Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten

Von:    Stephan F Punkt      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 29. November 2003
Bei Webstories eingestellt: 29. November 2003
Anzahl gesehen: 2488
Seiten: 6

Neulich....



bin ich mal wieder Bus gefahren,

aber nicht ganz freiwillig, wie ich anmerken möchte.

Und das kam so.

Es jährte sich erneut die Wiederholungsprozedur meines Erscheinens auf diesem Planeten, sprich: mein Geburtstag. Und diesmal war es ein runder.

Nicht, dass ich das für sehr erwähnenswert hielte, aber es erklärt die Ursachen folgender Geschichte.



Normalerweise schenkt mir meine Frau immer was Praktisches, obwohl sich kaum ein Mann was "Praktisches" zum Geburtstag wünscht.

Der Grund ist, dass uns Männern, gentechnisch gesehen, die Fähigkeit abgeht, uns selbständig mit dem Nötigsten zu versorgen, meinen die Frauen.

Deshalb hat der Herrgott uns diese mutierten Adams zur Seite gestellt.

Ich rechnete also mit dem üblichen - einer Krawatte.

Mit gespannter Langeweile und gelassen, wie ich nun mal bin, näherte ich mich an diesem Morgen dem Frühstückstisch, bereit, mein Danke-Schatz-das-war-doch-wirklich-nicht-nötig-Gesicht auf Kommando, sozusagen,

aus dem unrasierten eigenen Antlitz zu zaubern.

Ich erwartete den Anblick eines länglichen, schlecht eingepackten, knubbligen Etwas, das meine Vermutung bestätigen würde.

Erst zweifelnd suchend, dann etwas nervöser und stirnrunzelnd ein bestürztes Gesicht simulierend musterte ich den Tisch. Verdammt, nichts zu sehen.

Ich vermied bewusst den Blick in das Gesicht meiner Frau, wie seit Jahren schon.

Ich meine, da hätte ich ja direkt in den Spiegel schauen können.

Also setzte ich meine normale Miene auf und bestellte eine Tasse Kaffee.

Mmh, sollte ich dieses Jahr etwa leer ausgehen?

Mit dem Kaffee wurde ein Briefumschlag serviert.

Kommt die Post neuerdings früher?

Kaffeeschlürfend begann ich den Umschlag zu öffnen, als ich vom anderen Ende des Tisches so etwas wie "Auslandsreise" vernahm.

Anstatt der gewohnten Rechnung blickte ich auf zwei bunte Karten, die sich als Eintrittsermächtigungen zu einer Fernsehshow erwiesen.



"Hol' die Kröten", die Ulla Klotz am Bein Show.

Was war denn das? "Ist das nicht fantastisch, Schatz" ertönte es vom ungepflegten Ende des Tisches.
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"Du darfst mit einer Person Deiner Wahl nach Holland zu einer Fernsehshow fahren."

Ach so. Ich überlegte schon, wie ich meine Teuerste am günstigsten tarnen könnte.

"Vielleicht nimmst Du ja den Paul mit."

Wie, ich durfte scheinbar mal ohne Angetraute in die Öffentlichkeit?

Das war wirklich mal 'ne Überraschung.

"Ja", sagte ich, "der Paul, der hätte es mal verdient, der Ärmste darf ja sonst nie weg."

"Na prima, dann würde ich vorschlagen, Du gehst Dich flugs mal anziehen, der Zug geht in zwei Stunden."

Was? In zwei Stunden schon geht es los? Hektik!

Paul anrufen, Kaffeetrinken, dazwischen etwas Anziehen und Rasieren - und wieder Umziehen, denn, wenn ich mal ins Bild komme solle man doch tunlichst meine Vorjahreskrawatte deutschlandweit bestaunen können.

Mir kamen erste Zweifel.

