Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen

Von:    Majissa      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 15. Oktober 2002
Bei Webstories eingestellt: 15. Oktober 2002
Anzahl gesehen: 3275
Seiten: 3

Ich gehöre nicht zu denen, die verschämt in einer fremden Sprache reden. Ein neu hinzugelerntes Wort teste ich sofort auf seine Wirkung. Die Bedeutung ist nebensächlich. Auf den Klang kommt es an. Ein zärtlich ins Ohr gehauchter „Aschenbecher“ kann mich schneller in die Horizontale bringen als ein profanes „Liebling“. Zwangsläufig aber wird die Bedeutung zur Hauptsache, wenn man ins Ausland reist.



Als ich das erste Mal nach Kreta kam, konnte ich nur das Wort für „Kronkorken“. Ich sagte „Kronkorken“ am Flughafen, „Kronkorken“ bei der Taxifahrt an die Südküste und „Kronkorken“, als ich das heruntergekommene Landhaus sah, das ich zu einem Spottpreis in einem gottverlassenen Nest namens „Guter Wille“ erworben hatte. Mit der Leichtigkeit eines Kindes wollte ich Griechisch lernen, doch vorerst mußte ich mich auf das beschränken, was ich hatte: „Kronkorken!“ Ich wurde mit der kretischen Herzlichkeit aufgenommen und wandte mein mageres Vokabular überall an: Beim Bäcker, beim Popen und in der verkommenen Apotheke. „Ah, Kronkorken! Sie sprechen ausgezeichnet!“ sagten die Leute. Drei bärtigen Greisinnen, die mich unter Geschrei in ihre Behausung zerrten, um mich dort auf einen vergammelten Holzschemel zu stoßen, auf dem ich aus einer verdreckten Moccatasse Kaffee aus der Jahrhundertwende schlürfen sollte, spie ich ein haßerfülltes „Kronkorken!“ entgegen und wies dabei aufgeregt zur Tür. Das Ablenkungsmanöver reichte, die schlammige Brühe aus meiner Tasse in eine Ecke des Zimmers zu schleudern.



Mit der Zeit lernte ich eine Handvoll Verben und die wertvollen Wörtchen „nicht“ und „selten“. Schon hörte sich mein Griechisch gewandter an. „Riechen wir Kronkorken?“ fragte ich bei einer Taufe. Dem Schuster warf ich meine abgelatschten Sandalen mit der Weisheit entgegen, daß Kronkorken nicht fischen gehen.



Wäre mein Vokabular größer gewesen, hätte ich verstanden, was die Dorfbewohner hinter meinem Rücken über mich tuschelten. Zum Glück gab es schon einen Dorftrottel. Er sprach jedoch gar nicht, sondern schaukelte nackt auf einem ausrangierten Autoreifen, flocht Kreuze aus Olivenzweigen oder blies Volksweisen durch einen ausgehöhlten Besenstiel.



„Du lernst die Sprache am besten im Bett“, behauptete ein Ikonenmaler.
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Begeistert ließ ich ihn in mein Zimmer. Dort faselte er etwas von „Profillack“ und „Tiko“. Dann warf er sich auf mich und grunzte. Er grunzte eindeutig griechisch, doch ich konnte außer „du geiles Stück, du!“ und „ach, Muttergottes, meine!“ nichts verstehen.



„Profilaktikó“ bedeutet „Verhütung“ erklärte mir später der Dorftrottel, als er gerade den Versuch unternahm, seinen Kopf in einen Staubsaugerbeutel zu zwängen.



Eine Zeitlang zog ich mich zurück, um das Landhaus bewohnbar zu machen. Tagsüber kroch ich über Betonfußböden und abends erweiterte ich meinen griechischen Wortschatz, über dessen Nutzen man streiten mag:



Wolfsmagen

Serienmörder

Zwölffingerdarmgeschwür

Rettich

Reifrock

Spucknapf

Inkontinenz

Anus

Siebenstriemer

Einhorn



Manchmal kamen Nachbarn an’s Haus, um mit mir zu schwatzen. „Inkontinenz“, sagte ich zur Begrüßung und „Spucknapf“ zum Abschied. Die Zeit dazwischen überbrückte ich mit einem dämlichen Grinsen oder einer spontan dazugelernten „Meeresbestie“.



