Kurzgeschichten · Romantisches

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 26. August 2001
Bei Webstories eingestellt: 26. August 2001
Anzahl gesehen: 2925
Seiten: 6

Meine Pferde brauchten Einstreu. Also fuhr ich zu einem mir noch unbekannten Schreiner, d. h. richtiger zu einem Zimmermann. Um zu seiner Werkstatt zu gelangen, mußte ich sein Dorf durchqueren, das keine einhundert Einwohner zählt. Es liegt hoch auf einem Hügel am Nordhang des Luberon. Man kann von hier weit über das Land schauen und im Hintergrund die schneebedeckten Seealpen sehen. Ein wahrlich grandioser Blick und ein wahrlich verschlafenes altes Dorf - fernab jeder Hektik. Hier könnte ich wohnen und mich wohl fühlen, wenn ich meinen übergroßen Besitz verkauft haben würde, dachte ich.

Nicht weit hinter dem Dorf bog ich in eine sanfte Schlucht ein und hielt vor der Werkstatt an. Nach mehrmaligem Klopfen an einer der vielen Türen kam ein großer, kräftiger und nicht mehr junger Mann zum Vorschein, gefolgt von einem etwa 20jährigen Mann, seinem Sohn Jean, wie er mir später vorgestellt wurde.

Als der Ältere meiner gewahr wurde, lächelte er mich überaus freundlich an und streckte mir die Hand entgegen. Eine in diesem Landstrich ungewöhnlich warme Begrüßung, wo die Menschen einem eher skeptisch und mißtrauisch begegnen. Als ich Anstalten machte mich vorzustellen, winkte er lachend ab: ?Ich kenne Sie. Sie haben doch den Wagen meiner Frau mit Ihrem Traktor aus dem Schnee befreit. Kommen Sie rein." Wir drei drängten uns in einen kleinen Vorraum und nahmen auf Schemeln an einem groben Holztisch Platz. Bevor ich mit meinem Anliegen rausrückte, lobte ich die Schönheit seines Dorfes und gab zu verstehen, daß ich dort wohl leben könnte. Gequält blickte mein Zimmermann zur Decke und meinte knapp: ?Nur das nicht!" Auf meinen erstaunten Blick hin bemerkte er, daß in diesem Dorf mindestens einmal wöchentlich die Gendarmerie erscheine, um eine oftmals handgreifliche Auseinandersetzung unter Nachbarn zu schlichten. Der Neid und die Mißgunst untereinander seien geradezu fürchterlich. Ja, ich hatte schon von dergleichen in den umliegenden Dörfern gehört. Auch scheint hier in diesen engen Wohngemeinschaften das Denunziantentum auf der Tagesordnung zu stehen. Deshalb hatte mich erst kürzlich ein französischer Bekannter ernsthaft davor gewarnt, mir meinen Alterssitz in einem Dorf auszusuchen - sondern außerhalb.



?Wissen Sie," fuhr der Zimmermann fort, ?hier gibt es im Umgang unter den Dorfbewohnern absolut nichts, was es nicht gibt.
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" Und bevor er anfing ein paar diesbezügliche Vorkommnisse mit seinen Worten und Gesten wieder zum Leben zu erwecken, mußte Jean Kaffee bringen und einen Kirsch ein-schenken. Übrigens landete der Kirsch in Gläschen, die nicht viel größer waren als Fingerhüte. Aber der Kirsch sollte in dieser Vormittagszeit ja auch nur den Gaumen anfeuchten, denn Zeit zu einem ernsthaften Aperitif war es noch lange nicht. Nebenbei sei bemerkt, daß sich die (Süd-) Franzosen da an ganz bestimmte Zeiten halten, wann genau man nämlich wie und was trinkt. Da kann ein Deutscher z. B. schon mal übel auffallen. Aber ich schweife ab. Zurück zu unserer Geschichte.