Dieses Ausläufermodell, von einem menschenverachtenden Designerhirn

ersponnenes gelb-weiß gestreiftes Ungetüm, würde mich zweifelsfrei für die goldene Zitrone qualifizieren. Aber bevor die Herrenrunde (freu) abgeblasen werden würde tat ich meiner Frau den Gefallen. Da ich aus oben genannten gentechnischen Gründen nur über weiße Oberhemden verfüge, sah ich aus, wie der Papst auf Urlaub. Na bittesehr.

Jedenfalls saßen Paul und ich etwas später händereibend und gierig grinsend im Zug nach Köln. Dort angekommen, mussten wir weiter zum Busbahnhof.

Wieso eigentlich Busbahnhof?

Meines Wissens nach verkehren die Züge neuerdings sogar bis Holland?!



Im strömenden Regen fanden wir schließlich Unterstand in einem dieser urinverseuchten Wartehäuschen. Echt romantisch. Doch es kam noch besser.

Mein Blick streifte den Rest der einsichtbaren Fläche vor mir.

Frührentner, alte und wärmedeckenbedürftige Kreaturen schlugen die Mantelkragen hoch. Ich erblickte mehrere gleichlackierte Busse in unserer Nähe.

Nach einem warmen Sitz heischend beschloss ich, den nächstbesten ebensolchen anzusteuern.

Ich gab Paul einen Stoß in die Seite und wir kletterten in den nächsten Bus.
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Mensch, endlich im Trockenen. Da wir die ersten waren belegten wir die besten Plätze, und die befinden sich, wie allseits bekannt, ganz hinten auf der langen Bank.

Paul wollte einen Fensterplatz, weil ihm beim Fliegen sonst schlecht wird.

Also schoben wir uns in die äußerste hintere Ecke des großen Busses.

Minuten vergingen. Wir waren eineigermassen trocken, als der Ansturm begann.

Doch die Herrschaften, die nun den Bus betraten, hatte ich doch schon draußen gesehen?!

Alditütenbewaffnete Halbtote. Wir hatten doch wohl nicht irrtümlicherweise für eine Veranstaltungsfahrt zu Bauer Ewald im Münsterland eingecheckt?

Eine Flucht schien unmöglich. All diese fetten Leiber schwärmten aus wie bauchlastige Bienen und versperrten jeden Ausgang. Oh weia.

Als die Türen sich schlossen, wusste ich nicht, ob ich deswegen glücklich sein sollte.

Rentnerschweiß und Leberwurstgeruch bemächtigte sich der Luft um uns.

Ich bekam Durst. Paul auch. Doch da wir ja unterwegs waren, um ins Fernsehen zu kommen, unterdrückten wir unser Grundbedürfnis.



Es ging los. Mehrere Busse fuhren uns voran. Es regnete immer noch stark und draußen wurde es so dunkel, als sei es schon Abend.

Einige Leute begannen, in ihren mitgebrachten Tüten zu wühlen, und sich schließlich daraus zu ernähren. Ich vermisste dagegen minütlich die Verteilung der uns zugesagten Fresspakete, denn ich hatte seit dem Frühstück noch nichts gegessen.

Allmählich begann ich mich unwohl zu fühlen. Es gab einige Mitreisende, die sich tatsächlich ein Pils bestellten. Ich musste schlucken. Paul auch.

Ein Blick nach links verriet mir, dass die Leberwurstdüfte aus einer großen Tüte mit der Aufschrift "Hol die Kröten Show" stammten. Verflucht. Wieso hatten wir die nicht bekommen?

Vermutlich wurden die draußen verteilt. So'n Mist.

Hunger ist schlimm. Durst ist schlimmer. Fand Paul auch.

Angesichts der bereits Mehrfachbedienten kam mir der Vergleich zu einer Busfahrt ins gegnerische Stadion in den Sinn.

Meine Zunge klebte bereits verdächtig im Unterkiefer fest.

Paul meinte, wir sollten unseren Fernsehehrgeiz zugunsten einer gelösteren Zunge hintanstellen.
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Das fand auch ich und bestellte beim "Boardstewart" zwei Pils.

"Wir haben nur noch Wasser", war alles, was mein enttäuschtes Hirn noch mitbekam.

