Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Benjamin Reuter      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 26. August 2001
Bei Webstories eingestellt: 26. August 2001
Anzahl gesehen: 3659
Seiten: 5

Dicke Schweissperlen rannen Oberleutnant Franz Kober über das Gesicht. Nervös blickte er sich um. Dann fiel sein Blick wieder auf die Instrumente und Anzeigen im Cockpit seiner Messerschmitt Me 110.

Wieder drehte er den Kopf nach hinten. Sein toter Heckschütze hing wie ein nasser Sack in seinen Gurten. Die Plexiglasscheibe der Kanzel war mit Blutspritzern übersät. Eisiger Wind pfiff durch die Einschusslöcher.

Die Maschine war böse zerupft worden, noch bevor seine Jagdstaffel überhaupt richtig an die einfliegenden Lancaster-Bomber herankam. Wie wilde Hornissen waren die Spitfires und Hawker Hurricanes über sie hergefallen, die Bordschützen der Bomber taten ihr übriges. Wendige, schnelle Jäger gegen die trägen, langsamen Me 110, durch ihre großen Funkmessantennen am Bug sehr träge. In den frühen Morgenstunden, als es noch dunkel war, waren sie zu einem Nachtjagdeinsatz gestartet, die Jägerleitoffiziere an ihren Würzburg -Funkmessgeräten konnten am Boden die Gegner orten, die Piloten selbst sie nicht einmal sehen. Im Blindflug wurden sie herangeführt.



Jetzt war die Sonne aufgegangen, die Staffel in alle Winde zerstreut, die meisten abgeschossen. Und noch immer waren sie hinter ihm her.



Er konnte es fühlen, wie sie ihn suchten.

Dicke Wolken hingen tief über der Holländischen Küste. Jederzeit könnten die Maschinen, die ihn vom Jäger zum gejagten gemacht hatten aus einer der Wolken hervorkommen, sich hinter ihn setzten und... Daran mochte Kober nicht denken. Der linke Motor hatte ein dutzend Löcher in der Verkleidung, lief unsauber, qualmte stark.

Die Gurte der beiden 20mm MK 108 Maschinenkanonen in der Bugspitze waren bis zur letzten Patrone leergeschossen. Mit dem 13mm MG sah es nicht viel besser aus.

Die Öldruckanzeige des linken Motors sackte immer weiter ab, die Temperatur stieg.

Kober drosselte die Drehzahl. Es waren noch rund 50 Kilometer bis zum nächsten Stützpunkt.

Seine Bewegungen, mit denen er den Gasregler betätigte, waren mechanisch und roboterhaft.

Schon lange fühlte er sich nicht mehr als Mensch, nur noch als ein Automat, der stur seine Arbeiten ausführt.

Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Schaffte er es überhaupt noch?

Einzig das leichte 7,62 er MG des toten Heckschützen hatte noch ein paar Patronen im Gurt, wenn er angegriffen wurde.
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Aber wie sollte er gleichzeitig schiessen und die Maschine steuern?

Aus dem Funktelefon nur statisches Rauschen. Auch die Antenne war zeschossen.

Wieder sah er sich um.

Tief unter ihm die Küste. Grosse, grüne Polderwiesen, auf denen Kühe weideten.

Und dann blieb sein BLick an 4 dunklen Silhuetten hängen, die urplötzlich aus einer der Wolken über ihm kamen. Das Entsetzen packte ihm am Hals und drückte zu.

Die 4 Maschinen holten auf, kamen immer dichter heran.

Sie stürzten auf ihn hernider wie Habichte.

Kober erkannte 3 Spitfires und eine amerikanische Mustang.

Sie kamen immer dichter.

Kober trat das Ruderpedal durch, um einen Haken zu schlagen, aber die angschlagene Kiste reagierte kaum noch.

Wieder drehte er sich um.

Jetzt konnte er die rotierenden Propellernarben der Spitfires erkennen, konnte in die finsteren Rohrmündungen ihrer Maschinengewehre sehen.

Die Mustang hielt sich ein wenig im Hintergrund.