?Da gibt es in meinem Dorf zwei Nachbarn," begann der Zimmermann zu erzählen, ?die waren sich - seitdem man denken konnte - spinnefeind. Jedoch noch schlimmer, sie waren beide auch passionierte Jäger. Und wie es das Schicksal wollte, wurde der eine von beiden durch eine Krankheit an den Rollstuhl gefesselt. So saß er auf der Veranda seines Hauses und mußte tatenlos mit ansehen, wie sein Nachbar mit geschultertem Gewehr hämisch grüßend vorbeiging, um den wohl letzten Hasen der Gegend aufzuspüren und zu erlegen, was ihm auch tatsächlich gelang! Den Hasen triumphierend an den Hinterläufen in die Luft haltend, hielt er auf dem Rückweg kurz vor der Veranda seines gehbehinderten Nachbarn an. Dieser streckte zornesrot die geballte Faust dem erfolgreichen Jäger, seinem Nachbarn, entgegen. Zufrieden mit sich und der Welt setzte dieser sodann seinen Weg fort. Zuhause angekommen, streifte er dem beklagenswerten Hasen das Fell über die Ohren, wobei ihm wohl dieser teuflische Plan gekommen sein muß. Anstatt das Fell wie üblich zu vergraben, stopfte er es mit Stroh aus.

Am nächsten Tag hielt er wieder auf der Rückkehr von der Jagd vor der Veranda seines Nachbarn an, wo dieser seit Stunden grimmig blickend in seinem Rollstuhl saß. Als sodann der Jäger erneut triumphierend einen Hasen in der Luft schwenkte, streckte ihm der Behinderte die Faust entgegen und machte ihm mit der anderen Hand das Gehörntzeichen. Sie müssen wissen, daß es etwas Beleidigenderes unter Franzosen nicht gibt. Dies wiederholte sich nochmals an den beiden folgenden Tagen.
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Danach wurde der Behinderte für lange Zeit nicht mehr auf seiner Veranda gesichtet. Was dieser übrigens nicht wissen konnte, war, daß es sich bei dem zweiten und dritten Hasen jedes Mal um den ausgestopften Hasen gehandelt hatte."



Am Ende dieser Erzählung sprang der Zimmermann von seinem Hocker auf und verfiel in ein schrilles Lachen, das diverse Silberzähne entblößte. Und ich sprang auch vor Begeisterung auf die Füße und schüttelte mich vor Lachen. Diese Geschichte und die Situation, in die ich da reingeraten war, die waren schon echt komisch. Seine jüngere Frau, die sich wortlos zu uns gesetzt hatte, und Jean schauten uns übrigens mit unbewegtem Gesichtsausdruck zu, wie wir da einen Freudentanz veranstalteten.



Schließlich setzten wir uns wieder. Es trat eine seltsame Stille ein, in der ich überlegte, ob ich nun mein Anliegen vorbringen sollte. Da goß mein Zimmermann noch mal Kirsch nach und fuhr wie folgt fort: ?Wissen Sie, wenn hier im Dorf einer ein Haus oder Grundstück offiziell verkauft, dann verliert er trotzdem nie das Eigentum daran." ?Wie das?", fragte ich ungläubig nach. ?Nun, das kann ich Ihnen an einem Beispiel erläutern," erwiderte er schmunzelnd.



?Vor nicht langer Zeit verkaufte ein Dorfbewohner sein Haus mit einem Obstgarten an einen Belgier. Mal abgesehen davon, daß der Verkäufer danach immer noch von ?seinem" Haus sprach, begann dieser sich, nachdem der Verkauf bereits etwa zwei Jahre zurücklag, lautstark darüber zu beschweren, daß der Belgier es unterließe ?seine" Obstbäume in dem Obst-garten zu beschneiden. Als der Belgier auch im dritten Jahr danach nichts unternahm, ging der Verkäufer in den Obstgarten und erledigte das Beschneiden. Er muß bei dieser Arbeit aber wohl sehr zornig gewesen sein, denn daraufhin gingen nahezu alle Obstbäume ein. Und Himmel, was ist das für ein freundlicher Belgier. Der hat nichts dazu gesagt."



Als der Zimmermann geendet hatte, blieb er dieses Mal sitzen und ich auch. Aber mit diesem hohen Lachen reckte er wie zum Schwur die linke Hand in die Luft, an der in passender Weise auch noch zwei Finger fehlen, mit den Worten: ?Und all das ist wahr, und noch viel mehr."



