Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Marco Frohberger      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. Mai 2002
Bei Webstories eingestellt: 27. Mai 2002
Anzahl gesehen: 2384
Seiten: 3

Ich sehe meine Zukunft dahinraffen wie ein einziges Trauma voller Sensibilitäten, ohne die ich mein Leben nicht einmal mehr spüren würde. Aber was ist dieses Leben schon wert, wenn es lediglich durch ein wahlloses Umherschauen nach Hilfe gekennzeichnet ist? Ich habe Angst, alles noch einmal von vorn.

Einst ging ich fort mit dem Glauben, alles verändern zu können, doch jetzt stehe ich hier, in meiner Heimat, am Bahnhof und sehe die rot flackernden Rücklichter des Zuges, aus dem ich gestiegen war, wie er davonfährt, als säße meine Zukunft noch in diesem Zug, während sich ein Teil von mir dazu entschlossen hat, den einfachen Weg zu gehen, wie all die anderen Menschen um mich herum. Mein Rucksack liegt am Boden und so fühle ich mich auch, wie dieser Rucksack, ohne Leben, ohne Hoffnung und die Kraft, wieder aufzustehen und weiter zu gehen, den steinigen Weg, den ich einst eingeschlagen hatte.

Wie mag sich ein Mensch wohl fühlen, wenn er es geschafft hat? Wie mag das wohl sein? Ich kenne bisher keinen Menschen, der dieses Gefühl hätte mir beschreiben können. Aus dem einfachen Grund, weil es bisher niemand geschafft hat. Viele wollen daran glauben, den Grund für all ihr Erstreben festhalten, aber im Endeffekt schaffen sie es doch nicht, weil sie immer wieder das Gefühl ereilt, dass das Ziel, auf das sie zuarbeiten, zu weit weg von dem ist, was sie glauben, erreichen zu können.

Ich sitze auf einer Bank am Bahnsteig und schaue in die Leere, mein Rucksack neben mir. Jetzt sitze ich in derselben Scheiße wieder. Ich muss nach Hause zurück, zu meinen Eltern und ihnen erklären, wo ich so lange Zeit war. Es gibt viele Dinge aufzuarbeiten, nur weiß ich nicht, wie meine Eltern reagieren werden, wenn ich auf einmal zurückkehre. Werden sie akzeptieren, was geschehen ist und die wichtigste aller Fragen, werden sie mich so akzeptieren, dass ich wieder da bin? Ich mache mir ernsthafte Sorgen darüber, wie meine Zukunft hier wohl aussehen wird, wenn ich mich nach einigen Tagen wieder eingelebt habe. Könnte ich rückfällig werden und wieder von hier abhauen? Wie würden meine Eltern ein zweites Mal reagieren?

Auf all diese Fragen kenne ich keine Antwort und ich fürchte mich vor denen, die mir nicht gefallen könnten.

Auf meinen Streifzügen durch Thailand habe ich eines verstehen gelernt.
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Wenn man die Kraft für etwas verliert, was man erreichen möchte und einem wichtig ist, dann sollte man nicht lange warten und Hilfe suchen, so lange, bis man eine gefunden hat und das Bestreben, dieses Ziel erreichen zu können, nicht aufgeben. Noch heute bin ich mir nicht sicher, ob ich damals, vor 2 Jahren, den richtigen Weg eingeschlagen habe, einfach von Zuhaus fortzugehen. Ich habe viele Freunde vergessen, habe meine Familie im Stich gelassen, die sehr viel für mich getan haben. Wenn ich hier so sitze und über meine Vergangenheit nachdenke, dann wird mir klar, dass ich meinen Eltern eigentlich nie viel davon zurückgegeben habe, was sie mir damals alles geschenkt haben. Dieses schlechte Gewissen macht mich traurig und jetzt erst bemerke ich, wie viel mir meine Eltern eigentlich bedeuten. Ja, ein wenig Reue ist da mit im Spiel, aber die Tatsache, dass ich sie damals einfach im unklaren darüber gelassen habe, wohin ich gehe und was ich damit anrichte, hängt mir sehr nach und tut auch weh. Meinen Eltern verdanke ich mein Leben und all das, was sie mir an Liebe und Geborgenheit schenken konnten.

Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich meinen Rucksack nehme und mich auf den Weg nach Hause mache. Wenn ich daran denke, wie die Bilder vor meinen Augen sich bewegen, der Zorn und der Hass, oder die Liebe oder Freude über mein Wiedersehen, so hadere ich mit der Entschlossenheit, die mich nach Hause zwingt. Ich habe einfach Angst über jene Reaktionen, die mir ins Gesicht und damit in meine traurige Zukunft schlagen könnten. Dieser Gang ist wohl der schwierigste in meinem Leben und ich versuche alles daran zu setzen, dass ich die Hoffnung nicht aufgebe, die mich nach Hause bringen soll und ich letzten Endes doch noch einen anderen Weg einschlage und wieder dorthin zurückkehre, woher ich gekommen bin.

Ich kann nie behaupten, dass ich ein guter Sohn oder so was dergleichen war. Ich habe eben mein Leben unter dem Dach meiner Eltern gelebt. Ich habe gegessen und getrunken, ich habe mit ihnen gestritten und bin mit 12 abgehauen, wurde von der Polizei aufgegriffen und nach Hause gebracht. Sie waren froh darüber, doch Hausarrest habe ich nie dafür bekommen. Meine Eltern sind die liebsten Menschen, doch ob sie meine jetzige Situation verstehen werden, dass weiß ich wirklich nicht. In den letzten Wochen war das Verhältnis zu meinen Eltern ohnehin nicht gut.
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Ich hatte ihnen viele Probleme bereitet, mir immer wieder Geld geliehen und bin es ihnen heute noch schuldig. Ich weiß, ich habe vieles falsch gemacht und ich bin der Meinung, dass man eine Chance bekommen sollte, alles gut zu machen.