Es wollte sich kein anständiges Gespräch ergeben. So nahm ich mir eine Privatlehrerin. Einmal kam sie mit blutenden Fingerkuppen, weil sie die Bustür mit bloßen Händen aufgerissen hatte, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Das Haus war ohne Strom, so daß wir bei Kerzenschein lernten. Wenn’s brenzlig wurde, löschte ich die Flamme und verkroch mich in eine finstere Ecke. „Das Passiv kann doch nicht so schwer sein!“ rief meine Lehrerin dann und stocherte zornig mit ihrem Zeigestock in der Dunkelheit herum, bis sie mich aufspürte. Als sie eine Taschenlampe mitbrachte, mußte ich mich dem Passiv stellen. „Die Griechen verwenden es eigentlich nicht mehr“, erklärte sie mir später. „Zu schwer, weißt du?“ Ich warf sie hinaus und überschwemmte das Dorf trotzig mit der Leideform.



„Das Einhorn wird bezweifelt!“ rief ich einem schwitzenden Mann zu, der hoch oben auf einem Strommast hockte. „Kronkorken?“ schrie er zu mir herab.



Hartnäckig erweitere ich meinen Sprachschatz, bis ich in der Lage war, erste Bestellungen aufzugeben.
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Ich ließ mir für den Hausbau nützliche Gegenstände aus der Stadt mitbringen. Stolz, wie ich war, ließ ich nichts zurückgehen. Im Haus war genug Platz für den Krempel, den ich so nicht bestellt hatte:



Ein altes Schiffsruder aus Nußbaum

2 einäugige Plastikenten

4 Einwegspritzen

35 Käseräder

Ein Skalpell

3 Augenbrauen

2 Harpunen

Das Verdeck einer Kutsche

Eine mit Blattgold verzierte Regentonne

12 zusammengebundene Ziegenschwänze



„Wozu brauchst du einen Kalbskopf mit Henkeln?“ fragte mich meine Nachbarin, als ich sie um einen Kochtopf bat.



Sie verstehen mich absichtlich falsch, dachte ich. Zur Probe bestellte ich die Ohren einer Fledermaus. Ich bekam die Ohren einer Fledermaus, eingebettet in einer muschelbesetzten Kiste mit Sand. Es war die erste korrekte Lieferung. Das machte mich glücklich.



Bald ergaben sich flüssige Dialoge.



„Wann geht es deine Tochter?“

„Oh, die heiratet nächstes Jahr.“

„Ah, nicht glaublich das!“

„Sie ist verlobt. Ein guter Junge. Wohnt in 8 Höhlen und reitet auf einer Querflöte.“

„Uff, so weit?“

„Hm.“



Meine Einkäufe erledigte ich fortan selbst.



„Einmal Milch aus Sonnen. Die Zeit ist heiß.“

„Sie meinen Sonnenmilch? Welcher Schutzfaktor?“

„Viertel vor 5, bitte.“

„Sonst noch was?“

„Das ist Sprechen von einem Kuh?“

„Rinderzunge, ja.“

„Ich gebe auch sie.“

„Gut.“

„Kann ich Graubrot ficken auf Regal?“

„Hm.“



Als ich nach Deutschland zurückreiste, winkten mir die Dorfbewohner zum Abschied zu. „Kronkorken!“ riefen sie. „Anus!“ schmetterte ich zurück. Und gleich darauf: „Bis letztes Jahr dann!“



Zufrieden sank ich in mein Taxi und dachte an Rabelais, der da sagte: „Ohne Griechisch könne sich niemand einen Gelehrten nennen, wenn er nicht vor Scham erröten will.
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“ Was wird wohl sein erstes griechisches Wort gewesen sein?
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Kommentare zur Story:

  Herzhaft absurd! Eine Spitzenstory aus der Kategorie "Amüsantes".
Empfehlenswert!
lg  
Nicolas van Bruenen  -  17.01.08 10:19

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  Ich habe wahrhaftig Tränen gelacht!
Spitze!  
Tom  -  24.07.03 19:10

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  Hihi, klasse Geschichte. Dafür gibts volle fünf Kronkorken. einen schönen Anus wünsche ich noch.  
Drachenlord  -  22.01.03 08:31

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Kann ich Graubrot ficken auf Regal? *hihihi* ich halt mir ja echt den bauch vor lachen ;o)  
*Becci*  -  05.11.02 18:10

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Witziger Text- wir sind eben alle Ausländer!  
pascal gut  -  25.10.02 06:31

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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