"Da sollen die Grufties gefälligst ihre Hornhautfüße drin baden, statt uns der Lebensgrundlage zu berauben" entfuhr es mir. Doch es half nichts. Alles ausverkauft.

Paul und ich hatten schon schlimmere Zeiten durchstanden.

Es würde ja nicht all zulange dauern, dessen versicherten wir uns nun ständig gegenseitig.

Glücklicherweise kannte unser Fahrer den Weg im Schlaf, jedenfalls tat er so.

Die anderen Busse waren nicht mehr in Sicht und wir kamen, exklusiv, in den Genuss einer nicht eingeplanten Stadtrundfahrt durch Gladbeck.

Sicherlich waren wir viel zu früh dran.

Anders konnte ich mir diesen Umweg nicht erklären.

Gegen 18 Uhr passierten wir die Grenze. Von den Schweiß- und Bierdüften benebelt wünschte ich mir eine Mütze Schlaf. Doch vor lauter Mundtrockenheit waren mir feuchte Träume versagt geblieben. Paul schubste mich an, als wir endlich ankamen.

Ein riesiger beleuchteter Glaspalast mit unzähligen Parkplätzen davor breitete sich vor meinem verschlafenen Auge aus.

Von außen war eine spärlich beleuchtete Bar erkennbar, die Paul und ich in stillem Einvernehmen zu stürmen bereit waren.

Doch nix war's mit der Erquickung. Da unser Bus als letzter ankam, mussten wir uns beeilen, sonst würde die tolle Show ohne uns beginnen.

Nur die Tatsache, dass mein schwitzender schwatzender Nachbar etwas von "Da kann auch unsereiner was bei gewinnen" krümelte, hielt mich davon ab, zu Fuß nach Hause in meine Stammkneipe zu laufen.

Hungrig und durstig betraten wir einen kinoähnlichen Saal.

Wir hatten zwei Plätze ziemlich weit vorn.

Hoffentlich war das bald vorbei. Bei einer Verkaufsfahrt konnte man die hinterhältige Darbietung noch schwänzen und sich die historischen Wirtshäuser der Umgebung mal von innen besehen.

Hier jedoch gab es kein Zurück mehr.

Paul und ich sehnten uns nach unserem Bus, denn hier war es noch stickiger, obwohl man die Sitzordnung irgendwie der Altersstruktur des Gesamtpublikums nach staffelte.
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Junge, gutaussehende Menschen saßen weiter vorne, die schlechtsichtigen Gebissträger eher hinten.

Hatte ich mich in der Reihe vertan?

Ich schielte nach rechts und nach links, verstohlen versteht sich, denn man weiß ja nie so genau, ob man nicht plötzlich "auf Sendung" ist.

Kein Mann, keine nette Mitzwanzigerin mit Bauchladen schien sich hier herumzutreiben.

Eine Krawatte für ein Bier, schrie ich innerlich, und Paul stimmte sicherlich zu.

Aha, die Lichter gingen aus. Jetzt geht's endlich los, dachte ich.

Die Person im Rampenlicht war jedoch nicht soweit entfernt, als dass ich nicht mitbekommen hätte, dass es sich offensichtlich nicht

um die Ulla Klotz am Bein handelte.

Ein junger Mann, Student vielleicht, forderte uns in holländischem Deutsch auf, doch bitteschön mal aufzustehen. Der kontrolliert bestimmt die Sitznummern.

Was? Klatschen? Aber wofür denn?

Ach so, eine Übung, sozusagen. Na denn. Paul und ich standen mühsam auf und klatschten.

"Nicht so lahm" schrie es aus den Lautsprechern.

Haha, der meint bestimmt die oberen Ränge.

"Sie da, sie Vatikanwerbeläufer, bisschen mehr Begeisterung, das ist keine Beerdigung, reißen sie sich zusammen und straffen sie ihre eingefallenen Gesichtszüge gefälligst!!"

Der hat tatsächlich mich gemeint! Frechheit. Wie soll denn ein durstiger Mann aussehen, der nur seiner Frau zuliebe diese Strapazen auf sich nimmt?!

