfroren seine Hand entgegen.

Seine Unverschämtheit kannte keine Grenzen. Er sprach mich sogar an:

„Wie sie sehen mußten wir leider die ganzen Teigwaren und Milchprodukte heute aussortieren, da das Gesundheitsamt.....“ Den Rest des Satzes hörte ich schon nicht mehr.



Ich wachte erst wieder im Krankenhaus auf. Meine Frau Erna saß besorgt neben meinem Bett. Wie aus großer Entfernung hörte ich sie fragen: „Liebling, wo ist das Brot und die Milch?“





Goren Albahari
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Punktestand der Geschichte:   287
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Kommentare zur Story:

  Hallo Goren,
zu Beginn dachte ich mir nur ." Was geht denn da ab?"
Aber je weiter es ging und je mehr der gute Mann eingesammelt hat dachte ich mir schon das es wohl auf ein ziemlich dickes Ei hinauslaufen würde.
Echt klasse gemacht. Hab mich sehr amüsiert.
Schade das Du nicht noch mehr hier hereinstellen kannst von solchen Lesestoff.
Gruß B. Brüllmückel  
   Bernhard Brüllmückel  -  25.11.09 10:32

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  ... fett, fett! Respekt, würd ich sagen, und ziehe meinen Hut. Sehr geile Geschichte.  
   Dr. Ell  -  25.09.09 19:45

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  Gelungen, gelungen, gelungen!
Leider habe ich die Pointe schon vorrausgesehen.

Die Zuspitzung und der Verlauf sind sehr flüssig geschrieben sowie gut proportioniert. Falls du das hier liest, komme doch mal wieder vorbei und beglücke uns mit einer weiteren Geschichte. Was geschieht eigentlich, wenn dein Ich-Erzähler in den Baumarkt geht?

Gruß,
Killing Joke.  
   Killing Joke  -  26.08.09 02:39

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  Perfekt gemacht! Irgendwie war es zwar klar, dass irgendwas kommt, aber es hat dem humor keinen abbruch getan, hammer story!  
   Stefan  -  04.06.09 00:59

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  Hallo Goren,

flott und gekonnt geschrieben !
Nur über den letzten Satz bin ich ein wenig gestolpert - der Logik wegen.

Sonst, Klasse !

Gruß, Pola  
   Pola Lilith  -  08.06.08 16:43

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  Erinnert mich an Kishon, mir gefällt es gut!  
Middel  -  26.05.07 11:16

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  Vielen Dank. Das Gedicht auf der Seite gefällt mir auch sehr gut.  
Kleine Meerjungfrau  -  10.01.07 18:54

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  Liebe Meerjungfrau,
vielen Dank für das nette Kompliment.
Hier ist meine Homepage - www.geocities.com/goren_alb

Goren  
Goren Albahari  -  10.01.07 18:23

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  Hallo, ein wirklich gelungenes Werk, ich bin vor einiger Zeit schon einmal darüber gestolpert. Gefällt mir gut. Hast du eine Homepage? Mich würden deine anderen Werke/ Informationen zum Buch interessieren  
Kleine Meerjungfrau  -  10.01.07 14:17

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  Liebe Freunde,
vielen Dank fuer die lieben Komplimente.
Ich habe vor zwei Wochen mein erstes Buch
("Mensch Meyer!") veroeffentlicht, das eine
Sammlung meiner besten KG beinhaltet.
Aus urheberrechtlichen Gruenden darf ich keine
dieser KG im Internet veroeffentlichen.

LG
Goren Albahari  
Goren Albahari  -  31.10.06 20:38

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  Ein echter Brüller, deine Story! Herrlich übertrieben, voller
Tempo und mit feiner, boshafter Beobachtungsgabe. Sehr
erfrischend, von der Sorte könnte ich auch noch mehr
gebrauchen.  
Trainspotterin  -  30.10.06 10:17

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  Hallo, gebe Crack Recht! MEEEEEEEHHHHHHRRRR! Einfach klasse, die Geschichte, dass ich sie nicht schon früher entdeckt habe... Trifft meinen Geschmack! lg Sabine  
Sabine Müller  -  20.02.06 13:07

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  Oh mein Gott.. wie geil!
Ich hab mich dermaßen beim Lesen amüsiert, das gibts nicht ^^
Warum schreibst du nicht mehr, als nur diese eine Storie? Du kannst es doch eigentlich richtig gut.

mach bitte weiter.
mfg Crack  
Crack  -  14.10.05 12:42

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  was soll ich sagen. ich habe gelacht. danke.
übrigens sollte es eher unter witziges als unter satire eingeordnet sein.  
mutex  -  28.06.05 17:34

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  Deine Geschichte ist einfach spitze Goren. Ich konnte mich richtig in die Situation hineinversetzen. Hoffe bald wieder was von dir zu lesen.  
Unbekannt  -  18.08.04 14:46

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  Super, klasse, einfach genial.
Erinnert mich an einen Freund, der auch immer an Feinde in Räuberzivil denkt ;)
Schade, dass du nur diese eine Story hier veröffentlicht hast. Auch ich würde gerne mehr von dir lesen.
Liebe Grüße  
Shan  -  17.08.04 19:02

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  Klasse Idee!!!  
K.C. Crow  -  25.03.04 12:41

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  Lieber Goren, bitte gib uns mehr!  
Susan  -  17.02.04 16:21

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  Super. Vor lauter lachen tat mir die Brust weh.  
L Mausebein  -  02.02.04 13:37

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  Super !!!!  
Unbekannt  -  09.01.04 09:45

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  Witzig witzig. Ich lache immer noch.
knuffel  
Unbekannt  -  19.12.03 07:01

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  Habe ganz toll gelacht.Einfach super die
Geschichte.  
Unbekannt  -  14.12.03 08:15

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