Mit zusammengebissenen Zähnen wartete er auf das Bellen der MG´s, auf die glühenden Leuchtprurgarben, die sie auspucken würden.

Er sah, wie sich eine der Spit´s verdrängelte.

Wahrscheinlich der Staffelführer, der sich ein weiteres kleines Balkenkreuz als Trophähe auf den Rumpf malen wollte.

Aus den Flügelwurzeln der Spit züngelten Feuergarben.

Kober drückte sich so tief es ging in den Sitz. Er sah rotglühende Punkte links und rechts an der Kanzel vorbeifliegen. Er fühlte, wie der Tod nach ihm griff.

Dumpf zwitscherten die Einschläge in den Rumpf. Bei jedem Einschlag biss er die Zähne fester zusammen. Der rechte Motor fing an zu spucken und zu keuchen.

Kober sah Flammen aus den Auspüffen schiessen. Die Motorverkleidung sah aus wie ein Nudelsieb. Und noch immer jagte ihm die Spit ihre tödlichen Grüsse hinterher.

Ein furchtbarer Knall, dann stand der Propeller des rechten Motors.

Öliger, schwarzer Rauch wehte aus den Luftschlitzen und den Einschusslöchern.

Die Kugel mussten den Motorblock erwischt haben, schoss es ihm durch den Kopf.
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Jetzt kochte das Öl in den Zylindern. Wie ein Roboter griff seine Hand mechanisch zum Notschalter, der die Treibstoffpumpe ausknipste.

Jetzt hing sein Leben am zusammengeschossenen linken Motor, der zwar noch lief, aber immer heftiger qualmte. Lange würde er es auch nicht mehr machen.

Die Spit hatte plötzlich aufgehört zu schiessen.

Und dann sah er im Rückspiegel, das die Mustang, die sich bisher zurückgehalten hatte, um wohl den Engländern dieses zusammengeballerte Wrack zu lassen, sich auf die Rotte der Spitfires zubewegte. Kober sah es mit Entsetzen. Jetzt war die Mustang zwischen ihm und den Spit´s.

Und Kober wusste, das die Mustang schwere Kaliber .50 MG´s in den Flügeln hatte.

Die faustgrosse Löcher rissen. Wollte der Amerikaner den Abschuss für sich haben?

Die Spitfires zappelten wie ein Wespenschwarm.

Kober sah nur noch einen ausweg. Runter mit der Kiste.

Er drückte den Knüppel so weit nach vorn wie es ging, stemmte sich mit aller Kraft dagegen.

Die Nase der Messerschmitt rührte sich kaum.

Hatten sie ihm das Leitwerk zerlegt?

Nur ganz langsam senkte sich der Bug nach unten, die Erdoberflächer füllte immer mehr die Frontscheibe auf. Kober hörte, wie der Wind an der Maschine riss und zerrte.

Der Wind heulte an ihm vorbei, fegte durch die Löcher.

Die Messerschmitt bebte und vibrierte.

Er sah, wie die Verfolger das Gleiche taten.

Noch immer hing ihm die Mustang stur im Nacken.

Doch warum schoss sie nicht, beendete sein Handwerk?

Gab dem kaputten Deutschen da vorne nicht endlich den Rest?

Die Nadel des Höhenmessers raste. Die Me110 fiel wie ein Stein vom Himmel.

Und die Mustang schien sich an seinem Heck festgebissen zu haben.

Stationen seines knapp 23 Jährigen Lebens gingen Kober wie eine Diashow durch den Kopf.

Kober schloss die Augen. Nun schiess doch endlich!

Instinktiv bereitete er sich auf die Schmerzen vor. Was ist das für ein Gefühl, wenn so ein Geschoss von hinten durch den Rumpf schlägt, durch die Rückenlehne seines Sitzes fährt und dann ihm in den Rücken? Wenn ihm aus der aufgerissenen Bauchdecke die Gedärme auf die Knie rutschten?

Er sah das Gesicht seines Vaters vor sich, der jetzt irgendwo zuhause saß.
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Wie er immer früher zusammen mit ihm auf dem hohen Gras den Drachen hatte steigen lassen.