Na, meinetwegen, Paul griemelte schon, als hätte er den ersten Preis gewonnen. Opportunist.

Ich dachte intensiv an ein übergroßes Freibier und wurde nicht weiter belästigt.

Wie ein Duracel-Hase klatschte ich, bis mir die Handflächen brannten.

Dann.

Endlich, es ging tatsächlich los.

Doch zu meiner Enttäuschung bekam ich nichts geboten, was auch nur annähernd anders war als zu Hause vor dem Fernseher. Zu Äffchen trainierte,

mit Theaterschminke und allerlei anderen Zutaten verunstaltete Kandidaten

blödelten sich von einer Peinlichkeit in die nächste.
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Und wir standen selbstverständlich immer auf und klatschten. "Bravo, super".

Währenddessen hatte ich mir schon genau überlegt, was ich antworten würde, wenn, ja wenn diese Ulla tatsächlich mir das mikrophonierte Ärmchen entgegenrecken würde.

"Na, und was ist Ihr größter Wunschtraum?"

Ich würde mit fester Stimme sagen: "Ach, so ein kleines Reihenhaus mit allem Pipapo, wird doch für Euch kein Problem sein, nicht wahr?".

Ja, das würde ich sagen. Sicherlich.



Dann war Pause, Werbepause nehm ich an. Nun, kein schlechter Augenblick um endlich einen Gerstensaft zu degustieren. Paul und ich hasteten hinaus. obwohl, hasten ist wohl das falsche Wort, denn all die Schwerbehinderten und vollgefressenen Bierbäuche waren natürlich vor uns draußen.

Als wir freie Bahn witterten, stießen wir auf das Ende einer Schlange, die sich zu meinem Entsetzen dasselbe ausgedacht hatte.

"Geduld", besänftigte ich Paul, "Hör doch auf, die Ommas wegzuschubsen" bekam ich als Antwort zurück. Ich übte mich in Gelassenheit, die ja bekanntermaßen eine meiner absoluten Stärken ist.

Als wir beinah dran waren ertönte ein Gong, doch nicht etwa, unseretwegen? Lechz!

Es schien fast so, alle Leute verschwanden, wie auf ein inneres Signal hörend schneller wieder im Saal als sie es jemals hineingeschafft hätten.

Wieder nix. Ich wollte doch mein Reihenhaus mit Blick auf Juppis Werkstatt

(Kneipe bei uns).

Da kam dieser Student wieder, zum warm-up, wie er sagte.

Ich wollte nicht warm gemacht sondern von innen gekühlt werden,

und meine Standing Ovations fielen diesmal nicht so hingebungsvoll aus.

Die Äffchen fuhren fort, das zu tun, was man ihnen befahl, mein Gott,

ein Zoo ist viel lustiger. Ich wurde wirklich müde jetzt.

Ich beschloss, in allernächster Zukunft ein paar Tränen zu weinen, als sich ein Arm mit zugehörigem Armband meiner selbst näherte. Schreck!! Hab ich im Schlaf gesprochen?

Wenn ja, was? Paul! Paul? Paul beugte sich, scheinbar irgendwie angewidert zur mir entfernten Seite und lächelte.

Ein rotes Licht tanzte vor meinen Augen und ein Ansagerstimmchen fragte mich:

"Und, was können wir für Sie tun, was ist ihr größter Wunsch?"

Reihenhaus-mit-Garten-im-Blick schaute ich schlaftrunken auf.
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"Ich will ein Bier!!!!"





Auf der Rückfahrt hat keiner mehr was gesagt. Auch Paul nicht.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich nächstes Jahr wieder eine Krawatte bekomme. Wieso nur?



Habe ich was falsch gemacht?









Copyright by Stephan F Punkt 1998
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Kommentare zur Story:

  Flüssig und humorvoll geschrieben. Kann nicht verstehen, dass du noch keinen Kommentar dafür erhalten hast.  
   Jochen  -  30.08.09 09:42

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Echt super krass gut!

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