Als ich in die Straße einbog, in der ich Zuhause war, erkannte ich die Nachbarskinder, die auf der Straße Fußball spielten. Sie kannten mich und sie erschraken auf, als ich wieder zurückkehrte. Ich konnte sie nie so richtig leiden, wenn sie mir mit ihrem Geschrei auf der Straße auf die Nerven gingen, doch heute war alles anders, sie waren ruhig und schauten mich mit großen Augen an. Sie sind groß geworden in der Zeit, in der ich nicht hier war. Selbst die Nachbarn hörten auf in ihren Gärten zu arbeiten, kamen an den Zaun und sahen mir nach. Meine liebste Nachbarin war Annie, zwei Häuser von uns entfernt. Sie kam mit einem freundlichen Lächeln, das wie ein Streicheln auf meiner Seele wirkte, an den Gartenzaun und begrüßte mich mit einem liebenswürdigen „Hallo“. „Schön das du wieder da bist mein Junge.“ Sie strich mir über die Wange und hatte ein nettes entgegenkommen. Ich schlenderte also weiter und bedankte mich beim fortgehen für ihre Begrüßung. Das machte mir Mut, doch die Stille um mich herum lies es in meinem Bauch kribbeln. Je näher ich meinem Zuhause kam, desto stärker wurde die Angst.

Ich hoffte, auf dem richtigen Wege zu sein, all meine Fehler zu begleichen, Frieden mit meinen Eltern zu schließen, die mir alles in meinem Leben bedeuteten. Jetzt stand ich vor der Türe, zu der sich mir eine neue Wahrheit offenbaren sollte. Meinen Schlüssel hatte ich damals, als ich von hier fortging, hier gelassen, weil ich im Glauben war, niemals wieder hier her zurückzukehren. Meine Knie zitterten und mein Herz schlug schneller als ich es gewohnt war, die Angst trieb mir nahezu einen Keil in die Versuchung zwischen abhauen und klingeln. Meine Entscheidung stand nun fest. Ich klingelte und so sehr ich auch darauf hoffte, dass mit einem Blick alles wieder gut sein würde, so krallte ich mich an meiner Hose fest um den Halt in meinem Leben nicht zu verlieren.

Ich stand wie gebannt vor der Türe. Mein Dad öffnete sie und sah mich an.
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Kommentare zur Story:

  Hallo Marco,
ich habe mir jetzt mal alle drei Teile am Stück durchgelesen. Ich muss sagen: Wow! Man kommt sich vor, als ob man daneben steht. Überall ist man mit dabei und kann sich in die Gefühle hineinversetzen!

Was mir bei fast allen Geschichten die ich bis jetzt gelesen habe (knapp die Hälfte von deinen 30) aufgefallen ist: Du lässt gerne das Ende, die weitere Entwicklung offen. Einerseits gut, weil man sich selbst was ausdenken kann, wie es weiterging. Andererseits weniger gut, weil eine Geschichte meiner Meinung nach ein Ende braucht, damit man die Geschichte abschließen kann und sich über den Inhalt, den Grundgedanken, die Moral Gedanken macht und nicht darum, wie es weitergehen könnte.

Liebe Grüße und viel Erfolg weiterhin... bleib dran an deinem Ziel, du kannst es schaffen.

Vielleicht kann ich dir ja dabei helfen.

MfG  
Melanie  -  30.06.03 14:34

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  Hallo Marco
Ich finde deine Geschichte sehr gut. Man kann darin richtig mitfühlen. Ich finde es toll das du so offen über (deine?) Gefühle berichtest, obwohl ich nich weiß was davor pasiert ist hab ich das feeling das man hier keine Große Kenntnis von der situation haben muss, man slollte einfach nur mitfühlen! Mach so weiter!  
Nadja  -  18.06.02 13:12

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  beim lesen hatte ich genauso ein angstgefühl im bauch wie du es beschrieben hast, ich konnte es nachvollziehen.
es war schön, mal wieder was von dir zu lesen.  
edith  -  16.06.02 20:19

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  Hallo Marco, ich finde Deine Texte wirklich gut, ich mag die Sprache sehr, aber irgendwie sind die Geschichten schon dafür gedacht, sich Zeit zu nehmen und Nachzudenken und in Ruhe zu lesen. Das könnte ich besser, wenn sie vor mir lägen als auf dem Bildschirm. Mitunter- wenn ich mir die Kritik erlauben darf- werden die Texte etwas zu philosophisch. Irgendwie ist mir aufgefallen in den paar Zeilen, die ich bis jetzt überflogen habe, dass Du fast nur über Deine Gefühle und Gedanken schreibst, ohne einen großartigen Handlungsstrang.
Mach weiter so, tolle Erfolge wünscht Dir Doreen  
Doreen  -  04.06.02 20:49

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Jonatan Schenk" zu "Eine Rose wird blühen"

ein sehr schönes gedicht!

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Letzte Kommentare

Kommentar von "axel" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Toll recherchiert oder boxt du selber? Jedenfalls war das Ganze wieder sehr spannend und lebensnah. Ich staune immer wieder über deinen lebendigen Schreibstil. Ein mitreißender Roman.

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