Das war noch vor diesem verdammten Scheisskrieg, der jetzt, 1944, in sein 5. Jahr ging.

Jetzt hatte er todesangst.

Er drückte sich immer tiefer in den Sitz, wie ein Embryo im Mutterleib.

Die stählerne Wanne im Sinn, in der das Cocpit im Rumpf eingebaut war.

Würde sie ihn schützen? Die Spitfires waren plötzlich nicht mehr da, aber Mustang hing an ihm wie eine Klette.

Jetzt musste êr den Sturzflug abfangen.

Er presste die Füsse ganz fest gegen den Boden, dann zerrte er den Steuerknüppel zu sich heran. Die Nase hob sich wieder langsam. Er sah unten auf der Wiese einige Schafe weiden, die jetzt ängstlich auseinander sprangen, als die Messerschmitt dicht über ihren Köpfen hinwegschoss. Gerade noch so geschafft.

Kober griff mit klammen, unter den Handschuhen schweissnassen Fingern zum Fahrwerkshebel.

Knirschend öffneten sich die Schächte, das Fahrgestell klappte aus den Tragflächen.

Die Mustang war noch immer hinter ihm. Doch warum holte er ihn sich jetzt gottverdammt noch mal nicht endlich? Kober sties einen gequälten Schrei aus, als er sah, wie die Mustang stur seiner Richtung folgte. In Kober fraß sich das blanke Entsetzen durch den Bauch.

Noch immer konnte er in die finsteren Rohrmüdungen der Mustang sehen, aus denen jede sekunde der Tod geschossen kommen könnte.

Kober fuhr wie in Trance die Landeklappen aus. Er merkte das gar nicht mehr bewusst, das er sich instinktiv auf eine Landung vorbereitete. Sein Verstand kämpfte mit der Todesangst, während sein Unterbewusstes stur die Routine eines Landemannövers ausführte.

Mechanisch zog er den Gashebel zurück.

Die Räder streiften das saftige Gras. Die Maschine sprang über eine Bodenwelle und schoss wieder in die Höhe. Kober riss den Gashebel mit verkrampfter Hand immer weiter runter. Jetzt spürte er den Aufprall, als die Räder gegen den Boden stiessen. Er wurde durchgeschüttelt.

Die Messerschmitt zog leicht nach links, holperte über den Boden, und dann brach das Fahrwerk ab.
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Der Rumpf klatschte ins Gras, der Propeller des linken Motors riss dicke Grasbatzen aus der Erde, die Probeller schlugen sich in die Grasnarbe, dann soff der Motor ab.

Der Rumpf glitt noch ein paar Meter über das vom Morgentau noch feuchte Gras, dann kam sie zum Stehen.

Die Mustang schoss im Tiefflug über ihn hinweg.

Kober sah auf den qualmenden Motor. Es knisterte und knackte.

Der Rauch brannte und beizte.

Hastig riss er das Kabinendach auf und löste mit zitternden Fingern den Gurt.

Seine Knie waren weich, als er aufstand, und als er stand, fühlte er, wie er sich in die Hose gepinkelt hatte. Er kletterte zitternd auf die linke Tragfläche. Sie war voller Löcher.

Kober staunte irgendwie darüber, das er heil herunter gekommen war. Wieder einmal.

Seine Lungen pressten einen verspäteten Schrei aus seiner Kehle.

Die Beine gaben unter ihm nach. Seine Knie gaben unter ihm nach wie Wackelpudding.

Er musste sich hinsetzen. So sass er da, als plötzlich Motorenlärm aufheulte.

Erschrocken riss er den Kopf in die Richtung, aus der der Lärm kam.

Es war jene Mustang, die plötzlich im Tieflug über die Wiese geschossen kam.

Wollte er jetzt der Sache ein Ende machen?

Kober packte das kalte entsetzen, als er sah, wie die Mustang genau auf ihn zuhielt.

Wieder konnte er in die finsteren Tiefen der 4 MG-Rohre blicken.

