Fantastisches · Kurzgeschichten

Von:    Eva Behrens      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 2. April 2001
Bei Webstories eingestellt: 2. April 2001
Anzahl gesehen: 2530
Seiten: 2

Als der liebe Gott am Morgen des siebenten Tages erwachte, begutachtete er sein Werk. Er betrachtete Himmel und Erde, Sonne Mond und Sterne, den Regen, den Wind und das Wetter, er erfreute sich an Bergen und Tälern, Flüssen, Seen und dem Meer. Mit Wohlgefallen ruhte sein Auge auf Pflanzen, Tieren und sogar den Menschen. Doch obwohl Gott fand, daß er seine Sache im Großen und Ganzen recht ordentlich gemacht hatte, war er noch nicht ganz zufrieden. Irgend etwas fehlte noch, eine kleine Besonderheit, das Tüpfelchen auf dem I, die Krönung des Ganzen sozusagen.



Angestrengt dachte Gott nach, probierte, machte Skizzen, formte aus Lehm einige Prototypen, doch es wollte nichts Gescheites dabei herauskommen. Erst nachdem er sich mit einigen kräftigen Bissen Manna und einem guten Schluck Ambrosia gestärkt hatte, hatte er endlich die Erleuchtung.

"Heureka!", rief er und erschuf den Chef.

Nicht aus Lehm und Wasser, wie all’ die normalen Menschen gestaltete der Schöpfer den Vorgesetzten, nein, er formte ihn aus seinem eigenen Fleisch und Blut, so daß dieser nahezu gottgleich wurde. Das würdige Haupt des Chefs umgab der Herr mit silbernen Schläfenlocken und einer strahlenden Aureole, wie sie sonst nur Engeln, Heiligen und Halbgöttern vorbehalten war.



Er verlieh ihm die Stimme des Donners, Ellenbogen aus Stahl, dazu die Kraft des Löwen, die Größe des Elefanten und die Gesundheit eines Pferdes.

Schließlich beugte der Herr sich über sein Geschöpf um ihm Leben einzuhauchen, doch das Wesen rührte sich nicht.

Da bemerkte Gott, daß er vergessen hatte, dem Chef ein Herz einzupflanzen. Er nahm einen Stein, setzte ihn in die Brust des Wunderwesens und endlich begann der Vorgesetzte zu leben.

"Ist denn hier niemand?", rief er mit seiner mächtigen Stimme.

Gott seufzte, anscheinend war er immer noch nicht fertig mit seiner Arbeit.

"Es ist nicht gut, daß die Krone der Schöpfung alleine sei", sagte er und umgab den Chef mit mehreren Dienerinnen.

Da war als erstes die Ehefrau, die ihn zu langweiligen Kollegentreffen begleitete, für ihn kochte, Gäste bewirtete, seine Hemden bügelte und außerdem seine Kinder gebar.



Ihr zur Seite stand eine Putzfrau, die alle die Arbeiten erledigte, für die die Gattin zu fein war. Sie hielt die Villa sauber, machte den Abwasch und schälte Kartoffeln.
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Sonst hatte sie keine weiteren Funktionen, weshalb Alter, Aussehen und Bildungsstand und Nationalität bei ihr auch keine Rolle spielten; nur allzuhohe Lohnforderungen durfte sie nicht stellen.

Dann gab es die Geliebte. Die nahm der Chef mit zu Dienstreisen nach Rom, Paris oder New -York, dort hatte sie dafür zu sorgen, daß es dem hohen Tier an leiblichen Freuden nicht mangelte. Daheim mußte sie immer dann zur Verfügung stehen, wenn die Gattin keine Zeit hatte, oder unpäßlich war. Ansonsten hatte sie sich still zu verhalten und durfte keine Ansprüche stellen. Wurde die Geliebte alt, krank, zickig, langweilig oder gar schwanger, dann konnte der Chef diese Dienerin jederzeit gegen ein neues Exemplar eintauschen.



Am Arbeitsplatz waltete die Sekretärin. Diese las ihrem Herrn und Meister jeden Wunsch von den Augen ab, bereitete ihm Kaffee, tippte seine Briefe, wimmelte unwillkommene Besucher ab und war stets sofort zur Stelle, wenn ihr Herr und Gebieter irgendetwas brauchte.

Nun endlich war der liebe Gott zufrieden mit seiner Arbeit. Glücklich lehnte er sich in seinem ledergepolsterten Sessel zurück, um seine wohlverdiente Ruhe zu genießen, er zündete sich eine dicke Havanna an und blies kleine Rauchwölkchen in die Luft.



Plötzlich ertönte eine herrische Stimme genau hinter ihm.

"Das ist doch wohl die Höhe", fauchte der Chef, "nimmt sich dieser Kerl einfach von meinen Zigarren und macht sich auch noch in meinem Sessel breit. Los verschwinde, dies ist mein Platz!"

© Eva Behrens


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Punktestand der Geschichte:   32
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Kommentare zur Story:

  "Dann gab es die Geliebte. Die nahm der Chef mit zu Dienstreisen nach Rom, Paris oder New -York, dort hatte sie dafür zu sorgen, daß es dem hohen Tier an leiblichen Freuden nicht mangelte"

Super !
Auch ich will nun Chef werden !!!  
Marcuse  -  04.01.06 17:47

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  LOL, Witzige Idee, toll umgesetzt.  
ISA  -  11.06.05 13:27

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Sehr bissig, gefällt mir.

Sehr gut.  
Redfrettchen  -  06.06.04 09:16

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  ich hab von dieser art chef bislang nur gehört, aber an deine geschichte werd ich mich erinnern falls mir einmal ein solches exemplar vor die nase gesetzt wird, oder richtiger, ich ihm vor seine beine geworfen werde ...  
muse  -  09.07.03 21:40

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Eine Sorte Diener hast du vergessen: All die kleinen Ärsche, in die der Chef in seiner Firma täglich mit Genuß reintritt. Ich habe Tränen gelacht über deine Geschichte. Echt kuhl! Mehr davon bitte! Five Points!  
Stefan Steinmetz  -  25.02.02 09:52

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Gut gemacht! Bissig geschrieben mit Pointe zum Schmunzeln.  
Gudrun  -  17.06.01 10:07

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Mann oh Mann! Diese sarkastische Art... einfach klasse! Das hast du wirklich gut geschrieben und den Kernpunkt herausgearbeitet! Die Verbindung zwischen der Schöpfung und der heutigen Arbeitswelt ist dir ausserordentlich gut gelungen! Schreibe weiter! Es ist ein Hochgenuss von dir zu lesen :-)

Sabine  
SabineB  -  09.05.01 18:56

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Die Idee ist echt klasse! Respekt! Makaber, aber könnte stimmen! Hoffe, noch mehr von dir zu lesen!  
esmias  -  01.05.01 10:21

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Kommentar von "Marie" zu "optimistischer Pessimist"

Mir gefällt es, egal, was andere denken. Auch die berschrift lockt. Gruß marie

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