Schauriges · Kurzgeschichten

Von:    Larissalisa      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 1. Februar 2002
Bei Webstories eingestellt: 1. Februar 2002
Anzahl gesehen: 2134
Seiten: 3

Rattata - rattata – rattata. Ich sitze im Zug nach München. Draußen gleitet die Landschaft vorbei. Mir gegenüber sitzt ein Mann mit langem grauem Haar, das er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden hat. Wie Karl Lagerfeld, denke ich. Neben ihm sitzt eine Frau und strickt irgendein kleinkariertes Muster. Schwarz und weiß, klapp, klapp, schwarz und weiß gleitet die Wolle durch ihre Finger, klapp, klapp machen die Stricknadeln. In der Ecke ist ein Junge ans Fenster gelehnt und schläft. Wie alt er wohl sein mag? 16, 18, 20? Vielleicht eher ein Mann? Ich möchte ihn wecken und fragen. Nein, es geht mich nichts an. Vielleicht hat er eine durchgemachte Nacht hinter sich und braucht seinen Schlaf.

Neben mir sitzt eine Frau mit einem kleinen Kind. Das Kind ist damit beschäftigt, Perlen auf ein Band zu fädeln. Die Frau liest einen Cora Roman. Ich selbst blättere in einer Frauenzeitschrift, die ich am Bahnhof gekauft habe.

Mir ist langweilig.

Ich schaue aus dem Fenster. Wir fahren an einem Bach entlang. Weiden wachsen am Ufer und die Zweige hängen ins Wasser.

Der Zug fährt über eine Brücke; ich kann den Bach nicht mehr sehen.

Da steht ein hübsches verwinkelt gebautes weißes Haus mit grünen Fensterläden. Wer mag da wohnen? Dann fährt der Zug durch ein Dorf, Autos warten vor dem Bahnübergang. Ich versuche zu lesen. Ein Reisebericht aus der Südsee! Südsee – das ist so weit weg! München ist auch noch weit weg, ein paar hundert Kilometer!

Wo guckt der Mann mir dem Zopf eigentlich hin? Aus dem Fenster sieht er nicht, mich schaut er auch nicht an, aber seine Augen sind weit offen. Ich weis es nicht. Die Stricknadeln der Frau klappern. Der Junge schnarcht leise. Die Perlen des Kindes klappern in der Schachtel; die Seiten des Romans rascheln beim Umblättern.

Draußen stehen Bäume und Büsche am Bachufer. Die Zweige der Weiden berühren das Wasser. Am Ufer steht ein hübsches verwinkelt gebautes Haus mit grünen Fensterläden. Ein Pferd steht auf der Weide.

Moment – da weiße Haus. Hatte ich das schon mal gesehen? Ich kann mich nicht erinnern…

Rattata – rattata fährt der Zug. Klapp, die Stricknadeln klappern. Schwarz – weiß - schwarz – weiß wird das Muster. Klack klack klappern die Perlen des Kindes rot gelb grün blau rot gelb grün blau.
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Der Junge schnarcht, die Seiten rascheln.

Der Mann mit dem Zopf was ist das für ein Typ? Wo sieht er hin, was macht er? Geschäftsmann, Bankräuber, Zuhälter? Mehr fällt mir nicht ein, aber es passt alles nicht.

Draußen gleitet wieder das hübsche weiße Haus vorbei, hat der Mann selbstgefällig gelächelt?

„Fahren Sie auch bis München?“, frage ich und glaube einen Augenblick lang hämisches Gelächter zu hören. „Höllenfahrt, Höllenfahrt“ singt das Kind. „Nein, nicht nach München“ sagt der Mann.

Da ist wieder das weiße Haus. Einige Fensterläden sind geöffnet. Ich versuche mich auf die Landschaft zu konzentrieren. Weiden, deren Zweige ins Wasser hängen, ein hübsches verwinkelt gebautes weißes Haus mir grünen Fensterläden.

Verdammt, da stimmt doch was nicht?

Ich warte darauf, dass das Haus wieder vorbei kommt.