Doch kein einziger Schuss löste sich.

Wie gelähmt starrte er auf das Jagdflugzeug, das an ihm vorrüber schoss, keine 10 Meter hoch über der Wiese. Er sah, das der Pilot zu ihm blickte.

Wie gebannt starrte Kober dem Jäger hinterher, der hochzog, eine enge Kurve nahm und erneut auf ihn zu kam. Doch diesmal wusste Kober plötzlich, das er nicht auf ihn schiessen wollte.

Der Pilot hatte sein Kanzeldach zurückgeschoben und den Arm rausgstreckt und winkte.

Kober sah deutlich, das der Mann lächelte.

Dann, im letzten Moment, als er schon fast vorbei war, hob der Amerikaner die Hand an die Schläfe und salutierte.

Die Mustang schoss hoch in den bewölkten Himmel und war bald nicht mehr zu sehen.

Und da wusste Kober, das ihm der Pilot, der eigentlich sein Feind war, ihm das Leben gerettet hatte, indem er sich zwischen die Messerschmitt und den Spitfires gestellt hatte, um den Engländern darin das Schussfeld zu nehmen.
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Der Amerikaner kam nicht mehr zurück.

Die Mustang flog hoch über den Wolken und trug einen Mann der Sonne entgegen, der heute vielleicht den grössten Sieg seines Lebens errungen hatte.
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Kommentare zur Story:

  ich kann mich den anderen nur anschließen - sehr gut! alle fünfe... :O)  
*Becci*  -  27.04.03 13:06

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  eine absolut gut geschriebene Story, die trotz des alt bekannten Themas nicht ins Klischee abrutscht.
Kompliment.
Spannung vom ertsen bis zum letzten Satz, da kann man nur volle fünf Punkte und ein *Spitze* vergeben.  
Drachenlord  -  07.03.03 12:00

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  ein echtes Kleinod. Bin froh diese Geschichte lesen zu dürfen. Die technischen Infomationen am Anfang verstärken den Eindruck von Glaubwürdigkeit bei mir. Ein bißchen weniger ausführlich hätte es aber auch getan.
Spannend empfinde ich die Entwicklung des Kampfes, erlösend die endliche Landung und dann auch noch die Message, verpackt in eine kein bißchen kitschiges Finale. Super.  
Oliver  -  27.01.03 08:51

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  Wirklich toll geschrieben. Überraschend der turning point, der abschwächt, ohne kitschig zu wirken. Ich hatte erwartet, dass der Ami nicht schießt, weil der Protagonist eigentlich schon tot ist oder sowas. Aber mit diesem Happy End habe ich nicht gerechnet.
Mit dem Einstieg hatte ich allerdings ein wenig Schwierigkeiten, denn das erste Drittel der Geschichte ist gespickt mit technischen Informationen, die für den Handlungsverlauf eigentlich unwesentlich und das Intro unnötig in die Länge ziehen. Einen Sekundenbruchteil wollte ich schon frustriert abbrechen. Schlussendlich habe ich es dann aber nicht bereut, bis zum Ende durchgehalten zu haben.
Five points.  
Gwenhwyfar  -  05.06.02 11:32

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Gute, spannende Geschichte. Man lebt und zittert mit. Wundervoll: Der überraschende Schluß ohne Mord und Totschlag.
Volle Punktzahl!!!  
Stefan Steinmetz  -  04.01.02 12:36

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Gute, spannende Geschichte. Man lebt und zittert mit. Wundervoll: Der überraschende Schluß ohne Mord und Totschlag.
Volle Punktzahl!!!  
Stefan Steinmetz  -  04.01.02 12:36

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Eine spannende, aufregende Geschichte.
Sie fesselt den Leser bis zum Schluss.
Flüssig und lebendig geschrieben.
Weiter so!  
Helga Salfer  -  01.11.01 19:54

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

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Kommentar von "Homo Faber" zu "Der Zug"

Hallo, ein schöner text, du stellst deine gedanken gut dar, trifft genau meinen geschmack. lg Holger

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