Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    b heinrichs      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 10. März 2001
Bei Webstories eingestellt: 10. März 2001
Anzahl gesehen: 2142
Seiten: 2

"Gut, ich wiederhole noch einmal, wir suchen einen motivierten und flexiblen Projektleiter, der unser Unternehmen vorwärts bringt und sich einsetzt. Der sich von keinen Problemen bei der Erreichung der Unternehmensziele aufhalten läßt." sagt der Personalchef im schwarzen Anzug hinter dem großen Schreibtisch.



"Ja. ich bin fest davon überzeugt, ihrem Wunschkandidaten zu entsprechen!" sage ich ihm.



"In Ordnung. Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben ...."



Ich schüttel verneinend den Kopf.



Er erhebt sich gewand aus seinem schweren Bürostuhl und geht um den großen Schreibtisch. "Also, sie werden dann in wenigen Tagen von uns hören. Ich habe aber ein ganz gutes Gefühl bei ihnen."



Ich erhebe mich ebenfalls aus meinem Stuhl, der deutlich weniger bequem aussieht, als seiner. "Das freut mich zu hören" sage ich. "Ich würde auch gerne hier anfangen." Dabei knöpfe ich mein Sakko zu.



Der Herr im schwarzen Anzug, der Personalchef dieses großen Unternehmens, reicht mir seine Hand zum Abschied. Ich ergreife die angebotene Hand und drücke sie kurz. Die Berührung ist zuende.



"Sie finden sicherlich alleine raus, wie sie sich denken können, habe ich noch sehr viel zu tun." Da bewegt sich seine Hand zu meiner Schulter. "Oh, sie haben da ein Haar auf ihrem Sakko" sagt er. "So, schon weg." Mit einer schnellen Bewegung hat er das Haar von meinem ansonsten makellosen Outfit entfernt.



"Auf Wiedersehen" sage ich und verlasse das Büro. Er lächelt mir nach, während ich die Tür hinter mir schließe.



Der Personalchef im schwarzen Anzug geht zu seinem Schreibtisch zurück, öffnet eine Schublade und nimmt einen kleinen Plastikbeutel heraus. Dann legt er das Haar von meiner Schulter in den Beutel und verschließt ihn. Dann beschriftet er den Beutel mit meinem Namen und greift zum Telefonhörer und wählt die Nummer vom hauseigenen Labor.



"Ja, ich habe wieder eine Probe. Ich brauche das Ergebnis so schnell wie möglich. Kommen sie bitte gleich vorbei und holen sie sie ab. Danke."



Ein paar Minuten später betritt ein Labortechniker das Büro des Personalchefs. Mit dem Haar von meinem Sakko verläßt er ohne viele Worte das Büro wieder. Das übliche Vorgehen !



Am nächsten morgen öffnet sich die Tür zum Büro des Personalchefs und der Labortechniker vom Vortag betritt das Büro.
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Der Personalchef hinter seinem Schreibtisch winkt den Techniker zu sich.



"Guten Morgen. Ich habe hier das Ergebnis der Schnell-DNA-Analyse von dem Haar, das wir gestern bei ihnen abgeholt haben."



"Ja, sehr gut." Der Personalchef greift nach dem eng bedruckten Blatt. "Danke, ich kriege heute nachmittag noch einen Bewerber auf die Stelle als Projektleiter. Bitte halten sie sich bereit."



"Sehr wohl" sagt der Techniker und verläßt das Büro wieder.



Der Personalchef überfliegt mit geübtem Blick das Analyse-Ergebnis. "Schade, er hätte gut hierher gepaßt. Aber in spätestens 8 Jahren wird er an einer schweren Herzkrankheit erkranken und dann nur noch maximal 6 Jahre leben." Er greift nach dem Telefonhörer und ruft mich an.



"Guten Tag." begrüße ich ihn.



"Ich habe leider schlechte Nachrichten für sie."



"Bitte ?"



"Wir haben uns gestern für einen besser qualifizierten Bewerber entschieden. Es tut mir leid. Sie hätten ihre Sache sicherlich gut gemacht. Aber die Entscheidung war für uns nicht leicht und wir haben lange hin und her überlegt. Leider haben wir uns dann gegen sie entschieden."



"Schade. Sehr schade. Ich hätte mir eine andere Entscheidung gewünscht. Aber da kann man wohl nichts machen." sage ich.



"Wir wünschen ihnen trotzdem für ihren weiteren beruflichen Weg alles Gute und das sie doch noch eine Stelle finden, die ihren Vorstellungen entspricht."



"Ja, Danke." sage ich. "Auf Wiederhören."



"Auf Wiederhören" sagt der Personalchef und legt auf. Dann zerknüllt er das Analyse-Ergebnis und wirft es in den Papierkorb.



Ich bleibe geknickt am anderen Ende der Telefonleitung zurück. Ich hatte mir doch solche Hoffnungen auf den Job gemacht. Endlich mehr verdienen, mehr Verantwortung, endlich wichtig sein. Verflucht, verdammt, wieso ? Was habe ich nur falsch gemacht ?



Nach ein paar Tagen sind die Selbstzweifel wieder vergessen und verdrängt. Und mit neuem Elan wird das nächste Bewerbungsschreiben aufgesetzt.



-----



Sechseinhalb Jahre später erkrankt meine Lebenspartnerin am Herzen.
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Fünf Jahre später trauere ich um sie. Und ich wünsche, wieder den Kuss auf meinen Lippen zu spüren, den sie mir gegeben hat, bevor ich zu einem Vorstellungs-gespräch gegangen bin. Ihre Hände auf meiner Schulter, wie sie sich für diesen Kuss an meiner Schulter hochzieht. Ich vermisse sie sehr. Wenn ich es nur früher gewußt hätte. Dann hätte ich ihr noch eindringlicher sagen können, das ich sie liebe, und ich hätte unsere Liebe nicht als so selbstverständlich hingenommen.



Zwei Monate nach ihrem Tod habe ich endlich einen neuen Job gefunden ....
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Kommentare zur Story:

  jaa der anfang gefiel mir auch ent so:)
aber die idee ist toll!
lg darkangel  
darkangel  -  01.07.07 11:59

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  Ich muss sagen, der Anfang war ziemlich - auf deutsch gesagt - beschissen. Das kam mir zu weit hergeholt rüber. Aber der Schluss hat es zum größten Teil wieder rausgeholt. Schaurig schön.  
Manja  -  30.10.04 17:57

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  Also ich hatte ja eigentlich gehofft, dass der bloede Personalchef sein eigenes Haar zur Untersuchung geschickt haette. So von wegen ein Windstoss hatte es dem Bewerber auf die Schulter geweht. Dass es die Lebensgefaehrtin war macht die Geschichte so wahnsinnig traurig, herzerreissend.
Erschreckende Vorstellung allerdings, aber wohl nicht alzuweit entfernt, alles ist moeglich und irgendwann kommen wir auch dazu, dass solche Proben legal abgegeben werden...  
Regina  -  25.01.04 13:04

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  Gegen Ende der Geschichte weiß man nicht, ob man wegen der verlorenen Liebe und den tiefen Gedanken am Schluß mittrauern soll oder sich einfach nur wegen dem grotesken Gesamtzusammenhang totlachen soll...ich hab' mich guten Gewissens für letzteres entschieden.  
Tino Lingenberg  -  25.03.01 12:00

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  glänzend geschrieben, schön makaber -
sehr schön !  
schwaen  -  11.03.01 20:21

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  super story, war am schluß echt bedrückt  
uli  -  10.03.01 21:51

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Kommentar von "Sabine Müller" zu "Die Lebenswippe"

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