Die Geschichte der Tusnelda Cecilie Mayer   27

Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    philipp pulger      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 1. Februar 2001
Bei Webstories eingestellt: 1. Februar 2001
Anzahl gesehen: 2250
Seiten: 3

Tusnelda Cecilie Mayer hätte ein ruhiges Leben führen können. Doch im zarten Alter von 53 Jahren entschloss sie sich, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Tusneldas Leidenschaft waren Fragen. Sie stellte leidenschaftlich gern Fragen, und noch leidenschaftlicher beantwortete sie Fragen, die an sie gestellt wurden. Tusnelda kannte eine Menge Menschen, mit denen sie sich unterhalten konnte. Nicht selten kam es bei diesen Unterhaltungen vor, dass sie die Möglichkeit hatte, Fragen zu stellen oder Fragen zu beantworten. Sie hatte allerdings ein Problem: Sie war zu leidenschaftlich. Die täglichen Gespräche mit Menschen, die sie kannte, reichten nicht aus, um ihr Verlangen nach leidenschaftlichen Fragen zu befriedigen. Daher entschloss sie sich, aus ihrer Leidenschaft einen Beruf zu machen. Von da an fragte sie bei etlichen Unternehmen an, ob sie ein passendes Betätigungsfeld für sie hätten. Und tatsächlich, sie wurde fündig. Ein junges Unternehmen, genauer: eine Markt- und Meinungsforschungsgesellschaft namens Questio, suchte eine Person wie Tusnelda Mayer zur Betreuung ihres Webauftrittes. Und so fuhr Tusnelda Mayer am Freitag, den 23. Oktober 1998 nach Hintertiefenbach, wo das beschauliche Unternehmen seinen Sitz hatte, zum Vorstellungsgespräch. Die Verantwortlichen bei Questio waren begeistert. Endlich hatten sie eine Frau gefunden, die in ihr Unternehmensprofil passte. Noch am selben Tag hielt Tusnelda einen Vertrag zur Betreuung der Internetseiten des Unternehmens in der Hand. Tusnelda war nicht nur eine leidenschaftliche Fragerin, sondern auch fähig, wie ein Tier zu arbeiten. Schnell hatte sie sich die notwendigsten Kenntnisse angeeignet, um eine Website zu erstellen. Sie erarbeitete ein Konzept für den Internetauftritt von Questio. Dabei machte sie den Fehler, zu viel Geld sparen zu wollen. Sie bestellte nur eine Subdomain und legte die Seiten bei einem Freespace-Provider ab. Dort versauerten nämliche für eine Weile. Der Versuch, sie bei Suchmaschinen vorne zu platzieren, scheiterte an Tusneldas Mangel an Schlagfertigkeit und Durchsetzungskraft. Des weiteren waren die Anforderungen, die Questio an Tusnelda stellte, sehr hoch. So musste sie stets Ehrlichkeit bewahren. Und Zahlen wie 111.111,11 DM Nettoverlust kommen bei potentiellen Kunden eben nicht gut an. Vielleicht hätte Tusnelda ein wenig Mut zur Teilwahrheit haben sollen. Vielleicht hätte sie sich gar nicht auf die Stelle bei Questio einlassen sollen. Aber so kam es, wie es kommen musste. Und zwar dick: Die Verantwortlichen bei Questio merkten natürlich, dass ihr Webauftritt, den Tusnelda Cecilie Mayer betreute, nicht den erwünschten Erfolg brachte.
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Und obwohl Questio vorgab, aus Leidenschaft zur Fragerei nicht auf den Profit zu achten, wurde man mit Frau Mayer immer unzufriedener. Wie man sich denken kann, war Tusnelda eine sensible Frau. Der ausbleibende Erfolg ihrer Arbeit und der stärker werdende Druck ihrer Vorgesetzten setzten ihr sehr zu. Anstatt aber die Konsequenzen zu ziehen und sich ihrer zweiten Leidenschaft, dem Stricken, zuzuwenden, stürzte sie sich kopfüber in die Arbeit. Sie dachte, wenn sie sich mehr