Mittlerweile mochte wohl über eine Stunde vergangen sein, und wir taten so, als wenn es an diesem Vormittag nichts zu tun gegeben hätte.
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Ich schaute auf den Geschichtenerzähler mir gegenüber, der wieder an einer neuen Geschichte zu kauen schien. Da ich aber nach Hause mußte, brachte ich schnell mein Anliegen bzgl. der Holzspäne vor. Fast unwillig winkte der Zimmermann ab. ?Kein Problem, ich rufe Sie an, wenn ich welche habe." Als ich ihm sagte, daß ich ja dann wiederkommen würde, hellte sich seine Miene auf.



Und so geschah es denn auch. Keine zwei Wochen später rief er mich an, daß ich die Späne abholen könne. Mit einer Flasche Whisky für ihn schritt ich auf sein Wohnhaus los. Bevor ich anklopfen konnte, öffnete er die Tür und zog mich rein. Kaum an demselben Holztisch Platz genommen, fing er an: ?Wissen Sie...", doch da fiel ihm seine Frau heftig ins Wort, die ich das letzte Mal nur schweigend erlebt hatte. Es entspann sich zwischen beiden ein kurzer, aber heftiger Disput darüber, wer nun was erzählen dürfe, den seine Frau wie folgt gewann: ?Ach, mein Mann hat die Geschichte mit den beiden verfeindeten Jägern und dem Hasen das letzte Mal so schlecht erzählt. Das war nämlich so..." Und sie erzählte die Geschichte noch einmal, ohne daß ich jedoch einen nennenswerten Unterschied hätte feststellen können. Immerhin war sie ja so komisch, daß sie am Ende wieder größte Heiterkeit auslöste, an der sich seine Frau dieses Mal beteiligte. Nur Jean, der Sohn, blieb wieder ernst. Dieser war dann wieder für Kaffee und Kirsch in den kleinen Gläschen zuständig.



Lange Zeit zur Lustigkeit ließ uns mein Zimmermann hingegen nicht, indem er, ängstlich zu seiner Frau blickend, ob diese noch was zu melden hätte, folgende Begebenheit zum besten gab:



?Wissen sie, als ich so alt war wie mein Sohn dort, da arbeitete ich als Zimmermannsgeselle bei einem griesgrämigen alten Patron in der Nähe von Bordeaux. Aber eigentlich war dieser Mann gar nicht so übel. Nur vor seinem Jähzorn mußte man sich vorsehen.

Seinerzeit gab es auf den Baustellen noch nicht so selbstverständlich wie heute Kräne, die einem beim Setzen des Dachstuhls halfen. Das ging alles mühsam mit Leiter und per Hand.
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Eines Tages also bugsierten der Patron und ich einen langen, schweren Balken nach oben. Er stand mit dem Balken in der Hand auf der einen Hausmauer und ich ebenso auf der gegenüber liegenden Hausmauer. "Gib noch mal ein bißchen rüber", rief der Patron. Als ich jedoch nicht reagierte, weil ich selbst nicht viel Balken mehr festhielt, brüllte er: ?Verdammt noch mal, laß mal nach." Und als ich ihm dann zurief, daß ich nichts mehr geben könne, schaute er grimmig am Balken entlang und verglich dessen Länge mit dem Abstand der beiden Mauern auf denen wir standen. Er ließ den Balken los, so daß er in die Tiefe stürzte und ich beinahe hinterher, schmiß seine Mütze weg und schrie: ?Diese verdammten Maurer haben doch glatt die Mauern zu weit auseinander gesetzt."



Kaum geendet mit dieser Geschichte, sprang mein Zimmermann hoch und stimmte sein helles Lachen an, ich tat es ihm gleich; nur daß mein Lachen dunkler ausfiel.



?Wissen Sie," hörte ich ihn sodann sagen, ?einmal arbeiteten wir an dem Dachstuhl eines Hauses, durch dessen Vorgarten sozusagen die Fernzüge fuhren. Da haute sich mein Patron mit dem Hammer auf den Daumen. Laut aufheulend warf er den Hammer in weitem Bogen fort, als gerade ein Personenzug vorbeifuhr. Der Hammer durchschlug die Scheibe eines Abteils und mein Patron schrie: ?Die nehmen doch glatt meinen Hammer mit."