Rattatat rattatat klick klack rot gelb blau grün klapp klapp schwarz weiß – das weiße Haus.

Der Mann mit dem Zopf steht in der Tür. Er sitzt mir doch gegenüber? Nein, er steht in der Tür.

„Kommt herein“, sagt er. Wo ist der Zug geblieben? Die Frau legt ihr Strickzeug zusammen, und verschwindet im Haus; die andere Frau nimmt das Kind bei der Hand und folgt ihr. Der Junge reibt sich schläfrig die Augen, ich nehme ihn an der Hand; wir gehen auch ins Haus.

Von innen ist es erstaunlich groß, überall brennen Kerzen. Es riecht nach gebratenem Fleisch. Jemand drückt mir ein Glas Wein in die Hand, ich trinke dem Jungen zu. Musik spielt, wir tanzen Walzer, mein Ballkleid schwingt mit mir im Takt der Musik. Der Junge sieht gut aus, der dunkle Anzug bildet einen hübschen Kontrast zu seinen blonden Haaren, vielleicht wird er bald ein Mann sein.

Musik, Ballkleider, Diamanten, Sekt und Gelächter. Wo bin ich?

Da steht plötzlich der Mann mir dem Zopf auf der Treppe. „Willkommen meine Gäste“, sagt er. „Ihr sollt immer bei mir bleiben und mit mir feiern. Ich liebe meine Gäste. Bleibt, und feiert für immer.“

Ich bin lange dageblieben und habe gefeiert. Der Junge war viel mit mir zusammen, ob er ein Mann geworden ist weis ich nicht mehr.
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Ich weiß nur dass ich eines Abends sein blondes Haar streichelte, an dich dachte und Angst bekam, dich niemals wiederzusehen. Da habe ich allen Mut zusammengenommen und die Notbremse gezogen. Es gab einen gewaltigen Ruck, ich fiel auf die Polster, richtete mich wieder ein wenig auf, betrachtete meine Mitreisenden: eine Frau die schwarzweiß Muster strickte, einen schlafenden Jungen, eine Mutter mit einem Kind, das mit Perlenketten spielt. Der Platz mir gegenüber ist leer. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir Felder und Hecken, schneebedeckte Hügel und in der Ferne ein Dorf. Noch eine Stunde, dann bin ich in München.


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Punktestand der Geschichte:   68
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Kommentare zur Story:

  Nette Idee, gut umgesetzt  
Nausicaä  -  29.03.06 12:06

   Zustimmungen: 5     Zustimmen

  COOL!!!! Also ich finde die Geschichte wirklich herrlich. Sie lädt zum Träumen ein. Der Schreibstil ist brilliant und das immer wiederkehrende Haus seine wirklich tolle Idee
5 Punkte  
Destiny  -  14.12.02 15:53

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  In dieser Geschichte kann man sich verlieren...Interessante Idee.  
Stefan Steinmetz  -  23.03.02 16:40

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Da hätte sich mit ein wenig Mut mehr draus machen lassen. Mir gefallen Geschichten, die Traum und Wirklichkeit miteinander verweben. Die Wiederholungen find ich passend, da sie wohl als stillistisches Mittel gedacht waren. Enttäuscht hat mich ein wenig das Ende. "Puh, zum Glück nur ein Traum!" Da hätte sich (nun wiederhole ich mich ebenfalls ganz bewußt) mehr draus machen lassen.

  
CruelWinters  -  03.02.02 21:44

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Soll es ein Traum gewesen sein ?
Habe zuerst ein anderes Ende,ein Ende mit einer gewissen Spannung,mit irgendeiner Unwahrscheinlichkeit erwartet.
Aber ab Mitte der Geschichte wird es durch die ständigen,sich wiederholenden,Beschreibungen der Landschaft und der Mitreisenden nervig,nervig endet auch diese Wiederholungsgeschichte.
Das Lied "Ein Loch ist im Eimer..." lässt grüssen.  
Wolzenburg-Grubnezlow  -  02.02.02 23:06

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

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Interessante Kommentare

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