Kenntnisse über das Internet aneignete, wäre sie in der Lage, den Webauftritt ihres Arbeitgebers zu optimieren. Bei Questio war man vorsichtig geworden. Nach dem Flop des ersten Versuchs wollte man nun alle weiteren Versuche vorab prüfen und kontrollieren. Und so kam es, dass jeder Vorschlag, den Tusnelda zur Verbesserung einreichte, abgelehnt wurde. Und wie hatte sie sich bemüht. Unzählige Zeitschriften über das Internet, über Computer, über das Leben und mehr hatte sie abonniert - sogar die Computer-Bild - unzählige Stunden hatte sie im Internet verbracht - doch ihr Bemühen war erfolglos. Bei den Machern von Questio stieß sie auf taube Ohren. Tusnelda Cecilie Mayer war gescheitert. Hinzu kam, dass sie die Kosten für ihre Bemühungen selbst tragen musste. So war sie eines Tages ohne Job - natürlich wurde sie gefeuert - und hochverschuldet. Tusnelda hatte ihr Feuer verschossen, sie hatte zu viel und zu leidenschaftlich gefragt, alles gegeben. Die letzte Glut der Leidenschaft war erloschen in der Kälte ihrer ausweglosen Situation. Ohne Ziel, ohne Lebenssinn, ohne Leidenschaft entschloss sich Tusnelda Cecilie Mayer, allem ein Ende zu machen. An einem kalten Februarmorgen, es war Aschermittwoch, beging sie einen dramatischen Selbstmordversuch. Mit dem letzten Hauch von Leidenschaft, den die tragischen Ereignisse ihr gelassen hatten, öffnete sie den Ofen ihres Gasherdes und drehte den Gashahn an. Schicksal oder Fügung - wer mag das beurteilen - aber sie hatte vergessen, die Küchentür zu schließen. So kam es, dass das Gas auch in ihr Wohnzimmer drang und ihrem treuen Papagei Pfiffi die Luft zum Atmen nahm. Aus Leibeskräften schrie das kleine Tierchen um Hilfe, ja, es konnte sprechen, und das Wort Hilfe hatte es im Fernsehen gelernt, Pfiffi war ein pfiffiger Papagei. Und so kam es, dass ein beherzter Nachbar, vom lauten Gezwitscher des Vogels schon länger genervt, beherzt die Tür zu Tusneldas Wohnung eintrat, um dem nervigen Tier den Garaus zu machen.
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Als er in die Wohnung stürzte, bemerkte er sofort den Gasgeruch und rettete seiner Nachbarin das Leben. Tusnelda Cecilie Mayer leitet heute eine Selbsthilfegruppe für Internetsüchtige und hat wieder einen Lebenssinn gefunden. Wünschen wir ihr viel Glück für ihr weiteres Leben, auf dass sie nicht wieder Opfer ihrer Leidenschaft wird. © Philipp Pulger (15.9.1999)




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Punktestand der Geschichte:   27
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Kommentare zur Story:

  Anfang fand ich sehr gut und vielversprechend.
Der Schluss war tragikomisch und gefiel mir recht gut, ebenso die Pointe mit der Selbsthilfegruppe. Nur der Mittelteil, die Sache mit der Internetfirma. Da fand ich keinen richtigen Zugang dazu. Es hat mich einfach nicht gepackt und es kam für mich keine Spannung auf. Schade, so bleibens aber 3 Punkte  
Presko  -  07.01.06 14:30

   Zustimmungen: 3     Zustimmen

  Nur ein kleiner Tip: Mach mehr Absätze in die Geschichte rein, dann lesen sie auch mehr Leute.  
Lanfear  -  11.03.03 23:08

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Witzig, und der Papagei erinnert mich an meinen Wellensittich, möge er bald das Zeitliche segnen, das Biest! :-)

Wirklich gut geschrieben, 5 Punkte.

Lg  
Chris  -  13.02.03 15:50

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Interessante Kommentare

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