Ich hielt mir den Bauch vor Lachen und er kicherte. Irgendwie war das hier in dem kleinen Raum nicht zum Aushalten.



?Hatte ich Ihnen schon von dieser erzählt?", fragte er mich sodann. ?Wissen Sie, dieser Patron und ich fuhren mit einem dieser klapprigen motorisierten Dreiräder durch Bordeaux. Auf der kleinen Ladefläche hatten wir soviel Holz geladen, daß die Karre hoffnungslos überladen war. Sie kennen nicht zufällig die eine holprige Brücke da in Bordeaux? Jedenfalls war das für unser Gefährt zuviel. Mitten auf der Brücke brach irgendeine Feder und wir hingen fest. Da es ohnehin Mittag war, machten wir uns über unseren Proviant her, während sich der Verkehr vorbeischlängelte. Das ging solange gut, bis ein wirklich großer Lastwagen kam, der zum Vorbeifahren zu breit war. Und was tat dessen Fahrer? Der blieb in seinem Lastwagen sitzen und hupte unentwegt, während wir ungerührt weiter aßen.
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Das Gehupe wurde einem Gendarm dann doch zuviel, der sich in der Nähe den Verkehr anschaute. Und als er dem Lastwagenfahrer deswegen einen Strafzettel verpassen wollte, wimmerte dieser so kläglich: ?Aber ich habe doch nur ein bißchen gehupt.""



Und ohne uns dieses Mal eine Pause zum Lachen zu gönnen, brachte mein Freund sodann noch diese Geschichte zum besten:



?Da wollte sich ein allseits ungeliebter Pariser ein Sommerhäuschen bauen lassen. Dieser besichtigte kurz nach der Grundsteinlegung seine Baustelle und fuhr die Maurer an, daß man an einem Tag doch mehr schaffen könne. Und wenn er in einer Woche wiederkäme, möchte er sehen, daß die Mauern dann bereits mindestens zwei Meter hoch seien. So geschah es denn auch, doch es fehlten jegliche Öffnungen, weder für Türen noch für Fenster. Und als der völlig erschütterte Bauherr den Vorarbeiter fragte, wie das zu verstehen sei, schob der Befragte seine Kappe in den Nacken und antwortete seelenruhig: ?Nun, wird dachten, Sie wollten einen erhöhten Swimmingpool.""



Ach, was hatte mein braver Zimmermann mit seinen Erzählungen für Saiten in mir zum Klingen gebracht! Als ich die Drei verließ, war ich rundum angefüllt mit Frohsinn. Hatte ich doch Pagnol persönlich kennengelernt. Und ein Wiedersehen mit ihm war sicher.




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Kommentare zur Story:

  Stil ganz nett. Inhalt nicht zu retten. Lass alle Geschichten bis auf die erste weg..  
Susan  -  05.03.04 19:23

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  Schließe mich hinsichtlich dieser Geschichte der Meinung Redfrettchen's an.
Schön geschrieben, aber leider wenig Aussagekraft. Mäßig.  
Dr. Ell  -  08.02.04 23:35

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Ich kann dieser Geschichte weder viel Unterhaltungs- noch Lehrwert abgewinnen. Ein geschichtenerzählender Zimmermann, dessen Geschichten mich aber kalt gelassen haben. Liegts an dem Alkohol oder warum war das so lustig? Wahrscheinlich wieder mal unverständlicher französischer Humor...
Am Anfang wird irgendetwas von 'aus dem Schnee befreit', von dem man aber nichts weiß (Absischt?). Und was war nun eigentlich Pagnol? Der Mann oder das Dorf? Und was hat es mit dem 'Wenn einer lacht, lachen die anderen nicht' auf sich?
Da muss noch einiges Aufgeklärt werden, ehe ich mir eine Aussage daraus basteln kann.

Mäßig.  
Redfrettchen  -  30.11.03 09:27

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Kommentar von "Marie" zu "optimistischer Pessimist"

Mir gefällt es, egal, was andere denken. Auch die berschrift lockt. Gruß marie

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Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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